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Bosch Automotive Steering beschleunigt Werkzeugentwicklung mit optischer Messtechnik

Messtechnik
Bosch Automotive Steering beschleunigt die Werkzeugentwicklung mit optischer Messtechnik von Zeiss

Um die Iterationsschleifen bei der Werkzeugentwicklung für die Fertigung von Zahnstangen zu reduzieren, arbeitet der Automobilzulieferer Bosch Automotive Steering mit dem neuesten Laserscanner von Zeiss.

Nach Ansicht der Analysten von PricewaterhouseCoopers (PwC) soll der Überlebenskampf für die Autobauer und deren Zulieferer in Europa härter werden. In einer Studie, die im letzten Jahr vorgestellt wurde, nennen die Frankfurter Berater vier Entwicklungen, die das Innovationstempo weiter beschleunigen. Erwartet wird unter anderem, dass sich die derzeit üblichen Modellzyklen von fünf bis acht Jahren auf ein Jahr verkürzen. Zulieferer wie Bosch müssen also in Zukunft ihre Innovationen wesentlich schneller und effizienter entwickeln und fertigen.

Immer schneller zu agieren, ist für Stefan Fröhlich, Abteilungsleiter Verfahrensentwicklung bei der Robert Bosch Automotive Steering GmbH am Standort Schwäbisch Gmünd, jedoch kein neues Thema: „Der Trend zu immer kürzeren Entwicklungszeiten begleitet uns schon seit vielen Jahren.“ Hinzu kommt teilweise eine hohe Variantenvielfalt. Das hat zur Folge, dass für die Entwicklung der einzelnen Teile nochmal weniger Zeit zur Verfügung steht. „Zugleich erhöhen sich die Toleranzvorgaben, die wir einhalten müssen“, fügt Fröhlich hinzu. Getrieben fühlt sich der Manager jedoch nicht: „Wir sehen uns als Innovatoren, die aktiv die Zukunft gestalten.“ Dabei verweist er auf aktuelle Lösungen aus seinem Unternehmen wie zum Beispiel ein Gespann aus PKW und Anhänger, das sich außerhalb des Fahrzeugs mit dem Smartphone manövrieren lässt.

Wie aktiv die Mitarbeiter sind, zeigen auch die 750 Patente, die innerhalb von 15 Jahren von den Lenkungsbauern aus Schwäbisch Gmünd angemeldet wurden. Diese Innovationskraft will das Entwicklungszentrum für Lenksysteme beibehalten beziehungsweise ausbauen. Dieser Optimismus wird auch durch die Eingliederung des Standortes in die Bosch-Unternehmenslandschaft mit ihren Know-how-Zentren gefördert. Die Schwaben arbeiten dabei gemeinsam an Lösungen über alle Aufgabenbereiche hinweg. Mit dieser Unternehmenskultur ist es nach Ansicht von Fröhlich möglich, zukunftsweisende Lösungen für das autonome Fahren oder für die Abwehr von Cyber-Angriffen auf elektronische Lösungen im Auto und in Nutzfahrzeugen zu entwickeln.

Gerade bei der Konstruktion und Fertigung von Lenksystemen werden laut Fröhlich am Standort die Grenzen des technisch Machbaren ausgereizt. Beim Thema Lenksysteme kommt der Ingenieur ins Schwärmen, denn in diesem Bauteil steckt viel Know-how. Hinzu kommt, dass sich Lenksysteme voneinander unterscheiden. „Im Grunde ist jedes entwickelte System ein Unikat“, versichert Fröhlich. Denn je nach Fahrzeugtyp und Ausstattung verändert sich nicht nur der vorgegebene Bauraum. Es gibt darüber hinaus Vorgaben der OEMs, die sich auf Konstruktion und Fertigung der Lenksysteme auswirken.

