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Hybride Lenksäule wird serienreif

ThyssenKrupp Presta konzipiert Lenksäule als Metall-Carbon-Konstruktion
Hybride Lenksäule wird serienreif

Leichtbau | Die Arbeiten von Lenksysteme-Spezialist ThyssenKrupp Presta hatten Schlüsselfunktion innerhalb des Leichtbauprojekts „InCar plus“. Hier ein Abriss, wie der Konzern die Leichtbau-Lenksäule zur Produktionsreife entwickelte.

David Vink Freier Fachjournalist in Mettmann

ThyssenKrupp Presta (TKP) gelang es, die Seitenkonsole der Lenksäule um 56 % leichter zu gestalten. Das Gewicht sank von 600 g in Metall auf 260 g in Carbonfaser-verstärktem Kunststoff (CFK) – und zwar „bei akzeptablen Leichtbaukosten“, wie der ThyssenKrupp-Konzern mitteilt.
Die CFK-Seitenkonsole ist eines der beiden Hauptteile der hybriden Lenksäule. Ihre Herstellung im RTM-Verfahren (Resin Transfer Moulding) auf einen Blick: Preforms aus gestickten Carbonfaser-Gewebe werden präzise zugeschnitten, mit Epoxydharz imprägniert (infiltriert) und zum Seitenteil gepresst, während das Harz aushärtet. Nach Entnahme aus der RTM-Presse von Cannon entsteht die fertige Seitenkonsole durch Verkleben der Teile. Entworfen und produziert wurden die dafür verwendeten RTM-Werkzeuge durch ThyssenKrupp System Engineering in Heilbronn.
Im Oktober stellte ThyssenKrupp drei Produktionsstadien für die CFK-Lenksäulen-Konsole vor. Die erste „Baustufe“ wurde als „Stand der Technik“ bezeichnet. Das Preform entsteht dabei aus zugeschnittenen, multiaxialen Geweben (MAG) und kraftflussgerecht gestickten Gelegen (Tailored Fibre Placement = TFP) und wird im RTM-Verfahren weiter verarbeitet. Allerdings ist der Prozess aufwändig: Zwei Schneidstufen und die mechanische Bearbeitung zum Fertigteil führen zu langen Taktzeiten bei einer Materialausnutzung von nur 42,5 %. Der Lohn, das reduzierte Gewicht, ist somit teuer erkauft.
In einer zweiten Baustufenvariante werden die MAG-Schichten der linken und rechten Konsolen-Seitenteile durch einen Sandwich-Schaumkern unterstützt statt mit TFP. An den RTM-Prozess schließen sich die mechanische Bearbeitung und die Verklebung an. Die Taktzeit beträgt nur noch 81 %, verglichen mit der ersten Baustufe, und die Fasermaterial-Ausnutzung steigt auf 59 %.
In einer „dritte Baustufe“ wird nur noch TFP verwendet. An den RTM-Prozess schließt sich noch das Verkleben an, eine weitere mechanische Bearbeitung entfällt. Die Taktzeit sinkt auf 65 % im Vergleich zur ersten Baustufe und das Fasermaterial wird zu 95 % genutzt, so die Angaben. Auch diese Variante spart gegenüber der Metallkonstruktion rund 60 % an Gewicht ein, jedoch bei „wesentlich niedrigeren Kosten als in der zweiten Baustufe“. Laut ThyssenKrupp hat die CFK-Konsole etwa die gleiche horizontale Steifigkeit wie ein Metallreferenzteil. Die geringere vertikale Steifigkeit hingegen entspreche dem Lastenheft, da Stahl hier „überdimensioniert“ sei.
Nun zur Hauptkomponente Nummer 2, dem zylindrischen Lenksäulen-Führungskörper. Er wird in Form von Profilrohren aus CFK im sogenannten Pultrusions-Verfahren produziert. Das Ausgangsmaterial sind Carbonfaser-Rovings (CF-Bündel). Ein Knickarmroboter zieht sie aus dem „Flechtauge“ einer Flechtmaschine des Typs RF 1/288-120 der August Herzog Maschinenfabrik GmbH, Oldenburg, und wickelt sie um einen Polyurethan-Schaumkern. Diese CF-Geflechte werden anschließend mit Epoxydharz imprägniert und im Pultrusionswerkzeug in ihre endgültige Form gebracht und ausgehärtet.
