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Der Weg zu ultraleichten Faserstrukturen

FEM-Pionier Dr. Ulrich Hindenlang über ultraleichte Faserwickelstrukturen
„Der Rechner liefert das Wickelkonzept“

Für Dr. Ulrich Hindenlang ist es eine Passion, leichte Faserwickelkomponenten zu entwickeln. Dafür nutzt der Gründer des auf CAE spezialisierten Ingenieurbüros Lasso spezifische Finite-Elemente-Methoden. Wie räumliche ‚xFKin3D‘-Strukturen zu Ultraleichtbau führen, erklärt er hier.

Olaf Stauß

Mit Ihrer Berechnungs-Expertise engagieren Sie sich stark im Leichtbau. Was halten Sie von Diskussionen, die CO2-Grenzwerte für Autos weiter zu verschärfen?

Jede Verschärfung halte ich für positiv, die dazu zwingt, über Einsparpotenziale bei den Ressourcen nachzudenken. Wir haben nur begrenzte Vorräte. Die Materialien dieser Erde sind zu wertvoll, um sie nur in die Luft zu blasen, wir sollten sie wertig einsetzen. Das Schonen unserer Ressourcen ist das Wichtigste. Sonst sind wir irgendwann nicht mehr handlungsfähig, so wie jetzt schon in der Pandemie. Der Leichtbau ist nur ein kleines Mosaiksteinchen, um diese Probleme zu lösen.

Effizienter Leichtbau kann aber dennoch einiges erreichen?

Leichtbau ist in jeder Struktur von Vorteil. Denn leichter zu bauen bedeutet, die verfügbaren Ressourcen zielgenau einzusetzen – ob in Verbrennern, E-Fahrzeugen oder in Maschinen und Anlagen. Wird zum Beispiel der Elektromotor eines E-Mobils von einem Roboter mit einem leichten Arm gewickelt, ist er viel schneller gewickelt als mit schwerem Roboterarm. Auch solche Aspekte spielen für die Energie- und Ressourcenbilanz eines Fahrzeugs eine Rolle. Leichtbau ist schon in der Produktion wichtig.

Was ist das Besondere an den Raumwickelstrukturen des ‚xFK in 3D‘-Leichtbaus, die Sie mit AMC und Gradel vorantreiben?

Diese 3D-Wickelstrukturen sind sehr leicht und haben eine hohe Tragfähigkeit. Sie lassen sich vom ersten Entwurf bis zur automatisierten Serienfertigung digital realisieren, in einer durchgängig digitalen Prozesskette. Der Grund ist der durchlaufende rote Faden, nämlich der Roving aus endlosen Faserbündeln. Als Wickelspur zieht er sich durch die gesamte Prozesskette hindurch – und macht die Struktur rechen- und optimierbar.

Man kann sich die Gebilde also so vorstellen, dass ein roter Faden sämtliche Lastpfade im Raum durchläuft: Und diese Pfade ermitteln Sie mit Finite-Elemente-Methoden (FEM)?

Genau, im Flugzeugbau hat man das schon immer so gemacht: Für eine Struktur sollte man alle Lasten kennen, die auftreten und einwirken können. Durch das Optimieren mit FEM bleiben die wesentlichen Lastpfade übrig. In diese legen wir dann so viel Fasermaterial rein, dass die Stränge alle Lasten tragen. Die Kunst dabei ist, die Wicklung so zu gestalten, dass sie sich mit einem nicht endenden „roten Faden“ realisieren lässt, um im Bild zu bleiben.

Sie kehren die Prozesskette um: Zuerst berechnen Sie die Lastprofile, dann erst erfolgt der mechanische Entwurf?

Ja. Die Basis ist unsere vor Jahren getätigte Innovation, für eine kontinuierliche Kurve im Raum ein FEM-Modell per Knopfdruck zu erstellen. Damit können wir alle Steifigkeiten eines gewickelten Gebildes berechnen. Umgekehrt sind wir in der Lage, für ein beliebig vorgegebenes Lastprofil die Wickelkurve zu gestalten und die Kinematik abzubilden. Die Freiheiten sind enorm. So schließen wir die digitale Kette von CAE über CAD bis in CAM hinein.

Welche Vorteile hat diese durchgängig digitale Prozesskette CAE-CAD-CAM für die Fertigung?

