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Spritzguss mit cleverer Oberfläche

Touch-Bedienpanels: Folienverbunde ersetzen teure Hardware
Spritzguss mit cleverer Oberfläche

Geräte-Bedienfelder | Vier Jahre nach den ersten Demonstratoren präsentiert das Linzer Unternehmen Plastic Electronic ein serientaugliches Touch-Panel auf Folienbasis, das sich im Spritzguss integrieren lässt. Durch die neuartige Hinterleuchtungs-Strategie wird der Bediener interaktiv geführt.

Reinhard Bauer Fachjournalist in Gmünd/Österreich

„Wie finden Sie unsere neue Touch-Bedienung für Waschmaschinen?“ So beginnt der Youtube-Film, den Philipp Weissel einem internationalen Publikum von Kunststoffexperten vorführte. Der CEO der österreichischen Plastic Electronic GmbH zeigt damit, was seine neuartige Folientechik vermag – und wie sie beim Consumer-Publikum ankommt. Die Filme sind sehenswert (Links in der Fußnote), denn eine derartig geführte Waschmaschine gabs noch nie: Die Menüpunkte leuchten nur dann auf, wenn sie relevant sind. So zeigen sie dem Bediener Schritt für Schritt, was er wie waschen kann. Er wird interaktiv geführt.
Entsprechend begeistert äußerten sich die Leute, die im Film zu Wort kamen. In einer Testumfrage sollen sie die Technik äußerst positiv bewertet haben: mit durchschnittlich 6,06 von sieben möglichen Punkten. Aus industrieller Sicht mindestens ebenso einschneidend ist, dass sich damit Herstellkosten senken lassen. Denn die hochwertigen Funktionsfolien machen etliche Zusatz-Hardware überflüssig.
Weissels Zuhörer konnten die industrielle Bedeutung sehr wohl einschätzen. Denn der Geschäftsführer präsentierte die neue „Mulitskin“-Technologie im April als Gastbeitrag auf den „MacroPower Days“ des Spritzgießmaschinenherstellers Wittmann Battenfeld, der dazu Kunden aus aller Welt nach Kottingbrunn eingeladen hatte. „Mit diesem Projekt haben wir uns weit aus dem Fenster gelehnt“, sagt Weissel. Denn die auf auf der Messe K 2010 vorgestellte „Touchskin“-Technologie habe damals zwar für Aufsehen gesorgt. Sie stieß aber auch auf Kritik, weil die Betrachter eine Beleuchtungsfunktion vermissten. Darauf hin sei man in Linz „in sich gegangen“ und habe die Folientechnik weiter entwickelt – mit dem jetzt bekannt gemachten Ergebnis.
Bereits mit dem Bedien-Panel, das 2010 auf dem Messestand des Spritzgießmaschinenherstellers Engel Austria gezeigt wurde, ist der Nachweis gelungen, dass Ein/Aus-Schalter, Dreh- und Schiebe-Potenziometer mittels Funktionsfolien direkt in ein Kunststoffbauteil integriert werden können, ohne zusätzliche Anbauteile. Die Funktionsintegration erfolgt dabei durch das Hinterspritzen zweier Folien (Sensor- und Dekorfolie), getrennt durch eine Kernschicht aus Kunststoff. Neben dem eigentlichen Funktionsnachweis konnte Plastic Electronic auch die 3-dimensionale Verformbarkeit der Schaltungsträgerfolie demonstrieren, allerdings noch mit relativ geringem Verstreckungsverhältnis.
Im nächsten Schritt konzentrierten sich die Oberösterreicher darauf, die 3-dimensionale Verformbarkeit der Folien (genauer, der darauf befindlichen Leiterbahnen) zu steigern. Das Ergebnis war das auf der Fakuma 2011 gezeigte „Sensitive Surface-Konzept“ in Form einer Pkw-Mittelkonsole mit integrierter Sensor-Multifunktionsbedienung, die für den Magna-Konzern entwickelt wurde. Trotz aller Fortschrittlichkeit und Funktionalität war der Durchbruch zur Serie damit noch nicht geschafft, weil es an einer Hinterleuchtbarkeit der Sensorzonen fehlte – eine unabdingbare Voraussetzung für die Anwendung bei Dunkelheit.
Die Integration eines Hinterleuchtungssystems gab der „Touchskin“-Technik dann eine vollkommen neue Richtung. Denn das Lichtleitsystem ließ sich nicht wie bisher durch eine zusätzliche Folienlage integrieren, sondern erfordert eine Mindestdicke von 1,0 bis 1,5 mm, um LED-Leuchtelemente und Lichtleitflächen aufzunehmen. Der Begriff „Folie“ ist daher in diesem Zusammenhang etwas unpräzise und die Bezeichnung „Platte“ eher zutreffend. Beim Projekt der Waschmaschinenkonsole trifft dies auch auf die äußere Dekorfläche zu, die eigentliche Bedienoberfläche. Auch ihre Schichtdicke wurde auf 1 mm erhöht, weil Flächenteile großer Haushaltsgeräte eine hohe Stabilität erfordern. Damit nähert sich die Gesamtdicke der Konsole an die 3 mm an. Jedoch sei an dieser Stelle angemerkt, dass ähnliche Dekoreffekte auch mit dünneren Schichtdicken realisiert werden können.
