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Spritzgieß-Branche auf dem Weg zu Industrie 4.0

Fakuma 2018: Spritzgießanlagen
Auf dem Trip zu Industrie 4.0

Die Maschinenhersteller zeigen auf der Fakuma 2018, wie weit sie schon vorangekommen sind in Richtung Industrie 4.0 – mit ihrer aktuellen Spritzgießtechnik, aber auch visionär im Blick auf die nahende Zukunft. ❧

Olaf Stauß

Die Messe K muss es alle drei Jahre geben, keine Frage. Sie setzt die Trends. Doch glücklicherweise gibt es die Fakuma-Jahre dazwischen, in denen die neuen Ideen mit Leben erfüllt, konkretisiert, vom Spritzgießer hinterfragt und (neu) erarbeitet werden – so auch jetzt bei Industrie 4.0. Die Euromap-77-Schnittstelle ist raus, worauf viele lange warteten. Und die Hersteller zeigen nun ihr teils schon vorbereitetes Equipment in Anwendungen, die den Nutzen der künftig smarten, vernetzten Produktion erahnen lassen. Zusammen sind die Lösungen der einzelnen Anbieter wie Puzzle-Teile für Industrie 4.0, die sich zu einem Ganzen fügen. Einige reißen wir nun an.

Schön ist, dass die Spritzgießmaschinenhersteller den Besucher ganz gezielt auf die Möglichkeiten (und Unmöglichkeiten) einstimmen. Er erhält die Chance, Fragen zu stellen und sich schlau zu machen für den eigenen betrieblichen Bedarf. So kündigt Arburg eine „Road to Digitalisation“ an mit mehreren Stationen und Experten (Halle A3, Stand 3101). Auch auf den Ständen der anderen Anbieter findet sich ein mehr oder weniger großes Info-Angebot zum Thema.

Arburg legt den Messe-Fokus auf das Thema „digitale Transformation“, so die Ankündigung im Vorfeld. Das Ziel sei die „smarte Maschine“, die ihre Prozesse überwacht, adaptiv regelt und den Bediener aktiv unterstützt. Dafür hat der Anbieter aus dem Schwarzwald sechs Assistenzpakete geschnürt mit Namen wie „4.set-up“, „4.optimisation“ oder „4.produktion“, die das Bedienen erleichtern. „Geschnürt“ ist das richtige Wort, denn die Assistenzpakete bündeln Funktionen, die ohnehin vorhanden sind, die Bedienung für den Mann an der Maschine aber vereinfachen.

In dieselbe Richtung weist die Steuerungsoption „Smart Operation“, die von Netstal vorgestellt wird (Halle A7, Stand 7303/04). Zum einen ermöglicht sie es, die Anwendungsentwicklung vom späteren Betrieb der Spritzgießmaschine (SGM) in der Produktion zu trennen. Zum anderen bietet sie ein Bedienkonzept an, das den Prozess über ein vorkonfiguriertes Dashboard auf dem Hauptbildschirm visualisiert und vier neue Tasten enthält, die „Smart Buttons“. Mit diesen Smart Buttons löst der Bediener die Statusübergänge aus. Sie erlauben es ihm zum Beispiel, die SGM mit lediglich drei Tastendrücken einzuschalten und in den Produktionsmodus zu bringen, teilt Netstal mit. Ebenso schnell könne er sie wieder abschalten. An den bisherigen Bedienungsoptionen ändert dies nichts. Betriebliche Experten können auch weiterhin tief in die Programmierung einsteigen und die Abläufe selbst definieren.

Mit Regelungstechnik optimiert sich die Spritzgießmaschine selbst

Solche Software-Pakete für die Bedienung sind nicht zu verwechseln mit den regelungstechnischen Software-Paketen, die viele Hersteller anbieten oder ins Programm aufnehmen, um ihre SGM „smart“ zu machen. Wittmann Battenfeld zählt zum Beispiel diverse „HiQ“-Programme auf (Halle B1, Stand 1204): „HiQ-Flow“ ist eine Einspritzregelung, die Temperatur- und Chargeneinflüsse auf die Materialviskosität kompensiert und damit die Spritzguss-Qualität stabilisiert. „HiQ-Melt“ überwacht die Materialqualität und erkennt Abweichungen durch Messen der Energie, die beim Plastifizieren aufgewendet wird. „HiQ-Metering“ verschließt aktiv die Rückstromsperre und will erreichen, dass mit jedem Schuss exakt die benötigte Menge Material eingespritzt wird. Es gibt noch eine Reihe weiterer solcher Regelungs-Tools, auch bei anderen Anbietern.