Aus unseren geodätischen Daten, der Wickelkurve, lassen wir den Computer die Wickelstrategie ableiten und müssen sie nicht mehr manuell erstellen. Wir müssen auch nicht den Roboter teachen. Der Computer steuert den Verlegekopf und den Wickelkörper. Wir müssen dafür nur die Konfiguration des Roboters kennen. Das erspart enorm viel Zeit in der Fertigungsvorbereitung. Mit anderen Worten: Wir können das Wickelkonzept per Knopfdruck erstellen und dann automatisiert wickeln. Das Ergebnis ist ein extrem leichtes, konsolidiertes Bautteil.

Leichter kann man nicht bauen, sagt Rainer Kurek, Ihr Kooperationsspartner von AMC. Stimmt dies?

Dazu sollte man wissen, dass eine Kohlenstofffaser deutlich mehr Kraft übertragen kann als ein vergleichbarer Stahldraht. Ihre Dichte liegt bei rund einem Viertel. Auch wenn das Gewicht des Harzes zusätzlich berücksichtigt werden muss, wird doch deutlich, dass Material kaum effizienter eingesetzt werden kann als mit einer hochfesten und leichten Kohlefaser am richtigen Ort im Raum. Als weiterer Vorteil kommt hinzu, dass es bei den Strukturen ‚xFK in 3D‘ keinen Verschnitt gibt. Wir bündeln in unserem „roten Faden“ nur so viel Fasermaterial wie nötig und schonen damit die Ressourcen.

Noch einmal zur Auslegung: Endlosfaserstränge können nur Zug aufnehmen, oder auch Druck?

Nein, die Faser kann auch Druck aufnehmen, aber nur auf kurzen Strecken, sonst beult sie aus. Die Voraussetzung für die Kraftübertragung ist, dass die Faser in ihrer Lage bleibt – und dafür muss das Harz sorgen. Auch das können wir berechnen.

Wie läuft der Wickelprozess denn ganz praktisch ab?

Der Roving-Faden wird in 3D über eine Form oder Halterung gewickelt und dabei so benetzt, dass er im nassen Zustand richtig zu liegen kommt. Die Umwicklungspunkte nennen wir englisch Loop oder auch Schlaufen. … In einer aktuellen umfangreichen Untersuchung werden zum Beispiel optimale Schlaufengeometrien entwickelt, die für eine erhebliche Steigerung ihrer Festigkeit sorgen. Im Ofen werden dann die Rovingstrukturen, die teils aus Einzelkomponenten entstehen, zusammengefasst, ausgebacken und so gebrauchsfertig gemacht.

Herrscht in den Strängen auch eine Vorspannung?

Bislang nicht. Dies wäre aber eine weitere Option mit Potenzial. An einem Punkt sind wir schon so weit: Wir denken darüber nach, eine Vorspannung an den Befestigungspunkten einzubringen, um dort für einen noch sichereren Halt zu sorgen.

War FEM eine wichtige Voraussetzung für den Durchbruch von xFK-Strukturen?

Sie lassen sich auch empirisch entwickeln: Man hat eine Idee, wickelt sie, erprobt die Struktur und steigert sukzessive die Lasten in den Tests. Dabei ist wichtig, immer dieselben, reproduzierbaren Wickeltechniken und Aushärtungsprozeduren zu durchlaufen. Auch so kann es funktionieren – aber man spart viel Zeit, wenn man die Struktur berechnet. Und wir bieten jetzt ein Tool an, um diese Optimierungen und Berechnungen reproduzierbar durchzuführen, so dass sie ein geschulter Ingenieur verlässlich simulieren und produzieren kann.

Können auch Ingenieure, die keine Wickelexperten sind, diese Software nutzen?

Wir haben schon viele Vorgänge automatisiert, auf die der Ingenieur dann nicht mehr Einfluss nehmen muss. Beispielsweise werden Geometrien und Materialdaten automatisch zugeführt. Und wir erfassen in dem Tool verschiedene Fasern, nicht nur Kohlefasern.

Vertreiben Sie das Tool bereits?

Als Add-on für die weit verbreitete Software ANSA könnten wir das Modul schon ausliefern, vielleicht als Betaversion.

Und Sie denken an eine Normierung?

