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„Innovationen entstehen an den Schnittstellen der Disziplinen“

Was Professor Thomas Bauernhansl am Fraunhofer IPA und IFF der Uni Stuttgart plant
„Innovationen entstehen an den Schnittstellen der Disziplinen“

Prof. Dr.-Ing. Thomas Bauernhansl, neuer Leiter des Fraunhofer IPA und des IFF der Universität Stuttgart, über ganzheitliche Produktion, Open-Innovation-Konzepte und regenerativen Leichtbau.

Zu Ihrem Amtsantritt sagten Sie: „Mit meinen Ideen und meiner internationalen Erfahrung kann ich der anwendungsorientierten Forschung in Stuttgart entscheidende Impulse geben“. Was wollen Sie anstoßen am IPA und der Uni und welche Themen besonders vorantreiben?

Die Globalisierung hat nicht nur die Konzerne in Deutschland in ihren Strukturen verändert, sondern auch die klassischen Mittelständler. Dieser Veränderungsprozess steht noch am Anfang und wird uns in den nächsten Jahren viele Herausforderungen bringen. Wissen ist mehr und mehr weltweit verfügbar, Innovationen entstehen an den Schnittstellen der Disziplinen und viele Branchen stehen vor einem Paradigmenwechsel, nicht zuletzt getrieben durch die ökologischen Notwendigkeiten. Schauen sie sich nur die Auswirkungen der Elektrifizierung auf die Automobilindustrie an. In diesem Umfeld müssen auch die Universitäten und Forschungsinstitutionen wie etwa Fraunhofer umdenken. Wir müssen attraktiver Partner auch für ausländische Unternehmen und Studenten werden. Wir müssen interdisziplinärer und ganzheitlicher forschen und arbeiten. Und wir müssen den Strukturwandel in den Industrien unseres Landes immer in einen globalen Zusammenhang stellen.
Wie wollen Sie das erreichen?
Wir brauchen mehr Zusammenarbeit innerhalb der Universität, aber auch übergreifend. Enge Kooperationen mit der Wirtschaft national wie international müssen zur Normalität werden und wir müssen klare Vorstellungen von Erfolg entwickeln. Der Fokus auf Erkenntnisgewinn ist sicherlich zu eindimensional und muss durch ein ausgewogenes Zielsystem ersetzt werden. Für uns am IPA/IFF bedeutet das, dass wir uns auf das Thema ganzheitliche Produktion in den Kernindustrien Deutschlands konzentrieren werden. Die leitende Forschungsfrage wird sein, wie wir nachhaltig mit einem hohen Wertschöpfungsanteil in Deutschland für einen globalen Markt produzieren können.
Hat sich das Umfeld der angewandten Forschung und die Ansprüche an sie geändert und wie wirkt sich das auf das IPA aus?
Ja, ganz klar haben sich die Ansprüche geändert. Angehende Ingenieure – auch an der Uni – müssen schon während des Studiums und direkt nach dem Diplom oder Master, auf dem Weg zur Promotion, die Industrie von innen kennenlernen, sonst können Sie sich nicht für deren Bedürfnisse qualifizieren. Die ersten Monate werden meine Mitarbeiter in Industrieprojekten vor Ort eingesetzt werden und lernen, was dort die tatsächlichen Probleme sind. Wir sind dabei, eine neue Matrixstruktur quer zur wissenschaftlich-fachlichen Kompetenz einzurichten. Es gibt hier an den Instituten dann nicht mehr nur wissenschaftliche Fabrikplaner, Lack-, Roboter- oder Reinraumprofis, sondern auch Marktexperten für die IPA-relevanten Kernbranchen, also etwa Automotive, Maschinenbau, Medizintechnik oder Energiewirtschaft. Die Leistungsangebote sind quer zu den Instituten und Abteilungen nach „Produkten“ unseres Hauses aufgestellt. So können wir Synergien schaffen und uns optimal auf unsere Kunden aus der Industrie einstellen und gleichzeitig über unser Netzwerk den Absolventen der Universität hervorragende Startchancen geben.
Was tun Sie als IPA, um dem drohenden Fachkräftemangel vorzubeugen?
Neue Kooperationsformen zwischen Unternehmen und Weiterbildungsinstitutionen können den Fachkräftemangel beheben helfen. Bei Freudenberg hatten wir eine Unternehmensakademie und am IFF/IPA werden wir vorhandene Weiterbildungs-Strukturen so erweitern, dass eine Stuttgarter Produktionsakademie entstehen kann. Die Lernfabrik für advanced Industrial Engineering an meinem Universitätsinstitut IFF beschreitet neue Wege, die ich für zielführend halte. Hier werden sowohl Studierende und Doktoranden als auch Ingenieure und Manager aus der Praxis aus- und weitergebildet. Studierende brauchen heute sehr frühzeitig vertieftes Anwendungswissen und sollten noch im Studium die Probleme der Industrie kennen lernen. Auf der anderen Seite haben auch gestandene Leute aus der Wirtschaft großes Interesse, für einige Tage an die Uni zurückzukehren und sich auf den neuesten Stand bringen zu lassen.
