Startseite » Technik » Fertigung »

ECTA-Präsident M. Horn über die EMO und die Präzisionswerkzeug-Branche

EMO 2023: Präzisionswerkzeuge
ECTA-Präsident Markus Horn über die EMO und die aktuelle Situation der Präzisionswerkzeug-Branche

ECTA-Präsident Markus Horn über die EMO und die aktuelle Situation der Präzisionswerkzeug-Branche
„Durchs Vernetzen von Maschine, Werkzeug und Spannmittel lassen sich viele Produktionsprozesse noch massiv verbessern“, sagt Markus Horn. Er ist Präsident der European Cutting Tools Association (ECTA) und Geschäftsführer der Paul Horn GmbH in Tübingen. Bild: Horn/Sauermann
Firmen im Artikel
Markus Horn, Präsident des europäischen Präzisionswerkzeug-Verbands ECTA, freut sich auf die EMO 2023. „Wenn es darum geht, gemeinsam mit unseren Kunden die optimale Lösung für deren Fertigungsprobleme zu erarbeiten, dann ist der persönliche Dialog nicht zu ersetzen.“ Horn, im Hauptberuf Geschäftsführer der Paul Horn GmbH in Tübingen, ist überzeugt, dass die Messe wieder ein großer Erfolg wird.

» Mona Willrett, Redakteurin Industrieanzeiger

Herr Horn, mit welchen Erwartungen reisen Sie in diesem Jahr zur EMO?

Ich freue mich sehr, dass die EMO wieder in Deutschland stattfindet und wir diese Weltleitmesse in angemessenem Rahmen zelebrieren können. Ich bin schon sehr gespannt, welche Fertigungsprobleme unsere Kunden mitbringen, bei deren Lösung wir sie unterstützen können. Natürlich wird die EMO auch eine Signalwirkung haben, in welche Richtung sich die Fertigungstechnik entwickelt. Und nicht zuletzt bietet sie Gelegenheiten, über zu erwartende Entwicklungen zu diskutieren – auch international.

Wie haben die letzten vier Jahre die Messe verändert?

Wir erwarten, dass die EMO 2023 wieder ein großer Erfolg wird. Aufgrund der Corona-Beschränkungen wurden in den vergangenen Jahren digitale Lösungen entwickelt, über die wir in der schwierigen Zeit den Kontakt zu Kunden und Partnern halten konnten. Dabei hat sich gezeigt, dass diese digitalen Angebote den persönlichen Austausch ergänzen und erweitern, auf keinen Fall aber ersetzen können. Sehr gespannt sind wir – nachdem auch China zu Jahresbeginn alle Corona-Maßnahmen aufgehoben hat – ob auch von dort wieder Besucher im gewohnten Umfang kommen. Auf alle Fälle freuen wir uns, uns endlich wieder im direkten Dialog austauschen und auch das eine oder andere persönliche Gespräch nebenbei führen zu können. Die Hoffnung, dass wir das Vor-Corona-Niveau wieder erreichen, dürfen wir inzwischen durchaus haben.

Welche technologischen Themen werden die Messe in diesem Jahr prägen?

Wir stellen seit Jahren – insbesondere in Deutschland – fest, dass die Kosten stetig steigen. Natürlich sind hier immer wieder innovative Ideen gefragt, wie unsere Kunden diese Situation in den Griff bekommen können. Hier spielt eine wesentliche Rolle, dass moderne Werkzeugmaschinen – unter anderem durch den synchronen Lauf mehrerer Achsen – Prozesse erlauben, die so in der Vergangenheit nicht denkbar waren. Das Vernetzen von Werkzeugmaschine, Zerspanwerkzeug, Spannzeug und Prozess bietet noch viel Potenzial, Produktionsabläufe wirtschaftlicher, effizienter und nachhaltiger zu gestalten.

Was beschäftigt die Branche auf der organisatorischen, geschäftlichen Seite?

