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Sparen im Millisekundentakt

Digitale Ventile senken den Energieverbrauch in der Hydraulik
Sparen im Millisekundentakt

Sparen im Millisekundentakt
Mit einer Schaltzeit von etwa 1 ms bei einer Schaltfrequenz von 100 Hz gilt das digitale Hydraulikventil FSVI des Linz Center of Mechatronics als das schnellste seiner Art Bild: LCM
Sie sind günstig, robust, präzise und schnell: Digitale Ventile könnten für einen Modernisierungsschub in der Hydraulik sorgen. Das Linz Center of Mechatronics will nun die noch junge Technik in Serie fertigen und damit ihr Nischendasein beenden.

Wenn hydraulische Antriebstechnik zum Einsatz kommt, sind vor allem Kraft und Leistung gefragt. Auf die Energiebilanz solcher Systeme wurde in den vergangenen Jahren dagegen weniger geschaut. Kein Wunder also, dass der Nachholbedarf in Sachen Energieeffizienz in diesem Bereich besonders hoch ist. Eine mögliche Lösung stellen dabei digitale Hydraulikventile dar. Sie bieten im Vergleich zu klassischen Reglern wie Proportional- oder Servoventilen einen verbesserten Wirkungsgrad, sind robuster gegenüber Öl-Verunreinigungen und regeln den Druck deutlich schneller und präziser. Zudem sind sie in fast allen Bereichen der hydraulischen Antriebstechnik einsetzbar: von schweren Baumaschinen über automobile Antriebe bis hin zu Anwendungen im Werkzeugmaschinenbau.

Das Prinzip der noch jungen Technik haben die Entwickler aus der Elektronik übernommen. Hier sorgen Transistoren in Schaltnetzteilen für die Transformation der Spannung auf das Niveau, welches der jeweilige Verbraucher benötigt. Ähnlich funktioniert auch das digitale Ventil. Wie ein Transistor, der elektronische Signale schaltet und verstärkt, führt es dem Verbraucher – unabhängig vom Ausgangsdruck des Versorgers – den benötigten Druck zu. In der Industrie ist es aus Kostengründen üblich, dass eine Pumpe gleich mehrere Verbraucher versorgt. Gerade in einem solchen System können parallel geschaltete, digitale Hydraulikventile ihre Präzision und Schnelligkeit ausspielen und deutlich effizienter agieren als beispielsweise Servoventile.
An der Universität Linz in Österreich entstanden bereits in den 90er-Jahren die ersten Ideen für energieeffiziente Lösungen in der Hydraulik. Das über die Jahre gewachsene Know-how wird inzwischen im Linz Center of Mechatronics (LCM) gebündelt. Hier arbeitet ein Team um Dr. Bernd Winkler an der Serienreife eines besonders leistungsstarken Digitalventils. Mit Schaltzeiten von etwa 1 ms bei einer Schaltfrequenz von 100Hz gilt das so genannte FSVI (Fast Switching Valve with integrated Electronics) sogar als das schnellste seiner Art. Um diese Leistung zu erreichen, haben die Ingenieure am LCM das Zusammenspiel zwischen dem magnetischen Aktor, der Steuerelektronik und den mechanischen Komponenten optimiert. So konnten sie nicht nur die Dynamik des Ventils verbessern, sondern auch die für die Ventil-Steuerung benötigte Energie reduzieren.
Doch damit nicht genug: Durch den Einsatz des LCM-Ventils soll der Energieverbrauch des gesamten hydraulischen Antriebssystems deutlich sinken – und zwar bis zu 80 %. Die schnelle und präzise Regelung des Ölflusses durch das FSVI senkt die Abwärme. Die bei Hydraulikanalagen üblichen Kühlsysteme können dadurch kleiner dimensioniert werden oder entfallen sogar komplett. Aufgrund der niedrigeren Temperaturen sind zudem geringere Ölmengen zur Versorgung des Hydrauliksystems notwendig. Dies senkt die Kosten und reduziert das Umweltrisiko.
Des Weiteren gilt das Ventil als besonders robust. Auch dabei spielt die schnelle Schaltzeit eine entscheidende Rolle. Klassische Regler wie Servoventile arbeiten oft im sogenannten Feinsteuerbereich: Benötigt das Hydrauliksystem nur geringe Mengen Öl, verengt das Ventil die Öffnung auf wenige Mikrometer. In diesem Moment können selbst kleinste Verunreinigungen im Öl die Ventilsteuerung beeinträchtigen oder sogar zu einem Versagen der Regeltechnik führen. Arbeitet ein Ventil im Feinsteuerbereich, führt dies außerdem zu einer schnelleren Abnutzung der Steuerkante. Diese Probleme können beim FSVI nicht auftreten. Denn es öffnet den Durchfluss stets so weit, dass Schmutzpartikel den Betrieb nicht stören können. Geringe Durchflussmengen ermöglicht es im Gegensatz zum Servoventil durch die kurzen Schließ- und Öffnungszeiten im Millisekunden-Takt. Da die Ölreinheit wesentlich unkritischer ist als bei Servoventilen, sinkt auch der Aufwand hinsichtlich der Filterung und Wartung des Öls im Antrieb. Auch größere Durchflussmengen stellen für das FSVI kein Problem dar. Statt den entsprechenden Verbraucher mit einem großen Ventil zu versorgen, kann der Anwender einfach mehrere digitale Regler parallel schalten.
Die schnellen Schaltzeiten sind die größte Stärke und zugleich die einzige Schwäche des digitalen Ventils. Zum einen beschleunigen sie die Produktionsgeschwindigkeit von hydraulischen Anlagen und senken dadurch die Stückkosten in der Produktion. Zum anderen können sie so genannte Pulsationen verursachen. Dabei handelt es sich um Druckstöße, die den Geräuschpegel eines hydraulischen Systems deutlich erhöhen. Hier arbeiten die Ingenieure vom Linz Center of Mechatronics derzeit noch an einer Lösung, welche die Pulsationen auch bei schnellen Schaltzeiten verringern soll.
Beim Thema Anschaffung kann das FSVI hingegen erneut punkten. Denn aufgrund der einfachen Bauweise und der geplanten Serienfertigung ist es im Vergleich zu anderen Hydraulikventilen kostengünstiger. Zudem hoffen die Linzer, mit der Einführung des Ventils einen neuen Standard in der Hydraulik etablieren zu können. Dies hätte auch Vorteile für die Anwender, die nicht selten ein System mit Ventilen unterschiedlichen Typs und von verschiedenen Herstellern betreiben. Im Vergleich zu den bisherigen Lösungen soll insbesondere für den Anwender der Umgang mit den digitalen Ventilen einfacher sein. Dies liegt unter anderem an der einfachen Regelbarkeit und den längeren Wartungsintervallen.
Zu den Besonderheiten des Ventils aus Linz zählt auch die Temperaturüberwachung des magnetischen Aktors. Statt einem integrierten Sensor setzten die LCM-Ingenieure auf Erfahrungswerte. Anhand der Schaltzyklen bestimmen sie die jeweilige Temperatur und stellen so den Betrieb des Ventils im energieoptimalen Bereich sicher.
Die Entwicklung des FSVI zeigt, welche Einsparpotenziale die Hydraulik auch heute noch bietet. Die digitalen Ventile könnten für einen regelrechten Modernisierungsschub in dieser Technik sorgen. Davon ist offenbar auch die Jury des Hermes Awards überzeugt. Denn das LCM zählte in diesem Jahr zu den fünf Nominierten des renommierten Technologiepreises.
Weitere Informationen: www.lcm.at

