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Biegen statt warten

Offline-Programmierung verkürzt Stillstandszeiten an Abkantpressen
Biegen statt warten

Umformtechnik | Die Potenziale in der Biegetechnik liegen nicht im schnelleren Biegen, sondern im Verkürzen der Nebenzeiten. Erfolgversprechende Ansätze beginnen bei der Programmier-Software und enden beim Ergonomiepaket.

Volker Albrecht Fachjournalist in Bamberg

„Wir wollen die Stillstandszeiten an der Abkantpresse so kurz wie möglich halten“, sagt Jacky Kirch, verantwortlicher Leiter für die Fertigung beim Landmaschinenhersteller Kuhn S.A. im elsässischen Saverne. Der Einsatz der Abkantpresse bei Kuhn ist insofern typisch für mittelständische Betriebe, weil eher kleine als große Lose gebogen werden und weil die Bestückung der Maschine überwiegend von Hand erfolgt. Untypisch ist die Größe der Teile, für die eine 400-t-Presse der EHT Werkzeugmaschinen GmbH mit 5 m Biegelänge eingesetzt wird. Aber gerade die Verarbeitung großer Teile macht die Problematik des effizienten Abkantens deutlich, denn hier kostet jede zusätzliche Handarbeit Kraft und Zeit. Und bei 50 bis 100 Stück pro Los lohnt sich eine Roboterautomatisierung nicht.
Mehr als 90 % aller Kantarbeiten in der Industrie werden nach Expertenschätzungen manuell ausgeführt. In der Regel werden CNC-gesteuerte Abkantpressen eingesetzt, aber die Zuführung und die Abnahme der Bleche, das Einrichten der Werkzeuge und die Programmierung ist Handarbeit des Kanters. Ist ein Programm allerdings erstellt, dann ist damit der Aufbau der Werkzeuge und die Biegefolge festgelegt, die Hinteranschläge bewegen sich NC-gesteuert in die richtigen Positionen und die Bewegung des Biegebalkens ist für jeden Arbeitsschritt im NC-Programm definiert. Der Bediener bewegt das Blech von Werkzeugposition zu Werkzeugposition, legt es den Vorgaben entsprechend am Hinteranschlag an und betätigt den Auslöseknopf. Dabei werden Korrekturen für material- und dickenabhängige Rückfederungseffekte automatisch über die NC-Steuerung ausgeführt. Je nach System leiten Anzeigesysteme den Bediener zu den entsprechenden Werkzeugstationen oder Sensoren registrieren an den Hinteranschlägen, ob ein Werkstück richtig angelegt ist.
Der Biegeprozess selbst ist damit weitgehend festgelegt und optimiert. Eingeschränkt wird die Produktivität der Maschine durch die Nebenarbeiten des Bedieners. Nebenarbeiten, während der die Maschine nicht produzieren kann. Zu einem Drittel bis zur Hälfte der Arbeitszeit sind Abkantpressen in durchschnittlichen Betrieben wegen derartiger Nebentätigkeiten nicht verfügbar, haben Befragungen verschiedener Abkantpressenhersteller ergeben. Dieses Verhältnis wird zwar mit steigender Losgröße günstiger, kommt dann aber in den Bereich, in dem sich auch Roboterautomatisierungen rechnen. Wartungsarbeiten oder Maschinenstörungen beeinträchtigen dagegen nur selten die Verfügbarkeit.
Vor diesem Hintergrund geht es um das System aus Bediener, Abkantpresse, Programmiersoftware und Peripherie und um dessen Verfügbarkeit und Produktivität. Die allerdings lässt sich bei den üblichen mittleren Teilegrößen und kleinen bis mittleren Losen nicht mit einer höheren Dynamik der Abkantpresse verbessern. Deshalb gilt das Hauptinteresse der Maschinenentwickler den Werkzeugwechsel- und Setup-Zeiten sowie den Programmierzeiten.
Offline-Programmierung bringt Verbesserungen über die Stillstandszeiten hinaus
Aktuell geht die Entwicklung über die Ansätze zur hauptzeitparallelen Programmierung an der Maschine hinaus hin zur Offline-Programmierung. Dabei werden die NC-Programme komplett am Büro-PC unabhängig von der Maschine erstellt. „Mit der Offline-Programmierung haben sich bei uns die Stillstandszeiten wenigstens halbiert“, resümiert Jacky Kirch aus seinen Erfahrungen. Die Programmierung erfolgt bei Kuhn vollständig in der Arbeitsvorbereitung. Das Erstellen der NC-Programme übernimmt dabei ein Biegefachmann, der verschiedene Automatikfunktionen der Software nutzt. Diese Funktionen ermitteln beispielsweise aus den eingelesenen CAD-Daten der 3D-Bauteile automatisch die Abwicklung samt Berücksichtigung der Biegeradien und der biegebedingten Längung. Auf der Basis dieser Abwicklung errechnet das System automatisiert eine Biegefolge, die der Programmierer individuell modifizieren kann. Die Biegefolge selbst lässt sich am PC simulieren und zwar für eine ausgewählte Maschine und der tatsächlich vorhandenen Werkzeuge. Dabei wird einerseits die Machbarkeit überprüft und andererseits können damit Kollisionen des Blechs mit der Maschine oder dem Werkzeug erkannt werden. Immerhin bildet die Simulation Maschine und Werkzeuge auf hundertstel Millimeter genau ab.
