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Bauteile auf Knopfdruck

Rapid Manufacturing: Flugzeugbau und Medizintechnik als Vorreiter
Bauteile auf Knopfdruck

Wer die Zukunft des Rapid Manufacturing kennen lernen will, muss auf den Consumer-Bereich schauen: Dort baut sich ein Markt für Teile und Figürchen auf, die der Fan übers Web gestaltet und bestellt oder daheim selbst ausdruckt.

Immer mehr Pralinenfarbe füllt das Sichtfensterchen aus. Nur ein paar Minuten dauert es, bis sich die Kontur einer weiblichen Figur erkennen lässt. Süße Düfte steigen auf. Jetzt heißt es nur noch geduldig warten. Als Frank die Abdeckung vorsichtig aufklappt und seinen Blick auf das noch dampfende Schoko-Mädchen wirft, huscht ein Schmunzeln über sein Gesicht: Sie sieht ja wirklich wie meine Verena aus! Die wird Augen machen…

Hand aufs Herz. Wer wird sich diesen Spaß nicht gönnen, sobald er sich technisch umsetzen lässt? Die Idee dazu reiht sich ein in die fantasiereichen Vorstellungen, was mit einem hauseigenen 3D-Printer alles generiert werden könnte: vom Lieblings-Avatar aus dem Spiel „Second Life“ bis hin zum Ersatz-Rädchen für den noch gut funktionierenden Staubsauger, für den es keine Teile mehr gibt. Nur, dass diese Ideen inzwischen mehr als Visionen sind. Sie beginnen, Realtität zu werden. Die Desktop Factory Inc. will ab 2013 einen 3D-Printer auf den Markt bringen, der unter 1000 US-Dollar kostet. Die Firma aus Pasadena hat dazu seit ihrer Gründung vor vier Jahren 10 Mio. US-Dollar investiert, wie Chief Execution Officer (CEO) Cathy Lewis im Herbst mitteilte. „Unsere Studien belegen, dass der Markt dafür existiert“, sagte sie auf der Fraunhofer-Konferenz Euro-uRapid in Berlin. „Wir haben bereits 365 Bestellungen für 2009.“
Die Geräte, die von ihrer Größe her tatsächlich auf einen Schreibtisch passen, sollen ab dem Frühjahr ausgeliefert werden. Allerdings beträgt ihr Preis noch 4995 US-Dollar – liegt aber deutlich unter dem, was derzeit marktüblich ist. Dazu verhilft dem Printer ein Belichtungs- und Auftragssystem, das mit günstigen Komponenten auskommt: einer Rolle und einer Halogenlampe anstelle eines Lasers. Die Rolle nimmt eine etwa 0,25 mm dünne Schicht jener Pulverpartikel auf, die später zum Teil verbacken sollen, und transportiert sie zur Belichtungsoptik. Nach dem computergesteuerten Belichtungsvorgang werden die unbelichtet gebliebenen Partikel abgebürstet. Die Rolle bewegt sich über die Bauplattform und legt die so erhitzte Schicht auf der vorherigen ab. Schicht für Schicht geht dieses Spiel immer weiter, bis das Teil fertig ist. „Natürlich müssen wir Kompromisse eingehen bei diesem Preis“, räumt Lewis ein: Die Oberflächenqualität und Detailgenauigkeit ist nicht mit der von konventionellen Geräten zu vergleichen. Doch dafür sind die Teile aus belastbarem Polyamid – dessen Festigkeit für das Staubsager-Rädchen schon einmal dicke reichen würde.
Als Abnehmer haben die Amerikaner kleine Betriebe und Colleges im Fokus, die sich keine teure Maschine leisten können. Daneben denken sie vor allem an den Consumer und Privatmenschen, der die Mini-Fabrik in der Freizeit nutzt. „Was wir zurzeit haben, ist immer noch zu kompliziert“, meint Cathy Lewis, „aber wir bleiben dran.“ Derzeit sucht das Unternehmen nach zusätzlichen Investoren.
Lewis weiß auch, dass 3D-Datensätze auf weiter Ebene zugänglich sein müssen, wenn sich der Consumer für das 3D-Printing interessieren soll. „Wir brauchen einfache Design-Software und digitale Lowcost-Handscanner“, erklärt die Geschäftsführerin, „außerdem downloadbare Datensätze für Ersatzteile und eine Software, mit der sich Fotos und andere 2D-Bilder in druckbare 3D-Formate wandeln lassen.“
