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Grüne Prozesse für farbige Autolacke

Fahrzeughersteller erhöhen die Energieeffizienz ihrer Lackieranlagen
Grüne Prozesse für farbige Autolacke

Die Hälfte der Energie, die zur Produktion eines Fahrzeugs aufgebracht werden muss, geht auf das Konto der Karosserie-Lackierung. Von Anlagenbauern und Forschern kommen daher viele Ideen und Konzepte für einen grünen Lackierprozess.

Immerhin 12 % aller CO2-Emissionen eines Autos entstehen – nein, nicht etwa im Straßenverkehr, sondern viel früher, nämlich in der Lackiererei. „Eine Lackiererei ist ein energieintensiver Produktionsbereich“, sagt Pavel Svedja, Key Account Manager beim Anlagenbauer Dürr Systems in Bietigheim.

„Effizienz und Nachhaltigkeit sind hier aktuell die großen Trends. Wer seine Lackieranlagen effizient und umweltschonend betreibt, erzielt als positiven Nebeneffekt erhebliche Kosteneinsparungen.“ In einer Lackiererei mit 150 000 Karosserien im Jahr summiere sich dies bei einer Modell-Zykluszeit von typischerweise sieben Jahren leicht auf einen zweistelligen Millionenbetrag, rechnet Svedja vor.
In neuen Fabriken lässt sich dies natürlich am leichtesten realisieren, wie das Beispiel des chinesischen Automobilherstellers Cheri zeigt. Er baut im Moment mitten in einer beliebten Urlaubsregion im Reich der Mitte ein neues Werk , ausgelegt für 200 000 Pkw im Jahr. Dürr errichtet dort als Generalunternehmer eine durch und durch umweltfreundliche Lackiererei. Umgesetzt wird dies durch eine ganze Reihe anlagentechnischer Maßnahmen. „Aber auch Altanlagen bieten beim genauen Hinsehen sehr große Optimierungspotenziale“, sagt der Dürr-Manager.
Insgesamt 20 verschiedene Maßnahmen zur Energie- und Ressourceneffizienz haben die Entwickler bei Dürr mittlerweile in ihren Lackieranlagen realisiert. Der Böblinger Mitbewerber Eisenmann steht dem in nichts nach. „Dabei sollte man aber nicht vergessen, dass die wichtigste Anforderung der Automobilindustrie nach wie vor ein hervorragender Korrosionsschutz in Verbindung mit einem möglichst perfekten optischen Erscheinungsbild ist“, stellt Eisenmann Key Account Manager Bodo Mayer klar. Das heißt: grünes Lackieren ja, aber keinesfalls zu Lasten der Qualität.
Als die beiden Prozessschritte mit dem größten Energie- und Ressourcenverbrauch identifiziert das Fraunhofer Institut für Produktionstechnik und Automatisierung (IPA) das Spitzlackieren und Trocknen. Zwischen 60 und 70 % des Gesamtverbrauchs bei der Karossierelackierung müssen hier in der Regel aufgebracht werden.
Beim Spritzlackieren sind in den vergangenen Jahren mit die größten Fortschritte erzielt worden. Sowohl Eisenmann als auch Dürr haben ihr Augenmerk auf lackverlustfreie Beschichtungsverfahren gelegt. „Denn durch die Vermeidung von Lackoverspray können die mit einem hohen Energieeinsatz verbundenen Entsorgungsmaßnahmen zur Konditionierung von Spritzkabinenluft entfallen“, erklärt Dieter Ondratscheck, Abteilungsleiter Lackiertechnik am Fraunhofer IPA. In alten Anlagen wird der Overspray noch nass und damit energieverschwendend ausgewaschen. In neuen Anlagen hat sich die Trockenabscheidung durchgesetzt, die den Anteil des Oversprays auf unter 20 % reduziert.
Dürr und Eisenmann, die beiden größten Lackieranlagenbauer weltweit, gehen hier unterschiedliche Weg: Dürr setzt bei seinem Ecodryscrubber Kalksteinmehl als Bindemittel für die Lackpartikel ein. Durch ein Umluftsystem gelangen die nassen Lack-Overspraypartikel in Filtermodule und lagern sich dort an einzelnen Filterelementen an. An der Oberfläche der Filtermembran findet die Abscheidung der Lackpartikel statt. Danach wird die Luft in den Umluftprozess zurückgeführt. Das gesättigte Kalksandsteinmehl wird peu à peu automatisch durch frisches ersetzt und kann unbehandelt in anderen Produktionsprozessen wie der Zementindustrie oder der Rauchgasentschwefelung zweitverwertet werden.
Eisenmann hingegen hat bei seinem System E-Scrub das Prinzip der Elektrostatik auf die Luftaufbereitung übertragen. Die in der Luft schwebenden Lackpartikel werden durch ein Hochspannungsfeld geladen und aus der Luft abgeschieden. Damit sei auch eine Nachrüstung bestehender Anlagen möglich.
Doch die Entwicklung ist damit noch nicht am Ende angelangt. Sie geht in Richtung oversprayfreie Beschichtungsverfahren als Alternative zu den heutigen Spritzverfahren. Dazu sind allerdings neue Beschichtungsmaterialien notwendig, die das Fraunhofer IPA derzeit mit Projektpartnern aus der Industrie – darunter auch Dürr – im Projekt „Green Carbody Technologies“ (Innocat) entwickelt.
Hier entstehen auch neue Lösungen für die Trocknertechnik. Dürr hat die zugehörige thermische Ablufttechnik durch ein integriertes Luftmanagement und Wärmerückgewinnung in Verbindung mit einem neuen Brenner erst kürzlich so optimiert, dass sie Herstellern weitere 15% Energieeinsparungen im Lackierprozess bringt. Im IPA-Projekt geht es nun darum, Anlagen und Steuerungstechnik hinsichtlich Wirkungsgraderhöhung und Reduktion der benötigten Luftmengen weiter zu verbessern.
Eine völlige Neuorientierung für die Automobilhersteller bringt indes das dritte Innocat-Arbeitspaket: Der Trend zu Leichtbaumaterialien wird eine Fülle von Anbauteilen zur Folge haben, die an einen Fahrzeug-Rahmen angedockt werden. Diese zu lackieren, erfordert neue Ansätze. Die Anlagen können kompakter und damit energieeffizienter werden.
Sabine Koll Journalistin in Böblingen