Wer sich über modernes Vernetzen informieren will, könnte auf den Stand von Dr Boy gehen (Halle A7, Stand 7101), wo kleinere Spritzgießautomaten das Sagen haben (bis 1000 kN Schließkraft) und einen besseren Überblick gewähren. Die digitale Vernetzung halte „verstärkt Einzug in die Kunststoffbranche“, informiert Boy über die heutigen Wünsche von Kunden – und zwar nach der Anbindung von Spritzgießmaschinen zu Leitrechnern (Euromap 77), zu Automationsgeräten (Euromap 79) und zu Peripheriegeräten (Euromap 82). Noch arbeite der Dachverband am übergeordneten Standard Euromap 83, der alles zusammenfasse, so Boy.

Eine Produktionseinheit auf dem Stand besteht beispielsweise aus SGM, Entnahmehandling, integriertem Scanner und Drucker und fertigt multifunktionale Lineale. Das Handlinggerät entnimmt die Spritzgussteile, führt sie via Euromap-Schnittstelle zum Drucker und lässt sie mit QR-Code versehen. Die auftrags- und teilebezogenen Daten lassen sich dann übers Web abrufen.

Eine Besonderheit ist die Vernetzungsstrategie von Wittmann Battenfeld – des Anbieters, der neben SGM auch Roboter und die komplette Peripherie im Portfolio hat. Die Österreicher machen sich dies mit ihrer „Wittmann 4.0 Zelle“ zunutze: Alles lasse sich „Plug & Produce“ anschließen.

Der hauseigene Wittmann-4.0-Router managt über eine einzige IP-Adresse den gesicherten Zugang zur Produktionszelle von außen – auch im Service-Fall, wenn der Betreiber eine Fernwartung anfragt. Als Neuheit kommt nun noch das „elektronische Datenblatt“ auf der SGM-Steuerung hinzu. Über dieses elektronische Datenblatt wird die Zelle gemäß dem gewählten Werkzeugdatensatz mit allen erforderlichen Geräten konfiguriert – also Robotern, Temperiergeräten, Trocknern, Dosiergeräten, elektronischen Durchflussreglern. Der Clou: Es muss nicht mehr jedes physische Gerät einzeln eingepflegt werden. Vielmehr füllt es eine funktionale Variable auf dem Datenblatt und lässt sich folglich auch problemlos wieder austauschen.

Variantenfertigung durch automatisch gewechselte Werkzeugeinsätze

Arburg stellt als Novum sein „Arburg Turnkey Control Module“ auf der Fakuma vor – ein tyisches I-4.0-Element. Der Spritgießmaschinenbauer bezeichnet das ATCM als einen „Datensammler“, der den Gesamtprozess visualisiert, Daten erfasst und teilespezifisch zum Archivieren oder zur Big-Data-Analyse weiterleitet. Über OPC-UA-Schnittstellen erfasst das ATCM die Informationen aus dem Spritzgießprozess und der Kameraprüfung und ordnet sie über den QR-Code dem jeweiligen Bauteil zu.

Dies passiert auch auf der Fakuma: Der Besucher kann den QR-Code mit seinem Smartphone scannen und bekommt die Prozessdaten auf einer teilespezifischen Website angezeigt. Zur Demo installiert Arburg eine Turnkey-Anlage, die zwei Gehäuseteile einer Wasserwaage fertigt. Die beiden Spritzgussteile werden entnommen und in der Fertigungszelle mit drei Libellen zur Wasserwaage montiert.

Man stelle sich nun vor: Ein Versandhändler lässt den Kunden aus 30 Libellen frei auswählen und seine Wasserwaage selbst konfigurieren. Die Libellen haben verschiedene Formen, für jede Kombination braucht es andere Gehäuseteile. Das rechnet sich nur, wenn der Server die Aufträge umgehend bearbeitet und automatisiert in die Fertigung einschleust – eben dann, wenn es zeitnah am besten passt. So könnte ein künftiges Szenario aussehen.

