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Bio und antibakteriell – ist das möglich?

Holzfaser-Kunststoff eröffnet neue Wege in puncto Hygiene
Bio und antibakteriell – ist das möglich?

Ja, das ist es: Die WIS Kunststoffe GmbH hat zusammen mit der Advanced Compounding Rudolstadt GmbH ein spezielles Holzfaser-Compound entwickelt, das Bakterien keine Chance lässt.

Vor ziemlich genau einem Jahr berichteten wir über das Naturfaser-Compound Polywood S der Advanced Compounding Rudolstadt GmbH (ACR) und dem Distributor, Händler und Compoundeur WIS Kunststoffe GmbH. Dahinter verbirgt sich ein thermoplastisches Compound mit einem Naturfaser-Anteil von bis zu 75 Gewichtsprozent, je nach Anwendung. Polywood spart Ressourcen und ist somit auch umweltschonend und nachhaltig. Jetzt, ein Jahr später, kommt noch eine verblüffende Funktion hinzu: Das Biomaterial kann auch antibakterielle Wirkung entfalten. Die Idee für die antibakterielle Weiterentwicklung kam von Dipl. Ing. (FH) Claus Forster, Leiter der Anwendungstechnik der WIS Kunststoffe GmbH in Kooperation mit Dr. Ing. Eduard Kern, Geschäftsführer der ACR. In zahlreichen Versuchen wurde im WIS-Technikum ein spezielles Kiefernholz-Compound entwickelt. Das dafür verwendete europäische Kiefernholz sorgt mit seiner schützenden Funktion für den Bakterien-tötenden-Effekt.

