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Schlankheitskur für Karossen

Umformtechnik: Vom hochfesten Blech zum leichten und steifen Karosserieteil
Schlankheitskur für Karossen

Hochfeste Stähle sind eine Voraussetzung, dass Autos sicherer, komfortabler und zugleich effizienter und sparsamer werden. Allerdings stellen sie fertigungstechnisch eine Herausforderung dar. Mit welchen Umformtechnologien sich der Materialmix im Karosserie-Leichtbau beherrschen lässt, zeigt Schuler.

„Ein um 100 Kilogramm leichteres Auto verbraucht zwischen 0,3 und 0,6 Liter weniger auf 100 Kilometer “, sagt Jens Aspacher. „Dazu kommen weitere Gewichtsvorteile als Sekundäreffekte, weil Motor, Getriebe, Fahrwerk und Bremsen angepasst und leichter ausgeführt werden können“, ergänzt der Vertriebsmitarbeiter für den Bereich Warmumformung bei der Schuler SMG GmbH & Co. KG in Waghäusel. Das zeigt, wie wichtig das Thema Leichtbau auf dem Weg zu energieeffizienteren und weniger umweltbelastenden Autos ist. Vor allem nachdem in den letzten Jahrzehnten zusätzliche Sicherheits- und Komfortausstattungen die Fahrzeuggewichte in die Höhe trieben – wog die erste Golf-Generation Mitte der 70er-Jahre noch um die 800 kg, so brachte der bis 2008 gebaute Golf V bis zu knapp 1600 kg auf die Waage.

