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Hightech-Keramik kann mehr…

Hart, resistent und leicht – inzwischen auch biegbar und verstärkungsfähig
Hightech-Keramik kann mehr…

Hochleistungskeramiken | Sie können mehr als Stahl und Alu und viel mehr noch als vor Jahren. Bei Bedarf lassen sie sich auch biegen, vielfältig modifizieren oder mit anderen Materialien zu Verbundwerkstoffen kombinieren. Highlights einer Empa-Weiterbildung.

Klaus Vollrath Fachjournalist in Aarwangen/Schweiz

Es klingt wie ein Widerspruch: „Keramiken gehören zu den ältesten vom Menschen bewusst für eigene Zwecke modifizierten Werkstoffen – noch bevor man die Gewinnung von Metallen beherrschte“, weiß Prof. Dr. Thomas Graule, Abteilungsleiter Hochleistungskeramik bei der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (Empa) in Dübendorf. Und doch ist ihre technische Bedeutung erst in den letzten Jahrzehnten so gestiegen, dass sie nun in den klassischen Metalldomänen eine immer wichtigere Rolle spielen – zum Beispiel im Maschinenbau, der Automobiltechnik oder der Luft- und Raumfahrt. Wichtigster Keramikwerkstoff war zunächst Ton, aus dem man Gefäße, Ziegel, Geschirr und Skulpturen formte und durch Brennen haltbar machte. Erst nach und nach kamen weitere Materialien wie Aluminiumoxid (Korund), Siliziumnitrid oder Siliciumcarbid hinzu.
Moderne Hochleistungskeramiken unterscheiden sich von Gebrauchskeramiken durch die Art und Vorbereitung der verwendeten Roh- und Einsatzstoffe. Sie werden aus synthetisch erzeugten Ausgangsstoffen hoher Reinheit zusammengestellt und zu Pulvern mit geringer Korngröße und enger Korngrößenverteilung verarbeitet. Typische Korngrößen liegen zwischen 100 und 500 nm, fallweise werden auch Nanokörnungen von beispielsweise 20 nm erzeugt. Aus den Pulvern und Additiven werden formbare Massen gemischt, die beispielsweise durch Pressen, Extrudieren oder Spritzgießen die gewünschte Geometrie erhalten. Durch Sintern entstehen aus diesen „Grünlingen“ dichte, belastbare Bauteile, wobei es zu einer linearen Schwindung von typischerweise circa 20 % kommt. Je nach Einsatzzweck werden sie dann noch in vielfältigster Weise weiterverarbeitet. Von der chemischen Zusammensetzung her dominieren Oxide, Nitride, Carbide und auch Kompositwerkstoffe. Auch faserverstärkte Keramiken werden fallweise hergestellt.
„Die meisten Keramiken zeichnen sich vor allem durch drei Eigenschaften aus: Geringe Dichte, hohe Temperaturbeständigkeit und hohe Härte“, ergänzt Dipl.-Ing. (FH) Jakob Kübler, stellvertretender Abteilungsleiter Hochleistungskeramik bei der Empa. Besonders beeindruckend seien die Leistungssteigerungen bei der Biegefestigkeit: Zwischen 1950 und heute gelang es, die Biegefestigkeit keramischer Werkstoffe von lediglich 150 MPa (Aluminiumoxid-Porzellan) auf inzwischen rund 2000 MPa (Aluminiumoxid-verstärktes Zirkonoxid) zu steigern. Zusätzlich zeichnen sich keramische Werkstoffe auch durch Beständigkeit gegen Verschleiß sowie Chemikalien aus.
Dem stehen allerdings auch Nachteile gegenüber. Wichtigstes Handicap keramischer Werkstoffe ist ihre geringe Zähigkeit. Die meisten Bauteile lassen sich nicht plastisch verformen, sondern brechen nach Überschreiten ihrer maximalen Zugfestigkeit spröde ohne nennenswerte Energieaufnahme. Der entsprechende Grenzwert weist zudem eine hohe Streuung auf, was dem Konstrukteur die Auslegung erschwert. Bei der Auslegung von Keramikbauteilen sollten Konstrukteure dies berücksichtigen, indem sie Zugspannungen und schwingende Beanspruchungen mit Zugspannungsanteilen vermeiden oder – wo möglich – durch Druckvorspannungen kompensieren. Einen Überblick gibt die Tabelle.
Keramik-Verbundwerkstoffe
„Bei Verbundwerkstoffen können wir die Eigenschaften verschiedener Materialien wie mit einem Baukasten miteinander kombinieren“, erläutert Dr. Frank Clemens, Gruppenleiter der Abteilung Hochleistungskeramik bei der Empa. Dabei werden Verbunde sowohl zwischen Werkstoffklassen wie Metallen, Kunststoffen oder Keramiken als auch innerhalb der gleichen Klasse erzeugt. Besonderes Augenmerk gilt hierbei auch Faserverbunden: Neben den bereits seit langem bekannten Glasfaser- und Carbonfaser-Werkstoffen gibt es inzwischen auch die Möglichkeit, hochwertige keramische Fasern aus Aluminiumoxid oder Siliciumcarbid herzustellen und daraus entsprechende Gestricke zu formen. Vorteil solcher Verbunde ist unter anderem ein wesentlich gutmütigeres Verhalten bei Zugbeanspruchung, das gewisse Parallelen zu dem von Metallen aufweist.