Ansatzweise gibt es dies schon. Die Plattform www.ponoko.com zum Beispiel bietet Jugendlichen an, einfache Designs hochzuladen und sich die physische Umsetzung schicken zu lassen. www.figureprints.com offeriert den Druck von Fantasy-Figuren, die jugendliche Kunden am PC konfektionieren und einkleiden können. Noch viel einschneidender ist ein Tool, das der Web-Riese Google zum Gratis-Download ins Netz gestellt hat: Mit der 3D-Software SketchUp lassen sich 3D-Modelle intuitiv gestalten, auch auf der Basis von Fotos. Mit derartigen Shareware-Programmen könnte jeder und jede den 3D-Datensatz für das Staubsauger-Rädchen in Kürze selbst zusammenstellen. Und sollte das 3D-Drucken Schule machen, wird es nicht an Konvertierungsprogrammen für die jeweiligen Printer fehlen.
Die Macher bei Desktop Factory gehen von einer explosionsartigen Nachfrage aus, sobald die Geräte wie geplant billiger werden. Dass diese Entwicklung ernst zu nehmen ist, zeigt das Engagement auch anderer Akteure. Der 3D-Drucker des irischen Start-ups Mcor Technologies zum Beispiel arbeitet mit gewöhnlichem Papier und Klebstoff und hat somit niedrige Druckkosten. Nach dem Motto „3D-Modell zu 2D-Preisen“ soll er das 3D-Printing massentauglich machen. Trotz des Ausgangsmaterials seien die Drucke robust und haltbar. Einen Pferdefuß gibt es aber doch. Auf den britischen Inseln ist das Gerät bereits erhältlich, kostet aber knapp 25 000 Euro, eine stattliche Summe. Vielleicht wird der Drucker für Colleges interessant, in denen Studenten nicht für die Anschaffung zuständig sind, aber die Druckkosten aufbringen müssen (vergleiche Artikel S. 25).
Selfmade(wo)men hingegen spricht das Projekt Fab@home an. Forscher der Cornell University haben einen 3D-Printer zum Selbstbauen entwickelt und die Unterlagen dazu im im Web abgelegt (www.fabathome.org). Der Open-Source-Printer kann unterschiedliche Materialien verarbeiten. So macht er es möglich, Gegenstände wie Zahnbürsten, Gabeln oder einen Schuh aus verschiedenen Kunststoffen zu drucken, meint Forscher Hod Lipson. Aber auch Objekte aus Schokolade – Franks Schoko-Freundin wird real!
Nur durch den Spaß, den die Leute damit haben, wird der Massen-Trend zum „Fabben“ zu verstehen sein. So sieht es Andreas Neef von der Z_Punkt GmbH, einem Think-Tank in Köln. Der Zukunftsforscher brachte vor drei Jahren das Buch „Vom Personal Computer zum Personal Fabricator“ heraus. „Ich bin mir relativ sicher, dass sich in den nächsten fünf Jahren ein Markt von Dienstleistern im Consumer-Bereich etabliert“, prophezeit der Firmen-Berater, „ähnlich wie die bekannten Copy-Shops.“
Die Industrie würde solche Fabbing-Shops oder Mini-Fabriken mit leistungsfähigen Rapid-Maschinen bestücken und damit ihren Umsatz steigern. Kommt es im privaten Bereich tatsächlich zum Durchbruch, so könnte etwas Überraschendes passieren: Der Consumermarkt übertrifft den Industriebereich. Er dient nicht mehr nur als Projektionsfläche für ferne Visionen der Rapid-Anbieter, sondern wird ihr Treiber. Nun steigen die Stückzahlen. Printer und Rapid-Anlagen werden nicht nur billiger, sondern auch besser und schneller. Die Sichtweise der Techniker ändert sich. „Produkte werden anders gedacht“, sagt Andreas Neef, das individuelle Konfigurieren und Gestalten gewinnt an Bedeutung. Unwillkürlich denkt der Nachwuchs in Rapid-Kategorien und konstruiert anders als heute üblich. Schließlich reiht sich Rapid Manufacturing ein in die etablierten Fertigungsmethoden.
Genau an diesem Ziel arbeitet auch die Rapid-Industrie. Zum einen, indem sie Märkte gezielt für das generative Fertigen erschließt, zum anderen durch immer neue Verfahren und Gerätevarianten. So stellte die israelische Objet Geometries Inc. auf der Euromold ein Tischgerät ihrer PolyJet-Technologie vor, die der Stereolithografie in der Oberflächengüte nahe kommt. Der 3D-Printer Alaris 30 bringt 28 µm dünne Photopolymer-Schichten über Druckköpfe auf und härtet sie mit UV-Licht aus. Bis zu 0,6 mm dünne Wände sollen möglich sein, die Genauigkeit liege bei 0,1 bis 0,2 mm – zum Gerätepreis von rund 40 000 US-Dollar.
Die Huntsman Advanced Materials GmbH, Basel, ist bisher nur als Werkstoffanbieter bekannt, etwa für Stereolithografie-Harze. Doch auf der Euromold präsentierte sie sich als Maschinenbauer mit einer völlig neuen Rapid-Technologie. Huntsman erhielt dafür den Euromold-Award 2008 in Gold. „Unsere Anlage ist genauer und schneller als die Stereolithografie“, sagt Communications-Manager Magnus Wied. „Und sie hat das Potenzial, schneller als das Lasersintern zu sein.“ Noch auf der Messe verkauften die Schweizer die erste „Araldite Digitalis“.
