Startseite » Technik » Fertigung »

Nicht nur sauber, sondern effizient

Industrielle Teilereinigung: Der trend geht zu inline-systemen
Nicht nur sauber, sondern effizient

Geschätzte 20 Milliarden Euro investieren deutsche Unternehmen jährlich in die Reinigung von Bauteilen, Tendenz steigend. Die Qualitätssicherung ist dabei der Haupttreiber. Doch ist das Geld nicht immer gut angelegt. Es fehlt häufig am Wissen darüber, wie die Reinigungsprozesse am besten in die Fertigung integriert werden können.

„Selbst geringste Restverschmutzungen durch metallische Partikel, die beim Honen und Schleifen der Statoren und Rotoren entstehen, beeinträchtigen das Laufgeräusch der Motoren und können zum Blockieren des Rotors führen. Die Motoren müssen dann aufwendig demontiert und manuell nachgereinigt werden“, erklärt Bernd Krämer, Fertigungsplaner der Schneider Electric Motion Deutschland GmbH Co. KG, Lahr, einem Hersteller von Lösungen für die Maschinenautomatisierung. Daher kommt er zu dem Schluss: „In der Motorenproduktion spielt die Teilereinigung eine entscheidende Rolle.“

Doch auch in anderen Branchen gelangen die Anwender zunehmend zu der Überzeugung, dass die Teilereinigung mehr als nur ein notwendiges Übel ist. „Sie ist zu einem entscheidenden Qualitätsfaktor geworden“, ist Michael Höckh überzeugt, Geschäftsführer der Höckh Metall-Reinigungsanlagen GmbH in Neuenbürg, einem Hersteller solcher Anlagen, die für saubere Teile während und nach der Produktion sorgen.
Mark Krieg, Sprecher der Fraunhofer-Allianz Reinigungstechnik, sieht dabei mehrere Aspekte der Qualitätssicherung: Im einfachsten Fall geht es rein um die Optik. „Verunreinigte Bauteile sehen einfach nicht schön aus. Das ist für den Lieferanten von Nachteil und kann sogar dazu führen, dass er sein Produkt nicht verkaufen kann.“ Weit schwerer wiegen Kosten, die in Folge von Verunreinigungen durch einen hohen Ausschuss von Teilen verursacht werden. Am brenzligsten aber wird es dann, wenn durch Verunreinigungen funktionale Mängel entstehen – wie das Beispiel Schneider Electric Motion zeigt. „Dies kann bis zu einer Rückrufaktion führen“, weiß der Fraunhofer-Experte. „Die dadurch entstehenden Kosten stehen in gar keinem Verhältnis zu den Investitionen für die Teilereinigung. Damit meine ich die materiellen Kosten wie auch den Imageschaden.“
Franz Silberhorn, Geschäftsführer der Maschinenbau Silberhorn GmbH, Parsberg, sieht das ähnlich: „Ob eine abplatzende Oberflächenschicht, Korrosion, Späne oder Partikel die Einspritzöffnungen verschließen oder Kolben blockieren: Am Teil selbst mag der Schaden gering sein. Aber die Folgekosten durch einen abbrennenden Motor oder der Imageverlust für die Herstellerfirma können in die Millionen gehen.“
Die Qualitätsfrage wird nach Ansicht der Experten noch durch die Miniaturisierung von Bauteilen und Produkten angeheizt: „Dadurch ist eine höhere Sauberkeit bezüglich Partikel und Restorganik gefordert“, erklärt Silberhorn. Fraunhofer-Sprecher Krieg nennt als Beispiel Pkw-Einspritzpumpen: Die Düsen werden immer feiner, so dass immer feinere Partikel zu einer funktionellen Beeinträchtigung führen.
Die Automobilhersteller mit ihren Zulieferern gelten denn auch als Saubermänner der Nation. Kein Wunder, dass die einzigen Richtlinien in diesem Bereich hier entstanden sind, die VDA 19 und ihr internationales Pendant, die ISO 16232. Beide vereinheitlichen, wie partikuläre Verunreinigungen zu messen oder zu prüfen sind. Kriegs Tipp für metallbearbeitende Betriebe außerhalb der Automobilindustrie: „Sie können die beiden Richtlinien zumindest als Ausgangspunkt nehmen, um sich näher mit der Thematik zu befassen. Damit lässt sich zumindest sicherstellen, dass Lieferant und Kunde eine Sprache sprechen.“ Allerdings gelten beide Schriften nur für den partikulären Bereich, für filmische Verunreinigungen fehlt ein solches Standardwerk.
