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Wie Quantentechnologie die Fertigungstechnik verändert

Wie Quantentechnologie die Fertigungstechnik verändert
Forschung und Entwicklung arbeiten an praxistauglichen Quantentechnologien

Das Zeitalter der Quantentechnologie bricht an. Praxistaugliche Quantencomputer werden zwar noch einige Zeit auf sich warten lassen, aber Forschungs- und Entwicklungsprojekte legen schon heute die Grundlagen für praktische Anwendungen der Technologie. Das hat auch für die Fertigungstechnik Folgen.

» Volker Albrecht, freier Fachjournalist in Bamberg

Die Quantentechnologie ist ein Zukunftsthema. Großunternehmen wie Google oder IBM investieren Milliarden in die Erforschung und Entwicklung von Quantencomputern. Auch Staaten wie die USA, China, die Europäische Union oder Deutschland legen ambitionierte Förderprogramme auf, um eine Führungsrolle in der Entwicklung dieser Technologie einzunehmen. Der Hype wird durch die erwarteten enormen Leistungssteigerungen durch Quanteneffekte vorangetrieben: Quantencomputer sollen komplexe Probleme wie die Primzahlfaktorisierung großer Zahlen in Minuten lösen können, während herkömmliche Supercomputer Jahrhunderte dafür benötigen würden. Quantensensoren messen zudem 1000-mal sensibler als herkömmliche Sensoren und die Quantenkommunikation eröffnet Wege für eine schnelle und sichere Datenübermittlung.

Was ist Quantentechnologie?

Aktuell befindet sich die Quantentechnologie noch im frühen Entwicklungsstadium. Experten schätzen, dass es noch einige Jahre dauert, bis praxistaugliche Quantencomputer auf den Markt kommen. Die Grundlage dieser neuen Technologie liegt im besonderen Verhalten von diskreten Licht- und Masseteilchen im subatomaren Bereich. Dieses Verhalten lässt sich nicht mit klassischer Physik erklären, kann aber gut durch den Welle-Teilchen-Dualismus beschrieben werden. Mit diesen Quanten können Recheneinheiten gebildet werden, sogenannte Qubits, die bestimmte Zustände wie Spin Up oder Spin Down eines Elektrons zur Codierung binärer Zahlen nutzen.

Im Gegensatz zu herkömmlichen Bits überlagern Qubits diese komplementären Zustände und repräsentieren gleichzeitig die Werte 0 und 1. Dieser Zustand bleibt erhalten, solange ein Qubit nicht mit der makroskopischen Welt interagiert. Sobald der Wert eines Qubits gemessen wird, kollabiert dieser Zustand, und das Qubit nimmt einen der beiden Werte an. Zudem können Qubits miteinander verschränkt werden, sodass sie auch über große Entfernungen wie eine Einheit wirken. Wenn eines der verschränkten Qubits gemessen wird, nimmt das andere Qubit instantan denselben Zustand an. Mehrere Qubits können zu Quantenregistern zusammengefasst und über Quantengatter manipuliert werden, um logische Rechenvorgänge abzubilden.

Da jedes Qubit gleichzeitig die Werte 1 und 0 codiert, bildet ein Quantenregister auch alle Kombinationen davon gleichzeitig ab. Ein Quantenregister mit n Qubits führt also parallel Berechnungen mit 2n Zuständen durch, was exponentiell mehr ist als bei einem linearen Halbleiter-Computer mit n Bits und n Zuständen.

Warum sind Quantencomputer schnell?

Physikalisch werden Qubits mit verschiedenen Ansätzen realisiert. Am weitesten fortgeschritten sind Quantencomputer mit supraleitenden integrierten Schaltkreisen, die von Unternehmen wie IBM oder Google entwickelt werden. Diese Schaltkreise verhalten sich im Prinzip wie Schwingschaltkreise, die durch Kühlung supraleitende Quanteneigenschaften aufweisen. Eine andere Methode sind Ionenfallen-Quantencomputer, bei denen geladene Atome (Ionen) in elektrischen Feldern gefangen und durch Radiowellen sowie Laserstrahlen kontrolliert werden. Ein dritter Ansatz nutzt Photonen in integrierten photonischen Schaltkreisen auf Silizium-Chips, um photonische Qubits zu erzeugen.

