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„Modulare Werkzeuge verkürzen die Durchlaufzeit“

Dr. Wolfgang Boos, Geschäftsführender Oberingenieur des awf, über die Industrialisierung des Formenbaus
„Modulare Werkzeuge verkürzen die Durchlaufzeit“

„Modulare Werkzeuge verkürzen die Durchlaufzeit“
„Konstrukteure brauchen Richtlinien, damit sie häufig wiederkehrende Komponenten nicht immer wieder neu entwerfen.“
Um die Prozesse im Werkzeug- und Formenbau zu industrialisieren, müssen die Werkzeuge und ihre Komponenten modular aufgebaut werden, sagt Dr. Wolfgang Boos. Er ist Geschäftsführender Oberingenieur des Aachener Werkzeug- und Formenbaus (AWF).

Wenn es um die Zukunft des Werkzeug- und Formenbaus geht, wird oft über dessen Industrialisierung gesprochen. Was sind die Voraussetzungen dafür?

Die Basis für einen industrialisierten Werkzeugbaubetrieb sind Module und standardisierte Komponenten. Im Idealfall sollten sich die Werkzeuge, Formen und Gesenke weitgehend aus einem Baukasten aufbauen lassen, so dass nur der formgebende Teil auftragsbezogen zu fertigen ist. Die anderen Elemente – Aufbauplatten, Schieberkomponenten, Normalien und so weiter – sollten Standardteile sein. Um das zu erreichen, müssen Werkzeugbauer darüber nachdenken, wo und wie sie möglichst viele Gleichteile einsetzen können. Viel zu oft werden Komponenten jedoch immer wieder neu konstruiert. Hier gilt es, den Konstrukteuren Richtlinien vorzugeben.
Lässt sich das in der Praxis umsetzen?
Es lässt sich umso leichter und besser umsetzen, je ähnlicher die Werkzeuge sind. Schwierig ist es, wenn ein Werkzeugbauer heute eine kleine Spritzgießform, morgen ein großes Umformwerkzeug und übermorgen ein Stanztool herstellt. Aber solche Betriebe werden es mittel- bis langfristig am Markt sehr schwer haben und nur in Nischen überleben können. Special Tooler, die heute erfolgreich sind, haben sich in der Regel spezialisiert. Für sie ist es leichter, einen modularen Baukasten aufzubauen. Ein weiterer Vorteil standardisierter Teile und Baugruppen: Sie können vorproduziert werden, wenn die Fertigung nicht voll ausgelastet ist. Dadurch werden in Zeiten extremer Auslastung Kapazitäten frei. Neben dem reduzierten Entwicklungs- und Fertigungsaufwand durch die Standardisierung, hilft auch das, die Durchlaufzeiten zu verkürzen.
Audi hat in seinem Werkzeugbau eine Fließfertigung erfolgreich umgesetzt…
… deren strategische Grundausrichtung perfekt zu diesem Konzept passt. Der Audi-Werkzeugbau konzentriert sich auf hochwertige Außenhaut-Werkzeuge. Innerhalb dieses Spektrums gibt es in Größe und Aufbau viel Ähnlichkeitspotenzial, so dass gute Ansatzpunkte existieren, Komponenten zu standardisieren und Prozesse zu synchronisieren. Grundsätzlich kann man sagen, dass es ein interner Werkzeugbau durch das homogene Produktspektrum des Mutterkonzerns etwas leichter hat, sich zu spezialisieren. Externe Anbieter dürfen sich nicht zu sehr in eine Abhängigkeit von einzelnen Produktgruppen oder gar einem Kunden begeben. Sonst wird der Verlust eines Auftrags schnell zur existenziellen Bedrohung.
Haben unabhängige Werkzeugbauer mit heterogenem Portfolio überhaupt eine Chance, ihre Prozesse zu industrialisieren?
