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Der Roboter wird zum Schmied

Blechteile: Hergestellt ohne Formwerkzeug durch inkrementelles Umformen
Der Roboter wird zum Schmied

Beim inkrementellen Umformen hämmert der Roboter die 3D-Teilegeometrie direkt aus den CAD-Daten ins Blech. Vorteil: Individuelle Blechteile lassen sich so kostengünstig als Prototypen und in Kleinserien herstellen, ohne dass Kosten für ein Formwerkzeug entstehen.

Die Entwicklung neuer Produkte und ihre Markteinführung laufen immer rasanter ab. Geschwindigkeit wird zur Schlüsselqualifikation. Am Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA in Stuttgart entstand aus diesem Anlass die Idee, Blechteile direkt aus den CAD-Daten mit dem Industrieroboter hämmernd umzuformen, ohne eine Matrize. Dieses innovative Blechumformverfahren ermöglicht das Fertigen von Prototypen und Blechteilen kleiner Losgröße binnen weniger Stunden. Die Investitionskosten sinken durch den Robotereinsatz, außerdem entfallen die Kosten für die Matrizenherstellung.

Da die Maße der Teile nicht mehr von einem aufwendig herzustellenden Formwerkzeug abhängen, lassen sich Änderungen in der Blechteile-Geometrie im Nachhinein jederzeit einbringen und in kürzester Zeit umsetzen. Dafür sind lediglich neue oder variantenspezifisch angepasste CAD-Modelle zu erstellen und daraus neue Umformpfade zu generieren. Im Wesentlichen genügen vier Schritte, um das Roboterprogramm zu erstellen: Ausgehend von den CAD-Daten und der CAM-Anbindung entsteht ein NC-Datensatz, der mittels eines am Fraunhofer IPA entwickelten Postprozessors in Roboterbahnen umgewandelt wird. Diese Daten werden in die Robotersteuerung für den eigentlichen Umformprozess geladen.
Die üblichen Umformmethoden für die Serie sind zum einen Tiefzieh- und Streckziehverfahren mit bauteilabhängigen Formwerkzeugen. Zum anderen kommen Verfahren wie das Hydroformen zum Einsatz, bei dem nur ein Formwerkzeug benötigt wird. Das gemeinsame Kennzeichen dieser Verfahren ist, dass hohe Umformkräfte auftreten und die Werkzeuge sehr stark an die einmal vorgegebene Geometrie gebunden sind. Bei kleinen Losgrößen oder variantenreichen Serienproduktionen lassen sie sich oft nicht wirtschaftlich einsetzen, weil die Fertigungskosten und -zeiten der Umformwerkzeuge sowie die Investitionskosten für die Anlagentechnik viel zu hoch sind.
Gerade heute aber sind kürzer werdende Produktlebenszeiten eine große Herausforderung. Gleichzeitig steigen die Anforderungen an Funktionalität, Umweltverträglichkeit und Qualität. Der Trend zu immer komplexeren Bauteilgeometrien bei deutlich abnehmenden Losgrößen steht daher im Widerspruch zu kostenintensiven Produktionsanlagen, wie sie heute für große Stückzahlen ausgelegt werden.
Anders sieht es beim inkrementellen Blechumformen aus, das am IPA entwickelt wurde. Es kommt ganz ohne Formwerkzeug aus. Das eingespannte Blech wird mit einem vertikal oszillierenden, halbkugelförmigen Hammerwerkzeug umgeformt. Die Schlagfrequenz beträgt 200 Hz, die Amplitude der Stempelbewegung 2 mm. Die Einspannung erfolgt flexibel am Rand der umzuformenden Geometrie. Da im Gegensatz zum Tiefziehen oder Hydroumformen keine Matrize unterhalb des Blechs benötigt wird, ist eine Geometrie-ungebundene Blechumformung möglich. Während des Prozesses bewegt sich das Hammerwerkzeug je nach Umformstrategie auf geschlossenen Bahnen von außen nach innen über das Blech. Um die jeweilige Umformtiefe zu erreichen, wird zwischen den einzelnen Bahnen in Richtung der negativen z-Achse zugestellt. Der Roboter hämmert das Blech somit Bahn für Bahn nach unten. Die Bildfolge zeigt den sequentiellen Prozessablauf vom Einspannen bis zum geformten Blechteil.