Linz Center of Mechatronics

Die Linz Center of Mechatronics GmbH (LCM) ist ein österreichisches Unternehmen für angewandte Mechatronikforschung mit Sitz in Linz. Gegründet wurde sie im Jahr 2001. Die Bandbreite des LCM reicht von der Grundlagenforschung bis hin zur Entwicklung marktreifer Produkte. Zu den Schwerpunkten zählen dabei neben der hydraulischen Antriebstechnik unter anderem auch die Bereiche Sensorik und Kommunikationstechnik sowie Mechatronisches Design und Prozesssimulation.

„Die Suche nach Partnern war zu Beginn nicht so einfach“

Nachgefragt

Herr Dr. Winkler, was hat den Anstoß für die Entwicklung des weltweit schnellsten, digitalen Hydraulikventils gegeben?
Die Idee, für die Hydraulik ein ähnliches Verfahren zu entwickeln, wie man es in der Leistungselektronik bereits hatte, entstand in den 90er-Jahren, damals noch an der Universität Linz.
War es schwierig, Partner für dieses Projekt zu finden?
Die Suche war zu Beginn nicht so einfach. Da die Anwendungsmöglichkeiten für unsere Idee jedoch immer weiter zunahmen, entschlossen wir uns im Jahr 2008, das Ventil zunächst ohne einen industriellen Partner zu bauen.
Warum diese Vorsicht seitens der Industrie?
Es handelt sich um eine neue Technologie. Das sehen sich die Unternehmen am liebsten erst einmal aus der Distanz an. Es könnte ja ein Nischenmarkt bleiben.
Haben Sie denn inzwischen ein Unternehmen vom Nutzen der neuen Technologie überzeugen können?
Wir haben unter anderem einen Partner gewinnen können, der das Ventil fertigen wird. Gemeinsam mit ihm haben wir es so vereinfacht, dass es vom Preis her deutlich günstiger ist, als wir es bisher anbieten konnten.
Also ist der Weg bis zur Serienreife nicht mehr weit?
Wir haben jetzt gerade die Phase abgeschlossen, in der wir festgelegt haben, welche Korrekturen am Ventil noch notwendig sind. Zudem ist eine Firma in Gründung, die das Ventil vermarkten soll.
Gibt es denn auch schon konkrete Kundenanfragen?
Ja, beispielsweise von einem Unternehmen, das ein besonders schnelles Ventil für eine Energieerzeugungsanlage benötigt. Der Kunde testet es bereits. Wenn die Tests gut laufen, dann ist die Chance recht groß, dass wir in diesem Fall auch als Lieferant auftreten werden. sb
Industrieanzeiger
Titelbild Industrieanzeiger 7
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