Viele unterschiedliche Werkzeuge erschweren den Weg natürlich. Unternehmen mit einem sehr heterogenen Werkzeugportfolio sollten im ersten Schritt über eine Fokussierung des eigenen Angebots nachdenken. Aber auch nicht jeder muss ganze Werkzeuge standardisieren wie das beispielsweise Audi tut. Oft hilft es schon, dieses Prinzip auf einzelne Komponenten anzuwenden. Die Hersteller von Umformwerkzeugen sind hier bereits weiter als ihre Kollegen aus dem Spritzgießbereich. Der Grund dafür ist einfach: Für Umformprozesse werden meist mehrere ähnliche Werkzeuge benötigt, zudem verschleißen diese Tools schneller, müssen also häufiger ersetzt werden. Dadurch ist das Ähnlichkeitspotenzial größer. Wir kooperieren mit Massivumformern, die Komponenten ihrer Tools in einer Pilotlinie vorfertigen und so die Durchlaufzeiten kleinerer Werkzeuge auf zwei bis drei Wochen reduzieren konnten. Aber auch unter den Spritzgießern gehen immer mehr in diese Richtung. Die drei Schritte auf dem Weg zum Ziel lauten: Fokussieren des Werkzeugportfolios, Modularisieren der Werkzeuge und Komponenten sowie Synchronisieren der Prozesse.
Was ist beim Synchronisieren der Prozesse zu beachten?
Die Schwierigkeit besteht darin, den passenden Takt festzulegen. Derzeit arbeiten viele Unternehmen mit einem Wochentakt. Das bedeutet beispielsweise, dass in der ersten Woche – oder eben im ersten Takt – alle Teile weichgefräst, in der zweiten Woche gehärtet und in der dritten hartbearbeitet werden. Da der Zeitaufwand für die einzelnen Prozesse unterschiedlich ist, kann es sinnvoll sein, verschiedene Aufträge so zusammenzufassen, dass sich die Taktzeiten möglichst optimal nutzen lassen. Auf diese Weise konnten die Durchlaufzeiten bei komplexen Formen von 25 bis 30 Wochen auf zwölf bis 15 Wochen gesenkt werden.
Wie groß schätzen Sie die Reserven hier noch ein?
Es liegt noch einiges Potenzial brach. Aus Sicherheitsgründen werden die im Wochentakt verfügbaren Kapazitäten nur zu 85 Prozent genutzt. Auch die Länge des Takts bietet noch Raum für Verbesserungen. So ließen sich die Flexibilität und die Reaktionsgeschwindigkeit steigern, indem man die Taktlänge auf zwei Tage reduziert. Wir halten Durchlaufzeiten für komplexe und anspruchsvolle Formen von acht bis zehn Wochen für realistisch. Die Konsequenz ist allerdings, dass der Planungsaufwand steigt und die Arbeitsvorbereitung immer stärker gefordert ist. Ein Großteil dessen, worum sich bisher der Meister in der Werkstatt kümmerte, wird künftig zu den Aufgaben des Prozessplaners gehören.
Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit das Synchronisieren der Prozesse funktioniert?
Entscheidend ist, dass alle Beteiligten mitziehen und die Takte einhalten. Sonst geht´s schief. Um das zu erreichen, ist es enorm wichtig, die Mitarbeiter zu informieren, zu motivieren und entsprechend auszubilden. Jedem müssen die Konsequenzen bewusst sein, die aus nicht eingehaltenen Terminen resultieren. Aber auch im täglichen Ablauf und im Aufgabenspektrum der Einzelnen wird sich einiges ändern. Ich denke beispielsweise an die Arbeitsvorbereitung. Wo bisher einzelne Prozesse nacheinander geplant wurden, müssen gleiche Prozesse jetzt gebündelt und so zusammengelegt werden, dass ein gleichmäßiger Takt entsteht.

AWF in Kürze
Der Aachener Werkzeug- und Formenbau ist ein gemeinsames Geschäftsfeld des Werkzeugmaschinenlabors (WZL) der RWTH Aachen und des Fraunhofer-Instituts für Produktionstechnologie (IPT), Aachen. An den beiden Instituten arbeiten rund 60 Wissenschaftler mit Unternehmen der Branche zusammen. Die thematischen Schwerpunkte: strategische Exzellenz, technologische Exzellenz und Benchmarking. Zudem bietet die Werkzeugbau-Akademie praxisnahe Weiterbildungsseminare an. Weitere Informationen:
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