Engel Austria stellt eine Demo-Lösung vor, die diese Zukunft schon andeutet (Halle A5, Stand 5204): Eine Fertigungszelle produziert zweiteilige Messschieber aus ABS. Die Schnellwechselmechanik des Partners Braunform (Halle A5, Stand 5207) wechselt die dafür benötigten zwei Werkzeugeinsätze vollautomatisch aus – in nur einer Minute. Um das Potenzial zu veranschaulichen, lässt Engel die beiden Messkörper-Komponenten nacheinander spritzgießen. Bereits nach drei Schuss meldet die SGM, dass das Los erfüllt ist. Der Roboter entnimmt das zuletzt produzierte Bauteil, wechselt den Greifer und tauscht dann die Werkzeugeinsätze aus. SGM und Peripherie kommunizieren über das MES.

Zu den Herausforderungen der Anwendung gehört, dass die beiden Bauteile sehr unterschiedliche Schussgewichte haben. Um nach dem Umrüsten schon mit dem ersten Schuss ein Gutteil zu produzieren, optimiert sich die SGM selbst. Das tut sie in dieser Anwendung mit drei regelungstechnischen Assistenzsystemen, die Engel „iQ weight control“, „iQ clamp control“ und „iQ flow control“ nennt.

Predictive Maintenance in der Spritzgießmaschine

Ist das Messschieber-Exponat schon ein Beispiel für „Smart Production“ im Sinne der VDMA-Nomenklatur, so müht sich Engel auch, den Service „smart“ zu machen. Der Spritzgießmaschinenbauer baut sukzessive sein Condition-Monitoring-Angebot aus, um die Restlebensdauer von prozesskritischen Maschinenkomponenten vorauszusagen. Nach den Modulen für Plastifizierschnecken und Kugelgewindetriebe, die vor zwei Jahren vorgestellt wurden, kommen nun zwei Module zum Überwachen von Hydraulikpumpen und -öl hinzu.

Die Daten überwachter Pumpen werden mit Zustimmung des Kunden analysiert und daraus ihr aktueller Zustand hochgerechnet. Spezielle Sensoren ermöglichen es, die Qualität des Hydrauliköls online zu überwachen. Manuelle Kontrollen werden damit überflüssig. Der Betreiber braucht nur in das Engel-Portal „e-connect“ zu gehen und kann den aktuellen Zustand seiner Anlagenkomponenten dort einsehen.


„Die digitale Transformation führt Inject 4.0 in eine neue Dimension. Durch die horizontale Vernetzung wird die Basis für neue Geschäftsmodelle gelegt“, sagt Dr. Stefan Engleder, CEO der Engel-Gruppe. Bild: Engel

„Es ist Zeit für den nächsten Schritt“

Spritzgießen 4.0 | Schon vor der Messe wagte im Juni Dr. Stefan Engleder, CEO der Engel-Gruppe, den Blick in die nahe Zukunft von Industrie 4.0: Auf dem „Engel inject 4.0 Forum“ schilderte er, welche weitere Entwicklungen er erwartet und wie sie Engel mitsteuern will: B2B-Marktplätze werden die Unternehmen entlang der gesamten Wertschöpfungskette vernetzen.

„Von Beginn an war uns klar, dass wir uns mit Industrie 4.0 auf eine längere Reise begeben. Aktuell befinden wir uns vor dem nächsten großen Schritt.“ Vorbild seien B2C-Marktplätze wie Amazon oder Google, die zwischen Angebot und Nachfrage vermitteln. Auf entsprechend gestalteten B2B-Marktplätzen findet der Kunststoffverarbeiter alle Informationen zum Markt, bietet dort seine Leistungen an und vernetzt sich mit Kunden und Lieferanten.

Als Pilotfabrik für diese Vision entsteht an der Johannes Kepler Universität Linz die „LIT Factory“, an der sich neben Engel auch Firmen wie Covestro, Erema oder Siemens beteiligen. In Betrieb gehen soll sie nächstes Jahr. „Durch die horizontale Vernetzung wird die Basis für neue Geschäftsmodelle gelegt“, zeigt sich Engleder überzeugt. „Langfristig erwarten wir, dass sich auch verschiedene Marktplätze miteinander vernetzen und den Teilnehmern den Austausch von Daten ermöglichen.“

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