Rund 110 000 Mitarbeiter beschäftigt die Branche der industriellen Teilereinigung in Deutschland, den jährlichen Umsatz taxiert die Fraunhofer-Allianz auf rund 20 Milliarden Euro. Darin sind neben Anlagen und Komponenten auch Reinigungsmedien, Analytik und Beratung enthalten. Die Branche wächst demnach seit zehn Jahren kontinuierlich. Und dennoch sehen alle Experten nach wie vor großes Optimierungspotenzial auf Seiten der Anwenderunternehmen.
Dieses liegt weniger in den Anlagen und Verfahren als vielmehr in der Prozessverbesserung. So macht sich ein Drittel der Firmen erst nach Inbetriebnahme einer neuen Fertigungslinie über das Reinigen der produzierten Teile Gedanken, wie die aktuelle Markt- und Trendanalyse der Fraunhofer-Allianz belegt. „Das ist eindeutig zu spät“, stellt Krieg klar. Effektivere und auch kostengünstigere Reinigungsprozesse erziele man, wenn man sich frühzeitig darüber klar werde, wann und wo diese im Herstellungsprozess stattfinden sollen. Krieg: „Auf lange Sicht sparen die Unternehmen mit einem solch systematischen Ansatz Geld.“ Auch weiß so manch einer gar nicht genau, welches Ergebnis er mit dem Reinigungsprozess erzielen will: „Immer mehr Kunden verlangen hohe Restschmutzanforderungen für das gesamte Bauteil. Das ist oft nur schwierig und mit hohem Energieeinsatz darzustellen“, klagt etwa Anlagenbauer Silberhorn. Er rät den Kunden daher, im Vorfeld zu prüfen, ob es nicht sinnvoller ist, die Sauberkeit der Bauteile nach den funktionskritischen Bereichen wie Innengeometrie zu beurteilen. Oder ob eine partielle Spritzreinigung nicht kostengünstiger und dennoch zielführend sei. „Oft werden zu große, überdimensionierte Anlagen geplant und gebaut, da dem Kunden die Zeit fehlt oder er es als unnötig erachtet, sich genauer mit der Problematik zu befassen.“
„Die eierlegende Wollmilchsau gibt es nicht“, stellt Krieg klar. Der Kunde müsse daher seine Anforderungen genau definieren, um eine für ihn optimale Lösung zu erhalten. Selbst beim Einsatz von Standardmaschinen muss für jeden definierten Fertigungsbereich eine individuelle Lösung erarbeitet werden, mahnt Peter Ruoff, Vertriebsleiter der Mafac Ernst Schwarz Maschinenfabrik GmbH & Co. KG, Baiersbronn.
Bei der Reinigung müsse die gesamte Prozesskette des Bauteils sowie des Fertigungsumfelds einbezogen werden, fordert daher Michael Höckh. Das Schmiermittel müsse ebenso auf die Reinigung abgestimmt werden wie die Gestaltung und Konstruktion des Bauteils sowie die Lagerung, die Warenträger, der Transport und so weiter.
Auch Krieg stellt fest, dass die Bauteilkonstruktion so gut wie nie die Reinigbarkeit eines Produktes berücksichtigt. „Bauteile, die voll von Sacklöchern oder Hinterschneidungen sind, sind schwierig zu reinigen und anschließend zu trocknen. Da müsste es von den Reinigungsexperten viel häufiger ein Feedback an die Konstruktion geben.“
Den Trend zum systematischen Prozessansatz registrieren die Branchenvertreter bei ihrer Kundschaft durchaus: Verlangt werden verstärkt dezentrale Anlagen, die zunehmend in Fertigungslinien integriert werden und auch Systeme für die pure Reinigung der Funktionsflächen. Martin Frohn, Senior Manager Technology and Sales der ACP– Advanced Clean Production GmbH in Esslingen, nennt als Beispiel die Integration der Reinigung in bestehende Systeme wie CNC-Bearbeitungszentren. Durch diese Nachrüstung der Reinigung etwa in Zerspanungsmaschinen ließe sich durch vollautomatisierte Prozesse ein hoher Sauberkeitsgrad realisieren. Ebenfalls gewinne die Inline-Reinigung von Werkstückträgern in Montage- und Handlingsystemen stark an Bedeutung. „Hier geht es darum, Re-Kontaminationen vom Werkstückträger auf das gereinigte Bauteil auszuschließen“, so Frohn. „Eine fertigungsintegrierte Reinigung bietet häufig das Potenzial zum Erhöhen der Produktivität. Werden etwa Teile in Linie gefertigt, die für die Reinigung in Warenträger umgesetzt und anschließend wieder vereinzelt werden müssen, lässt sich diese Lücke im Produktionsprozess damit schließen.“ Dies lohne sich jedoch nur, wenn der Aufwand für die Integration der Reinigung geringer sei als der Batchprozess und das anschließende Vereinzeln der Teile.
Sabine Koll Journalistin in Böblingen
Neben materiellen Kosten drohen Imageschäden
Die Konstruktion ist gefordert

