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Feinschneiden: Daten werden zur Ressource

Feinschneiden
Daten werden zur Ressource

In einem Pilotprojekt optimieren Aachener Forscher nicht nur das Feinschneiden an sich. Sie entwickeln auch Elemente einer Datenökonomie und virtuelle Entlohnungsmodelle. ❧

Mona Willrett

Mit der Pilotlinie Feinschneiden untersuchen Aachener Wissenschaftler exemplarisch die ökonomisch-ökologischen Herausforderungen im Maschinenbau. Um sie langfristig zu beherrschen, bedürfe es eines breiten Ansatzes, sagt Prof. Thomas Bergs, – insbesondere wenn es darum gehe, das kritische Thema ‚Künstliche Intelligenz im Maschinenbau‘ auf ein international wettbewerbsfähiges Niveau zu heben. „Um diese Brücke zu schlagen, sind Kooperationen mit führenden Unternehmen und Forschungspartnern nötig“, betont der Produktionsforscher, der den Direktorien der Aachener Institute WZL und Fraunhofer IPT angehört. Als Themenfelder, die es dabei zu betrachten gilt, nennt Bergs unter anderem:

  • selbstadaptive, modulare Produktionsumgebungen,
  • Vertrauen, Sicherheit und Effizienz – insbesondere durch Edge AI,
  • ein Marktplatz zum Handel von Datenprodukten,
  • die natürlich-immersive Mensch-Maschine-Kommunikation und -zusammenarbeit sowie
  • das Resilienzmanagement von Produktionsumgebungen und -netzwerken.

Mit letzterem waren das DFKI (Deutsches Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz) sowie das Werkzeugmaschinenlabor (WZL) und das Institut für Technologie und Innovationsmanagement (TIM) der RWTH Aachen beim KI-Innovationswettbewerb des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWi) erfolgreich. Im gewonnenen Projekt „Spaicer“ wollen die Forscher Strategien entwickeln, mit deren Hilfe sich Produktionsstörungen best möglich beherrschen lassen. Edge AI – die Künstliche Intelligenz geht dabei nicht von einer Cloud aus, sondern von einem lokalen Server oder Gerät – soll helfen, bislang unbekannte Lösungsstrategien zu erarbeiten, die wertschöpfende Unternehmen dabei unterstützen, Störungen ohne Qualitäts-, Kosten- oder Zeiteinbußen zu überwinden. Bergs lädt interessierte Unternehmen ein, das Spaicer-Symposium am 26. Juni in Berlin kostenfrei zu besuchen und mehr über das Projekt und die Vision dahinter zu erfahren.

Laut Dr. Daniel Trauth, Abteilungsleiter am WZL und als Oberingenieur für Digitale Transformation von Fertigungsverfahren zuständig, soll die Pilotlinie Feinschneiden nicht nur das Fertigungsverfahren an sich optimieren. Das Ziel sei, dass produzierende Unternehmen Marktanforderungen beherrschen können, die sich immer schneller verändern, und dennoch in der Lage sind, hohe Qualität und Liefertreue bei möglichst geringen Kosten zu realisieren. „Dafür stellen wir die gesamte Wertschöpfungskette beim Feinschneiden in Frage und erproben – gemeinsam mit der Industrie – neue Werk- und Schmierstoffe sowie neue Werkzeug- und Maschinenkonzepte.“ Gleichzeitig soll die Pilotlinie Raum schaffen, um bislang unübliche Technologien und Methoden zu testen, für die es noch keine Blaupause gibt.

So sei bislang noch wenig darüber nachgedacht worden, was nach dem Internet of Production komme, sagt Trauth. „Die nächste Stufe könnte eine Datenökonomie für industrielle Güter und Produktionsanlagen sein, bei der Daten nicht nur Informationen liefern, sondern eine wirtschaftliche Ressource darstellen, der man einen Wert zumessen kann.“ Aus dieser Idee sei das Projekt ‚Sichere Prüfpfade beim Feinschneiden mittels Blockchain/IOTA‘ und ein Datenmarktplatz entstanden.

„Blockchain ist vereinfacht gesprochen eine verteilte Datenbank zum Speichern von Transaktionsdaten oder Ereignissen“, erklärt der Wissenschaftler. Sie sei so konzipiert, dass jeder Teilnehmer eine Kopie der Datenbank besitzt. Dadurch werde es praktisch unmöglich, einmal gespeicherte Daten zu verändern oder zu fälschen. Das prädestiniert die Technologie für Anwendungsfälle, bei denen es um verbindliche Informationen aus Prüfprotokollen, Zahlungsvorgängen oder den Austausch von Daten geht. Im Vergleich dazu skalierten direkte azyklische Graphen (DAG) besser, weshalb sich die Projektgruppe für den aktuell beliebten DAG der IOTA-Foundation in Berlin entschieden hat.

