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Kugelrund war gestern

Freiformflächen könnten die Herstellung optischer Systeme erleichtern
Kugelrund war gestern

Kameras, DVD-Player, Laserdrucker, Teleskope – sie alle funktionieren nur dank moderner Präzisionsoptik. Heute braucht es dazu ausgeklügelte Systeme aus vielen aufeinander abgestimmten Spiegeln und Linsen. Künftig soll ein einziges Bauteil genügen: ein Tausendsassa namens Freiformoptik.

Wer im Kino eine Brille braucht und auch beim Zeitunglesen die Buchstaben nicht mehr deutlich erkennt, der sollte sich eine Gleitsichtbrille zulegen. Sie sorgt für scharfe Bilder auf jede Entfernung und korrigiert zugleich individuelle Augenfehler. „Gleitsichtbrillen kombinieren in einem Glas stufenlos mehrere Linsen mit unterschiedlicher Brennweite und oft noch mit einer Zylinderlinse. Das ist ein einfaches Beispiel für eine optische Freiformfläche“, sagt Dr. Andreas Bräuer vom Fraunhofer-Institut für Angewandte Optik und Feinmechanik IOF in Jena und dort Leiter der Abteilung Mikrooptische Systeme. Sein Team arbeitet daran, auch komplexere Freiformflächen für jeden gewünschten Zweck zu entwerfen.