Neben speziellen Verfahren zur Herstellung von Faserverbundwerkstoffen wie Chemical Vapor Infiltration (CVI), Reactive Melt Infiltration (RMI) oder Polymer Infiltration and Pyrolysis (PIP) gibt es noch etliche weitere Varianten wie das Foliengießen, Pressen, Extrudieren oder Spritzgießen sowie die Elektrophorese und das Sol-Gel-Verfahren. Neben Langfasern kommen auch Kurzfasern zum Einsatz, so zum Beispiel die Kurzfaserverstärkung in neuen Wabenkörpern für Abgas-Katalysatoren.
Fallbeispiele: Bremsscheiben und Holzhobel …
Während es für Fahrzeuge im Hochpreissegment bereits fertig entwickelte Bremsscheiben aus Keramikverbundwerkstoffen gibt, haben entsprechende Entwicklungen bei Fahrzeugen im unteren Preissegment noch längst nicht die Serienreife erreicht. Das Potenzial ist jedoch nicht zu unterschätzen, denn Bremsscheiben aus Gusseisen wiegen selbst bei Kleinwagen zusammen schnell mal 13 kg und bedingen damit einen entsprechend hohen Spritverbrauch. Zusammen mit Industriepartnern wie Fiat und dem spanischen Bremsenhersteller Fagor Ederlan arbeitet die Empa-Gruppe für Hochleistungskeramiken von Jakob Kübler daher an einem Bremskonzept, bei dem die Scheibe aus Aluminium besteht, auf dem leichte Keramikkompositplättchen durch Löten befestigt werden. Die Plättchen sind als Laminat aus bis zu 15 verschiedenen Schichten aufgebaut und weisen insgesamt eine Dicke von lediglich 2 mm auf. Außer aus Aluminiumoxid bestehen die Schichten auch aus Siliciumcarbid und weiteren Keramiken. Sie werden mit Hilfe von Schlickern (gießfähige Mischungen aus Keramikpulvern mit Wasser und darauf abgestimmten Zusätzen) durch Foliengießen auf einer Kunststofffolie hergestellt. Anschließend werden sie übereinandergelegt und zusammengepresst. Schließlich werden die organischen Zusätze herausgebrannt, wobei die einzelnen Schichten zu einem festen Körper versintern.
Beim Profilhobeln von Holzleisten unterliegen die Schneiden einer enormen Beanspruchung, vor allem wenn sie plötzlich auf harte Bereiche mit anderer Faserorientierung treffen, wie dies beispielsweise bei Asthölzern der Fall ist. Weitere Störstoffe im Holz sind Sand, der mit ins Holz einwachsen kann, sowie saures und daher korrosiv wirkendes Tannin. Aufgrund dieser sehr hohen und abrupt wechselnden Belastungen dominierten hier lange Zeit Schneidplatten aus Wolframcarbid, die solchen Beanspruchungen besser standhielten. Mittlerweile stößt diese Werkstoffklasse jedoch an Grenzen, zudem wird erwartet, dass der Wolframpreis in den nächsten Jahren steigen dürfte. Dies macht alternative Lösungen attraktiver: Bei keramischen Schneidwerkstoffen ist auch die geringere Dichte von Vorteil. Dies gilt insbesondere für schnell rotierende Schneidwerkzeuge mit großem Durchmesser wie rotierenden Profilhobeln, bei denen Keramik die Belastung durch Fliehkräfte verringert: Die Schnittgeschwindigkeit konnte von den bisher maximal möglichen 80 m/s auf inzwischen 100 m/s erhöht werden. Weiterführende Tests zeigten, dass sich möglicherweise selbst 160 m/s erreichen lassen. Auch bei diesem Projekt mussten darüber hinaus noch weitere Aspekte wie die Klemmung der Schneiden oder zusätzliche stützende Elemente entwickelt oder optimiert werden, woran mehrere Partner aus dem industriellen Umfeld der Holzverarbeitung und der Werkzeugentwicklung beteiligt sind.
Die Eigenschaften keramischer Werkstoffe sind äußerst vielfältig und lassen sich zudem durch Kombination untereinander und durch Zusätze vielfältig beeinflussen. Das eröffnet ihnen zahlreiche Einsatzbereiche über die mechanischen Komponenten hinaus – in Feldern wie Elektronik, Sensorik, Energiespeicherung oder Chemie- und Filtertechnik. Dazu gehören auch sehr ausgefallene, teils verblüffend einfach erscheinende Anwendungen. Ein Beispiel sind keramische Hohlkugeln als Auftriebskörper für Bauteile zur Erdöl- und Erdgasexploration in der Tiefsee, wo die üblichen Auftriebskörper aus Kunststoffen wegen der enormen Druckkräfte nicht mehr eingesetzt werden können. Weitere Beispiele sind keramische Dauerfilter oder piezoelektrische Dehnungssensoren und -aktuatoren. •

Biegeverhalten

Festigkeit MPa

Know-how-Vermittlung und mehr…
Die Empa-Weiterbildung, auf der dieser Artikel basiert, fand im Rahmen des breitgefächerten Kursprogramms „Training in Microsystems“ statt, das die Schweizerische Stiftung für mikrotechnische Forschung (FSRM) im Jahre 2014 organisierte. Die FSRM hat sich das rasche Verbreiten von Kenntnissen über die Mikrosystemtechnik auf die Fahnen geschrieben und arbeitet mit namhaften europäischen Forschungsinstituten und Anwendern zusammen. Interessant: Auch aktuell gibt es ein breites und technologieorientiertes Angebot für unterschiedlichste Branchen.
Infos: Annette Locher, Tel. 0041-327200900, fsrm@fsrm.ch, www.fsrm.ch
Industrieanzeiger
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