Auf der Prozessseite nimmt die Vernetzung – intern wie extern – weiter zu. Hier wurden in den letzten Jahren Grundlagen geschaffen, etwa um Werkzeugdaten strukturiert und normiert auszutauschen. Auf der geschäftlichen Seite sind die politischen Unsicherheiten – und damit auch die Frage nach der künftigen Attraktivität des Wirtschaftsstandorts Deutschland – entscheidende Themen. Wir sehen, dass viele Unternehmen dorthin abwandern, wo sie bessere Bedingungen vorfinden. Das beschäftigt die Menschen, sowohl in den Unternehmen als auch privat.

Wie steht es um den viel zitierten Fachkräftemangel?

Dieses Thema muss man aus meiner Sicht differenziert Betrachten. Akademische Fachkräfte scheint es derzeit genug zu geben. Viel gravierender ist der Fachkräftemangel im Bereich der gewerblichen Fachkräfte, die in der Produktion für die bestmöglichen Ergebnisse sorgen. Gerade in Deutschland sind wir der Meinung, jeder muss studiert haben. Das sehe ich nicht so. Es muss uns gelingen, die Attraktivität moderner Berufsbilder – etwa des Industriemechanikers, des Zerspanungstechnikers, des Mechatronikers und vieler weiterer – wieder viel besser zu vermitteln und breiter in die Öffentlichkeit zu tragen. Wer in die Aus- und Weiterbildung sowie die Förderung des Nachwuchses investiert, der hat hier wahrscheinlich weniger Probleme als jemand, der das nicht tut.

Welche Rolle wird das Thema Künstliche Intelligenz künftig spielen? Worauf kommt´s hier an, dass das in der Praxis wirklich funktionieren kann?

KI ist ein Thema, bei dem es viele Gedankenspiele gibt, die sich im ersten Moment sehr spannend anhören, bei denen aber auch viele Voraussetzungen gegeben sein müssen, damit sie wirklich funktionieren. Wir sehen den Nutzen von KI – überall dort, wo eine sehr gute und strukturierte Datengrundlage vorhanden ist. Dort können Computersysteme große Datenmengen aus der Vergangenheit schnell abgleichen und bestimmte Muster finden. Wenn es aber darum geht, zukunftsgerichtete Aussagen zu generieren oder wichtige Entscheidungen zu treffen, dann halte ich KI – Stand heute – für nicht geeignet und wenig hilfreich. Die Grenzen der Leistungsfähigkeit von Computern sind hier schnell erkennbar. Die schöpferischen und kreativen Fähigkeiten, die uns Menschen auszeichnen, halten sich bei KI-Systemen – zumindest noch – in engen Grenzen. KI-Systeme können – wie gesagt – riesige Datenmengen nach bestimmte Mustern durchsuchen und daraus Handlungsempfehlungen ableiten, die dann aber nur unter den gleichen Rahmenbedingungen wirklich passen. Nun ist es aber leider so, dass sich die Rahmenbedingungen ständig ändern…

Was erwartet die Besucher der EMO rund ums Hypethema „Nachhaltigkeit“?

Nachhaltigkeit ist ein wichtiges und präsentes Thema. Im Werkzeugbereich arbeiten wir schon immer daran, unsere Produkte so zu optimieren, dass wir trotz geringerem Ressourcen- und Energieeinsatz mehr erreichen, dass unsere Werkzeuge die Prozesse unserer Kunden so optimieren, dass auch sie erheblich weniger Ressourcen und Energie verbrauchen. Und diese Entwicklung setzt sich fort. Insofern glaube ich, dass wir eine nachhaltige Branche sind, die sich aber künftig diesbezüglich besser positionieren und verkaufen muss. Vieles was heute als letzter Schrei gilt, haben wir bei Horn schon vor zehn Jahren umgesetzt. Übrigens: Viele unserer Kollegen auch. Gerade für uns Mittelständler war und ist es schon immer wichtig, zukunftsgerichtet zu agieren und unseren Kindern und Enkeln eine Welt zu hinterlassen, die auch für sie lebenswert ist.