An potenziellen Anwendungen herrscht kein Mangel. Denn Freiformflächen könnten die Herstellung der meisten optischen Systeme erleichtern – seien es CD-Player, Scanner, Hochleistungslaser oder Mikro- und Teleskope. Die Vorteile liegen auf der Hand: „Das Objektiv einer hochauflösenden Handy-Kamera besteht heute aus bis zu sieben Linsen mit Durchmessern von wenigen Millimetern. Jedes dieser winzigen Bauelemente muss exakt montiert werden, damit sie alle zusammen ein scharfes Bild erzeugen. Den Aufwand könnte man reduzieren – würde man stattdessen ein einziges optisches Element verwenden, das sämtliche Funktionen der Einzellinsen erfüllt. Gleichzeitig ließe sich damit Platz gewinnen und Gewicht reduzieren“, erklärt Dr. Ramona Eberhardt, Leiterin des Bereichs Feinwerktechnik am IOF. Auch Laserlicht muss durch ein fein abgestimmtes System aus unterschiedlichen Linsen geleitet werden, bevor es die gewünschten Eigenschaften zeigt; sie richten den anfangs fächerförmigen Lichtstrahl parallel aus und fokussieren ihn auf sein Ziel.
Zwei Beispiele unter vielen. Denn optische Systeme kommen in den unterschiedlichsten Branchen zum Einsatz – in Anlagenbau und Automobilindustrie, Medizin und Materialbearbeitung, Flugzeugbau und Freizeitelektronik, Informationstechnik und Lebenswissenschaften. In allen Bereichen könnte man durch die Reduktion optischer Komponenten Zeit und Platz, Gewicht und Ressourcen einsparen. Doch trotz des vielseitigen Bedarfs finden Freiformen in der Optikindustrie bislang noch kaum Verwendung. Der Grund: Sowohl ihr Design als auch ihre Fertigung stellen Mathematiker und Ingenieure vor bislang große Herausforderungen.
Schwierigkeiten bereitet die fehlende Symmetrie von Freiformflächen. Sie können – salopp ausgedrückt – verbeult sein wie ein Kartoffelchip. Im Gegensatz dazu sind kugelförmige (sphärische) Linsen hochsymmetrisch und lassen sich durch ihren Radius und den Krümmungsmittelpunkt eindeutig charakterisieren; sie brechen einen Lichtstrahl nach bekannten Regeln und bündeln ihn in einem definierten Brennpunkt. Auch rotationssymmetrische Linsen ohne kugelförmige Oberfläche – die Asphären – kann man trotz ihrer eingeschränkten Symmetrie durch wenige Kenngrößen festlegen. Dagegen sind Freiformflächen alles andere als symmetrisch. Sie besitzen, wie Mathematiker sagen, beliebig viele Freiheitsgrade. Um sie zu beschreiben, entwickelt Bräuers Team geeignete Rechenvorschriften, die Design-Algorithmen. Damit Fertigungsmaschinen diese lesen können, werden sie in entsprechende Computerprogramme übersetzt.
„Was wir brauchen, sind zusammenhängende und aufeinander abgestimmte Prozessketten – vom Design über die Herstellung bis hin zum Test von Freiformoptiksystemen. Doch bisher beherrschen wir nur einzelne Prozessschritte und diese meist mit begrenzter Genauigkeit“, betont Dr. Klaus-Friedrich Beckstette, Leiter des Carl Zeiss Technologiezentrums in Jena und Oberkochen. Um diese Lücke zu schließen, hat sich das IOF mit Zeiss und drei weiteren Industriepartnern zu einem Forschungsverbund namens Free zusammengeschlossen. Das Ziel: „Wir wollen die wissenschaftlich-technologischen Grundlagen von vollständigen Prozessketten erarbeiten und an verschiedenen Anwendungsbeispielen – Linienscanner, Kameraobjektiv und Datenbrille mit Head-Mounted-Display – demonstrieren“, so Beckstette.
Am Anfang jeder Prozesskette steht das Optikdesign. Dabei gibt es grundsätzlich zwei Herangehensweisen: Entweder man will ausrechnen, wie eine vorgegebene Freiformfläche das eintreffende Licht beeinflusst. Dieser „Top-down-Ansatz“ führt noch relativ einfach zum Erfolg. Oder, und hier wird es schon schwieriger, man wünscht sich eine bestimmte Lichtverteilung und sucht nach einer passenden optischen Freiform – von der man also vorher gar nicht weiß, wie sie letztlich aussehen könnte. Bei dieser „Bottom-up-Methode“ gibt es hunderte Parameter und entsprechend viele Möglichkeiten, die gesuchte Freiform zu berechnen. „Da kann man sich total im Wald verirren“, sagt Physiker Andreas Bräuer, „und dann schießt man mit der Schrotflinte und trifft vielleicht irgendein Tier – oder auch einen Pilzesammler. Damit wir gleichsam gezielter dorthin schießen können, wo die Hirsche stehen, versuchen wir, die Parameter einzugrenzen und bestimmte Regeln aufzustellen. Dazu passen wir bereits verfügbare mathematische Algorithmen für unsere Zwecke an“, erklärt der Fraunhofer-Forscher.
„Wir haben schon einige brauchbare Ansätze und konkrete Designs«, sagt Klaus-Friedrich Beckstette, „aber da sind auch noch weiße Flecken, die wir mit heutigen Design-Methoden nicht behandeln können. Es gibt viel Forschungsbedarf.“ Dieser Ansicht ist auch das Bundesforschungsministerium BMBF – und fördert daher von diesem Jahr an drei Jahre lang das Free-Projekt und zehn weitere Forschungsvorhaben zum Thema Freiformoptiken. So auch einen Verbund namens Kompass, an dem das Fraunhofer IOF ebenfalls beteiligt ist. Dr. Lutz Aschke, Geschäftsführer des Dortmunder Mikrooptik-Unternehmens Limo GmbH, fasst das Projektziel zusammen: „Wir wollen untersuchen, wie sich optische Freiformen aus Glas von hoher Präzision effizient in Serie fertigen lassen.“
Dabei müssen nicht nur geeignete Design-Algorithmen entwickelt werden, sondern auch neue technologische Ansätze zur Fertigung großer Stückzahlen. Benötigt werden Negativformen, in die man – je nach Bedarf – Glas, Metall oder Kunststoffe einfüllen kann wie den Teig in die Kuchenform. Um die erforderliche Qualität dieser Spritzgussformen zu erreichen, sollen verschiedene Fertigungstechniken – ultrapräzises Drehen und Fräsen, Schleifen und Polieren sowie Heißprägen – kombiniert werden. „Für jede Applikation müssen wir genau überlegen: Wie kann das Element am günstigsten entwickelt werden? Und dann wird es hergestellt und gemessen, ob die Qualitätsforderungen erreicht worden sind“, sagt IOF-Forscherin Ramona Eberhardt. Die Früchte dieser Mühen werden mit Spannung erwartet, denn der Markt für Präzisionsoptik ist riesig. „Entsprechend groß ist der Bedarf an Werkzeugen für die Serienproduktion“, so Eberhardt: „Die deutschen Optikhersteller haben den Entwicklungsprozess schon gestartet.“
Dr. Monika Offenberger Wissenschaftsjournalistin in München

Optiken nach Maß

Während die klassischen Optiken abbildender Systeme modular aus einzelnen Linsen verschiedener Brennweite mit kugelförmiger (= sphärischer) Oberfläche aufgebaut werden, zeichnet sich in den letzten Jahren immer deutlicher ein Wechsel hin zu maßgeschneiderten Einzelkomponenten mit Freiformoberflächen ab, die speziell auf die jeweilige Anwendung zugeschnitten sind. Neben einer enormen Qualitätssteigerung der optischen Abbildung werden optische Systeme zudem wesentlich kompakter und leichter. Ein prominentes Beispiel solcher Optiken der nächsten Generation findet man in den ultrakompakten Kameras, die heute in nahezu jedem Mobiltelefon verbaut sind.
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