„Das Ganze hat Charme, man bekommt eine antibakterielle Wirkung mit rein natürlichen Mitteln. Ohne chemische Zusatzstoffe und Nano-Silber-Partikel“, sagt Polywood-Pionier Claus Forster über das neue Material. Zudem sei es preiswerter als ein Kunststoff mit Silber-Nano-Zusätzen, so der Kunststoff-Techniker.
ACR und die WIS arbeiten seit drei Jahren an der Thematik Naturfaser-Kunststoffe. Das sind Kunststoffe mit unterschiedlichem Holzfaser-Anteil aber auch Flachsfasern und Cellulosefasern. Als Grundpolymer für das Compound dienen Polystyrol, Thermoplastische Elastomere (TPE), Polyethylen und Polypropylen. In dem neuen antibakteriellen Werkstoff sind bis zu 50 % Kiefern-Holzfasern enthalten. Polywood A (A für antibakteriell) wurde erstmalig auf der Fakuma 2012 in Friedrichshafen präsentiert. Momentan laufen Versuche, die Konzentration des Holzzusatzes und die Größe der Holzspäne zu variieren. Heute sind die Partikel 1 bis 3 mm groß. Die Entwicklung geht dorthin, die Holzpartikel noch kleiner zu machen und eine Art Holzstaub zu verwenden, denn für einige Anwendungen sind die bisherig genutzten Partikel zu groß. Erste Tests zeigen, dass die keimtötende Wirkung auch noch Bestand hat, wenn die Teilchen immer kleiner werden.
Polywood A ist das erste funktionelle Naturfaser-Compound auf dem Markt, denn normal werden Holz und andere Naturfasern beigemischt, um die Mechanik zu verbessern und den Mineralölanteil zu reduzieren und damit das Produkt nachhaltiger zu machen. Das Besondere bei Polywood A ist, dass die Funktion dazu kommt. Zusätzlich soll gespart und die Umwelt geschont werden. Für jedes Kilogramm Polypropylen werden rund 2 l Rohöl benötigt. Durch Beigabe von 20 % Kiefernholz können rund 40 % Rohöl eingespart werden.
Ein kritischer Punkt bei der Herstellung von Polywood A sei der, dass die Holzfasern hitzeempfindlich sind. Bei zu hohen Temperaturen geht die Wirkung verloren. Ein zu niedriger Wert wiederum verlangsamt die Fließgeschwindigkeit des Kunststoffes. Nach vielen Versuchen im WIS-Technikum fanden die Erfinder die richtigen Einstellungen und das Compound ging in die Produktion. Erster Anwender von Polywood A ist die Thüringer Eitech GmbH. Der Spielwarenhersteller produziert aus dem antibakteriellen Werkstoff Stapelbecher für Kinder. Das achtteilige Set wurde auf der diesjährigen Spielwarenmesse in Nürnberg vorgestellt. Diese Spielzeuge, die aus dem Kunststoff-Holz-Material-Gemisch im Spritzgussverfahren hergestellt werden, sind antibakteriell. Ein Novum im Bereich von Kinderspielzeug. Die neue Produktserie nennt der Spielzeughersteller „Anbac- Toys“ und die Auslieferung soll ab Mitte Mai diesen Jahres erfolgen. Wissenschaftliche Tests eines deutschen Instituts für Lebensmitteltechnik hätten die keimtötende Wirkung der exklusiven Produktlinie, die aus dem Material-Mix von Kunststoff und Kiefernholz gefertigt wird, bewiesen. „Anbac-Toys sind bereits nach acht Stunden bis zu 100 % keimfrei“, erläutert Eitech-Geschäftsführer Steffen Hildebrandt. Auf anderen Kunststoffen halten sich Bakterien über 24 Stunden. „Die Anbac-Toys bestehen aus einer Verbindung von Holz und Kunststoff, die ein Zusammenspiel von schneller antibakterieller Wirkung und nachhaltiger Herstellung möglich macht“, erklärt der Geschäftsführer. Die Kundschaft sei immer mehr sensibilisiert in Richtung nachhaltiger Spielsachen, so Hildebrandt. Das Besondere am Polywood-A-Einsatz bei Eitech ist, dass es das erste Mal ist, dass eine Material-Weltneuheit zuerst in einem Spielzeug Anwendung findet. Eitech plant noch weitere Produkte wie Greifringe, Beißringe und Schiebeautos. Das ganze Projekt rund um den nachhaltigen und zugleich antibakteriellen Werkstoff wäre nicht ohne die Kooperation zwischen ACR und WIS möglich gewesen. Den Erfolg der Entwicklung sieht der Anwendungstechniker darin, dass jeder der Partner seine Kernkompetenz voll ausgespielt habe. Polywood A wird bei Advanced Compounding in Rudolstadt hergestellt. In einem mehrstufigen Compoundierungsprozess werden alle Parameter unabhängig voneinander gesteuert. „ACR kann die Eigenschaften von Polywood maßschneidern. Das ist mit dem klassischen Extrusionsverfahren nicht möglich“, erklärt Forster. In einzelnen Phasen werden die Naturfasern in einem Kneter in verschiedenen Prozessschritten zuerst aufbereitet und entfeuchtet, dann mit dem Haftvermittler benetzt und erst anschließend durch Beimischung des Polymers compoundiert.
Die Überlegungen bei den Thüringern gehen nun soweit, dass auch Fasern für Bürsten oder Borsten mit antibakterieller Wirkung hergestellt werden. Bisher ist es nicht so, dass es keine antibakteriellen Kunststoffe gibt: Kupfer, Zink und Silber im Kunststoff sind ebenfalls keimtötend. Aber die Formulierung ist teurer und die Entsorgung weitaus problematischer. Gelangen diese Metalle ins Wasser, sind sie schädlich für Fische, nicht so bei Feinholzfasern. Das Holz-Compound-Verfahren kostet ungefähr das Doppelte als herkömmlicher Kunststoff ohne Zusätze, soll aber dennoch günstiger sein als Compounds mit Metallionen.
Forster wagt einen Ausblick in die Zukunft und bewertet ihn als „spannend“. So sollen bald Hand- und Griffstücke nach Holz duften und antibakteriell sein, obwohl Sie zu einem Großteil aus Kunststoff (TPE) bestehen. Weiter noch könnten zum Beispiel Schneidbretter und Messergriffe aus dem antibakteriellen Kunststoff hergestellt werden. Den Vorstellungen seien also keine Grenzen gesetzt.
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