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Prof. Torsten Kröger vom KIT warnt vor überzogenen Erwartungshaltungen in der Robotik

Robotik
Prof. Torsten Kröger vom KIT warnt vor überzogenen Erwartungshaltungen in der Robotik

Die Robotik ist im Umbruch. Der stählerne Werker hat seine festen Bahnen längst verlassen, arbeitet mit dem Menschen zusammen und lernt bei jeder Bewegung dazu. Prof. Torsten Kröger vom Karlsruher KIT beschreibt im Interview , was in den kommenden Jahren alles auf uns zu kommt.

Herr Prof. Kröger, in der Robotik bleibt derzeit kein Stein auf dem anderen. Dabei hat die Technik von Beginn an für Zündstoff gesorgt. Als die ersten Modelle in den siebziger Jahren bei den großen Autobauern installiert wurden, stiegen Mitarbeiter nachts in die Fabrik ein und kappten die Versorgungskabel der stählernen Konkurrenz. Die Werker hatten Angst, dass mit den neuen Maschinen ihre Jobs wegrationalisiert werden. Wie ordnen Sie diese Ereignisse heute ein?

Das ist eine natürliche Reaktion der Gesellschaft. Es war übrigens nicht das erste Mal, dass so etwas passiert ist. Bei jedem größeren technischen Fortschritt haben wir ähnliche Verhaltensweisen erlebt. Etwa bei der Einführung von Dampfmaschinen, Zügen oder Automobilen. Historisch zeigt sich jedoch, dass jedes Mal mit der Einführung einer neuen Technik die Arbeitslosigkeit gesunken ist. Insofern haben sich primär die Jobs verändert, deren Zahl hingegen ist nahezu konstant geblieben.

Die Zusammenarbeit zwischen Mensch und Maschine, sprich die Mensch-Roboter-Kooperation, kurz MRK, erlebt derzeit einen regelrechten Hype. Ist MRK ein Zukunftsthema?

Auf jeden Fall. Traditionell haben Roboter zyklisch wiederkehrende Bewegungen ausgeführt. Immer und immer wieder, ohne ein Verständnis für die Aufgabe oder die Umgebung zu haben. Und ohne in der Lage zu sein, auf unvorhersehbare Ereignisse reagieren zu können, außer mit einem Notstopp. Da Roboter gefährlich sein können, führen sie diese Aufgaben hinter Schutzzäunen aus. Heute können Roboter die Objekte, Hindernisse und Menschen in ihrer unmittelbaren Umgebung zunehmend erkennen und darauf zu reagieren. Zudem werden Roboter leichter, nachgiebiger und können so ihren Arbeitsraum mit dem Menschen teilen. Es gibt also nicht nur einen Trend hin zur Automatisierung ohne Schutzzaun, sondern auch zu Anwendungen außerhalb von industriellen Umgebungen, in denen Mensch und Roboter eng zusammenarbeiten.

Viele gehen so weit und sagen, MRK sei kein Zukunftsthema, sondern ein Thema der Gegenwart. Ist das nicht übertrieben angesichts der relativ geringen Zahl an MRK-Installationen im Vergleich zu den Industrieroboter-Anwendungen?

Das mag man heute so sehen. Die Zahl der MRK-Applikationen steigt jedoch sehr schnell. Hinzu kommt, dass auf diese Art immer mehr betriebswirtschaftlicher Mehrwert geschaffen werden kann. Das gilt für große Konzerne, aber vor allem für kleine und mittlere Betriebe.

Welche Anwendungen sind aus Ihrer Sicht wie geschaffen für die MRK?

Dazu gehören zunächst mal alle Applikationen, bei denen sich Kosten sparen lassen, wenn die Schutzzäune wegfallen. Hinzu kommen Anwendungen, die sich nicht vollständig automatisieren lassen und bei denen ein Teil der Aufgaben von Menschen im Arbeitsbereich des Roboters erledigt werden. Dann die Fälle, bei denen der Roboter einfache Assistenzfunktionen übernimmt und den Menschen unterstützt. Und schließlich Applikationen, bei denen ein Teil des Prozesses zu gefährlich für den Menschen ist – ich denke da an Hitze oder sich schnell bewegende Teile – der Mensch aber dennoch gebraucht wird.

Was sind die technischen Herausforderungen bei der MRK?

Die liegen im Bereich der funktionalen Sicherheit. Wenn Mensch und Maschine immer enger zusammenarbeiten, dann müssen wir Konzepte und Implementierungen entwickeln, die sicherstellen, dass Roboter keinen physischen Schaden während der Zusammenarbeit verursacht.

Nur ein langsamer Roboter ist auch ein sicherer Roboter. Stimmt diese Aussage?

