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„Rund ums Werkzeug ist noch einiges Potenzial zu heben“

IFU-Direktor Prof. Mathias Liewald über das Umformen hochfester Werkstoffe
„Rund ums Werkzeug ist noch einiges Potenzial zu heben“

„Rund ums Werkzeug ist noch einiges Potenzial zu heben“
„Konstrukteure müssen ein besseres Verständnis für die Möglichkeiten und Grenzen hochfester Blechwerkstoffe entwickeln.“
Leichtbauverfahren und damit auch hochfeste Werkstoffe gewinnen zunehmend an Bedeutung. Welche Schwierigkeiten beim Umformen dieser Materialien auftreten und wie sie zu beherrschen sind, sagt Prof. Dr.-Ing. Mathias Liewald MBA, Direktor des Instituts für Umformtechnik (IFU) an der Universität Stuttgart.

Herr Prof. Liewald, wie entwickelt sich der Anteil hochfester Bleche in der Umform- und Stanztechnik? A

Das mit Abstand größte Anwendungsfeld für hochfeste Bleche ist ganz klar der Automobilbau. Grundsätzlich finden diese Werkstoffe immer breiteren Einsatz im Karosseriebau. Bezogen auf das einzelne Fahrzeug wird der Anteil von hoch- und höherfesten Werkstoffen kontinuierlich steigen. Durch die derzeit temporär geschrumpften Stückzahlen im Automobilbau ist die absolute Menge der verarbeiteten hochfesten Bleche jedoch eher geringer geworden. Wie sich das entwickeln wird, hängt von der Zahl der produzierten Autos und damit vom Markt ab. Tatsache ist jedoch, dass auch jene Hersteller, die bislang die Philosophie des konstruktiven Leichtbaus verfolgten – Beispiele sind hier Ford oder GM –, sich zunehmend auch dem stofflichen Leichtbau widmen müssen. Anders lassen sich die künftigen Grenzwerte für den Schadstoffausstoß nicht erreichen. Deutsche Hersteller wie VW, BMW oder Daimler sind hinsichtlich des stofflichen Leichtbaus schon sehr weit.
Wo liegen die Hauptschwierigkeiten beim Verarbeiten hochfester Materialien?
Ein wesentliches Problem ist die erhöhte Rückfederung dieser Werkstoffe, die insbesondere bei dreidimensionalen Teilen schwierig zu beherrschen ist. Aufgrund des reduzierten Volumens bei den Teilen aus konventionellen Werkstoffen erhalten wir viele Anfragen von Unternehmen, die neue Märkte suchen. Aus diesen Anfragen lässt sich ableiten, dass die wesentlichen Probleme für die Anwender in der Auslegung der Werkzeuge, deren Beschichtung, der Auswahl des richtigen Schmierstoffs sowie des Schmierstoffauftrags liegen. Das deckt sich mit unseren eigenen Erfahrungen.
Wie lassen sich diese Probleme in den Griff bekommen?
Zunächst müssen die Konstrukteure ein besseres Verständnis dafür entwickeln, was mit einem spezifischen Werkstoff sinnvoll machbar ist. Viel zu oft werden Materialien grundsätzlich falsch eingesetzt, falsche Fügeverfahren genutzt oder unsinnig enge Toleranzen vorgegeben. Wenn man bedenkt, dass hochfeste Werkstoffe eine zehn bis zwanzig Mal größere Rückfederung haben als ein einfacher Tiefziehstahl, dann wird klar, wie schwierig und teuer es ist, Teile in einer übertriebenen Genauigkeit herzustellen. Um die fertigungstechnischen Möglichkeiten besser abschätzen zu können, müssen wir die Simulation dieser Umformprozesse vorantreiben und Fehler bei der Interpretation der Daten eliminieren. Und auch bei der Werkzeugauslegung, beim Verstehen von tribologischen Effekten, von lokalen Belastungen der Werkzeuge und deren elastischem Verhalten gibt es noch einigen Forschungs- und Entwicklungsbedarf.
Wie muss sich die Maschinen- und die Werkzeugtechnik künftig entwickeln?
