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Auf dem Weg in eine neue Fertigungswelt

Industrie 4.0: Maschinen tauschen selbstständig Informationen aus
Auf dem Weg in eine neue Fertigungswelt

In den vergangenen Monaten ist viel über die 4. Industrielle Revolution geredet worden. Doch es sind noch einige Herausforderungen zu bewältigen. Bereits existierende Ansätze sind lediglich Vorstufen von Industrie 4.0. Statt lokaler, herstellerspezifischer Lösungen brauchen wir solche, die global funktionieren.

Eine Blechtafel gleitet vom Lager in die Produktion und ruft den dort arbeitenden Maschinen zu: „Leute, wer kann schnell mal fünf Lüftergehäuse schneiden und biegen?“ Die erste Laserschneidanlage stöhnt: „Nee Du, ich bin bis morgen echt im Stress!“ Schon meldet sich eine Maschine aus der zweiten Reihe: „Komm rüber. Ich hab grad Kapazitäten frei.“ Das Palettenhandling transportiert die Tafel direkt zur Maschine. Schon während des Zuschnitts wendet sich das Blech an einige Biegezentren: „Wer will mich gleich in Form bringen?“ Die Antwort kommt prompt: „Im Moment geht´s bei mir, aber in einer halben Stunde muss ich einen anderen Auftrag beginnen.“ Ein Roboter nimmt ein Rohteil nach dem Zuschnitt von der Palette. Das Blech erklärt: „Schau mal, so soll ich nachher aussehen. Du musst mich also zuerst so zwischen Stempel und Matrize halten, mich dann umdrehen und…“

