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Schulterschluss statt Ellbogeneinsatz

Strategie: Cluster verleihen Schubkraft
Schulterschluss statt Ellbogeneinsatz

Was kleinen Unternehmen fehlt, ist die Schlagkraft großer Organisationen. Industrie-Cluster und Entwicklungsnetzwerke sollen dieses Manko beheben. Vor allem in der ostdeutschen Maschinenbau- und Automobilzuliefer-Branche entstanden in den letzten Jahren solche Interessenverbünde.

Ein Kluster ist, „was dicht und dick zusammensitzet“ (Jacob und Wilhelm Grimm, „Deutsches Wörterbuch“, Leipzig: S. Hirzel 1854–1960)

Am Achttausender scheitert der Einzelkämpfer, Welteneroberer brauchen ein gutes Team. „Wer weltweit mitspielen will, muss eine kritische Größe erreichen. Kleine und mittlere Unternehmen werden nur wahrgenommen, wenn sie sich zusammenschließen“, glaubt Dr. Ralf Lang, Projektmanager der Verbundinitiative Maschinenbau Sachsen (VEMAS), zu deren Trägern das Chemnitzer Fraunhofer-Institut für Werkzeugmaschinen und Umformtechnik (IWU) gehört. Dann könnten diese Firmen bieten, was globale Großkunden wollen: anspruchsvolle Komplettprodukte statt Stückwerk.
„Denn mit Kostenvorteilen allein gewinnt man den Wettbewerb in Zukunft nicht“, so Lang. „Clusterbildung“ heißt deshalb das Schlagwort moderner Wirtschaftsförderung, besonders in Ostdeutschland – Schulterschluss statt Ellenbogeneinsatz. „In regionalen Themen- und Kompetenz-Clustern finden sich die wichtigsten Spieler einer Branche zu konkreten Projekten zusammen“, erläutert Dietmar Bacher, Geschäftsführer des Automotive Cluster Ostdeutschland (ACOD), 2006 auf Initiative der großen Hersteller gegründet, „Cluster bringen Mehrwert, treiben die Wirtschaftsentwicklung voran.“ Zudem lohne sich bei steigenden Energie- und Rohstoffpreisen und damit wachsenden Logistikkosten räumliche Nähe doppelt.
Global denken, lokal handeln: Sechs Cluster und viele kleinere Vernetzungsinitiativen kümmern sich in den Neuen Bundesländern allein um die Belange der Automobilbranche. Kein Wunder, denn Ostdeutschland ist einer der modernsten Automobil-Standorte Europas, 130 000 Beschäftigte arbeiten bei den rund 1200 Hersteller-, Zuliefer- und Ausrüsterfirmen. Doch viele Unternehmen sind relativ klein und stoßen an Wachstumsgrenzen. Deshalb wird Vernetzung gerade im Global Village eine größere Rolle spielen. „Kompetenzbündelung und ein breites Angebots-Spektrum inklusive Entwicklungsleistung werden für die Lieferanten von Morgen von eminenter Bedeutung sein“, prognostiziert Dr. Frank Löschmann, Sprecher der Geschäftsführung der Volkswagen Sachsen GmbH. „Die Basis für uns sind die lokalen Kompetenzen, die gerade bei Innovationsthemen die Zusammenarbeit oft erst ermöglichen – nicht nur wegen der örtlichen Nähe, sondern auch durch gleiche Sprache, gleiches Verständnis und oft auch vorhandene persönliche Beziehungen.“
Speziell kleinere Betriebe profitieren von den Netzwerken. „Großunternehmen sind in der ganzen Welt aktiv, legen aber trotzdem Wert darauf, dass ihre Zulieferer vor der Tür sitzen. Wenn VW in Russland ein Werk baut, verlangt es auch von seinen Zulieferern, dass sie mitziehen“, beobachtet VEMAS-Projektmanager Lang, dessen Initiative in Russland Investitionsprojekte im zweistelligen Millionenbereich anschiebt: Denn der Schritt ins Ausland kostet Geld und Know-how. Maschinenbauern mit lediglich 200 oder 300 Mitarbeitern fehlen dafür oft schlicht die Kapazitäten, von kleineren Firmen ganz zu schweigen.
VEMAS aber vertritt knapp 1000 Unternehmen, schon eine ganz andere Größenordnung. Für Maschinen- und Anlagenbauer sind neben Osteuropa die Boom-Märkte Chinas und Indiens lohnende Ziele. VEMAS ist zum Beispiel in Indien Türöffner für 300 000 bis 1,5 Mio. Euro schwere Vorhaben. Die Initiative fädelte den ersten indischen Großauftrag ein, den die USK Karl Utz Sondermaschinen GmbH aus Limbach-Oberfrohna an Land zog. „Wenn es sächsischen Unternehmen gelingt, sich als Partner im Ausland dauerhaft zu positionieren, sichert das auch Arbeitsplätze hier vor Ort“, erklärt Dr.-Ing. Claudia Scholta, Projektmanagerin der Verbundinitiative Automobilzulieferer Sachsen (AMZ), die sich als neutraler Partner der mehr als 500 sächsischen Automobilzulieferer versteht.