Das Geheimnis auch dieser neuen Maschine ist ihre Belichtungsstrategie: Wieder ersetzen UV-Lampen den Laser. Faserbündel führen das Licht über den Bauraum, von wo es im 90°-Winkel zum Harz geschickt wird. Bevor es dort landet, passiert es die Belichtungseinheit mit den „MicroLightSwitches“ MLS (Titelfoto des Industrieanzeigers). Diese MLS enthalten 40 000 mikromechanische Verschlüsse, die das Licht computergesteuert durchlassen oder abschatten, je nach Teilegeometrie. 40 000 Pixel entstehen also zeitgleich auf dem Harz – und das ist der Grund für die Schnelligkeit der Anlage. Die höhere Präzision begründen die Huntsman-Techniker damit, dass das UV-Licht immer im 90°-Winkel auf das Harz fällt. Bei der Stereolithographie hingegen härtet ein UV-Laser das Harz aus und muss dabei naturgemäß seinen Beleuchtungswinkel variieren. Im Produktblatt gibt Huntsman in X- und Y-Richtung eine minimale Auflösung von 10 µm an, in Z-Richtung von 50 µm. Für Philippe Michaud, Global Technology Director, eröffnet die Araldite Digitalis „eine neue Ära im Bereich Rapid Manufacturing“.
Dies muss sich freilich erst erweisen. Unbestritten ist indes, dass Rapid Manufacturing (RM) noch am Anfang steht. Eine Utopie ist RM allerdings nicht mehr. Die Stratasys Inc. aus Minnesota produziert Maschinen, die ABS-Teile durch Fused Deposition Modeling (FDM) generieren. 25 bis 30 % des eigenen Teileumsatzes machen die Amerikaner mit Rapid Manufacturing. Das berichtet Michael Junghanß, Geschäftsführer der Alphacam GmbH in Schorndorf, die die Stratasys-Maschinen in Deutschland vertreibt.
Die Concept Laser GmbH, Lichtenfels, wächst seit Jahren stetig. Angetreten ist sie, um Maschinen für das Laser Melting von Metallformen zu bauen (Rapid Tooling). Heute stellt sie fest, dass 50 % ihrer Kunden die Maschinen für RM einsetzen.
RM hat sich für unterschiedlichste Anwendungen und in Nischen etabliert. Zum Beispiel in der Dentaltechnik. Allein die EOS GmbH aus Krailling hat 20 Systeme im Markt, die eine komplette Zahnersatz-Prozesskette abdecken vom Scannen über das Designen der Kronen bis hin zum Lasersintern und Finishen. Wobei Marketingleiter Dr. Christof Stotko darauf Wert legt, dass nur das Metallgerüst generiert werde. „Kein Zahntechniker wird arbeitslos. Das Verblenden der Zähne bleibt manuelle Arbeit.“
Der Maschinenbauer gehört zu jenen Unternehmen, die Rapid Manufacturing als strategisches Ziel verfolgen. Für die Zukunft benennt Stotko vier Fokusmärkte. Neben dem Werkzeugbau (Rapid Tooling) sind es die Bereiche Medizin, Luftfahrt und Formel 1, in denen jeweils sehr spezielle und anspruchsvolle Bauteile in niedrigen Stückzahlen benötigt werden – typische RM-Kandidaten. Als Türöffner sieht Stotko unter anderem die Lasersinter-Maschine P800, die EOS auf der Euromold vorgestellt hat. Sie erträgt Prozesstemperaturen bis 385 °C und kann damit als erste Anlage das Hochleistungs-Polymer PEEK lasersintern. „Unsere PEEK-Teile lassen sich bei 180 Grad Celsius sterilisieren, was in der Medizin wichtig ist. Und sie bieten den Flammschutz und die Hochtemperaturbeständigkeit, die der Flugzeugbau fordert.“ Hilfreich für den Fokusmarkt Flugzeugbau dürfte auch sein, dass EOS im Sommer mit MTT, Evonik und Boeing ein „Direct Manufacturing Research Center“ an der Uni Paderborn eingerichtet hat. Die Initiative dazu ging von Boeing aus.
Spielerisches Fabbing und ernstes Manufacturing – lassen sich diese Dinge überhaupt zusammen denken? Bei der Alphacam GmbH in Schorndorf schon. Die Mitarbeiter stecken gedanklich so im Generieren drin, dass sie in der Pause schon mal einen Tischfußball-Kicker nachdrucken, der beim Spielen kaputt gegangen ist. Und Firmenchef Junghanß zieht die Parallele zur Entwicklung des PC, auf dem heute seine CAD-Software läuft: „Schnell gemacht haben ihn die Spiele, nicht unsere Industrie-Programme.“

