Rezyklate sind wiederverwertete Kunststoffe, zum Beispiel aus PE (Polyethylen), PP (Polypropylen) oder PET (Polyethylenenterephtalat), die für die Herstellung neuer Produkte genutzt werden können. Kunststoffrezyklate sollten vermehrt eingesetzt werden, um Abfälle zu vermeiden und negative Umweltauswirkungen zu reduzieren. Gesetzliche Vorgaben wie die zukünftige EU-Altfahrzeugverordnung unterstreichen diese Zielsetzung. Die Richtlinie soll Hersteller von Fahrzeugen und Bauteilen dazu anregen, Wiederverwertungs- und Recyclingmöglichkeiten schon beim Produktdesign zu berücksichtigen. Doch genau das, was völlig simpel klingt, bedeutet für die Praxis umfangreiche Herausforderungen.
Die Herausforderung: Qualitätsunterschiede der Rezyklate
Die Qualität von Kunststoffrezyklaten ist häufig von den Bedingungen der vorherigen Lebenszyklusphasen geprägt; dementsprechend sind Qualitätsschwankungen und auch Performanceeinbußen die Folge. „Werden Rezyklate für die Herstellung von Bauteilen genutzt, können zum Beispiel bei lackierten Fahrzeugteilen verstärkt Enthaftungen, Verfärbungen oder Oberflächenunebenheiten auftreten“, sagt Katharina Tonn, Doktorandin der Volkswagen AG im Bereich Vorentwicklung Bodysystem in Wolfsburg. „Das geht mit kosten- und zeitintensiven Nacharbeiten, Ausschüssen oder Beanstandungen einher.“
Vor diesem Hintergrund hat sie sich mit dem Thema Charakterisierung der Lackierfähigkeit von Kunststoffrezyklaten auseinandergesetzt. Am zweiten Tag des internationalen VDI-Kongresses PIAE (Plastics in Automotive Engineering, ehemals „Kunststoffe im Automobilbau“) stellt Katharina Tonn die Ergebnisse ihrer Untersuchungen vor.
Beteiligt an den Untersuchungen waren Prof. Christoph Herrmann, TU Braunschweig und Fraunhofer-Institut für Schicht- und Oberflächentechnik IST in Braunschweig, sowie Prof. Michael Thomas, ebenfalls IST und Fraunhofer-Zentrum Circular Economy für Mobilität CCEM, Wolfsburg.
Erster Schritt: Einflüsse auf Lackierfähigkeit ermitteln
Qualitätsschwankungen erschweren einen Einsatz in anspruchsvollen Anwendungen wie bei lackierten Fahrzeugumfängen. Zur Prävention sind die Rezyklatqualitäten daher frühzeitig mit Blick auf ihre Lackierfähigkeit zu charakterisieren. „Die standardisierten, derzeit angewendeten Prüfmethoden müssen für einen Rezyklateinsatz optimiert werden, da sie für eine chargenweise Wareneingangskontrolle zu aufwändig sind und erst am lackierten Produkt Anwendung finden“, erklärt Tonn. Vor diesem Hintergrund präsentiert ihr PIAE-Beitrag die Einflussfaktoren auf die Lackierfähigkeit und leitet erste Ansatzpunkte ab, um Kunststoffrezyklate effizient zu charakterisieren.
„Zur Ableitung alternativer Charakterisierungsmethoden sind Korrelationen zwischen dem lackierten Erscheinungsbild und substratspezifischer Kenngrößen zu ermitteln. Dafür müssen im ersten Schritt die Einflussgrößen auf die Lackierfähigkeit identifiziert werden“, beschreibt die Doktorandin ihre Herangehensweise. Herausfordernd sei die Sensibilität des Lackierprozesses. Sie erschwere es, zwischen prozess- und substratbedingten Einflüssen und Zusammenhängen zu unterscheiden.
Ziel: Prozess frühzeitig an Chargen anpassen
Fest steht: Die Sensibilität und Fehleranfälligkeit einer Lackierung hemmt den Rezyklat-Einsatz für lackierte Komponenten. Erst wenn die Einflussgrößen und Wechselwirkungen bekannt sind, können negative Auswirkungen bei der Material- und Prozessentwicklung ausbalanciert und Rezyklatquoten für lackierte Umfänge ausgebaut werden.
Die Chargenschwankungen wiederum „erfordern eine Chargenüberwachung und natürlich die frühzeitige Rezyklatcharakterisierung, die über die typischen Wareneingangskontrollen oder Materialfreigaben hinausgeht. Veränderungen im Prozessablauf sind nicht auszuschließen“, skizziert Katharina Tonn den komplexen Betrachtungsansatz. Damit könnten dann frühzeitige Optimierungsmaßnahmen eingeleitet und so Beanstandungen, Ausschüsse oder Nacharbeiten reduziert werden.
In der Praxis ähneln sich Lackierungen und Fügetechnologien wie das Kleben in ihren Anforderungen. Perspektivisch könnten also die Erkenntnisse über Lackierungen auch auf die Charakterisierung von Klebflächen adaptiert werden.
Global betrachtet werden Kunststoffe aufgrund ihres Eigenschaftsportfolios in großen Mengen im Automobilbau eingesetzt. Um negative Umweltauswirkungen zu reduzieren, ist es daher wichtig, Stoffkreisläufe durch Recycling zu schließen. Die Charakterisierung der Lackierfähigkeit der Rezyklate leistet einen wichtigen Beitrag in diesem Kreislauf.
PIAE-Kongress
PIAE steht für Plastics in Automotive Engineering. Der internationale Fachkongress wird von der VDI Wissensforum GmbH veranstaltet und findet am 19. und 20. Juni im Congress Center Rosengarten in Mannheim statt. Der Leitkongress beleuchtet seit über 40 Jahren aktuelle kunststofftechnische Entwicklungen und Anwendungen sowie deren Einsatz in allen Bereichen des Automobils. Die begleitende Ausstellung deckt die gesamte Wertschöpfungskette ab – und macht den Einsatz von Kunststoff-Bauteilen direkt am Fahrzeug sichtbar.
Weitere Infos: hier.pro/NB4We