Festlegungen werden schon notwendig sein, um die Qualität sicherzustellen. Für diesen Normierungsprozess gibt es erste Planungen. Mit einer Norm wollen wir zum Beispiel für eine verlässliche Konsolidierung sorgen und erreichen, dass ‚xFK-in-3D‘-Teile reproduzierbar gefertigt werden. Dazu gehört auch, aus dem verwendeten Material zugleich einen Probekörper zu wickeln, um die Qualität prüfen zu können. Eine ISO-Zertifizierung wäre schon reizvoll, um die Technik auf den Weg zu bringen.

Erwarten Sie, dass ‚xFK in 3D‘ den automobilen Leichtbau verändern wird?

An manchen Stellen ließe sich viel Masse rausnehmen. Noch besser wäre es, die Gesamtstruktur eines Autos zu analysieren und die Außenhaut einzubeziehen. Wenn wir die Skelette der Kohlefaser geschickt platzieren, können wir zum Beispiel mit Organoblechen oder Naturmaterialien als Verkleidung eine ähnliche Versteifung erreichen wie mit Metallblechen. Und um noch einen Schritt weiter zu gehen: Man könnte die Gesamtstruktur sogar so gestalten, dass die Biegelinien das Bewegungsprofil von Bolzen und Achsen wie etwa Querlenker abbilden, so dass auf schwere Beschläge verzichtet werden kann. Die Wickelstruktur könnte also – wie in der Natur – in flächige Gebilde integriert werden – und das lässt sich mit FEM numerisch gut darstellen. Die Fläche braucht einen Partner, das Gerippe.

Wo rechnen Sie am ehesten mit einem Einsatz von ‚xFK in 3D‘-Teilen – abgesehen von schon laufenden Projekten?

Ein Problem ist die noch fehlende Industrialisierung in der Herstellung, also die Serien-Prozesstechnik. Die Wickelgeschwindigkeit ist begrenzt. Unabhängig davon ist ‚xFK in 3D‘ überall dort eine gute Lösung, wo Teile stark beschleunigt oder mit menschlicher Kraft bewegt werden müssen. Ein Beispiel sind Roboterarme oder auch Autositze, die der Mensch mit eigener Kraft verstellt. Bis zu 75 Prozent der Masse kann ‚xFK in 3D‘ rausnehmen, das ist die Obergrenze.

Wie kann ein Unternehmen die Technik nutzen – mit Hilfe der Geschäftspartner AMC, Lasso und Gradel?

Ja, denn momentan ist die Zahl der Experten noch begrenzt, die ‚xFK in 3D‘ schon beherrschen. Doch wenn ein Anwender weiß, welches Gewicht er einsparen und welche Kosten er dafür in Kauf nehmen will, können wir das schnell durchrechnen. Die Modellierungstechnik steht – konkrete Ideen lassen sich schnell umsetzen.

Gibt es eine Evolution seit der ersten Vorstellung von ‚xFK in 3D‘ vor vier Jahren?

Die Technik hat sich verfeinert. Wir haben nun ein Verfahren, um die Fasern – zum Teil in der Form – zu konsolidieren und so die Festigkeit zu erhöhen. Die Benetzung erfolgt kurz vor dem Verlegen nahe an der Struktur, alternativ können wir auch mit Prepreg-Fasern von SGL arbeiten. Und wir haben Erfahrung damit, die Struktur so zu wickeln, dass zur Kraftübertragung ein Formschluss mit Anschlussteilen entsteht. Denn wir sollten mit möglichst wenig schweren Zusatzteilen oder Beschlägen auskommen und mit Verbindungselementen wie Schrauben lediglich fixieren. So nutzen wir die Stärke von ‚xFK in 3D‘-Komponenten: Wir schmiegen sie gezielt an die Anschlussstruktur an.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft?

Meine Hoffnung geht ins Philosophische: Wir sollten Material einsparen und den Raubbau an der Natur beenden. Wenn wir dafür überzeugende Beispiele ent-wickeln, könnten sie andere anstacheln, es uns gleichzutun oder besser zu machen. Optimal wäre es, wenn statt Kohle- sogar Biofasern zum Einsatz kämen.

Kontakt:

Lasso Ingenieurgesellschaft mbH
Leinfelderstr. 60
70771 Leinfelden-Echterdingen
Tel. +49 711 490433-0

www.lasso.de

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