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Um Millisekunden schneller als der Crash

Werkzeugmaschinen: KoBaSis stoppt vor der Kollision
Um Millisekunden schneller als der Crash

Wenn’s knallt, wird es meist teuer. Und je schneller eine Kollision zwischen Werkzeug und Werkstück abläuft, desto höher ist der Schaden. Blitzschnell auslösende Schutzsysteme wie KoBaSiS schaffen Abhilfe.

Wolfgang Filì Journalist in Köln

Bis zu 23 000 Euro kann eine Kollision zwischen Werkstück und Werkzeug kosten. Dabei sind lediglich die Service- und Ersatzteilkosten berücksichtigt, noch nicht aber der indirekte Schaden durch Ausfallzeiten und verpasste Liefertermine. Dies ergab eine gemeinsame Studie des Instituts für Konstruktionstechnik und Technisches Design (IKTD) an der Universität Stuttgart und des Laboratoriums für Werkzeugmaschinen und Betriebslehre (WZL) der Aachener RWTH.
So verschieden die Strukturen der befragten Anwender und Hersteller von Werkzeugmaschinen auch waren, so eindeutig war das Resultat: Fehlerhafte Bedienung und Programmierung und das Einspannen falscher Werkzeuge sind die Hauptursachen für Crashs zwischen Spindeln und Tools mit Vorrichtungen sowie Teilen.
Unter diesen gegebenen Voraussetzungen Abhilfe schaffen könnte ein Sicherungssystem, wie es IKTD und WZL gemeinsam mit fünf industriellen Partnern entwickelt haben. KoBaSiS – das Akronym steht für ‚Kontakterkennungsbasiertes Überlastsicherungssystem (für Werkzeugmaschinen mit Spindel-Mutter-Antrieb)’ wurde vom Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie gefördert und ist seit Mai 2008 abgeschlossen. Die steuerungstechnischen Komponenten wurden am WZL entwickelt, während das IKTD für die mechanischen Komponenten zuständig zeichnete. Geldwertes Resultat des Forschungsprojekts: KoBaSiS kommt teuren Crashs um Millisekunden zuvor.
Ausgangspunkt der Entwicklung waren die gängigen Schutzstrategien. So trennen mechanische Überlastkupplungen beim Überschreiten einer vorgegebenen Kenngröße den Kraftfluss innerhalb der Maschine und verhindern damit, dass Komponenten überlastet werden. Einen anderen Ansatz bieten Softwarelösungen, die mit externer Sensorik ebenfalls eine Grenzwertüberschreitung überwachen. Der Trend geht dabei zu mitlaufenden Schwellen oder Hüllkurven, die den Grenzwert dem Prozessverlauf entsprechend dynamisch anpassen.
Ein Problem bei den mechanischen Schutzsystemen ist jedoch die unzureichende Genauigkeit der Auslöseschwelle. Ganz anders die Softwarelösung: Hier lassen sich die Hüllkurven zwar sehr genau bestimmen. Allerdings müssen der Prozess und die auftretenden Signale bestens bekannt sein, um Störungen eindeutig zu identifizieren. Eine Überschreitung der Grenzwerte ist in jedem Fall bei beiden Methoden erforderlich. Oft kündigt aber auch schon ein bevorstehender Kontakt zwischen Tool und Teil eine nahende Kollision an. Und es reicht aus, die Antriebsmotoren stark abzubremsen, um sie zu verhindern.
KoBaSiS setzt genau hier an und erkennt eine Kollision in zwei Schritten: Zum einen wird der Kontakt zwischen Werkzeug und Werkstück registriert und diese Information sofort an eine Entscheidungslogik weiter geleitet. Zum anderen wertet letztere prozessrelevante Signale kontinuierlich aus – also unabhängig vom Berührungssignal. Droht ein Kollisionskontakt, wird bereits ab der ersten Berührung reagiert.
Dazu bietet KoBaSiS zwei Ansätze: Entweder bremst das System die Vorschubantriebe vollständig ab, oder eine Überlastkupplung reagiert auf ein Signal der Entscheidungslogik und trennt schlagartig die rotierenden von den translatorisch bewegten Bauteilen. Anschließend werden die entkoppelten Komponenten durch ein externes Bremssystem gestoppt.
Auf den ersten Blick erscheint diese zweigeteilte Kollisionserkennung vielleicht komplexer als das bloße Erkennen überschrittener Kenngrößen – sei es über Wirkleistungsmessungen oder externe Beschleunigungssensoren. Näher besehen, bewirkt diese Aufteilung einen effektiven Schutz für Maschine, Werkstück und Bearbeitung. Denn abhängig von der jeweiligen Situation, in der ein Kontakt erkannt wird, kann die Entscheidungslogik den Prozess weiterführen oder einen Notstopp einleiten.
So führt ein Kontakt im Eilgang unmittelbar zum Stopp, ohne dass dafür Verformungskräfte an der Werkzeugmaschine gemessen werden müssen. Die Werkzeugmaschine wird dadurch bereits die entscheidenden Millisekunden vor der Kollision gebremst. Ergibt sich ein erster Bearbeitungskontakt bei hohem Tempo, passt die Entscheidungslogik die Vorschubgeschwindigkeit an, ohne dabei den Prozess zu stoppen oder gar anhand eines externen Bremssystems eine Konturverletzung zu riskieren.
Da die Signalmuster im Vorfeld des Prozesses nicht eigens erlernt werden müssen, dürfte das KoBaSiS-Überlastschutzsystem sich vor allem in der Bearbeitung kleiner Losgrößen und der Einzelfertigung bezahlt machen. Und mehr noch: Die mechatronischen Sicherheitskomponenten könnten nicht nur in Werkzeugmaschinen, sondern auch in Druckmaschinen oder Förderanlagen eingesetzt werden.
Mehr Sicherheit auch in der Einzelfertigung

Mechatronik verhindert das Schlimmste

Bedien- und Programmierfehler sind die häufigsten Ursachen, wenn Tools und Teile kollidieren. Die Folgen zusätzlich zum Werkzeugbruch sind Maschinenschäden und Ausfallzeiten. Neben der Hauptspindel – in Werkzeugmaschinen die präzisionsrelevante Komponente schlechthin – werden oft Spindelmutter-Systeme zum Antrieb der Werkzeugsschlitten eingesetzt. Sie sind bei Kollision am ehesten gefährdet. Bei KoBaSiS schützt eine Kupplung sie vor Aufprallkräften, indem sie den Kraftfluss abrupt unterbricht. Gleichzeitig wird der Schlitten auf wenigen Millimetern Strecke gestoppt. Dies verhindert Schäden an der Hauptspindel. Sicherheitskupplung und -bremse werden hydraulisch über ein speziell entwickeltes Sitzventil geschaltet. Das System arbeitet mechatronisch: Bei Kollision setzen elektrisch angesteuerte Aktoren die mechanischen Komponenten in weniger als 5 ms still.

Neue Technologien
Kommt es zu Kollisionen von Spindel oder Werkzeug mit Werkstück oder Vorrichtungen, werden Werte zerstört. Je rascher die Fertigungsabläufe, um so höher der Aufwand für Instandsetzung und Wiederaufnahme der Fertigung. Schneller als ein Wimpernschlag auslösende Überlastsicherungssysteme könnten die Schäden in den meisten Fällen zuverlässig vermindern. KoBaSiS, ein von zwei universitären und fünf industriellen Partnern entwickeltes System, stellt dies jetzt sicher.
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