Marktchancen
Im Consumer-Bereich beginnen sich 3D-Drucker zu etablieren, die deutlich billiger sind als Industriegeräte. Kommt es zum Durchbruch, tut sich ein neuer Markt für Hersteller, Designer und Dienstleister auf. Viel interessanter aber sind die Chancen, die durch neue Denkrichtungen in der Konstruktion entstehen: Produkte müssen sich nicht gleichen wie ein Ei dem anderen, sondern lassen sich individualisieren. Die dafür nötigen Rapid-Techniken sind schon heute vorhanden.

Elektronenstrahl generiert Titan-Implantate für Irak-Soldaten

Die Rapid-Maschinen der schwedischen Arcam AB unterscheiden sich stark von allen anderen auf dem Markt: Sie verarbeiten Metalle wie Titan und Kobaltchrom. Statt eines Lasers setzen sie einen Elektronenstrahl ein, der eine Leistung von 3,5 kW bringt und sich magnetisch sehr gut lenken und steuern lässt.
Dies macht die Arcam-Anlagen unschlagbar schnell: Blockmaterial generieren sie (zu Testzwecken) mit einer Aufbaurate von 60 cm³/h, bei geometrisch normal gebauten Teilen erreichen sie vielleicht 30 cm³/h. Allerdings führt die Elektronenstrahl-Technologie auch zu Anlagenpreisen oberhalb 500 000 Euro. Eingesetzt wird diese Rapid-Technik daher nur dort, wo es keine günstigere Alternative gibt: im Flugzeug-Leichtbau und in der Medizin.
Auf Arcam-Anlagen entstehen Schädelimplantate für Menschen mit starken Kopfverletzungen. Viele verwundete US-Soldaten aus dem Irak gehören zum Beispiel zu den Patienten.
Auch künstliche Hüftpfannen aus Titan werden gebaut. Der Elektronenstrahl generiert auf der konvexen Seite genau die Netzstruktur, die der Implantate-Hersteller für das schnelle Einwachsen des Knochens braucht und als geschützten Datensatz hinterlegt hat. Die andere, glatte Seite muss hingegen nachbearbeitet werden, damit der Keramiktopf als Gegenpart zum Prothesenschaft sauber eingepasst werden kann.
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