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Kunststoff kann fast alles

Polyamidimide (PAI) aus dem Flugzeugbau substituieren Metalle
Kunststoff kann fast alles

Häufig ist nicht bekannt, dass Highend-Kunststoffe auch mechanische Funktionen in Flugzeugen übernehmen. Außergewöhnliche Eigenschaften wie geringe Masse, hohe Hitze-, Korrosions- oder Verschleißresistenz qualifizieren sie aber auch für Anwendungen im Automobil- und Maschinenbau.

Der Passagier in modernen Verkehrsflugzeugen ist von Kunststoffen umgeben – Innenverkleidung, Klapptische, Licht- oder Klimakonsolen sind typische Anwendungen. Auch Strukturteile aus Composite-Kunststoffen sind seit den neuesten Modellen von Airbus und Boeing einer breiten Öffentlichkeit bekannt. Unbekannt ist aber häufig, dass Kunststoffe auch mechanische Funktionen in Flugzeugen übernehmen, etwa im Bereich der Flügelsteuerung und der Fahrwerkstechnik.

Der Grund für deren Einsatz an diesen Stellen ist offensichtlich: Gewichtsersparnis! Bauteile aus Kunststoff sind um circa 50 % leichter als vergleichbare Teile aus Aluminium, verfügen aber je nach Type über eine ähnlich hohe spezifische Festigkeit.
Polymere Bauteile weisen im Gegensatz zu metallischen eine deutlich höhere Korrosionsbeständigkeit auf und zeigen günstige Verschleißeigenschaften in dynamischen Anwendungen. Sie müssen nicht nur bei Temperaturen von 80 °C und mehr funktionieren (wenn das Flugzeug mit laufenden Triebwerken unter der Äquatorsonne gestanden hat), sondern auch bei bis zu –80 °C in größeren Flughöhen. Bei diesen Temperaturen wird ebenfalls eine entsprechende mechanische Festigkeit und hohe Verschleißfestigkeit erwartet.
Nur wenige Materialien sind für derartige Anforderungen geeignet. Für den Einsatz in anspruchsvollen Umgebungen dieser Art verwendet die Polytron Kunststofftechnik GmbH & Co. KG, Bergisch Gladbach, das Polyamidimid Torlon PAI von Solvay Advanced Polymers, einem in Alpharetta (Georgia, USA) ansässigen Tochterunternehmen von Solvay Specialty Polymers LLC.
Torlon PAI besitzt einen außergewöhnlich weiten Einsatzbereich von kryogenen Temperaturen bis hin zu +250 °C. Bei extremen Temperaturen zeigt es Festigkeiten, die die Werte herkömmlicher technischer Kunststoffe weit übertreffen. Außerdem bietet das Material eine überragende Verschleißfestigkeit, die es für Gleitanwendungen prädestiniert. Im Trockenlauf – ohne die übliche Schmierung bei dynamischen Anwendungen – zeigt Torlon PAI eine überzeugende Standfestigkeit. Durch Modifizierung erhält man Typen, deren Wärmeausdehnungskoeffizient etwa dem von metallischen Werkstoffen entspricht.
Polytron fertigt für zahlreiche Luftfahrzeughersteller mechanische Bauteile aus Torlon PAI. Die Bauteile kommen zum Beispiel als Anlaufscheiben oder Axiallager in der Flügelsteuerung oder als Gleitelemente in den Landeklappen zum Einsatz. Auch in Aktuatoren und anderen Steuereinheiten finden sich Bauteile aus Torlon. Neben Torlon PAI 4203, das wegen seiner hohen Zähigkeit gewählt wird, wird vor allem das tribologisch optimierte Torlon PAI 4301 aufgrund seiner überdurchschnittlichen Verschleißfestigkeit eingesetzt. Bauteile aus Torlon haben in vielen tausend Einsatzstunden ihre Leistungsfähigkeit in den herausfordernden Anwendungen der Luftfahrtindustrie bewiesen.
Polytron Kunststofftechnik verfügt über eine langjährige Material- und Bearbeitungskompetenz, um diesen speziellen Hochleistungskunststoff spanend oder durch Spritzgießen zu verarbeiten. Von der Einzelanfertigung bis zur Großserie wird das komplette Spektrum der Möglichkeiten abgedeckt. Polytron legt dabei Wert auf eine individuelle Anwendungsberatung, da nur so komplexe Anforderungen zielführend und einsatztauglich gelöst werden können.
  • Dr. Wolfgang Funke, Sales Development Manager bei Solvay Specialty Polymers Germany
  • Fred Arnulf Busen, Geschäftsführer bei der Polytron Kunststofftechnik GmbH & Co. KG

