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Schlag auf Schlag

blechbearbeitung: Adiabatisches TRennen
Schlag auf Schlag

Adiapress hat die erste Maschine zum adiabatischen Trennen flacher Blechteile entwickelt, die hinsichtlich der Güte der Schnittflächen die Qualität von Feinstanzmaschinen erreichen. Durch maximal 120 Hub pro Minute empfiehlt sie sich vor allem für eine Massenfertigung. Das Fraunhofer IWU entwickelt derzeit Verarbeitungsrichtlinien.

Keine Frage: Adiabatisches Trennen ist keine Erfindung der Neuzeit. „Nach der Literatur hat man bereits im zweiten Weltkrieg beobachtet, dass beim Durchschuss von Projektilen in Panzerplatten eine sehr saubere Schnittfläche entsteht“, erklärt Dr. Verena Kräusel, Abteilungsleiterin Blechbearbeitung am Fraunhofer Institut für Werkzeugmaschinen und Umformtechnik (IWU) in Chemnitz. Die saubere Schnittfläche ist das Ergebnis einer starken Temperaturerhöhung innerhalb einer kurzen Zeitspanne von unter 100 µs in einem begrenzten Materialvolumen. Die erzeugte Wärme hat somit keine Zeit, in die Umgebung der Prozesszone (Werkzeug oder -stück) abzufließen. Dadurch nimmt die Duktilität des Werkstoffs stark zu – und es erfolgt eine in scharfe Werkstofftrennung.

Dennoch wird das Verfahren in der Industrie bisher nur zum Trennen von Stangenmaterial eingesetzt, um Vorformen fürs Schmieden zu erzeugen. Beim Ausschneiden von Blechteilen ist es hingegen ein echter Newcomer. Dr. Kräusel kennt den Grund: „Die Anlagentechnik zur Erzielung der hohen Geschwindigkeiten fehlte bislang für die Serienfertigung in der Blechbearbeitung.“ Adiapress mit Sitz in Saint-Etienne füllt diese Lücke mit einer Anlage zum adiabatischen Trennen. Im Heimatland Frankreich wurden bereits die ersten Maschinen ausgeliefert, in Deutschland kanalisiert das Fraunhofer IWU die Interessen aus der Industrie.
Die am Institut installierte Adia 7, eine 7000-Joule-Anlage, arbeitet mit einer Geschwindigkeit von 10 m/s und 120 Hub pro Minute. Beim normalen Scherschneiden werden je nach Wahl der Presse nur Geschwindigkeiten zwischen 0,5 und 1,5 m/s erreicht. Beim Feinschneiden liegt der Wert in der Regel bei der Hälfte der Hubzahl. Nur in Einzelfällen seien hier 90 Hub/min möglich. „Doch dann beträgt die Blechdicke auch nur 3 mm“, argumentiert die Expertin. Die Maschine zum adiabatischen Trennen lässt bei der Geschwindigkeit hingegen derzeit bis zu 10 mm dickes Blech zu.
„Aktivteile wie Stempel und Matrize sind wie bei herkömmlichen Werkzeugen zum Scherschneiden ausgeführt. Der Aufbau der Werkzeuge unterscheidet sich indes deutlich“, erläutert Dr. Kräusel das Maschinenkonzept. Der große Unterschied: Die Beschleunigung des Stempels erfolgt durch einen hydraulischen Impuls. Zudem sorgen entsprechende Ventile für ein schnelles Öffnen und Schließen. So wird der Volumenstrom automatisch hin- und herbewegt, damit der nächste Hub schnell ausgelöst wird.
Mit der Maschine lassen sich beliebige zweidimensionale Konturen in verschiedenen Materialien wie Aluminium, Stahl oder auch Edelstahl und Kupfer ausstanzen. Das Bandmaterial mit einer Breite von bis zu 200 mm wird wie beim IWU als Streifen beliebiger Länge oder als Coilmaterial zugeführt.
Dabei hängen Material und Kontur immer davon ab, welche Energieleistung die Maschine liefert. Entsprechende Verarbeitungsrichtlinien entwickelt das Institut. Damit will es Fragen potenzieller Kunden beantworten wie: Wie erfolgt die Werkzeugauslegung, um ein bestimmtes Bauteil zu fertigen? Für welches Bauteil und für welche Stähle benötige ich welchen Energiebedarf? „Wir bereiten unser Wissen so auf, dass das adiabatische Verfahren zur Blechteilbearbeitung in der Industrie gezielt Anwendung findet“, sagt Dr. Kräusel. „Weiterhin wollen wir deutsche Unternehmen, die eine solche Anlage kaufen, sowie Werkzeugbauer befähigen, Werkzeuge für dieses spezielle Verfahren zu fertigen.“
Das Interesse in Deutschland bezeichnet die Wissenschaftlerin als groß. Hersteller von Sitzverstellungen oder Tellerfedern in hoher Stückzahl haben angefragt. Die Adia 7 kostet mit rund einer halben Million Euro gerade einmal ein Drittel einer Feinschneidpresse. „Und dabei ist sie wesentlich schneller und kommt ohne zusätzliche Beölung aus“. Die Anwender sparen nicht nur die Ausgaben für die Schmierstoffe, sondern auch die Kosten für das anschließende Reinigen der Blechteile. Die Expertin: „Beim Feinschneiden liegen die Teile ja in der Regel saftig im Öl.“
Auch die Produktqualität sei durchaus vergleichbar, wenn nicht sogar höher: Denn die adiabatisch ausgeschnittenen Teile haben trotz des gegen Null gehenden Glattschnittanteils (es handelt sich zu fast 100 % um eine feinkörnige Bruchzone) sehr rechtwinklige und rissarme Schnittflächen bei einer hohen Maßgenauigkeit. Zudem weisen die Bauteile eine sehr geringe Deformation der Schnittfläche, einen sehr geringen Einzug und nahezu keinen Grat auf. Eine Nachbearbeitung sei daher nur selten erforderlich.
Auch die Werkzeugwechselzeit spricht laut der IWU-Expertin für die Maschine: Die Tools sind innerhalb weniger Minuten von der Spannung zu lösen und mit einem Kran abzuheben. Die Justage des neuen Werkzeugs funktioniert ebenfalls in kurzer Zeit.
Damit die Lärmbelastung durch die Schläge in der Fertigung erträglich bleibt, hat Adiapress die Maschine in einer Geräuschbox gekapselt. Das Ergebnis: Der Pegel liegt unter 85 dB und entspricht damit der EU-Lärmschutzrichtlinie 2002/44/EG und 2003/10/EG. Nur in einem Punkt sieht Dr. Kräusel die Anlage im Nachteil gegenüber konventioneller Pressentechnik: „3D-Bauteile lassen sich damit nicht fertigen. Das heißt, Kröpfungen und Abbiegungen sind nicht möglich.“ Eine Verbesserung stellt sie doch in Aussicht: „Mit der Variation des Energiebedarfs sind bald auch Durchsetzungen oder Ausstülpungen realisierbar.“
Sabine Koll Journalistin in Böblingen
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