Werkstücke, Maschinen und Systeme, die selbstständig untereinander Informationen und Daten austauschen, sind ein wesentliches Merkmal der 4. Industriellen Revolution. Anders als ihre hierarchisch organisierten Vorfahren, sollen künftige Fertigungssysteme in der Lage sein, situativ zu reagieren.
Kernelement von Industrie 4.0 ist die „Smart Factory“, die aus sich selbst konfigurierenden Produktionsressourcen und den zugehörigen Planungs- und Steuerungssystemen besteht. In einem Netzwerk verbindet sie physische und virtuelle Produktionselemente. Anders als von den Erfindern des Computer Integrated Manufacturing (CIM) vor über 20 Jahren gedacht, bleibt der Mensch jedoch zentraler Bestandteil eines solchen Netzwerks. Er kann über mobile Geräte von jedem Ort der Welt Betriebs- und Produktzustände in Echtzeit überwachen und steuernd in die Produktion eingreifen. „Weil er Zielvorgaben situativ beeinflussen kann, behält der Mensch als Erfahrungsträger und Entscheider eine wichtige Rolle in allen relevanten Abläufen des Produktionsnetzwerks“, sagt Klaus Bauer. Unterstützt werde er dabei von IT-basierten Assistenzsystemen, über die er Abläufe optimal organisieren kann, ergänzt der Leiter Entwicklung Basistechnologie bei der Trumpf Werkzeugmaschinen GmbH + Co. KG in Ditzingen.
In der Fertigung stehen so genannte „Social Machines“, Maschinen und Anlagen, die untereinander und mit Zuliefer- und Kundensystemen intelligent vernetzt sind. Kapazitätsengpässe oder freie Ressourcen werden sofort erkannt. Ein solches Produktionssystem ist transparent und kann eigenständig und situationsbedingt auf Abweichungen reagieren. Durch die Fertigung laufen „Smart Products“, die beispielsweise über einen integrierten Chip mit ihrem Umfeld kommunizieren. Schon das Rohteil kennt seinen Status, seine Historie und seine Bestimmung. Es kann den Maschinen selbstständig mitteilen, wie es bearbeitet werden muss. Damit sollen sich selbst Einzelteile so wirtschaftlich fertigen lassen wie Massenprodukte.
Eine solche Smart Factory ist alledings noch Vision. Um sie im großen Stil umzusetzen, fehlen Standards für Infrastruktur, Schnittstellen und Informationsträger. Aber auch hinsichtlich der Daten- und der Rechtssicherheit stellen derart vernetzte Systeme eine Herausforderung dar. Um hier Lösungen zu finden, müssen unterschiedliche Fachbereiche interdisziplinär zusammenarbeiten.
„Die Grundlage für die vierte Industrielle Revolutionist das Internet der Dinge und Dienste“, sagt Bauer. „Dessen zukünftige Möglichkeiten werden unsere Welt radikal verändern.“ Beispiele dafür sind etwa moderne Navigationssysteme, die die GPS-Daten vernetzter Fahrzeuge nutzen, um frühzeitig und zuverlässig auf sich bildende Staus hinzuweisen, oder eine smarte Haustechnik, die die Heizleistung reduziert, sobald der Bewohner seine Wohnung verlässt, oder auf Anfrage dem Routenplaner des Paketdienstes mitteilt, dass der Empfänger außer Haus ist, so dass dieser den Zustelltermin automatisch planen kann. Züge verkehren nicht mehr streng nach Fahrplan, sondern werden bedarfsorientiert eingesetzt; wobei die Fahrgäste jederzeit aktuelle Informationen über ihr Smartphone abrufen können. Auf Basis solcher Möglichkeiten entstand die Idee, die Technologien auch in der industriellen Produktion einzusetzen.
„Es geht hier nicht nur darum, Bestehendes zu verbessern, sondern auch um ganz neue Ansätze, echte Innovationen“, sagt Klaus Bauer. „Das alles ist jedoch noch sehr im Fluss, denn anders als die reine Zukunftsforschung braucht die Industrie nicht nur Visionen, sondern wirtschaftliche Prozesse und erfolgversprechende Geschäftsmodelle.“
Als eine bereits heute vorstellbare und naheliegende Anwendung nennt der Informatiker die vorbeugende Instandhaltung. Mit Sensorik ausgestattete Verschleißteile könnten rechtzeitig auf einen Wartungsbedarf hinweisen, erforderliche Arbeiten mit anderen Teilsystemen abstimmen und auch gleich die nötigen Ersatzteile und Servicetechniker ordern. Dazu passend stellte Trumpf im April auf seiner Hausmesse Intech eine Linse mit integriertem RFID-Chip vor. Sie kann mit Hilfe der Zustandsüberwachungssensorik LensLine melden, wann sie tatsächlich gereinigt oder getauscht werden muss. Bislang geschah das aus Sicherheitsgründen unnötig häufig. Der reduzierte Reinigungsaufwand senkt nicht nur die Kosten, er verbessert auch die Verfügbarkeit der Maschine.
Doch nicht nur in der eigentlichen Produktion bietet die Technologie Ansätze, Prozesse zu optimieren. Durchs Vernetzen mit der Gebäudetechnik etwa lassen sich weitere Potenziale heben. Beispielsweise könnte am Morgen die Abwärme der Maschinen genutzt werden, um das Gebäude zu heizen. Oder: Der Abgleich des Produktionsplans mit dem allgemeinen Strombedarf eröffnet die Chance, energieintensive Prozesse in Zeiten allgemein geringeren Strombedarfs zu legen. Neben dem betriebswirtschaftlichen Nutzen günstigerer Stromtarife, ergäben sich auch volkswirtschaftliche Effekte – etwa, weil Kraftwerke konstanter am Effizienz-Optimum liefen.
Wesentliche Bausteine eines solchen Fertigungssystems sind Cyber Physical Systems. „Ein CPS hat einen Speicher, eine Verarbeitungseinheit, Sensoren und Schnittstellen nach außen“, erläutert Klaus Bauer. Mit CPS sei die kleinste Einheit definiert, auf die das zutreffe. „Das kann zum Beispiel eine Maschinenkomponente sein, ein Linsenzustands-Überwachungssystem etwa. Auf eine Linse mit RFID-Chip alleine träfe das hingegen nicht zu.“
Auf die Frage, wie viel Industrie 4.0 heute schon Realität sei, meint Bauer: „Ich denke, wir sind erst bei Industrie 3.x. Es gibt zwar Ansätze, die nach Industrie 4.0 aussehen, in Wirklichkeit sind sie aber vermutlich nur Vorstufen davon. Was wir brauchen, sind Hersteller-übergreifende Lösungen, mit deren Hilfe sich die Einzelsysteme per Plug-and-Play bei Bedarf automatisch verbinden. Dazu fehlen noch teilweise die technologischen Grundlagen und die zugehörigen internationalen Standards.“
Ein weiterer Schritt hin zur dezentralen Steuerung einer vernetzten Produktion ist der Einsatz intelligenter Fertigungssteuerungssysteme und mobiler Endgeräte. „Mobile Endgeräte werden im Rahmen von Industrie 4.0 zunehmend Einzug in die Produktion finden.“ Bereits heute können Kunden Laserschneidmaschinen von Trumpf über ein iPad bedienen oder damit ihre Blech-Fertigung überwachen. Dieser Trend wird sich fortsetzen. „Wir arbeiten bereits an weiteren konkreten Produkten“, bestätigt Bauer.
Schon mit diesen Elementen von Industrie 4.0 lassen sich Szenarien einer Integrated Industry darstellen – etwa: Der Geschäftsführer überwacht seine Fertigung von unterwegs aus über sein iPad mit der TruTops-Fab-App. Wenn er beispielsweise einen Kapazitätsengpass erkennt, kann er sich mit seinem Produktionsleiter vor Ort in Verbindung setzen. Braucht der zusätzliches Fachwissen, schaltet er einen Experten von Trumpf ein, der über das Telepresence-Portal einen genauen Blick auf die Maschine erhält und weiterhelfen kann. „Mit diesem System wollen wir unseren Kunden helfen, ihre Fertigungsprozesse flexibler, effizienter und transparenter zu gestalten, sowie ihre Produktivität und Ressourcennutzung zu optimieren“, erläutert Bauer.
Eine Grundvoraussetzung für das weitere Voranschreiten der Vernetzung industrieller Systeme ist die Datensicherheit. In diesem Zusammenhang ist noch eine Reihe von Fragen zu klären. Etwa, wer wann auf welche Informationen zugreifen, oder welches System mit welchem Fremdsystem kommunizieren darf. „Solange wir hierfür keine sichere, zuverlässige und wirtschaftliche Lösung haben, ist der Erfolg von Industrie 4.0 noch nicht gewiss“, mahnt Bauer. Es gebe zwar auch hier bereits Insellösungen, die Herausforderung bestehe jedoch wieder darin, eine globale Lösung zu finden. Um die Datensicherheit gewährleisten zu können, müssen neue Ansätze entwickelt werden. „Wir dürfen uns dabei nicht in der Welt von heute bewegen“, sagt der Informatiker. Auch hier seien revolutionäre Lösungen nötig, um die wachsende Komplexität beherrschen zu können. „Das Internet von heute ist zwar technisch funktionsfähig, organisatorisch aber noch nicht ausgereift“, gibt Bauer zu bedenken. Die bereits existierenden Mechanismen seien bei Weitem nicht ausreichend, künftige Anforderungen zu bewältigen. Weitere Aspekte, die es zu klären gelte, sind unter anderem die Fragen, ob die Kommunikation über Organisationen jenseits des Atlantiks laufen muss, oder es nicht sinnvoll wäre, eine europäische Infrastruktur aufzubauen, sowie inwieweit staatliche Organisationen eingebunden sein sollten, ohne Interessenskonflikte zu riskieren.
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