Neben diesen drei Ansätzen für universelle gatterbasierte Quantencomputer gibt es den vielversprechenden Ansatz eines Quanten-Annealers von D-Wave, der für bestimmte Optimierungsaufgaben eingesetzt werden kann.

Der Prozessor IBM Osprey mit 433 Qubits erreicht aktuell die größte Rechenleistung unter den gatterbasierten Quantencomputern. IBM hat jedoch einen Nachfolgeprozessor mit 1.000 Qubits für das Jahr 2023 angekündigt. Am Forschungszentrum Jülich wird im Rahmen des europäischen Projekts OpenSuperQ ebenfalls an einem Quantencomputer mit 1.000 Qubits geforscht. Zudem wird dort für die Anwendungsforschung ein Quanten-Annealer der Baureihe Advantage von D-Wave mit 5.000 Qubits eingesetzt. Ionenfallen-Quantencomputer des österreichischen Start-ups AQT erreichen derzeit Quantum Volume 128. Im Projekt PhoQuant wird unter Beteiligung der Trumpf-Tochtergesellschaft Q.Ant an einem photonischen Quantencomputer geforscht.

Alle derzeit verfügbaren Quantencomputer gehören zur Klasse der NISQ-Quantencomputer (Noisy Intermediate-Scale Quantum), die mit hohen Fehlerraten arbeiten, anfällig für Umgebungseinflüsse sind und für die ein echter Zeitvorteil gegenüber klassischen Computern noch nicht nachgewiesen wurde. Aus diesem Grund konzentriert sich die Forschung derzeit auf die Entwicklung von Algorithmen zur Fehlerkorrektur und „logischen Qubits“, in denen fehlerkorrigierte Qubitgruppen zuverlässige Ergebnisse liefern sollen.

Aufgrund der unterschiedlichen Logik lassen sich herkömmliche Programme nicht einfach auf einen Quantencomputer übertragen. Stattdessen erfordert dies die Entwicklung neuer Quanten-Algorithmen. Diese Algorithmen können mithilfe von Methoden der linearen Algebra entwickelt werden. Bereits für einige wichtige Anwendungsfälle wurden Algorithmen gefunden, die einen deutlichen Geschwindigkeitsvorteil gegenüber herkömmlichen Methoden bieten. Zu diesen gehören der „Shor-Algorithmus“ für die Primfaktorzerlegung und der „Grover-Algorithmus“ für die Sortierung großer Datensätze. Diese Algorithmen erfordern allerdings große fehlerkorrigierende Quantencomputer.

Quantencomputer können auf klassischen Computern simuliert werden. Das impliziert, dass Quantencomputer für Probleme sinnvoll eingesetzt werden können, für die zwar theoretische Lösungsansätze bekannt sind, die jedoch auf herkömmlichen Computern nicht effizient berechnet werden können.

Quantencomputer und Fertigungstechnik

Diese Optimierungsprobleme werden in der Komplexitätstheorie als NP-schwer bezeichnet und kommen im Fertigungsalltag häufig vor. Entsprechend beschäftigen sich verschiedene Studien mit konkreten Optimierungsproblemen in der Anwendungstechnik. Untersucht wird, ob sie effizienter mit Quantencomputern gelöst werden können und welche Voraussetzungen dafür erfüllt sein müssen. Viele dieser Probleme lassen sich auf Kernprobleme zurückführen. Dazu gehören das Travelling-Salesman-Problem (TSP), bei dem der Rechenaufwand zur Ermittlung der optimalen Reiseroute exponentiell mit der Anzahl der Stationen ansteigt, sowie das Job-Shop-Scheduling (JSSP), das die Aufteilung von Aufträgen auf verschiedene Maschinen betrifft. In der Praxis werden diese häufig mit heuristischen Methoden zur kombinatorischen Optimierung (COP) bearbeitet.