Um das Gewicht der Fahrzeuge zu reduzieren, arbeiten die Konstrukteure mit neuen Werkstoffen, neuen Konstruktionsprinzipien und neuen Fertigungsverfahren. Ein intelligenter Materialmix führt beispielsweise im Karosseriebau zu erheblichem Gewichtsverlust. So haben beispielsweise Porsche-Ingenieure durch die clevere Kombination von Leichtmetallen, konventionellen Stählen sowie hoch- und höchstfesten Werkstoffen die Rohkarosserie des neuen Boxster im Vergleich zum Vorgänger um rund 55 kg erleichtert. Je fester ein Werkstoff ist, desto weniger Material benötigt man, um dieselbe Stabilität und Steifigkeit zu erzielen. „Bedenkt man, dass 40 Prozent der Masse eines Autos in der Karosserie stecken, werden die Einsparpotenziale deutlich“, sagt Manfred Wischnewski, Geschäftsführer von Schuler SMG.
Jens Aspacher sieht „deutliche Anzeichen, dass der Anteil hochfester Bleche im Karosseriebau weiter steigen wird“. Derzeit seien weltweit etwa 170 Anlagen fürs Warmumformen von Blechen im Einsatz oder kurz vor der Inbetriebnahme. 56 davon stammen von Schuler. Aspacher geht davon aus, dass der Markt in den nächsten zwei bis drei Jahren weiter steigen wird und dann zwischen 300 und 400 Formhärteanlagen hoch- und höchstfeste Stahlbleche zu Karosserieteilen umformen.
Das Wachstum resultiert dabei aus zwei Entwicklungen. „Zum einen wird eine Reihe älterer Automodelle in Kürze abgelöst, und in den Nachfolgern kommen deutlich mehr hochfeste Werkstoffe zum Einsatz“, sagt Aspacher. „Zum anderen denken die Konstrukteure darüber nach, auch Teile aus hochfesten Materialien herzustellen, für die diese Werkstoffe bislang kein Thema waren.“ Einige OEMs planten, bis zu 40 % der Karosserie aus hoch- und höchstfesten Stählen herzustellen. Aktuell sind in einer Rohkarosserie im Schnitt acht bis 14 formgehärtete Teile verbaut. In sportlichen oder Premiummodellen liegt diese Zahl teilweise noch viel höher. So enthält die Karosserie des Porsche Panamera über 25 Bauteile aus formgehärtetem Stahl.
Für die Fertigung solcher Karosserieteile kommen grundsätzlich zwei Verfahren zum Einsatz: das kalte Umformen bereits sehr fester Bleche und das Warmumformen borlegierter Stähle mit anschließendem Aushärten der Teile in der Pressenlinie. Letzteres – auch Form- oder Presshärten genannt – hat in den letzten fünf Jahren stark an Bedeutung gewonnen. Schuler hat dafür eine besondere Methode entwickelt: Pressure Controlled Hardening (PCH). „Das Volumen hat sich in dieser Zeit mehr als verdoppelt“, sagt Aspacher. Wie viel von diesem Zuwachs zu Lasten des Kaltumformens ging und welcher Anteil aus dem allgemeinen Trend hin zu höherfesten Werkstoffen resultiert, sei jedoch schwer zu beziffern.
Beim Formhärten wird das Material erhitzt, umgeformt und gleichzeitig abgekühlt. Dieses Verfahren bietet eine Reihe von Vorteilen:
  • es wird borlegiertes Material umgeformt, dadurch reichen kleinere Presskräfte,
  • was wiederum die Belastungen für die Werkzeuge und Anlagen reduziert,
  • die Rückfederung des Materials ist deutlich geringer und besser zu beherrschen als beim Kaltumformen,
  • es sind höhere Festigkeiten zu erreichen
  • und die Designer haben mehr Freiheiten in der Gestaltung der Bauteile.
Allerdings sind die Anlagentechnik und der Prozess durch die integrierte Wärmebehandlung deutlich aufwändiger und die Zykluszeiten etwas länger als beim Kaltumformen.
Auf der anderen Seite ist die Kaltumformung hochfester Bleche seit der Einführung von Pressensystemen mit Servo-Direkt-Antriebstechnik wieder interessanter geworden, der Prozess einfacher und wirtschaftlicher. Bei Servopressen kann die Stößelbewegung für jedes Bauteil individuell an den Umformprozess, das Werkzeug und die Automation angepasst werden – also auch an die besonderen Anforderungen hochfester Stähle mit ihrer geringeren Dehnungen. Die Hubhöhen können eingestellt, die Umformgeschwindigkeit konstant gehalten und insbesondere die Auftreffgeschwindigkeiten aufs Material reduziert werden. In der Summe haben diese Aspekte dazu geführt, dass vielfach wieder bauteilspezifisch untersucht wird, welches Verfahren unterm Strich das günstigere ist. Vor allem Teile mit einfacher Geometrie, die nicht im Sichtbereich liegen – etwa in den Türen verbaute Seitenaufprallträger – entstehen nun wieder in kalten Prozessen.
Das Einsatzfeld für hoch- und höchstfeste Materialien ist jedoch nicht unbegrenzt. „In der Fahrgastzelle gibt es noch einige Teile, die künftig aus hochfesten Blechen gefertigt werden, aber wir können ein Auto nicht beliebig steif machen“, sagt Aspacher. „Im Bereich des Motor- und des Kofferraums sind weiterhin Weichbleche gefragt, die sich bei einem Unfalls verformen und dadurch Energie abbauen können.“
Die weitere Entwicklung beim Einsatz hochfester Stähle hängt auch vom Erfolg der kohlefaserverstärkten Kunststoffe (CFK) ab. „Alle schauen hier auf BMW und warten auf deren Erfahrungen mit CFK-Karosseriekomponenten. Aber auch wenn sich diese Technologie durchsetzt, werden hochfeste Stähle weiter gebraucht“, so der Vertriebsmann.
Im Vergleich zu herkömmlichem Stahl lässt sich mit CFK bis zu 60 % des Gewichts einsparen. Schuler hat bereits 1998 die erste Presse entwickelt, um das Verbundmaterial wirtschaftlich zu verarbeiten. 2009 erhielt der Konzern einen Großauftrag über mehrere Kunststoffpressen. Insgesamt sind derzeit mehr als zehn solcher Anlagen im Einsatz, die unter anderem Dächer und Stoßfänger bestimmter sportlicher Automodelle fertigen. Doch das ist erst der Anfang: Der Bedarf wird in den nächsten Jahren steigen. Dazu wird auch die Anlagentechnik beitragen, indem die zweite CFK-Pressen-Generation – sie wird derzeit entwickelt – kürzere Zykluszeiten und ein geringeres Investitionsvolumen bietet.
Bei den hochfesten Stählen sieht Pressenspezialist Aspacher derzeit vor allem bei den Werkstoffen noch Entwicklungsbedarf. „Fürs Formhärten arbeiten die Materialanbieter an speziellen Beschichtungen, die verhindern, dass die Bleche verzundern oder korrodieren.“ Derzeit sei es noch eine Herausforderung, verzinkte Bleche direkt umzuformen, weil die spröde Zinkschicht zur Rissbildung neige. „Deshalb werden die Teile meist zunächst kalt umgeformt und erst dann gehärtet. Die neuen Schichten sollen das direkte Umformen der Bleche ermöglichen.“
Auch beim Kaltumformen sieht Aspacher den größten Entwicklungsbedarf und das größte Potenzial bei den Werkstoffen. „Seit Jahren suchen die Anbieter nach Lösungen, um die Verformbarkeit zu verbessern und die Rückfederung zu reduzieren.“
Bereits heute erreichen Kaltumformstähle Festigkeiten bis 1200 MPa. Mittels Presshärten lassen sich gar 1500 bis 1800 MPa realisieren. Noch höhere Festigkeiten hält Aspacher nicht für sinnvoll. „Sonst besteht die Gefahr, dass sich die mit der Festigkeit steigende Sprödigkeit negativ auf die Nutzungs- und Crash-Eigenschaften auswirkten.“
Eine kleine Renaissance erlebt laut dem Vertriebsmann das Innenhochdruck-Umformen. „In den USA wird bereits seit längerem mit dem Niederdruck-Hydroforming gearbeitet. Vor kurzem haben wir erkannt, dass sich dieses Verfahren eignet, um hochfeste Stähle zu formen. Das hat dazu geführt, dass auch in Europa und in Asien wieder eine Nachfrage nach der Technologie entstanden ist.“
Fast schon ein Klassiker im Leichtbau ist Aluminium. Werden konsequent alle Karosserieteile an einem Pkw aus dem Leichtmetall hergestellt, lassen sich zu 40 kg einsparen. Auch beim Bau von Stanzautomaten, Transferpressen und Pressenlinien für Aluminium-Außenhautteile hat Schuler jahrzehntelange Erfahrung. Manfred Wischnewski betont: „Wir bieten als einziger Hersteller automatisierte Pressensysteme für alle wesentlichen Umformverfahren im Leichtbau an.“
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