Für die überprüfte Biegefolge wird das NC-Programm automatisch generiert und auf dem Server abgelegt. Von Anfang an werden dabei die Materialdaten des Blechs wie Festigkeit und Blechdicke in der Berechnung für eventuelle Korrekturen berücksichtigt. „Dieses NC-Programm holt sich der Bediener mit der Auftragsnummer auf dem Server ab, lässt die Simulation nochmals auf der Steuerung an der Maschine ablaufen, um zu sehen, wie gebogen wird. Dann wechselt er die Werkzeuge und beginnt das Abkanten“, erläutert Jacky Kirch den Ablauf bei Kuhn. Programmiert werde an der Maschine nichts mehr. Und selbst wenn wegen irgendwelcher Besonderheiten der Bediener an der Presse ins Programm eingreifen müsse, werde diese nicht im ursprünglichen Programm gespeichert.
Mit der Offline-Programmierung und der Simulation ist die Maschine deutlich länger produktiv im Einsatz. „Es gibt kein Herumprobieren mehr an der Presse, wie es früher war. Die NC-Programme stimmen und die Teile laufen vom ersten Teil an“, sagt Kirch. Hinzu kommen Effekte, die über die Maschinenproduktivität hinaus auf die Gesamteffizienz des Unternehmens wirken. „Seit es die Simulation gibt, kommen die Konstrukteure, wenn sie ein Teil konstruiert haben, immer häufiger zur Arbeitsvorbereitung und lassen schnell in einer Simulation prüfen, ob ein Biegeteil machbar ist. Oder ob man es fertigungstechnisch verbessern sollte. Das dauert vielleicht 10 oder 15 Minuten“, erzählt Kirch, aber das spare in einem späteren Entwicklungsstadium der Geräte teure Änderungsarbeiten.
Bei Kuhn wird für die Offline-Programmierung und Simulation eine von der Wicam GmbH in Pfinztal entwickelte und für die EHT-Maschine angepasste Software eingesetzt. Die führenden Hersteller von Abkantpressen wie Trumpf, Amada, Bystronic, LvD oder Salvagnini, aber auch unabhängige Software-Entwickler wie SPI, Almacam, Lantek, Radan und andere bieten entsprechende Programmier-Software an. Im Grunde umfassen diese Software-Produkte verschiedene Module. Dazu gehört ein Modul zum Import der CAD-Daten samt Überprüfen der Datenkonsistenz, ein Modul zum Erzeugen der Abwicklung sowie ein Modul zur Berechnung der Biegefolge. Dazu kommt das Simulationstool sowie das Modul für das eigentliche NC-Programm. Die Softwaretools werden teils sehr unterschiedlich bedient, und vor allem bei den Automatikfunktionen unterscheiden sich die hinterlegten Algorithmen. So gibt es Unterschiede bei der Berechnung der Abwicklung und der Art, wie Korrekturfaktoren angegebenen werden. Unterschiede gibt es in der Art, wie fertigungsspezifische Angaben, beispielsweise Radien, aus der CAD-Zeichnung übernommen werden oder wie in den Abwicklungen die Biegeradien im Hinblick auf die vorhandenen Werkzeuge berücksichtigt werden.
Festzustellen ist bei den Anbietern eine Tendenz hin zu einer Programmiersoftware, welche weitgehend automatisch die NC-Programme aus den 3D-CAD-Daten erzeugt. „Ein-Klick-Programmierung“ nennt es Willy Stahl, Geschäftsführer von RAS in Sindelfingen, allerdings bezogen auf Schwenkbiegemaschinen. Teils sind die Programmiertools eingebunden in umfassende Verwaltungssysteme, die nicht nur Aufträge verwalten, sondern auch übergreifende Funktionen in der Fertigungssteuerung übernehmen. Gerade bei derartigen Systemen vereinfacht es die Sache, wenn der erzeugte NC-Code für verschiedene Maschinen im Maschinenpark genutzt werden kann.
Trumpf in Ditzingen hat mit dem neuen TruTopsBoost ein solches umfassendes System vorgestellt, bei dem ausgereifte Algorithmen hinterlegt sind, die nach Angaben des Herstellers für die meisten praktischen Aufgaben automatisch optimierte NC-Programme erzeugen können. Der Anwender kann seine Kreativität auf die ungewöhnlichen Biegeteile konzentrieren. In dieser Software läuft die Simulation sozusagen in Echtzeit während des Programmierens und prüft laufend, ob die eingegebenen Maßnahmen machbar sind. Eine abschließende Simulation entfällt (mehr dazu erfahren Sie auf Seite 52).