Das Optimieren der Maschinenbelegung in der Blechbearbeitung in Verbindung mit dem Optimieren der Schachtelung von Schneidtafeln wurde von Trumpf in Zusammenarbeit mit Fraunhofer Fokus untersucht. Derzeit werden in der Praxis für eine begrenzte Anzahl von Maschinen Näherungslösungen auf herkömmlichen Computern für die automatische Planung der Maschinenbelegung und die automatische Schachtelung errechnet. Mit einer quantengerechten Formulierung und Bearbeitung des Problems wurde gezeigt, dass mit einem leistungsstarken Quanten-Annealer tatsächlich ein Zeitvorteil beim Berechnen der Optimierungslösung erzielt werden könnte. Trumpf arbeitet zwar weiterhin an diesem Projekt, Frederick Struckmeier, Leiter Anwendungen des Quantencomputings bei Trumpf, ist sich der Grenzen des Quantencomputings allerdings bewusst: „Um es klar zu sagen: Einige Probleme werden selbst für Quantencomputer zu komplex bleiben, um sie wirtschaftlich und in angemessener Zeit zu lösen.“ Es wäre bereits ein Vorteil, wenn die bisherigen Berechnungszeiten um den Faktor 1.000, also von 4 Wochen auf 40 Minuten reduziert werden könnte.

In einer gemeinsamen Machbarkeitsstudie von NTT Data und der TH Rosenheim wurde für ein ähnlich gelagertes Problem, das Taillards Job-Shop-Problem, mithilfe der Coherent Ising Machine eine Lösung gefunden. Das System ist ein von NTT Data entwickeltes photonisches adiabatisches Quantenoptimierungssystem. Zur Simulation dieser Technologie auf herkömmlicher Hardware entwickelten die Forschungsteams mehrere Algorithmen, darunter die chaotische Amplitudenkontrolle.

VW hat eine quantengerechte Software fürs Optimieren seiner Lackiererei bis zum Prototyp samt Front-End entwickelt. Dabei wird das Problem der Farbreihenfolge der Fahrzeuge in der Montage angegangen. Da die Planung der Montagereihenfolge aufgrund verschiedener Ausstattungsvarianten komplex ist, bleiben die Farben der Karosserien darin unberücksichtigt. In der Lackiererei, die am Anfang der Montagekette steht, kommt es daher häufig zu aufwändigen Farbwechseln, und zwar auch bei den nur zwei Farben der Grundierung. Die quantengerechte Optimierungssoftware wurde mit echten Daten auf tatsächlichen Quantencomputern durchgeführt und sei für den praktischen Einsatz bereit, heißt es.

Optimierung durch Simulation

Die erwartete hohe Rechenleistung macht Quantencomputer interessant für den Einsatz in der Simulation. Im Projekt Quasim (Quantum Computing Enhanced Service Ecosystem for Simulation in Manufacturing) wird am Fraunhofer IPT die Einsatzmöglichkeit von Quantencomputern im Zusammenhang mit dem digitalen Zwilling spanender Werkzeugmaschinen erforscht. Dabei wird im dPart-Framework ein digitaler Zwilling für die Zerspanung durch numerische Simulationsmodelle und Machine-Learning-Algorithmen erstellt, mit dem sich Kräfte und Prozessschwingungen simulieren und visualisieren lassen. Für kritische Simulationen greift das Framework auf ein Quantum-as-a-Service-Backend (QaaS) zurück und nutzt dafür reale Quantencomputer-Hardware am Forschungszentrum Jülich sowie am Kompetenzzentrum „Quantencomputing Baden-Württemberg“.

In einer Machbarkeitsstudie haben NTT Data und die TH Rosenheim die Steuerung mobiler Roboter mithilfe von Quantencomputing und Reinforcement-Learning untersucht. Das „Cart-Pole“-Modell, bei dem eine auf einem fahrbaren Untersatz stehende Stange senkrecht gehalten werden soll, wurde erfolgreich gelöst. Hybride Quantenalgorithmen waren in der Lage, die komplexen Steuerungsalgorithmen während der Laufzeit der herkömmlichen digitalen Roboterarmsteuerung auszuführen.

Derzeit konzentrieren sich Forschungs- und Entwicklungsprojekte zum Einsatz von Quantencomputern in der Fertigung hauptsächlich auf Optimierungsprobleme vorwiegend in der Planung, der Intralogistik, der Logistik und der Optimierung von Lieferketten. In der chemischen und pharmazeutischen Industrie spielen zudem Aspekte der Optimierung durch die Simulation von Molekülen und Reaktionen bei der Entwicklung und Produktion neuer Materialien oder Medikamente eine Rolle.