Nein. Neben intrinsisch sicheren Systemen sind es vor allem Konzepte aus der Sensorik sowie der Steuerungs- und Regelungstechnik, die auch intrinsisch unsichere Systeme sicher machen können.

Sie haben sich intensiv mit der sogenannten deterministischen Bewegungsplanung von Robotern in Echtzeit beschäftigt. Was verbirgt sich dahinter?

Damit Roboter auf Sensorsignale unmittelbar und deterministisch reagieren können, müssen sie Bewegungen in Echtzeit und unter Berücksichtigung von kinematischen, geometrischen und dynamischen Randbedingungen planen können. Es ist vergleichbar mit dem Reflex eines Menschen, der sich die Finger an einer heißen Herdplatte verbrennt. Wir ziehen die Hand unmittelbar zurück noch bevor wir wahrnehmen, dass wir uns die Finger verbrannt haben.

Inwiefern hat dieses Thema etwas mit MRK zu tun?

Die deterministische Bewegungsplanung gehört zu den grundlegenden Techniken, mit denen man Robotern beibringen kann, sich in Echtzeit kontrolliert, geplant und deterministisch zu bewegen und dabei Berührungen mit Menschen zu vermeiden.

Ist denn der Mensch überhaupt bereit, eng mit dem Kollegen Roboter zusammen zu arbeiten?

Natürlich, warum denn nicht? Gegebenenfalls bräuchte man eine Phase der Vertrauensgewinnung. Ich bin dennoch überzeugt, dass wir in Zukunft Technologien haben werden, die Menschen und Roboter immer dichter zu einander führen. Und die Zusammenarbeit wird dabei einen Mehrwert schaffen.

Ist es richtig, dass derzeit in der Robotik-Forschung insbesondere die Lernfähigkeit von Robotern bei der Zusammenarbeit mit dem Menschen verfolgt wird?

Ja, das ist richtig. Allerdings stehen wir hier noch ganz am Anfang. Es gibt derzeit noch keine ausreichenden Methoden, die Aspekte der funktionalen Sicherheit in erlernten Systemen so abdecken, dass sie in der Praxis eingesetzt werden können.

Welche Methoden werden daraus in Zukunft resultieren?

Wir sehen bereits heute, dass Roboter und Applikationen durch maschinelles Lernen profitieren. Vor allem die perzeptiven Fähigkeiten werden dadurch immer besser. Dies ist der Bereich, wo große Datenmengen entweder vorhanden sind oder relativ einfach erzeugt werden können. Man kann sich zum Beispiel vorstellen, dass über Softwareschnittstellen in der Cloud, die es heute bereits gibt, neue Applikationen möglich gemacht werden, indem man den Robotern Augen und Ohren gibt. Im Aktorik-Bereich wird der Fortschritt langsamer sein, denn die Datensammlung in der physischen Welt ist sehr teuer und applikationsspezifisch. Hinzu kommt, dass die Daten, die in einem Simulator erzeugt werden, oft nicht gut genug sind, wenn komplexe physikalische Prozesse involviert sind. Deswegen ist zu erwarten, dass Algorithmen des maschinellen Lernens vorerst einen Mehrwert bei der Optimierung von bestehenden Applikationen bringen und bei Anwendungen genutzt werden können, die keine oder kaum physikalische Prozesse erfordern.

Lernen ist nicht gleich lernen. Dem Roboter kann man auf verschiedene Weise etwas beibringen. In diesem Zusammenhang fallen Begriffe wie Deep Learning, Reinformance Learning und Transfer Learning. Was verbirgt sich hinter Deep Learning?

Das Deep Learning bezieht sich auf die Architektur von künstlichen neuronalen Netzen. Es besagt, dass man zwei oder mehr Schichten nutzt. Diese Architektur hat sich insbesondere bei Bilderkennung bewährt.

Was bedeutet Reinformance Learning?

Reinforcement Learning ist ein Verfahren, bei dem ein Agent, zum Beispiel ein Roboter, eine Aktion in seiner Umgebung ausführt und diese Aktion und deren Konsequenzen beobachtet. Dafür bekommt er eine Belohnung. Das merkt er sich, um es beim nächsten Mal besser zu machen. Ein einfaches, analoges Beispiel ist das Trainieren eines Hundes. Der Hund bekommt eine Belohnung, wenn er etwas gut gemacht hat.

Bleibt noch das Transfer Learning.

Hierbei geht es darum, ein Model in einer Umgebung zu trainieren und es dann in eine andere Umgebung zu transferieren. Zum Beispiel kann man ein Modell im Simulator trainieren und dann auf physische Systeme übertragen. Oder eine Anwendung wird auf einem Roboter gelernt und lässt sich dann übertragen auf einen anderen Roboter mit andern Eigenschaften.