Bei dem dargestellten Teil handelt es sich um ein von der Industrie in Auftrag gegebenes Referenzbauteil. Das IPA stellte es in einem Projekt mit der Feinwerktechnik Hago GmbH, Küssaberg, mit dem Ziel her, das ursprünglich siebenteilige Umformwerkzeug für Kleinserien möglichst ganz einzusparen, mindestens aber zu vereinfachen. Das ist hier gelungen.
Ähnlich wie beim manuellen Treiben von Blech ergeben sich die Vorteile durch das abrupte Abbremsen des Umformstempels beim Auftreffen auf das Teil und nicht durch die Handhabungseinrichtung. Dies erlaubt den Einsatz von kostengünstigen und flexiblen Industrierobotern. Weiterhin wird das Werkstück durch die hohe Umformgeschwindigkeit nur im Bereich der Kontaktzone plastisch verformt. Die Massenträgheit des Blechs hat zur Folge, dass die Umformzone im Wesentlichen auf den Bereich unterhalb des Stempels begrenzt ist. Ein Umformen ohne Matrize wird dadurch überhaupt erst möglich. Aufgrund des ständigen Abhebens des Umformstempels vom Blech entsteht anders als bei anderen inkrementellen Umformverfahren, die auf drückenden Mechanismen basieren, kaum eine Reibkraft entgegen Vorschubrichtung. Dies erhöht die Maßhaltigkeit des Teils und reduziert die eingebrachten Spannungen. Zudem lassen sich so auch Lochbleche umformen.
Der Einsatzbereich ist vielfältig. Eine große Anzahl Blechteile lassen sich als Prototypen oder in Kleinserien herstellen: Karosseriebleche, Edelstahlwaschbecken, Woks, Abdeckungen für Waschmaschinen, Designware, Edelstahlleuchten, Flugzeugbleche, Katalysatordeckel, Lötbecken, Kappen für Parfümflaschen, Gehäuseabdeckungen etc.
Des Weiteren können tiefgezogene Teile individualisiert werden, damit sich zum Beispiel Sport- und Luxusautomobile von der Masse abheben, ohne dass zusätzliche Matrizen hergestellt werden müssten. Autos mit Schriftzügen, Logos und Designelementen nach Kundenwunsch werden möglich.
Die roboterbasierte inkrementelle Blechumformung ist somit ein Rapid-Verfahren, das es ermöglicht, prototypische und Kleinserien-Blechteile kostengünstig herzustellen. Der Nachteil im Blick auf Serienteile besteht darin, dass bislang je nach Bauteil nur Genauigkeiten bis 4 mm Abweichung erreicht wurden. Eine Zukunftsvision zielt jedoch darauf ab, mehrstufige Tiefziehprozesse durch inkrementelles Vorformen stark zu vereinfachen, so dass sich mehrstufige Formen durch eine einzige ersetzen lassen. Hier ergeben sich enorme Einsparpotenziale.
Arnold Puzik Projektleiter am Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA in Stuttgart

Neue Technologien
Das Einsparpotenzial gegenüber dem konventionellen Umformen ist enorm: Da der Roboter die Blechteile direkt aus den CAD-Daten zurechthämmert, entfallen die Kosten für die Form. Dass die Genauigkeit je nach Bauteil vorerst nur bei 4 mm liegt, tut den Möglichkeiten kein Abbruch: Binnen Stunden entstehen billige Prototypen oder Kleinserien. Außerdem wird das Individualisieren von Serienteilen denkbar. Oder sogar eine Fertigungsstrategie, die das inkrementelle Umformen als Vorstufe verwendet, um letztlich mit einer einzigen Tiefziehform auszukommen.
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