Dazu liefern Untersuchungen zum Quantencomputing im Bereich maschinelles Lernen erfolgversprechende Ergebnisse. Eine so bedingte Verbesserung der KI könnte indirekt deutliche Veränderungen in der Fertigungslandschaft durch Quantencomputing nach sich ziehen. Ähnliches gilt auch für die Quantenmetrologie und insbesondere für Quantensensoren, die deutlich empfindlichere Messungen ermöglichen als herkömmliche Systeme. Auf der Hannover Messe hat beispielsweise die Trumpf-Tochter Q.Ant einen ersten photonischen Sensor vorgestellt, um Partikeln mit extrem hoher Präzision zu messen. Quantensensoren auf Basis von Diamanten erreichen durch Quanteneffekte Auflösungen im Bereich von Nanometern. Diese präziseren Messungen können beispielsweise eine Rolle spielen, wenn gedruckte Schaltungen mit Leiterbahnabständen im Nanometer-Bereich überprüft werden.

Die Quantentechnologie befindet sich insgesamt noch am Anfang ihrer Entwicklung, aber die Erwartungen sind hoch. Es entsteht eine Community, die derzeit offen für Einsteiger ist. Bereits heute hat sich ein Markt rund um die Quantentechnologie entwickelt, der von Beratung und Softwareentwicklung bis hin zu Hardware und Zubehör reicht.


Quantenmechanik – was Sie darüber wissen sollten

Quanten sind kleinste diskrete Pakete an Energie oder Masse, die physikalische Eigenschaften annehmen und im subatomaren Bereich anzuordnen sind. Konkret handelt es sich um Photonen, Elektronen, Neutronen und weitere Teilchen aus dem Standardmodell des Atomaufbaus. Das Verhalten von Quanten lässt sich nach der Quantenmechanik sowohl mit der Schrödinger Wellengleichung als auch als Teilchenstrahl beschreiben. Beides liefert eigentlich einander widersprechende Ergebnisse: Als Teilchen sind Quanten zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort und wirken dort immer vollständig. Teilchen sind quantisiert, lassen sich also zählen. Als kohärente Welle breiten sich Quanten in Schwingungen in Zeit und Raum aus und interferieren, überlagern sich also.

Wellen sind im Gegensatz zu Teilchen gleichzeitig an verschiedenen Stellen und wirken dort mit verschiedenen Stärken. Die Wellenfunktion kollabiert in dem Moment, in dem ein Teilchen gemessen wird. Seine Eigenschaften nehmen dann einen konkreten Wert an. Bei Quanten lassen sich zudem zwei komplementäre Eigenschaften wie Impuls und Ort oder auch der Spin nach der Heisenbergschen Unschärferelation nicht gleichzeitig beliebig genau bestimmen. Im Gegensatz zur klassischen Physik können Quanten auch dann nicht berechnet werden, wenn alle Kräfte und Zustandseigenschaften bekannt sind.

Eine weitere Besonderheit ist die Verschränkung von Quanten. Wird beispielsweise ein Photon an einem nichtlinearen Kristall geteilt, so bleiben beide entstehende Photonen weiterhin eine Einheit. Sobald man an einem dieser Photonen eine Zustandseigenschaft, etwa die Polarisation, misst, nimmt instantan das andere Photon denselben Zustand ein. Und zwar ohne eine klassische Informationsübertragung. Der Effekt der Verschränkung bleibt über sehr große Entfernungen erhalten und kann an anderen Quantenarten ebenfalls erzeugt werden.


Mona Willrett, Redakteurin Industrieanzeiger
Bild: Tom Oettle

Sorgen Quanten für Quantensprung?

Noch steckt die Quantentechnologie in den Kinderschuhen, aber die Forschung zeichnet bereits Anwendungsszenarien vor, in denen sie auch in der Produktion Optimierungspotenziale freisetzen kann. Ob das „Quantensprünge“ sein werden, ist noch offen. Vieles deutet darauf hin, dass praxistaugliche Lösungen in absehbaren Zeiträumen verfügbar sein werden. Deren Einsatz wird neue Denkweisen, Strukturen und Kompetenzen erfordern. Das nötige Know-how lässt sich jedoch nicht auf die Schnelle aufbauen.

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