Durch die Neukonzeption tritt nun an die Stelle des Touchskin-Folienkonzepts der Multiskin-Folienverbund. Dazu Plastic-Electronic-Geschäftsführer Philipp Weissel: „Multiskin steht für Verbundbauteile mit großer Variabilität. Denn das Beschichtungs-Layout kann innerhalb vorgegebener Designregeln frei variiert werden.“ Die so hergestellten Verbunde gewähren nicht nur kreative Möglichkeiten für das Produkt- und Bediendesign, sondern bieten auch enormes Kostenspar-Potenzial. Dieses resultiert aus der Möglichkeit, Anbauteile und die damit verbundenen Montagevorgänge durch Folienfunktionen weitgehend bis vollständig zu ersetzen und, nicht zuletzt, aus der flexiblen Farb- oder Dekor-Individualisierung auch bei kleinen Losgrößen.
Bei dem nun vorgestellten Waschmaschinen-Bedienpaneel, das genauso gut auch für andere Haushaltsgeräten hätte konzipiert werden können, sind 40 hinterleuchtbare Bedien-Buttons implementiert. Die Entwicklung war nicht ausschließlich auf die Lösung der technischen Fragen fokussiert, sondern schloss das Bedienkonzept und dessen Akzeptanz von Anfang an mit ein. Die Bedienlogik wurde auf Basis einer umfangreichen Kundenbefragung entwickelt. Sie umfasst sechs sequentiell angeordnete Sensorgruppen (Programmwahl, Drehzahl- und Temperaturvorwahl, zwei Optionsgruppen und die Zeitvorwahl), die für das Schaltkreis-Layout zu vier elektronischen Funktionskreisen zusammengefasst wurden, jeweils angesteuert von einem eigenen PCB (Printed Circuit Board).
Die PCBs befinden sich als SMD-Bauteile direkt auf der Schaltungsträgerfolie (PET- oder PEN-Folie), die die unterste Lage des Verbundbauteiles darstellt. Darüber ist die zentrale Lichtsystem-Platte aus opakem PET oder PC angeordnet, in die Aussparungen für die LEDs und Lichtleitflächen ausgestanzt sind, ebenso wie Freistellungen für die PCBs auf der benachbarten Schaltungsträgerfolie.
Die Deckschicht ist die Dekor- beziehungsweise Bedienoberfläche. Sie ist im Projekt als 1 mm dicke PMMA-Platte ausgeführt und auf der Rückseite mit einer schwarzen Siebdruckfläche versehen. Die durch Betätigen jeweils aktivierte Lichtquelle lässt die entsprechende Button-Position kontrastreicher erscheinen, während nicht beleuchtete Positionen hinter der schwarzen Beschichtung nahezu unsichtbar bleiben. Dadurch ergibt sich ein „Black-Panel-Effekt“.
Im Produktionsprozess werden alle fertigkonfektionierten Folien zusammengeführt und zu einer Platte laminiert. Deren hohe Strukturstabilität macht sie zum einbaufertigen Bauteil.
Während Touchskin-Bauteile aus der ersten Entwicklungsphase ihre Stabilität durchweg durch das Hinterspritzen von Folien erhielten, haben die Multiskin-Bauteile so viel Eigenstabilität, dass das Hinzufügen einer Spritzgießstruktur nicht mehr zwingend erforderlich ist. Die Laminate können direkt verbaut werden, zum Beispiel in Gehäuseausnehmungen.
Für Einbausituationen, bei denen ein Direkteinbau der Verbundplatte nicht möglich ist, hat das österreichische Werkzeugbau- und Spritzgieß-Unternehmen Schöfer aus Schwertberg eine Montagemethode entwickelt, mit der sich Multiskin-Bauteile durch Spritzgießen integrieren lassen. Dazu Firmenchef Gerald Schöfer: „Auch wir nutzen die gute Eigenfestigkeit der Verbundteile, die nicht mehr aufwändig durch Hinterspritzen stabilisiert werden müssen. Aber durch Spritzgießen fügen wir Halterahmen und Montagepunkte hinzu. Dazu handhaben wird die Laminate als Einlegeteile und spannen sie so sanft wie möglich im Spritzgießwerkzeug vor.“ Für großflächige Multiskin-Platten können die angespritzten Strukturen aber auch Abstützungen in Form von hinterspritzten Rippen und Stegen sein.
Aus Sicht von Philipp Weissel ist der Serienanwendung damit der Weg bereitet. Seinen Blick richtet er nun auf das Begleiten von Serieneinführungen und in den weiteren Entwicklungsanstrengungen auf analoge Möglichkeiten für 3D-Designs. •

Der Multiskin-Folienverbund
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