Beim Umformen bestimmen überwiegend das Werkzeug und das Verfahren die Effizienz des Prozesses. Natürlich müssen die Pressen steif sein und sich in ihren Bewegungsprofilen an unterschiedliche Aufgaben anpassen lassen. Aber das ist heute kein Thema mehr. Die Leistungsgrenze setzt heute die Automatisierung beziehungsweise das Handling der Bauteile. Das Problem dabei ist, die Krafteinleitung so zu gestalten, dass die Platinen nicht unzulässig verformen. In dieser Hinsicht sind wir mittlerweile an der Grenze des physikalisch Möglichen angekommen. Insofern sehe ich maschinenseitig keine wesentlichen Fortschritte mehr. Anders sieht´s in der Stanz- und der Biegetechnik aus. Dort gibt es durchaus noch Potenzial für Verbesserungen.
Und in der Werkzeugtechnik?
In der Werkzeugtechnik sehe ich den wesentlichen Handlungsbedarf. Das fängt bereits im Vorfeld der Werkzeugherstellung an. Wesentliche Aspekte bilden aber auch die Simulation der Prozesse und die Interpretation der Daten. Heute sind noch zu viele Iterationsschritte erforderlich, um zu einem präzisen Werkzeug zu kommen. Nachdem die Form gebaut ist, ermitteln Spezialisten in Versuchen die tatsächliche Rückfederung beim spezifischen Bauteil, und anschließend muss korrigiert werden. Bis alles perfekt passt, sind dazu häufig mehrere Korrekturschleifen erforderlich. Diese Vorgehensweise können wir uns auf Dauer nicht leisten. Für den schnelleren Weg zum guten Ergebnis, stellt die Simulation ein entscheidendes Verbesserungspotenzial dar.
Wie ist der Stand in Sachen Simulation?
Gerade die Simulation von räumlichen Umformprozessen hochfester Werkstoffe ist nicht trivial. In diesem Bereich gibt es noch einigen Entwicklungsbedarf. Themen sind hier das Einbinden der mechanischen Eigenschaften der Bleche, das Simulieren der Formgebung, das Berechnen der Rückfederung oder die Interpretation der Daten. Andererseits arbeiten wir daran, den Einfluss der Wärme im Ofen nach dem Lackieren zu berechnen. Das Ziel ist, das Verhalten des Blechs vom Walzwerk bis zum fertigen, im Auto verbauten Teil vorhersagen zu können. Ich gehe davon aus, dass wir in den nächsten zwei bis drei Jahren hierzu interessante Ergebnisse sehen werden. Das käme dann übrigens auch einem anderen Bereich zu Gute – der Qualitätssicherung.
Wie sieht die Zukunft im Fahrzeug- und Karosseriebau aus?
Aus meiner Sicht hat das Konzept der hybriden Karosserie – also der Mix aus hochfesten Stählen und Aluminium – große Bedeutung. Nur so lässt sich der Leichtbau soweit optimieren, dass die Schadstoffgrenzen von 120, später 90 Gramm CO2 pro Kilometer zu realisieren sind. Schließlich darf dabei die Sicherheit nicht vernachlässigt werden. Ein entscheidender Aspekt, den es dabei zu berücksichtigen gilt, sind die Belastungsprofile der einzelnen Teile. Eine Motorhaube wird im Crashfall anders beansprucht als ein Dach, eine Tür anders als der Fahrzeugboden. Mit Blick auf das Gesamtfahrzeug frage ich mich oft: Wo sind unsere Spitzenforscher in den Bereichen Batterietechnik und Komponenten? Da sind noch große Themenfelder unbearbeitet. Auch hinsichtlich der Antriebstechnik und des Karosseriebaus.
Wo sehen Sie neben dem Fahrzeugbau noch andere Einsatzfelder für hochfeste Blech-Werkstoffe?
Es gibt derzeit kein vergleichbares Marktsegment. In einem gewissen Rahmen werden diese Werkstoffe im Kranbau und ganz allgemein bei sicherheitsrelevanten Bauteilen eingesetzt. Künftige Einsatzfelder sind unter anderem die Brennstoffzellen- und die Batterietechnik.

Kosteneffizienz
Leichtbau verbessert in vielen Bereichen der Technik die Energieeffizienz und den Schadstoffausstoß – besonders im Fahrzeugbau. Weil die Sicherheit darunter nicht leiden darf, kommen zunehmend hochfeste Werkstoffe zum Einsatz. Effizienz- und Kosteneinsparpotenziale beim Umformen dieser Materialien bieten die Werkzeuge und ihr Umfeld, von der Beschichtung über die Schmierung bis zur Prozesssimulation.
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