Auch hier führt der CFK-Anteil zu hohen Gewichtseinsparungen, wie ThyssenKrupp bei der Vorstellung der InCar-plus-Ergebnisse im Oktober erklärte: Eine FEM-Analyse habe gezeigt, dass ein CFK-Wickelpultrusionsrohr mit „moderaten geometrischen Änderungen“ ein 2-mm-Stahlprofil ersetzen und dabei das Gewicht um mehr als 56 % reduzieren könne.
Im Zusammenbau besteht die hybride Lenksäule nun aus Metallkomponenten mit CFK-Führungskörper und CFK-Konsolen. In die Entwicklung involviert war auch das Institut für Werkstofftechnik und Kunststoffverarbeitung (IWK) der Hochschule Rapperswil (HSR). Die Schweizer hatten die FEM-Analyse und die Topologieoptimierung der Konstruktion übernommen und dabei die Hauptlastpfade identifiziert.
In einem Vortrag auf dem IWK-Kunststoffforum im September bezifferte TKP-Entwicklungsingenieur Daniel Kreutz die Gewichtsreduktion auf bis zu 45 %, die sich durch Ersetzen von Metall in Lenksäulen erreichen ließe. Die von TKP gewählte Hybridbauweise könne das Verformungsrisiko des Kunststoffes bei hoher Temperatur „auf unkritische Bereiche reduzieren und die Sicherheit bei einem Crash gewährleisten“.
Weiter sagte Kreutz auf dem IWK-Kunststoffforum: „Erste Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen haben gezeigt, dass sich mit dieser Hybridbauweise akzeptable Leichtbaukosten erreichen lassen. Somit wird sie auch für weitere Bauteile im Lenksystem attraktiv.“ Kreutz wird in zwei Patenten als einer der Erfinder genannt (Patent DE102013001442 B3: „Lenksäule in Faserverbundtechnologie, basierend auf Pultrusion- und Flecht- und/oder Wickeltechnologie” vom 13. März 2014 sowie Patent DE102012005434 B3: „Lenksäule mit im Flechtverfahren hergestellten Faserverbundelementen“ vom 13. April 2015).
Dass die vorgestellten Lösungen sehr anwendungsnah sind, bestätigt IWK-Student Thomas Bucher: „Wir haben aus einer Idee einen funktionierenden Prototypen erstellt, den wir in einen 1er BMWs einbauen konnten. Damit sind wir einen großen Schritt vorwärtsgekommen.“ Die Testfahrt auf dem Presta-Areal in Eschen habe ihm mächtig Spaß gemacht.
Bei der Einreichung der Entwicklung für den Innovationspreis der Arbeitsgemeinschaft Verstärkte Kunststoffe (AVK) im April 2014 machten die beiden TKP-Mitarbeiter Dr. Arne Schacht und Dr. Thomas Heitz weitere konkrete Angaben. So sei die hybride Lenksäule mit 2,4 kg Gewicht die weltweit erste CFK-Lenksäule und in ihrer Kategorie die leichteste überhaupt. Verglichen mit einer konventionellen Stahl- oder Magnesium-Lenksäule sei sie mehr als 30 % leichter. Und: Die CFK/Metall-Lenksäule sei „schon produktionsreif“. In den Patenten werden übrigens auch Schacht und Heitz als Miterfinder genannt.
Heitz legte seine Promotion 2013 an der Universität Transilvania in Brasov (Rumänien) zum Thema CFK-Lenksäulen ab. In seiner Arbeit beschrieb er Konsole- und Führungskörperteile aus CFK auf Basis einer Metall-Lenksäule des VW Golf VI. Laut Dissertation verfolgen sie das Ziel, Kundenanforderungen zu erfüllen, ohne Abstriche bei der Funktion zu machen. Auch hierzu findet sich eine Hausnummer: Bei Großserien über 50 000 Teilen im Jahr dürfen die Mehrkosten nicht mehr als 20 Euro pro Kilogramm Gewichteinsparung betragen. •
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