Torlon Polyamidimid (PAI) – ein hochwertiger Funktionswerkstoff

Nachgefragt

Was sind denn die wichtigsten Gründe dafür, Metalle durch Hochleistungskunststoffe zu ersetzen?
Dr. Funke: Der vordringliche Faktor im Flugzeugbau ist die Gewichtsreduzierung. Doch Kunststoffe bieten noch viele andere Vorzüge, zum Beispiel Notlaufeigenschaften: Bei Torlon-Anwendungen sind Fälle dokumentiert, in denen trotz eines Ausfalls der Schmierung die Funktion erhalten blieb. In manchen Anwendungen wird auf Schmierung sogar ganz verzichtet.
Wo sehen Sie Einsatzfelder für solche teuren Werkstoffe auch außerhalb des Flugzeugbaus?
Dr. Funke: Ganz klar in der Automobilindustrie, wo Hochleistungskunststoffe im Kfz-Antriebsstrang, in Dichtringen, Anlaufscheibenlagern, Ventilkugeln und vielen weiteren Stellen eingesetzt werden.
Busen: Im Maschinenbau wird ebenfalls Schmiermittelfreiheit gefordert, zum Beispiel in der Lebensmittelindustrie – und dafür lässt sich Torlon einsetzen.
Torlon ist also ein Funktionswerkstoff?
Busen: Absolut. In zwei Bereichen spielt dies eine sehr große Rolle: Neben der Lebensmittel- und Verpackungsindustrie auch in der Textilindustrie, wo immer häufiger ein Verzicht auf Schmiermittel gefordert wird. Dies bedeutet in jedem Fall, dass die Temperaturen steigen – und dann geht es nicht ohne Hochleistungskunststoff.
Haben Sie ein konkretes Beispiel?
Busen: Förderketten ziehen die Textilbahnen, die einer Beschichtung unterzogen werden. Die Glieder sind mit Bolzen verbunden, die in Torlon-Buchsen gelagert werden. Trotz Einsatztemperaturen von über 200 Grad Celsius müssen diese Ketten nicht mehr geschmiert werden.
Rechnet sich Torlon in diesem Beispiel?
Busen: Der direkte Vergleich zum metallischen Lager bringt noch keine Einsparung. Doch die Gesamtkosten sinken, weil auf Schmier- und Schutzeinrichtungen gegen das Verschmutzen verzichtet werden kann.
Können Sie die Werkstoffkosten beziffern?
Busen: Dafür lässt sich kein pauschaler Wert angeben, sie sind immer anwendungsabhängig.
Dr. Funke: Das gilt auch deswegen, weil wir das Material aus einer großen Bandbreite auswählen müssen. Es gibt bei diesem Werkstoff keine Standardtypen, die sich aus dem Katalog heraus verkaufen ließen.
Busen: Deshalb ist es sehr wichtig, dass man sich für die Auswahl viel Zeit nimmt und sich beraten lässt…
Dr. Funke: …und zwar von solchen Fachbetrieben, die mehr als nur eine Komponente im Portfolio haben und über Know-how-Breite für deren Einsatz verfügen. os
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