Einsatz für Solarthermie und Wärmerückgewinnung

Lackierprozesse

Um den Energiehunger von Lackieranlagen zu stillen, gibt es alternative Wege. Eisenmann setzt hier auf die Integration von Solarthermie in Produktionsprozesse sowie die Wärmerückgewinnung aus externen und internen Quellen. „In Deutschland könnte bis zu 30 % der Energie für den Lackierprozess in der Automobilindustrie durch eine solarthermische Lösung gewonnen werden“, sagt Joachim Hug, Experte bei Eisenmann Anlagenbau. Notwendig ist dafür die Installation von Vakuumröhren-Kollektoren etwa auf dem Dach des Gebäudes. Sie stammen vom Eisenmann-Partner Ritter XL Solar und erreichen bei gleicher Leistung eine viel höhere Temperaturdifferenz als die konventionellen Flachkollektoren. In den doppelwandigen Vakuumröhren befindet sich ein Registerrohr mit Wärmeleitprofil, das durch die Sonneneinstrahlung erhitzt wird. Dafür sorgt ein Reflektor für eine zusätzliche Bündelung auf das Rohr. Daher liegt die Betriebstemperatur selbst bei schwacher oder diffuser Einstrahlung zwischen 80 und 120 °C – Energie, die sich im Lackierprozess als Heißwasserspeicher etwa für das Vorbehandlungsbad und die Zuluftanlage oder auch zur Kühlung des KTL-Bads nutzen lässt.
Die Wärmerückgewinnung setzt Eisenmann zum Beispiel bei einer Räderlackieranlage ein. Hier wird der anlageninterne Abluftstrom der thermischen Nachverbrennungsanlage zur Beheizung eines Warmwasserkreislaufs sowie von drei Aluminium-Schmelzöfen genutzt. Die überschüssige Wärmeleistung wird mittels einer Absorptionskältemaschine zur Kaltwassererzeugung verwendet. Mit diesem Kaltwasserkreis können Kühlzonen versorgt werden. Auch in Nasslackspritzkabinen kommen Wärmerückgewinnungssysteme zum Einsatz. Hier wird ein Teil der Abwärme des Kühlprozesses, der zur Entfeuchtung der Spritzkabinen erforderlich ist, zum Nachheizen genutzt. sk
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