Welche Bedeutung haben diese Begriffe für den Geschäftsführer eines mittelständischen Maschinenbauers, der sich zum Beispiel gerade mit der Frage beschäftigt, ob er in seinem Unternehmen MRK einführen soll oder nicht?

Zunächst möchte ich festhalten, dass MRK und maschinelles Lernen gerade zwei Buzz-Words sind, die nicht notwendigerweise mit einander zusammenhängen. Am Ende wird es für den Maschinenbauer entscheidend sein, dass durch den Einsatz einer Technologie oft ein betriebswirtschaftlicher Mehrwert entsteht. Wann der entsteht, hängt stark vom Anwendungsfall ab und lässt sich nicht verallgemeinern. In jedem Fall werden Techniken für MRK-Anwendungen und maschinelles Lernen immer kostengünstiger und einfacher einzusetzen sein. Zweifellos wird der Mehrwert, der durch diese Techniken in den nächsten Jahren für die Unternehmen entstehen wird, rasant zunehmen.

Werden schon bald komplexe Robotik-Anwendungen möglich sein, von denen wir uns heute noch keine Bild machen können?

Ich würde hier gerne zu etwas mehr Realismus raten. Die oben angesprochenen Techniken werden neue Applikationen möglich machen und viele bestehende Anwendungen verbessern. MRK und das maschinelle Lernen sind neue und wichtige Werkzeuge. Aber sie sind kein Universalwerkzeug, mit dem plötzlich alles möglich wird.

In diesem Zusammenhang warnen Sie vor einer „Hollywood-geprägten Erwartungshaltung“. Was meinen Sie damit?

Dass wir uns in einer industriellen Umgebung bewegen und nicht in Hollywood. Viele Roboter, die wir aus Filmen kennen, haben menschenähnliche motorische und kognitive Fähigkeiten und zeigen manchmal sogar Gefühle. Auch wenn das alles theoretisch denkbar ist, ist die Robotik noch lange nicht soweit. Leider ist die Erwartungshaltung in der Bevölkerung jedoch geprägt von Science-Fiction-Filmen.

Was tut sich derzeit im kalifornischen Silicon Valley? Hier gibt es jede Menge Robotik-Start-ups und noch mehr Geld.

In Kalifornien hat sich die Zahl der Start-up-Firmen im Bereich Robotik in den letzten wenigen Jahren vervielfacht. Die Themen, die hier verfolgt werden, schließen viele Teilgebiete der Robotik ein: Industrieroboter, Serviceroboter, Ernteroboter, Roboter für die Logistik und so weiter. Im Allgemeinen erkennt man einen starken Innovationsschwerpunkt um die Algorithmen des maschinellen Lernens. Dieses Thema ist hier stärker ausgeprägt als in Deutschland.

Wie weit ist China mit diesen Themen?

In der Forschung haben die Chinesen die USA bereits überholt. Daraus kann man ableiten, dass China in spätestens zehn Jahren hier weltweit eine führende Rolle spielen wird.

Stimmt es, dass derzeit in China eine Generation von Ingenieuren heranwächst, die das Robotik-Thema wirklich versteht und vorantreibt?

Die Zahl der jährlichen Studienabgänger im Bereich Robotik ist in China sicher ein bis zwei Größenordnungen höher als in Deutschland. Es wächst das Verständnis für Forschung und Entwicklung von neuen Methoden und Konzepten in der Robotik und für Algorithmen des maschinellen Lernens. Die Qualität und das Level der Innovationen steigen stetig. In China wächst in der Tat eine ganz neue Generation von Entwicklern heran, die Machine Learning versteht.

Eine große Frage zum Schluss: Was halten Sie vom derzeitigen Hype um die künstliche Intelligenz und welche Rolle spielt der in der Robotik?

Die künstliche Intelligenz ist ein übergeordnetes Buzzword, das keine eindeutige Definition ermöglicht. Das Teilgebiet der KI, in dem heute vermutlich mit Abstand am meisten Werte geschaffen werden, ist das maschinelle Lernen. Die Algorithmen ermöglichen datengetriebene Ansätze in der Robotik. Wobei hier zu unterscheiden ist, ob Algorithmen für perzeptive Fähigkeiten oder für Aktorik eingesetzt werden. Für perzeptive Fähigkeiten bieten diese Algorithmen bereits heute einen enormen Mehrwert, zum Beispiel durch Bild und Spracherkennung. Auf dem Gebiet der Aktorik und insbesondere der physikalischen Interaktion zwischen Roboter und Umgebung machen wir derzeit noch die ersten Schritte. Langfristig jedoch werden datengetriebenen Ansätze die klassischen Algorithmen ergänzen oder komplett ersetzen.

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