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Behinderte liefern Hightech-Beschichtungen

Oberflächentechnik: Diakonie-Werkstatt wagt sich in industrielle Beschichtung vor
Behinderte liefern Hightech-Beschichtungen

Die Hohenwestedter Oberflächentechnik (HOT), eine Einrichtung der Diakonie, hat 2,2 Mio. Euro in eine hochmoderne Chargen-Vorbehandlungsanlage investiert. Damit schafft sie den Sprung in die industrielle Beschichtung. Mittelfristiges Ziel: finanzielle Unabhängigkeit.

Oberflächenbeschichtung unter dem Namen HOT hat im schleswig-holsteinischen Hohenwestedt (Neumünster) Tradition. Seit gut 35 Jahren beschäftigt die Werkstatt als Einrichtung der beruflichen Rehabilitation der Norddeutschen Gesellschaft für Diakonie (NGD-Gruppe) behinderte Menschen und bietet Dauerarbeits- und Ausbildungsplätze. Auch wenn der Bereich Pulverbeschichtung in den letzten Jahren deutlich expandierte, für einen ernsten Wettbewerb auf der Ebene der industriellen Beschichtung reichte es nicht, weil die technische Ausrüstung eine hochwertige und wettbewerbsfähige Beschichtung nicht erlaubte. In Zusammenarbeit mit dem Institut für CIM-Technologie-Transfer (CIMTT) der FH Kiel entstand im vergangenen Jahr eine neue Fertigungshalle, in der auf höchstem Niveau vorbehandelt und beschichtet wird.

Rund 2,2 Mio. Euro wurden für dieses Investment veranschlagt, wobei neben den Umweltschutzaspekten vor allem die Wettbewerbsfähigkeit der HOT im Vordergrund stand. Frank Bartelt (48), Projektplaner der CIMTT, nennt es eine „recht sportliche Aufgabe“. Denn die wirtschaftlichen Vorgaben sind hoch. In zwei Jahren soll das Unternehmen eine schwarze Null schreiben, was rund 2000 Euro Tagesumsatz bedeutet. Bereits 2012 werden erste Gewinne erwartet. Für Rainer Dörffer (48), Betriebsleiter der HOT, eine realistische Vorgabe, denn mit der neuen Technik steigt die Auftragslage spürbar, und auch Lohnbeschichter aus dem Umfeld haben bei der HOT bereits angeklopft.
Das Entree in den Industriebereich bildet die flexible Chargen-Vorbehandlungsanlage nach dem patentierten „Modulo“-Prinzip (www.modulo-systems.de) des Anlagenbauers Noppel Maschinenbau GmbH aus Sinsheim. Dabei kann je nach Bedarf Stahl, Aluminium oder verzinkter Stahl materialgerecht vorbehandelt werden, indem die jeweils benötigten, wässrigen Behandlungslösungen aus den aktiven Becken entnommen und damit die Werkstückoberflächen beaufschlagt werden. Das Produkt erhält damit genau die Vorbehandlung, die es aufgrund seiner Beschaffenheit, der gewünschten Qualität und des späteren Verwendungszwecks benötigt – was einen eindeutigen Wettbewerbsvorteil darstellt, zumal viele Lohnbeschichter bei der für die Langzeitqualität so wichtigen Vorbehandlung immer noch auf Einheitsbäder setzen. Über ein Bedienpanel kann sowohl aus voreingestellten Behandlungsabläufen ausgewählt oder ein spezieller Behandlungsablauf vorgegeben werden.
Jedem Aktivbad stehen in der Folge drei Spülwasserbecken zur Verfügung, um so die Medienverschleppung möglichst gering zu halten (im obigen Beispiel also insgesamt neun Becken). Die Werkstücke an den jeweiligen Gehängen werden nacheinander mit den verschiedenen, vorgewählten Medien besprüht, wobei das ablaufende Behandlungsmedium im Anschluss direkt ins entsprechende Vorlagebecken zurück fließt. „Die Chargenlösung im Bereich der Vorbehandlung sowie die Möglichkeit des modularen Aufbaus bietet für den Anwender auch wirtschaftlich viele Vorteile“, versichert Frank Santner, Verkaufsleiter beim Anlagenbauer Noppel. Im Zuge der Gesamtplanung konnten so auch alle umwelttechnischen Vorgaben wie Energieeinsparung und vor allem eine abwasserfreie Produktion umgesetzt werden. In Zusammenarbeit mit der KMU Umweltschutz GmbH aus dem südbadischen Hausen wurde eine Vakuum-Destillationsanlage im Niedrigtemperaturbereich implementiert, die das kondensierte Wasser wieder in den Kreislauf zurück speist. Als Abfall verbleibt ein Konzentrat, das als normaler Industriemüll entsorgt wird.
Die Anlagenlösung ist komplett behindertengerecht. Als oberste Priorität bei der Projektierung wurden ihr „Fehlervermeidung und Arbeitssicherheit“ zugrunde gelegt. Schon beim Behängen der Anlage mit den Werkteilen stehen diese Kriterien im Vordergrund. So kann über eine Hubstation die Förderschiene abgesenkt werden, um das Aufhängen der Teile in jeder Körperhaltung zu ermöglichen. Einzäunung von Gefahrenbereichen, Türöffnungs-Sicherheitssystem, Trittmatten mit Notaus-Funktionen, Innenlichter in den Brennöfen, Ofentüren mit Gummirollantrieb sowie eine Glaseinhausung der Pulverkabine sind weitere Sicherheitsmerkmale. Dazu gehört auch das „visual management“, das zur Fehlervermeidung beiträgt.
Auch für den Auftraggeber lohnt sich die Zusammenarbeit mit der Hohenwestedter Werkstatt, die zurzeit im Pulverbeschichtungsbereich rund 20 Behinderte in zwei Schichten beschäftigt. So kann ein Unternehmen, das keine Behinderte gemäß den gesetzlichen Bestimmungen beschäftigt, den Umsatz mit HOT auf die Ausgleichszahlung nach § 140 SGB IX anrechnen. Für Rainer Dörffer „ein unzweifelhafter Vorteil am Markt“, wobei für ihn die Qualität nach wie vor oberste Priorität besitzt. So soll noch 2009 die Zertifizierung nach den Richtlinien der DIN ISO 9001:2000 erfolgen. Außerdem ist vorgesehen, die Qualitätsrichtlinien von Qualicoat und der QIB zu erfüllen und entsprechende Qualitätsprüfungen abzulegen um die begehrten Zertifikate zu erhalten.
Josef Simon Journalist in Werne/Lippe

Kosteneffizienz
Dass soziales Engagement und Kosteneffizienz so Hand in Hand gehen, kommt selten vor. Insbesondere, wenn auch noch die Qualität stimmt. Aber hier scheint es gelungen. Zur Qualität: Die Chargen-Vorbehandlungsanlage ist nicht nur behindertengerecht, sondern auf dem neuesten technischen Stand im Blick auf Flexibilität, Energieeffizienz und Abfallvermeidung. Kosteneffizienz: Die Anlage arbeitet sparsam und rationell. Und Auftraggeber, die selbst keine Behinderten beschäftigen, dürfen auf ihre Ausgleichszahlungen den Umsatz mit der Werkstatt anrechnen.
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