Ein Lenksystem setzt die Drehbewegung des Lenkrads in eine Schiebebewegung der Spurstangen um, an denen die Radträger und schließlich die Räder hängen. In Personenwagen sind heute üblicherweise Zahnstangenlenkungen verbaut. Die früher übliche hydraulische Unterstützung wurde weitgehend durch die elektromechanische Unterstützung abgelöst. Dabei greift ein vom Lenkrad gedrehtes Ritzel in die Zahnstange ein, wodurch die Spurstangen bewegt werden. Das Besondere einer Zahnstange, die eine variable Übersetzung ermöglicht, ist laut Fröhlich die von der Mitte nach außen hin größer werdende Zahnteilung. Dadurch ändert sich die Lenkübersetzung in Abhängigkeit vom Lenkradeinschlag. Durch diese Konstruktion wird der Lenkeinschlag geringer und zugleich die hohe Lenkpräzision beibehalten. Komfort wird sozusagen mit Sicherheit verbunden. Damit das alles in der Praxis zuverlässig funktioniert, müssen die von der Konstruktion festgelegten Merkmale mit den engen Toleranzen eingehalten werden. Hierzu gehören die Schrägungs- und Eingriffswinkel der einzelnen Zähne und der Abstand zwischen den Zähnen.

Die Zähne und damit die spezielle Struktur der Zahnstange mit variabler Übersetzung werden in Schwäbisch Gmünd über das sogenannte Taumeln in den Rohling eingebracht. Bei diesem Fertigungsverfahren wird das Rohteil mit einer Presse über eine taumelnde Bewegung in die Werkzeugform gedrückt. Der Stahl wird mit einer Presskraft von maximal 1000 t in die rund 20 cm breite Form sozusagen eingewalzt. Das Material wird dafür nicht erhitzt, was sich positiv auf die Einhaltung der Maßtoleranzen und die Festigkeit auswirkt. Das Taumeln ermöglicht eine hohe Genauigkeit bei der Bearbeitung von komplexen Baustücken. Laut Daniel Hübscher, Technologieplaner Messtechnik bei Bosch, beherrschen die Schwaben das Verfahren so gut, dass trotz der großen Krafteinwirkung die einzelnen Merkmale der Zahnstange auf wenige µm genau sind. Dadurch können Ritzel und Zahnstange präzise ineinandergreifen und ermöglichen ein komfortables und zugleich sicheres Lenken. Bei diesen hohen Präzisionsvorgaben müssen natürlich das Presswerkzeug und die Form, in die der Rohling getaumelt wird, noch engere Toleranzvorgaben einhalten. „Da gehen wir an die Grenze des technisch Machbaren“, verrät Hübscher, der bei der Werkzeugherstellung mit seinem Kollegen Mathias Mück aus der Abteilung Umformtechnik zusammen arbeitet.

Bisher brauchte es mehrere Iterationsschleifen, bevor das Werkzeug die geforderten Toleranzvorgaben einhielt. So lagen zwischen der Konstruktion und dem serienreifen Taumeln in der Regel mehrere Wochen, in denen das Werkzeug gemessen und korrigiert werden musste. „Diesen Zeitaufwand wollte Bosch nicht weiter betreiben“, so Stefan Fröhlich. „Deswegen wurde vor drei Jahren entschieden, das Koordinatenmessgerät durch eine optische Messlösung zu ergänzen.“ So konnten die Schwaben die Vorteile der Koordinatenmesstechnik wie CNC-Betrieb und einfache Programmierung mit den Vorzügen der optischen Messtechnik kombinieren, zu denen zum Beispiel die schnelle Erfassung von Formen über Punktewolken gehört.

Nach einem intensiven Auswahlprozess entschied sich Sadet Hadzijakupovic, Leiter des Technikums Automotive Steering in Schwäbisch Gmünd, für das multisensorfähige Messgerät Accura des Herstellers Zeiss. Dieses wurde mit dem Laserscanner LineScan 2–25 ausgerüstet, der ebenfalls von Zeiss stammt. Der Scanner bietet einen Messbereich von 25 mm und kann in wenigen Minuten ein Netzmodell der Zahnstange erstellen. Nach der Bearbeitung können die Werkzeugbauer das 3D-Modell für die Werkzeugkorrektur nutzen. Im Vergleich zu dem bis dato eingesetzten Koordinatenmessgerät, das allein für die Messung einzelner relevanter Merkmale rund 10 h brauchte, wurde der Prozess durch die Umstellung deutlich beschleunigt. „So ein Scan dauert nicht länger als zehn Minuten“, sagt Hübscher.

