Startseite » Technik » Fertigung »

Öl arbeitet auch ohne Druck gut

Kühlschmierstoffe: Schwer zerspanbare Materialien stellen besondere Anforderungen
Öl arbeitet auch ohne Druck gut

Hochdruckkühlung mit wassermischbaren Kühlschmierstoffen oder die Ölschmierung mit synthetischen Estern – beides führt beim Bearbeiten schwer zerspanbarer Werkstoffe zu guten Ergebnissen. Jedes Konzept hat spezifische Vorteile, doch eines verspricht größeres Potenzial für die Zukunft.

„In den letzten Jahren ist die Nachfrage nach Kühlschmierstoffen fürs Bearbeiten schwer zerspanbarer Materialien extrem gewachsen“, sagt Carmen Freiler. Kamen die Kunden vor vier, fünf Jahren noch fast ausschließlich aus der Luft- und Raumfahrtbranche, so sorge seit etwa einem Jahr das Interesse aus anderen Bereichen für eine deutliche Breitenwirkung, ergänzt die Leiterin des Produktmanagements für Kühlschmierstoffe (KSS) und Härtemedien bei der Fuchs Europe Schmierstoffe GmbH in Mannheim. Nach der Medizintechnik, in der Titan unter anderem für Gelenkimplantate schon länger ein wichtiger Werkstoff ist, zwingt der Trend zum Leichtbau und zum Downsizing zunehmend auch die Automobilindustrie und deren Zulieferer, sich mit hochfesten und hitzebeständigen Werkstoffen auseinanderzusetzen.