„Der Prototyp unseres Datenmarktplatzes ist wie ein App-Store aufgebaut, in dem nicht wie im echten Leben physische Güter, sondern digitale Datenprodukte mit Bezug zum Feinschneiden gekauft werden können“, erläutert Trauth. „Bereits jetzt können die zu jedem real gefertigten Feinschneidbauteil gemessenen Rohdatensätze lückenlos und fälschungssicher abgerufen werden. Diese Datensätze können dann entweder einzeln oder im Abo, etwa für eine spezielle Charge, gekauft werden.“ In naher Zukunft soll es dann möglich sein, darauf aufbauend Apps oder Microservices zu entwickeln, die auf Basis dieser Datensätze Analysen durchführen, um beispielsweise Anomalien in der Bauteilqualität oder im Verschleiß vorherzusagen. „Zur Prognose der Bauteilqualität existiert bereits ein As-A-Service-Prototyp, der ausgehend von real gemessenen Maschinendaten eine Finite-Elemente-Simulation triggert. Die Simulation ist dann in der Lage, autonom einen digitalen Zwilling zu berechnen. Mit dessen Hilfe können Kenngrößen ermittelt werden, die am Bauteil selbst nur zerstörend oder gar nicht zu messen sind.“ Feinschneidmaschine und Finite-Elemente-Server könnten dabei an unterschiedlichen Standorten stehen und verschiedenen Besitzern gehören. „Über die verwendete Blockchain/IOTA-Technologie wird zum Einen die Datenintegrität sichergestellt und zum Anderen ein flexibles Incentivierungssystem geschaffen.“

Trauth betont, bei sich verändernden Randbedingungen, wie etwa im Fall der Elektromobilität und den damit verbundenen neuen Werkstoffen, müssten weitreichende Entscheidungen getroffen werden, die das gesamte Wertschöpfungsnetzwerk betreffen. „Aufgrund fehlender Informationen ist dies aber nicht möglich, sodass jeder Teilnehmer des Netzwerks eigene Forschungen betreibt und die notwendigen Informationen selbst erhebt.“ Auf diese Weise würden jedoch nur Insellösungen erreicht. „Der Marktplatz hingegen hat das Potenzial, ausgewählte Daten innerhalb des Wertschöpfungsnetzwerks zu teilen, sodass ein übergeordneter Mehrwert entsteht.“ So sei es in Bezug auf das Feinschneiden beispielsweise denkbar, dass Maschinenbesitzer ihren Zulieferern ausgewählte Verschleißdaten zukommen lassen, sodass diese ihre Schmierstoffe oder Werkstoffe anpassen können. Gegenwärtig sei es für Zulieferer unmöglich, die real vorliegenden Belastungskollektive zu simulieren oder nachzubilden. Optimierte Zulieferprodukte seien aber auch im Interesse des Maschinenbesitzers, da sie seine Produktivität steigern.

Der Preis eines Datenproduktes ergibt sich zunächst – wie bei einem realen Produkt auch – aus der Summe der anfallenden Kosten, hier zum Beispiel für Speicherplatz, die Datenverarbeitung oder Softwarelizenzen. Der Rahmen, um den Handel abzuschließen, ergibt sich durch die Blockchain/IOTA-Technologie. „Die restlichen Fragen – etwa wie der zeitliche Verlauf des Werts von Daten ist – gilt es noch zu klären. Im Unterschied zur realen Welt verbrauchen sich Daten nicht wie Rohstoffe. Gleichzeitig ist aber noch unbekannt, ob der mehrmalige Zugriff auf ein Datenprodukt dessen Wert steigert oder mindert. Das sind aber ökonomische Fragestellungen, die in unserem Kontext noch keine Rolle spielen“, berichtet der Forscher.

Der theoretische Vorteil einer Kryptowährung wie IOTA gegenüber normalen Zahlungsmitteln besteht darin, dass Kosten durch das Finanzsystem umgangen werden können. Die Kryptowährung wird nicht wie Bargeld bei einer Bank gespeichert, sondern in sogenannten Wallets durch den Netzwerkteilnehmer selbst. So können Handelsvorgänge ohne Beteiligung und Entlohnung eines Dritten oder einer Bank durchgeführt werden. Der Vorteil der IOTA-Technologie besteht zudem darin, dass sie keine Mining-Gebühr erhebt, wie etwa Bitcoin. Dadurch ergibt sich eine neue Form von Zahlungsmöglichkeiten, so genannte Micropayments. Damit sind Beträge gemeint, die so klein sind, dass sie mit realem Geld nicht durchgeführt werden könnten, entweder weil die Gebühren zu hoch wären oder weil der Betrag kleiner als 1 Eurocent ist. „Im digitalen Kontext ist es leicht vorstellbar, dass Datensätze den Bruchteil eines Cents kosten“, sagt Trauth. „Im Maschinenbau sind diese Ansätze noch neu. Deshalb freuen wir uns, hier Pionierarbeit leisten zu können.“

Das erste Teilprojekt über „Sichere Prüfpfade beim Feinschneiden“ ist abgeschlossen. Dennoch arbeitet die Projektgruppe weiter am Datenmarktplatz, an der As-A-Service-Funktionalität sowie der beschriebenen Vision im allgemeinen. Interessierte Industriepartner – gleich welcher Branche – können sich laut Trauth für eine Testimplementierung melden.

Bis zum Aachener Werkzeugmaschinen-Kolloquium im Mai 2020 wollen die Forscher den Datenmarktplatz weiter ausbauen. Darüber hinaus ist die Integration des neuen Funkstandards 5G in Zusammenarbeit mit dem Schwesterinstitut Fraunhofer IPT und dessen Partner Ericsson sowie der Aufbau eines Edge AI-Clusters geplant.

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