Aber die Spezialisten aus Schwäbisch Gmünd wollten die Zahl der Iterationsschleifen und den händischen Aufwand für die Optimierung der gewonnenen Punktewolken noch weiter reduzieren. Das führte schließlich dazu, dass Bosch Automotive Steering im letzten Jahr Pilotkunde wurde. „Zeiss bot uns die Chance, mit dem LineScan 2–8 einen absolut neuen Scanner mit einer hohen Präzision zu testen“, erzählt Hübscher, der seit Januar 2017 eng mit dem Messtechnik-Hersteller zusammen arbeitet. „Diese Chance haben wir gerne ergriffen.“ Sein Fazit am Ende der Pilotphase fällt positiv aus: „Wir hatten über die gesamte Zeit hinweg kompetente Ansprechpartner, die an unseren Erfahrungen interessiert waren, um so den Laser optimieren zu können“. Auch die räumliche Nähe zu Zeiss war für Hübscher ein Vorteil, denn so konnten sich alle Projektbeteiligten regelmäßig auch vor Ort austauschen. Der hochgenaue Laserscanner, der in der Pilotphase eingesetzt wurde, bietet einen Messbereich von 8 mm und übertrifft laut Hübscher die Leistungsmerkmale des bislang eingesetzten Modells deutlich. So liegt beispielsweise der quadratische Mittelwert aller einzelnen Standardabweichungen bei 0,9 µm. Beim LineScan 2–25 lag dieser Wert bei 4 µm. Das heißt im Klartext, dass die Messwerte des neuen Sensors deutlich weniger streuen. Und auch die Antastabweichung auf dem Messgerät Accura ist mit 3,3 µm im Vergleich zum LineScan 2–25 mit 12 µm deutlich gesunken. Diese Werte wurden nicht nur im Labor, sondern auch in der Praxis bei Bosch mit realen Werkstücken erzielt. Auf Basis der realen Erfahrungswerte in der Pilotphase konnte Zeiss die Leistungsfähigkeit des neuen Scanners permanent optimieren.

Unterm Strich erzeugt der aktuelle Laserscanner von Zeiss laut Hübscher ein genaueres Abbild vom Ist-Zustand der stark reflektierenden Zahnstangen. Dadurch sei auch der Aufwand für die nachträgliche, händische Optimierung der erzeugten Punktewolke geringer geworden. Nach Abschluss des Pilotprojekts sind sich die Beteiligten bei Bosch einig, dass mit dem neuen Laserscanner die Werkzeugentwicklung weiter optimiert werden konnte. Man werde daher im Technikum weiterhin mit dem LineScan 2–8 arbeiten. Abteilungsleiter Fröhlich geht noch einen Schritt weiter. Er will den Sensor künftig auch für die Überwachung der Produktion einsetzen, denn so könne man mögliche Fertigungsprobleme noch schneller erkennen. (ub)


Lenksysteme aus Schwaben

Die Anfänge des Standorts in Schwäbisch Gmünd reichen in das Jahr 1937 zurück, als die ZF Friedrichshafen AG hier ein Werk errichtete. 1999 wurde in der schwäbischen Kleinstadt dann die ZF Lenksysteme GmbH als Gemeinschaftsunternehmen der Robert Bosch GmbH und der ZF Friedrichs-hafen AG gegründet. 2015 übernahm Bosch das Unternehmen und ZF Lenksysteme wurde zur Robert Bosch Automotive Steering GmbH. In Schwäbisch Gmünd werden Lenksysteme für verschiedene OEMs entwickelt und produziert. Mehr als 4 Mio. Zahnstangen werden hier im Jahr gefertigt. Das Werk ist zugleich das Entwicklungszentrum für Lenksysteme innerhalb des Bosch-Konzerns. Aufgrund der Produktpalette gehört der Standort zum größten Unternehmensbereich der Robert Bosch GmbH, nämlich dem Bereich Mobility Solutions, der 61 % des Gesamtumsatzes generiert. Konkret erwirtschaftete dieser Bereich 47,4 Mrd. Euro in 2017 und damit gut 8 % mehr als im Vorjahr. Allein am Standort in Schwäbisch Gmünd sind 5500 der insgesamt 14.900 Mitarbeiter beschäftigt.

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