„Das Wissen über den richtigen Einsatz fehlt“

Nachgefragt

Herr Krieg, in Ihrer Markt- und Trendanalyse zur industriellen Teilereinigung haben drei Viertel der Anwender angegeben, dass sie heute die gleichen Techniken einsetzen wie vor fünf Jahren. Ist die Technik etwa stehen geblieben?
Nein, aber wir stellen immer wieder fest, dass in vielen Anwenderunternehmen das Wissen über den richtigen Einsatz der Reinigungstechniken fehlt. Dies ist eine Wissenslücke, die die Unternehmen Geld kostet, weil sie entweder gar nicht reinigen oder aber ineffizient.
Klären die Hersteller zu wenig auf?
Den Anbietern geht es vorrangig um die Verfahren. Doch dem Anwender ist es zunächst einmal egal, wie seine Teile gereinigt werden. Für ihn ist die Systematik wichtiger: Er muss erst mal wissen, welche Anforderungen er überhaupt hinsichtlich der Sauberkeit seiner Teile hat. Genau solche Schulungen gibt es auf dem Markt nicht. Daher will die Fraunhofer-Allianz Reinigungstechnik nächstes Jahr zweitägige Seminare anbieten.
Welche Inhalte werden die Schulungen haben?
Im Vordergrund steht die Systematik aus Anwendersicht und die Qualitätssicherung der Reinigung: Wie kann ich messen, wie kann ich Verunreinigungen bestimmen? Wie kann ich das inline machen?
In der Regel fällt die Teilereinigung doch in den Zuständigkeitsbereich von Qualitätsbeauftragten. Wollen Sie diese fiter machen
Für Qualitätsbeauftragte ist das Thema Reinigung oft nur eines von vielen Aufgaben. Um es effizient zu betreiben, plädieren wir für einen eigenständigen Ausbildungsberuf. Wir brauchen Experten, die Ahnung von den Reinigungsprozessen haben. Das Zerspanen beispielsweise wird ja auch niemandem anvertraut, der dies im Nebenjob erledigt.
Welches Know-how vermissen Sie bei den Unternehmen heute konkret?
Sie wissen beim Kauf von Reinigungsanlagen häufig nicht genau, wie sauber ihre Teile eigentlich sein müssen. Diese Sauberkeit wird einzig und allein vom nachfolgenden Prozess bestimmt. Ich muss also wissen: Was fordert dieser Prozess? Diese grundsätzliche, verfahrensneutrale Systematik muss begriffen werden. Dann kann man selbst mit vorhandener Technik heute schon viel mehr erreichen als wir in der Praxis sehen.
Und zwar?
Am effizientesten ist es, die Reinigung schlicht zu vermeiden – etwa durch das sinnvolle Umstellen der Prozesskette. Wenn ein Unternehmen eine zentrale Reinigungsanlage hat und die Teile zweimal in offenen Kisten quer durch das ganze Werk transportiert werden, ist es doch klar, dass sich Filme und Stäube darauf ablegen. Im Prinzip ist ein Bauteil immer nur so sauber wie die Umgebung.
Haben Sie ein weiteres Beispiel?
Die Funktionsflächenreinigung ist in vielen Fällen die kostengünstigste Variante. Wenn ich nur eine bestimmte Fläche beschichten will, muss ich nicht das ganze Bauteil in einer wässrigen Anlage reinigen. Häufig reicht es, die betreffende Bahn mit einem Strahlverfahren oder Laser zu reinigen.