Immer wieder neue Richtlinien und Regularien – wie schwer sind die umzusetzen?

Wenn wir jetzt beginnen, eine Liste zu erstellen, sind wir wahrscheinlich morgen noch nicht fertig. Was viele Unternehmen längst umgesetzt haben, müssen wir immer aufwändiger dokumentieren. Inhaltlich und mit Blick aufs Ergebnis bewegt sich dadurch wenig vorwärts. Ein gutes Beispiel dafür ist der Datenschutz.

Unterscheidet sich das Nachhaltigkeitsverständnis in verschiedenen Regionen?

Wenn wir mal ganz grob die drei Regionen Europa, USA und China betrachten, dann können wir täglich der Presse entnehmen, dass es sehr wohl unterschiedliche Standards gibt. Aber schon innerhalb Europas zeigt das Thema Energie und deren Erzeugung, dass sich die Herangehensweise stark unterscheidet. Wir haben in Deutschland die höchsten Energiepreise weltweit. Wohin das führt, sehen wir fast täglich. Besonders die energieintensiven Unternehmen suchen sich neue Standorte mit besseren Rahmenbedingungen. Die Politik betont immer wieder, wenn der Wind weht und die Sonne scheint, könnten wir unseren Energiebedarf regenerativ decken. Aber die Energie wird nicht dort erzeugt, wo sie benötigt wird, und uns fehlt die Infrastruktur, sie bedarfsgerecht zu verteilen. Die Folge: Im Süden Deutschlands, wo ein Großteil der produzierenden Industrie sitzt, müssen wir teuren Strom aus Nachbarländern zukaufen, die mithilfe von Atom-, Kohle- oder Gaskraftwerken für Versorgungssicherheit sorgen. Ist das sinnvoll? In einer von ihr selbst herbeigeführten Situation mit zu hohen Strompreisen und mangelhafter Versorgungssicherheit, diskutiert unsere Ampelregierung über ein Subventionsprogramm für energieintensive Unternehmen. Das wird nichts bringen. Vor allem, weil Versprechen nicht immer eingehalten werden.

Wie ist der Stand hinsichtlich der „PCF-Berechnungsguideline für den Maschinen- und Anlagenbau“ des VDMA?

Unter dem Namen Berechnungsguideline für den Product Carbon Footprint hat der VDMA ein Infopaket erarbeitet, mit dem interessierte Unternehmen in das Thema einsteigen können. Weil es ein laufender Prozess ist, gibt es hier im Moment noch wenig finale Erfahrungen, aber es wird daran gearbeitet. Jeder, der sich in dieser Richtung engagieren und sein Unternehmen entsprechend optimieren will, sollte sich aber darüber klar sein, dass die Umsetzung viel Arbeit bedeutet.

Es wird immer wieder betont, dass die Belastungen für die Präzisionswerkzeug-Branche stetig steigen. Wo drückt der Schuh derzeit am meisten?

Betrachten wir nur mal die drei wichtigsten Blöcke. Über den ersten haben wir bereits gesprochen: Energie, Versorgungssicherheit und die Kosten dafür. Im Block zwei sehe ich das Thema Lieferketten, die aufgrund geopolitischer Konflikte und des Krieges in der Ukraine gestört sind. Dazu kommt die Unsicherheit, wie wir mit China umgehen sollen oder dürfen. Diese Unsicherheit zeigt sich auch darin, dass sich viele Unternehmen – selbst chinesische – mittlerweile mehr in den Ländern um China herum engagieren. Und als dritten Block sehe ich die fast schon explodierende Bürokratie. Die vielfältigen Nachweispflichten, die zum Großteil zu den Aufgaben eines Staates gehören sollten, sind für die meisten Unternehmen und insbesondere für den Mittelstand nicht mehr leistbar. Ein Beispiel: das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz.

Wenn Sie drei Wünsche an die Politik richten dürften, welche wären das?