Doch das Zerspanen von Titan, Inconel & Co. bringt nicht nur die Werkzeuge an ihre Leistungsgrenzen. Auch für den Kühlschmierstoff ist das Schwerstarbeit. Um einen vorzeitigen Werkzeugverschleiß durch langspanende Materialien wie Titan zu verhindern, gibt es zwei unterschiedliche Konzepte. Ein Ansatz ist die Hochdruckkühlung mit wassermischbaren Kühlschmierstoffen, der andere das Schmieren mit Bearbeitungsölen auf Basis pflanzlicher Rohstoffe. „Beide führen zu ähnlich guten Ergebnissen, haben aber spezifische Vor- und Nachteile“, sagt Freiler.
Um einen günstigen Spanbruch zu erreichen und so den Werkzeugverschleiß zu reduzieren, experimentierten Forscher in der Prozessentwicklung bereits mit Drücken von bis zu 300 bar. Dabei ergab sich zwischen 120 und 150 bar ein wirtschaftliches Optimum. Höhere Drücke haben nur noch einen geringen Einfluss auf das Verschleißverhalten der Tools, dafür steigen der Kosten- und Energieaufwand umso deutlicher.
Konventionelle wassermischbare KSS eignen sich jedoch nicht für diese extremen Anforderungen. Sie spalten sich ab etwa 80 bar in die Bestandteile Öl und Wasser auf und schäumen kräftig. Mit speziellen Emulgatorsystemen und einem höheren Anteil an Esterölen verhindern die Hersteller diese Phasentrennung und das Schäumen und sichern so die Lebensdauer ihrer Produkte.
Besondere Anforderungen an den Schmierstoff stellt Titan. Neben einer hohen Schmierwirkung und der Tatsache, dass es auch bei hohen Drücken weder zur Phasentrennung noch zur Schaumbildung kommen darf, müssen die Zusatzstoffe im KSS mit dem Metall harmonieren. Andernfalls kann es zu Spannungsrisskorrosion kommen. Die Gefahr dabei: Diese Materialschädigung ist schwer zu erkennen, anfangs nur im Röntgenbild sichtbar. „Um sicher zu gehen, dass unsere Produkte hier keine Probleme verursachen, lassen wir vor der Freigabe extern spezielle Korrosionstests durchführen“, beschreibt Freiler den zusätzlichen Entwicklungsaufwand.
Im Rahmen eines Forschungsprojekts, an dem unter anderem MTU Aeroengines, Aerotech, FAG Aerospace und das Werkzeugmaschinenlabor (WZL) der RWTH Aachen beteiligt waren, untersuchte Fuchs wassermischbare, hochdruckstabile Systeme. Aus den gewonnenen Erkenntnissen entstand das Produkt Ecocool TN 2525 HP. Dieser Schmierstoff fürs Zerspanen von Titan und Nickelbasislegierungen wurde hinsichtlich Zerspanungsperformance und Korrosionsschutz optimiert und ist für „HighPressure“ geeignet. Inzwischen gibt es ein Nachfolgeprodukt, das bei neuen Projekten zum Einsatz kommt: Ecocool TN 2525 BFH ist zwar etwas teurer, dafür aber durch seine Bor- und Biozidfreiheit verträglicher für die Umwelt und die Haut. Die Bor- und Biozidfreiheit und die Registrierung der Inhaltsstoffe gemäss REACH, TSCA und anderen weltweiten Chemikalienregistern erlauben den weltweiten Einsatz des Produktes. Das ist vor allem für international arbeitende Konzerne von Bedeutung. Zudem reduziert der biozidfreie KSS den Pflegeaufwand für den Nutzer.
Für den wachsenden Einsatz schwer zerspanbarer Werkstoffe in den verschiedenen Branchen kann Fuchs auf lange Erfahrung aus der Luft- und Raumfahrt zurückgreifen. „Diese Erkenntnisse lassen sich direkt übertragen“, sagt Carmen Freiler. „Für die Medizintechnik haben wir die Kühlschmierstoffe zudem hinsichtlich ihrer toxikologischen Eigenschaften optimiert.“
Insbesondere Implantathersteller müssen dafür sorgen, dass ihre Produkte absolut medienfrei und steril sind, ehe sie in den Körper eingesetzt werden. Die Hersteller legen ihre Prozesse entsprechend aus und prüfen am Werkstück, ob die Vorgaben eingehalten werden. „Wir gehen noch einen Schritt weiter“, sagt die Schmierstoffexpertin. „Wir bringen den Kühlschmierstoff in eine Nährlösung ein und testen gemäß der EU-Norm EN ISO 10993-5, ob er einen Einfluss aufs Zellwachstum hat.“ Hier liege einer der entscheidenden Vorteile von Esterölen, die toxikologisch und hinsichtlich ihrer Reizwirkung unbedenklich seien und die Zellentwicklung nicht beeinflussten. Da reine Pflanzenester nicht stabil sind und zum Verharzen neigen, setzt der Schmierstoffhersteller synthetische Esteröle auf Basis nachwachsender Rohstoffe ein.
Mit ihnen lassen sich schwer zerspanbare Werkstoffe auch ohne Hochdruck sicher und zuverlässig bearbeiten. Der Grund dafür liegt in der deutlich besseren Schmierwirkung. Durch die reduzierte Reibung entsteht viel weniger Hitze und der Span gleitet besser auf der Werkzeugschneide ab, so dass deren Verschleiß deutlich geringer ausfällt. „Die Hitze, die wir mit wassermischbaren Medien abführen, entsteht bei der Ölkühlung gar nicht erst“, sagt Carmen Freiler. Als weitere Pluspunkte gegenüber der Hochdruckkühlung nennt die Expertin
  • die entfallende Lärmbelästigung während der Bearbeitung,
  • die deutlich längere Lebensdauer,
  • die Pflegefreiheit sowie
  • den Korrosionsschutz für die Maschine.
Allerdings seien die Syntheseester trotz ihrer geringen Verdampfungsneigung und des hohen Flammpunkts brennbar. Nach der BGI GUV 719 (Brand- und Explosionsschutz an Werkzeugmaschinen) entsprechen die Esteröle den strengen Kriterien für größtmöglichen Schutz vor Brand und Explosion. Die Werkzeugmaschine muss aber trotzdem mit einem Brandschutzsystem und einer Explosionsschutzklappe ausgestattet sein. Der Einsatz von Schmierölen sei daher vor allem interessant, wenn ohnehin die Investition in eine neue Maschine anstehe, meint Freiler. Sollen bestehende Maschinen fürs Bearbeiten schwer zerspanbarer Werkstoffe fit gemacht werden, seien hochdruckfeste, wassermischbare KSS die bessere Wahl – eine Hochdruckzufuhr ist leichter nachzurüsten.
Ihre Zukunftsfähigkeit beweisen Esteröle laut Carmen Freiler auch mit Blick auf die Nachhaltigkeit der Prozesse und die Ressourceneffizienz. Verglichen mit wassermischbaren Produkten mit einer Lebensdauer von zwei bis vier Jahren, seien die Öle praktisch unbegrenzt haltbar. Werden auch im Hydrauliksystem der Maschine Esteröle eingesetzt, so eröffnet das darüber hinaus die Möglichkeit, den Kühlschmierstoff intern zu recyceln. Dadurch lassen sich bis zu 30 % des Fluids einsparen, die sonst mit den Spänen und Werkstücken ausgetragen würden.“
Unsere Webinar-Empfehlung
Industrieanzeiger
Titelbild Industrieanzeiger 6
Ausgabe
6.2024
LESEN
ABO
Newsletter

Jetzt unseren Newsletter abonnieren

Webinare & Webcasts

Technisches Wissen aus erster Hand

Whitepaper

Aktuelle Whitepaper aus der Industrie

Unsere Partner

Starke Zeitschrift – starke Partner


Industrie.de Infoservice
Vielen Dank für Ihre Bestellung!
Sie erhalten in Kürze eine Bestätigung per E-Mail.
Von Ihnen ausgesucht:
Weitere Informationen gewünscht?
Einfach neue Dokumente auswählen
und zuletzt Adresse eingeben.
Wie funktioniert der Industrie.de Infoservice?
Zur Hilfeseite »
Ihre Adresse:














Die Konradin Verlag Robert Kohlhammer GmbH erhebt, verarbeitet und nutzt die Daten, die der Nutzer bei der Registrierung zum Industrie.de Infoservice freiwillig zur Verfügung stellt, zum Zwecke der Erfüllung dieses Nutzungsverhältnisses. Der Nutzer erhält damit Zugang zu den Dokumenten des Industrie.de Infoservice.
AGB
datenschutz-online@konradin.de