„Nur aus den Unternehmen heraus funktioniert Clusterbildung jedoch meist nicht. Jemand muss die Zügel in die Hand nehmen“, erklärt Klaus Höne. Der Diplomingenieur ist Vorstandschef des 2002 gegründeten Gießereinetzwerks Leipzig e.V. mit 22 Mitgliedern. „Moderieren können staatliche Wirtschaftsförderung, Regierungspräsidien oder auch Bürgermeister“, sagt er. Denn neben der Wirtschaft stützen drei weitere Pfeiler die Industrieverbünde: Wissenschaft, Bildung und Behörden. Soll das Netzwerk tragen, müssen alle zusammenarbeiten. Nur so lassen sich Projekte stemmen wie ein aktueller, 80 Mio. Euro schwerer Spitzen-Cluster-Antrag zur Entwicklung energieeffizienter Produktionsprozesse.
Die Netzwerkarbeit der sächsischen Automobilzulieferer generierte in den letzten Jahren immerhin ein Potenzial von 1,8 Mrd. Euro Umsatz und mehr als 2000 Arbeitsplätzen. „Seit 1999 haben wir 232 Projekte mit mehr als 900 Unternehmen durchgeführt“, berichtet AMZ-Projektmanagerin Scholta. Volumen: rund 40 Mio. Euro. Zudem erhöhe Netzwerken die Attraktivität der Region.
Nur erfolgreiche Lobbyarbeit zog zum Beispiel Airbaghersteller Takata-Petri mit 250 Arbeitsplätzen nach Freiberg: Laut Vorstandschef Dr. Heinrich Binder wäre das Werk ohne AMZ nicht gebaut worden. „Die Verbundinitiative hat uns in einer Machbarkeitsstudie nachgewiesen, dass in Sachsen beste Produktionsbedingungen gegeben sind.“ Wichtig sei, dass Investoren oder Großkunden sich nicht allein fühlen, weiß auch Michael Franzki, Geschäftsführer der Hohenstein Vorrichtungsbau und Spannsysteme GmbH: „Ein Kunde möchte wissen, ob Kompetenzen nur singulär vorhanden sind – oder es immer auch Alternativen gibt, nicht nur im Störungsfall.“
„Konkurrierende Unternehmen sehen in Kooperationen durchaus eine Chance, wenn sie allein nicht weiterkommen“, erzählt Ralf Lang. „Stark zukunftsorientierte Forschungsthemen wie erneuerbare Energien, Nanotechnologie und neue Werkstoffe sind besonders gut geeignet für Clusterprojekte.“ Auch sei speziell in Ostdeutschland der Wettbewerb oft noch nicht so stark ausgeprägt. Zahlreiche Unternehmen seien Nachfolgebetriebe von DDR-Kombinaten. „Die damalige Arbeitsteilung wirkt noch heute nach.“ Man kennt sich und weiß, was man voneinander erwarten kann.
Clusterbildung fördere zudem den Technologietransfer aus der Forschung in die Unternehmen, bisher eine Schwachstelle, wie ACOD-Geschäftsführer Dietmar Bacher feststellt: „In den Altbundesländern gibt es – bezogen auf 1000 Einwohner – vier Mal so viele Patentanmeldungen. Die kleinen ostdeutschen Unternehmen sind bei Forschung und Entwicklung noch zu schwach aufgestellt.“ Voraussetzung für Erfolg in clustergeführten Projekten ist, dass alle zum Schluss gleichberechtigt am Ergebnis partizipieren. Eine Möglichkeit sind Beiräte, in denen die Beteiligten paritätisch darüber wachen, dass die jeweils eingesetzten Geschäftsführer im Interesse aller handeln.
Doch nicht nur Kleinfirmen profitieren von Vernetzung. „Weil mehrere Unternehmen innerhalb des Clusters immer speziell die Elemente in das Projekt einbringen, für die sie das umfangreichste Know-how besitzen, gelangt man aus unserer Sicht kostengünstiger und schneller zum Ziel“, berichtet Wolfgang Osterode, Geschäftsführer der FEP Fahrzeugelektrik Pirna GmbH und einer der Koordinatoren des Netzwerks Automobilzulieferer Kunststofftechnik Sachsen mit über 80 Firmen. Sein Unternehmen habe im Netzwerk neue Erzeugnisse und Technologien entwickelt, die in Europa führend seien.
Übrigens: Auf den Fachmessen Intec und Z in Leipzig (26. bis 29. Februar) werden sich auch die Clusterinitiativen präsentieren. „Die Leipziger Messe hat sich als Schaufenster nach Osteuropa profiliert. Hier knüpfen wir Kontakte“, freut sich Claudia Scholta.
Cathrin Guenzel Journalistin in Leipzig
Viele Netzwerke für Automobilzulieferer
Großprojekte gemeinsam stemmen
Technologietransfer wird verbessert

Marktchancen
Die Veranstaltungsreihe „AMZ-Unternehmer laden ein“ wird dieses Jahr im Rahmen der Z in Leipzig am 27. Februar mit einem Special eröffnet. Gemeinsam mit Vertretern der russischen Automobilzulieferindustrie werden die Chancen von Kooperationen zwischen deutschen und russischen Unternehmen besprochen. Besonders interessant: der Kontakt zum Automobilcluster St. Petersburg gibt Einblick in den russischen Zuliefermarkt (www.amz-sachsen.de)
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