An welchen Stellen können Sie sich vorstellen, über die Grenzen Ihres Interessensbereiches hinauszublicken?
Wenn Sie produzierende Unternehmen auf die Zukunft vorbereiten wollen, müssen Sie als Enterprise Architekt agieren. Das heißt, Sie brauchen einen ganzheitlichen Blick auf die Organisationen. Das Verständnis für Strukturen und Prozesse ist dabei genauso wichtig wie das Wissen über Technologien und IT-Systeme. Zudem müssen Sie die Menschen mitnehmen und jede Veränderung als Eingriff in ein soziales, häufig nach Selbsterhalt strebendes System verstehen. Offenheit und Transparenz wird hier völlig neue Ansätze ermöglichen. Das richtige Maß an Offenheit wird dabei nicht nur für die Innovationprozesse über Erfolg oder Misserfolg entscheiden. Sogenannte Open-Innovation-Konzepte sowie die Einbindung der Kunden als kostenlose Entwickler werden durch Web 2.x Konzepte erst sinnvoll umsetzbar. Die Analyse von Ursachen wird mehr und mehr durch das Aufdecken von Abhängigkeiten ersetzt. Ideale der Offenheit und Zusammenarbeit, unterstützt durch das Internet der Dinge, werden Organisation, Innovation und Wertschöpfung stark verändern. Die Transparenz in der Lieferkette oder auch Trend- und Mustererkennung im Verhalten der Kunden sind hier entscheidende Faktoren. Wissensmanagement im ganzheitlichen Kontext wird ebenfalls eine Renaissance erleben. Nur mit interdisziplinären und systemischen Ansätzen werden wir in der Lage sein, Antworten für die daraus resultierenden Forschungsfragen zu finden. Will sagen: der Blick über den Tellerrand der eigenen Disziplin wird zur Pflicht aller Forschergruppen.
Wie adressieren Sie am IPA und an der Uni Stuttgart das Thema Leichtbau?
Wir bauen im Moment am Fraunhofer IPA zusätzlich zu den Säulen Automatisierung, Produktionsorganisation und Oberflächentechnologie eine vierte Säule auf: den Leichtbau. Der neue Institutsleiter des Uni-Instituts für Werkzeugmaschinen (IfW), der Nachfolger von Professor Uwe Heisel, wird dann auch, gemeinsam mit Alexander Verl und mir, die Leitung des IPA übernehmen und verantwortlich für das Thema sein. Das Wirtschaftsministerium des Landes Baden-Württemberg fördert den Aufbau dieses Zentrums mit sieben Millionen Euro und hilft somit, den Strukturwandel im Land aktiv zu gestalten. Wir werden uns auf die Bearbeitungstechnologien von Leichtbaustrukturen bestehend aus einem Materialmix konzentrieren. Verbindungen von Faserverbundwerkstoffen mit Thermoplasten, Metallen oder auch Biopolymeren werden im Mittelpunkt stehen. Langfristig möchten wir so in Richtung des regenerativen Leichtbaus gehen und auch die Recyclingprozesse entwickeln.
Ihr persönliches Anliegen ist die Nachhaltigkeit in der Produktion. Heute liegt der Schwerpunkt vor allem auf dem Thema Effizienz. Reicht dieser Ansatz aus, um in Zukunft bestehen zu können?
Die Übertragung von Lösungen aus der Natur auf Gestaltungsbereiche der Produktion führt zu nachhaltigen und hochinnovativen Ansätzen. Das ist ja schon seit den 70er Jahren erforscht worden. Die Durchoptimierung der immer gleichen oder sehr ähnlichen Produkte und Prozesse, also das, was wir Effizienz nennen, wird abgelöst werden durch das Prinzip der Effektivität: Die richtigen Dinge tun. Wir müssen uns mit völlig neuen Produkten und Herstellprozessen beschäftigen, die einen positiven Einfluss auf die Umwelt haben, einen sogenannten positiven Footprint.
Die Hannover Messe hat erstmals das Thema „greentelligence“ aufgenommen. Ist das ein erster Ansatz? Was halten Sie davon?
Greentelligence ist ein guter Ansatz und weist in die richtige Richtung. Das Leitthema wird ja mit allen großen Ausstellern intensiv abgestimmt. Dies zeigt, dass die Verbindung von Ökologie und Ökonomie längst als einträgliches Geschäftsmodell von vielen Firmen erkannt wurde. Das macht Hoffnung, da Aussicht auf Profit dafür sorgt, dass Märkte in Bewegung geraten. Und das wird helfen, schneller nachhaltige Produktionsweisen umzusetzen, als wir alle das vielleicht zu hoffen gewagt haben.
Armin Barnitzke und Dietmar Kieser dietmar.kieser@konradin.de
Das vollständige Interview lesen Sie auf www.industrieanzeiger.de, Suchwort: Bauernhansl
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