Stillstandszeiten und Ausschuss vermeiden
Die Erfahrung zeigt, dass die Realität von der simulierten Wirklichkeit abweicht, beispielsweise wenn Blechdicken und Festigkeitswerte schwanken. Diese realen Abweichungen korrigiert die Steuerung mit Hilfe von Biegewinkelmesssystemen. Diese Systeme ermitteln beispielsweise aus der Projektion eines Laserstrahls auf das Biegeteil den aktuellen Biegewinkel. Das Winkelmesssystem E-Bend L von Safan-Darley in Lochem erfasst den aktuellen Biegewinkel mit bis zu 200 Messungen pro Sekunde. Die Maschinensteuerung gleicht diese Messwerte mit den jeweils aktuellen Positionswerten des Biegebalkens ab und sorgt mit entsprechenden Korrekturen der Y-Achse für eine hohe Präzision der Biegungen vom ersten Teil an.
Unterstützte Werkzeugwechsel statt Automatisierung
Den Werkzeugwechsel als Produktivitätsfaktor haben vor zwei Jahren vor allem die automatischen Werkzeugwechselsysteme an Abkantpressen von Amada in Haan und LvD in Gullegem zum Thema gemacht. Kostengünstiger sind unterstützende Systeme aus Werkzeugschrank mit Sortiersystem und Transportschiene wie sie Trumpf oder EHT unter dem Namen „Toolshuttle“ anbietet. Relativ einfach aufgebaut erlauben sie es, die benötigten Werkzeugsätze auf einer andockbaren und verfahrbaren Transportschiene zusammenzustellen und ohne große körperliche Anstrengung auf die Biegebalken der Presse aufzuschieben. Das verkürze die Wechselzeiten deutlich, heißt es. Welche Werkzeuge an welcher Position einzusetzen sind, entnimmt der Bediener dem NC-Programm. Auch hier zeigen Leitmarkierungen an der Maschine, wo der Bediener die Werkzeuge zu positionieren hat.
Interessant in diesem Zusammenhang ist ein Multi-V-Unterwerkzeug von EHT mit verschiedenen, parallel verlaufenden V-Nuten. Dieses Unterwerkzeug kann NC-gesteuert quer zur Biegelänge verschoben werden. Damit wird im Betrieb nicht nur zwischen den Nuten gewechselt, sondern das Unterwerkzeug lässt sich soweit verschieben, dass Falze mit einer entsprechenden Kante am Oberwerkzeug auf Werkzeughöhe zudrücken lassen.
Mehr Dynamik und bessere Ergonomie
Sind die Nebenzeiten für Programmierung und Werkzeugwechsel optimiert, lohnen sich Maßnahmen zur Verbesserung der Dynamik und des Bedienkomforts an der Maschine. Ein Aspekt sind dabei neue kamerabasierte Sicherheitssysteme, die es ermöglichen, den Biegebalken in weiten Bereichen mit normaler Geschwindigkeit zu bewegen. Das verkürzt die Zykluszeiten deutlich.
Einen Trend hat Trumpf mit der kleinen Abkantpresse TruBend 7036 mit knapp einem Meter Biegelänge, dynamischem servo-elektrischem Spindelantrieb und ergonomischer Ausstattung gesetzt. Da in den meisten Betrieben eher Kleinformate als große Teile gebogen werden, müssen die Bediener regelmäßig sehr dicht an der Maschine stehen. Wer dann nicht richtig an die Maschine herantreten kann, weil diese unterhalb des Unterbalkens verkleidet ist, nimmt eine unbequeme Haltung ein, ermüdet schneller und wird unkonzentriert. Das erhöht die Fehleranfälligkeit. Dem begegnet schon das Einrichten einer angenehmen Sitzposition an der Maschine. Zahlreiche Hersteller bieten mittlerweile derartige Abkantpressen mit Ergonomiepaket an, zu dem je nach Anbieter Ausstattungen von der dimmbaren Beleuchtung bis zum Radio gehören. 10 bis 20 % höhere Produktivität soll sich mit den Zusatzausstattungen erreichen lassen. Zudem sind die Maschinen als C-Gestellpressen ausgeführt und mit schnellen, meist elektromechanischen Antrieben ausgestattet. Beim Antriebskonzept geht es hier vom Spindelantrieb mit Torquemotor bei Trumpf oder Coastone, Seinäjoki/Finnland, über Riemenantriebe bei der Safan E Brake Ergonomic bis zum servo-hydraulischen Antrieb bei der Quick-Bend von Boschert in Lörrach. Und da diese servo-elektrischen Antriebe wie bei der Xcite von Bystronic in größere Abmessungen vordringen, bleibt abzuwarten, wann dort Ergonomiepakete angeboten werden.
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