Unsere Ampel regiert – meiner Meinung nach – gerade an den Menschen und an der Industrie vorbei. Die Regierung verfolgt ideologische Ziele und läuft dabei ungebremst gegen eine Wand. Wenn das seitens der Politik nicht gewollt wäre, sollte es leicht möglich sein, gemeinsam mit Vertretern der wichtigen Verbände und der Industrie tragbare Lösungen zu erarbeiten. Mein dringlichster Wunsch wäre also, endlich diesen ideologischen Crash-Kurs zu beenden. Wunsch Zwei wäre das Ende der Verbotspolitik. Beispiel: Statt den Verbrennungsmotor zu verbieten und dogmatisch auf den ebenfalls nicht uneingeschränkt umweltfreundlichen E-Antrieb zu setzen, sollten wir überschüssige Energie aus Solar- und Windparks – beispielsweise in Spanien – nutzen, um E-Fuels herzustellen und damit schon heute Verbrenner CO2-neutral zu betreiben. Ein Ende dieser Verbotspolitik ist essentiell, damit die Industrie endlich vernünftige Lösungen erarbeiten kann. Mein dritter Wunsch: Endlich echte Friedensbemühungen, statt einer Politik ohne spürbare Wirkung, aber mit ständig wachsender Abschottung und Eskalation. Die Konfliktparteien sollten aufeinander zu- und eingehen und Lösungen erarbeiten, die den Frieden in der Welt sichern.

Wie sieht´s aktuell mit den Lieferketten und mit der Versorgungssicherheit mit Rohstoffen aus?

Die Lieferkettenproblematik scheint sich zu entspannen. Wir bewegen uns in Richtung einer Rezession. Das heißt, dass die Nachfrage sinkt und sich die Lieferkette automatisch stabilisiert. Andererseits haben inzwischen mehr Unternehmen verstanden, dass man seine Lieferketten resilient aufstellen und nicht nur nach dem billigsten Anbieter schauen sollte. Alternative Lieferanten und eine nachhaltig aufgestellte Lieferkette halten einen auch in schwierigen Zeiten handlungsfähig.

Wie lief 2023 für die Branche bislang?

Details zu den Marktzahlen werden wir auf der EMO bekanntgeben. Bei den Präzisionswerkzeugherstellern fällt das Minus im Auftragseingang deutlich geringer aus als im gesamten Maschinenbau. Dass die EZB gerade wieder den Leitzins erhöht hat, finde ich mit Blick auf die Inflation positiv, aber das kann auch die zu erwartende Rezession verschärfen. Es kommen also spannende Jahre auf uns zu.

Unsere Webinar-Empfehlung
Firmen im Artikel
Industrieanzeiger
Titelbild Industrieanzeiger 12
Ausgabe
12.2024
LESEN
ABO
Newsletter

Jetzt unseren Newsletter abonnieren

Webinare & Webcasts

Technisches Wissen aus erster Hand

Whitepaper

Aktuelle Whitepaper aus der Industrie

Unsere Partner

Starke Zeitschrift – starke Partner


Industrie.de Infoservice
Vielen Dank für Ihre Bestellung!
Sie erhalten in Kürze eine Bestätigung per E-Mail.
Von Ihnen ausgesucht:
Weitere Informationen gewünscht?
Einfach neue Dokumente auswählen
und zuletzt Adresse eingeben.
Wie funktioniert der Industrie.de Infoservice?
Zur Hilfeseite »
Ihre Adresse:














Die Konradin Verlag Robert Kohlhammer GmbH erhebt, verarbeitet und nutzt die Daten, die der Nutzer bei der Registrierung zum Industrie.de Infoservice freiwillig zur Verfügung stellt, zum Zwecke der Erfüllung dieses Nutzungsverhältnisses. Der Nutzer erhält damit Zugang zu den Dokumenten des Industrie.de Infoservice.
AGB
datenschutz-online@konradin.de