Kein Schnee von gestern

Durch Umweltschutzauflagen und die steigenden Energiepreise wird das CO2-Schneestrahlreinigen für viele Anwendungen interessant. Die Techno Color GmbH Co. KG in Bogen, Lackierer und Beschichter von Kunststoffteilen, setzt seit einem Jahr ein solches System von ACP zur Reinigung von dreischichtigen Herstelleremblemen für Airbags ein. Vorher wurden die Teile in einem Powerwash-System gesäubert, was die Verantwortlichen auf Dauer als zu aufwändig und durch die Haftwassertrocknung auch zu zeitintensiv befanden. Das CO2-Schneestrahlsystem ist in die Lackierkabine integriert, die Bewegungsprogrammierung erfolgt über den Lackierroboter. Der CO2-Schnee entfernt durch die Kombination mechanischer, chemischer und thermischer Eigenschaften feste und filmische Verunreinigungen trocken und rückstandsfrei. Die Reinigung eines Trays mit 90 Zierteilen erfolgt im 40-s-Takt. Im Vergleich zur Powerwash-Anlage stellt sich der Betrieb für das Unternehmen deutlich kostengünstiger dar: „Es werden weder Wasser noch Chemie benötigt. Außerdem muss kein Abwasser und Abfall aufbereitet oder entsorgt werden“, erklärt Technol-Color-Projektleiter Gerd Burger. Zudem hat sich durch das reduzierte Handling zwischen den Prozessschritten der Teileausschuss mehr als halbiert.

Kohlenwasserstoff bleibt umstritten

Dass die Bedeutung und die Anforderungen an die Teilereinigung weiter steigen werden, davon sind alle Hersteller und Anwender gleichermaßen überzeugt, wie eine aktuelle Markt- und Trendanalyse der Fraunhofer-Allianz Reinigungstechnik zeigt. 240 Hersteller und 360 Anwenderunternehmen haben sich an dieser Studie beteiligt. Danach setzt sich die Tendenz der vergangenen Jahre weiter fort: Waren 1997 in einem Anwenderunternehmen durchschnittlich acht Mitarbeiter für die Reinigungstechnik zuständig, waren dies 2007 bereits 14. In den nächsten fünf Jahren werden vor allen die Ansprüche an die Analytik und die Badaufbereitung weiter steigen – um die Teilesauberkeit und die damit verbundenen Prozesse zu überprüfen. An Bedeutung verlieren könnten indes die Reinigung mit chlorierten Kohlenwasserstoffen (CKW) sowie Kohlenwasserstoffen (KW). Vor allem die Hersteller gehen davon aus, während die Anwender keinen Grund sehen, in andere Technologien zu investieren, wenn ihre Anlagen die gesetzlichen Auflagen einhalten.

Marktchancen
Das Optimierungspotenzial in der Teilereinigung ist groß: Bei Kugellagern aus Messing, Stahl oder Kunststoff belaufen sich die Reinigungszeit und -kosten auf jeweils 25 %, bezogen auf die gesamte Produktionskette. Bei Linsen und anderen beschichteten Bauteilen liegt der Zeitanteil gar über 50 %, wie die Fraunhofer-Allianz Reinigungstechnik ermittelt hat. Darüber hinaus führen verschmutzte oder schlecht gereinigte Bauteile oft zu direkten Produktionsproblemen und wirken sich negativ auf die Qualität und Funktionsweise der Teile aus.
Unsere Webinar-Empfehlung
Industrieanzeiger
Titelbild Industrieanzeiger 6
Ausgabe
6.2024
LESEN
ABO
Newsletter

Jetzt unseren Newsletter abonnieren

Webinare & Webcasts

Technisches Wissen aus erster Hand

Whitepaper

Aktuelle Whitepaper aus der Industrie

Unsere Partner

Starke Zeitschrift – starke Partner


Industrie.de Infoservice
Vielen Dank für Ihre Bestellung!
Sie erhalten in Kürze eine Bestätigung per E-Mail.
Von Ihnen ausgesucht:
Weitere Informationen gewünscht?
Einfach neue Dokumente auswählen
und zuletzt Adresse eingeben.
Wie funktioniert der Industrie.de Infoservice?
Zur Hilfeseite »
Ihre Adresse:














Die Konradin Verlag Robert Kohlhammer GmbH erhebt, verarbeitet und nutzt die Daten, die der Nutzer bei der Registrierung zum Industrie.de Infoservice freiwillig zur Verfügung stellt, zum Zwecke der Erfüllung dieses Nutzungsverhältnisses. Der Nutzer erhält damit Zugang zu den Dokumenten des Industrie.de Infoservice.
AGB
datenschutz-online@konradin.de