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Spritzige Ideen sparen Strom

Teilereinigung: Clevere Ansätze optimieren energieintensive Prozesse
Spritzige Ideen sparen Strom

Das Reinigen industrieller Werkstücke verbraucht viel Energie. Moderne Lösungsansätze helfen nicht nur, den Stromverbrauch zu senken und die Wirtschaftlichkeit zu steigern, im Idealfall verbessern sie sogar das Reinigungsergebnis. Dazu müssen Prozesse und Anlagen jedoch gezielt auf die jeweilige Anwendung abgestimmt sein.

Um den Energiebedarf in seiner Fertigung zu optimieren, richtete der Automobilzulieferer Bosch vor einiger Zeit eine Projektgruppe ein. Deren Mitglieder stellten fest, dass die Reinigungstechnik auf dem dritten Platz unter den größten Verbrauchern liegt. „Wir haben recht schnell erkannt, dass Einsparmöglichkeiten bestehen. Das Potenzial schätzten wir auf etwa 20 Prozent ein“, sagt Dr. Helmut Schmidt, Forschung und Vorausentwicklung, Beschichtungstechnologien und Oberflächentechnik, bei der Robert Bosch GmbH in Stuttgart. Diese Größenordnung sei vor dem Hintergrund zu sehen, dass drei Vorgaben strikt einzuhalten waren:

  • die Maßnahmen durften keinen Einfluss auf die Reinigungsqualität haben,
  • sie mussten sich wirtschaftlich umsetzen lassen und
  • innerhalb kurzer Zeit amortisieren.
„Die besten Ergebnisse erzielten wir bei wässrigen Einkammeranlagen, wo wir den Energieverbrauch um bis zu 50 Prozent reduzieren konnten“, verrät Schmidt. Der wesentliche Ansatz habe in der bedarfsgerechten Regelung der Aggregate der Reinigungsanlagen bestanden. Um etwa 80 % konnten die Spezialisten beispielsweise die Leistungsaufnahme der Vakuumpumpen reduzieren, indem diese in Leerlaufphasen in einen Stand-by-Modus geschaltet wurden. Einsparungen ergaben sich auch bei der Heißlufttrocknung oder der Filtration des Waschmediums. „Wir haben generell nicht in den Reinigungsprozess eingegriffen, sondern ausschließlich steuerungstechnische Veränderungen vorgenommen“, sagt Schmidt. Dadurch habe sich der Aufwand in Grenzen gehalten. Die Amortisationszeit lag bei etwa einem Jahr. „Obwohl wir viel erreicht haben, werden wir natürlich an weiteren Verbesserungen arbeiten. Allerdings ist dabei sehr genau abzuwägen, in welchem Verhältnis der Aufwand zum Nutzen steht.“
Was das heißt, verdeutlicht Dr. Markus Rochowicz an einem Beispiel: „Man kann sich durchaus vorstellen, in bestimmten Bereichen die Energieeffizienz der eigentlichen Reinigung zu verbessern, indem man die Prozesstemperatur senkt. Mit Hilfe von Niedrigtemperaturreinigern ist das durchaus möglich.“ Der promovierte Ingenieur, der am Stuttgarter Fraunhofer Institut für Produktionstechnik und Automatisierung (IPA) die Gruppe Kontaminationskontrolle leitet, gibt jedoch zu bedenken: „Dabei muss man aber sehr genau darauf achten, dass nicht zusätzlicher Energiebedarf beim anschließenden Trocknen den Minderverbrauch beim Reinigen übersteigt und die Bilanz dadurch unterm Strich negativ ausfällt.“
Dr. Katja Mannschreck, Leiterin des Schulungszentrums EcoCTec der Dürr Ecoclean GmbH in Filderstadt bestätigt: „Um die industrielle Teilereinigung energetisch zu optimieren, müssen Anlagen und Prozesse gezielt an die jeweilige Anwendung angepasst werden.“ Zentrale Aspekte, die es dabei zu berücksichtigen gelte, seien das Material, die Größe und die Geometrie der Bauteile, Art und Umfang der Verschmutzung sowie die Vorgaben hinsichtlich der Teilesauberkeit, der Durchsatzmenge und die vom Anwender gewünschte Flexibilität des Prozesses. „Bislang wurden die Anlagen meist für die maximalen Anforderungen ausgelegt und liefen dann permanent unter Volllast. Da sie aber vielfach nur teilweise ausgelastet sind, ist hier einiges an Einsparpotenzial zu erwarten“, erklärt die promovierte Chemikerin.
Clevere Steuerungskonzepte gehören denn auch zum Maßnahmenkatalog, mit dem es Mannschrecks Kollegen vom Dürr-Ecoclean-Standort Monschau gelungen ist, den Stromverbrauch fürs Reinigen von Motor- und Getriebeteilen um bis zu 60 % zu reduzieren. Diese Zahl bezieht sich auf den Vergleich der Roboterzelle EcoCFlex mit anderen marktüblichen Anlagen. Beim Endreinigen eines Zylinderkopfs zum Beispiel konnte der Stromverbrauch von 85 auf 31,5 kWh und die Reinigungskosten pro Bauteil von 14,2 auf 4,1 Cent reduziert werden.
Neben dem intelligenten Steuerungskonzept mit Stand-by- und Start-Stopp-Funktion tragen unter anderem optimierte Reinigungsverfahren zum Fortschritt bei. Als Beispiel dafür nennt Manfred Hermanns, Vertriebsleiter bei Dürr Ecoclean in Monschau, das Injektionsflutwaschen mit deutlich reduziertem Druck und erhöhtem Volumenstrom. Statt wie bislang mit 8 bis 10 bar wird dabei nur noch mit 3,5 bar beaufschlagt. Durch den höheren Volumenstrom und eine veränderte Düsengeometrie sei dabei die Reinigungsqualität sogar besser geworden. Bei großflächigen Teilen sorgt zudem die Spaltdüse für kürzere Zykluszeiten und damit effizientere Prozesse als die konventionelle Vollstromdüse. Eine weitere Neuerung ist eine so genannte Hybriddüse mit variabler Mischkammer, die sowohl Hoch- und Niederdruckanwendungen als auch das Injektionsflutwaschen in einer Reinigungsstation erlaubt. Das verkürzt die Nebenzeiten und verbessert so ebenfalls die Effizienz. „Und das Beste ist“, sagt Hermanns nicht ohne Stolz, „dass wir durch diese Weiterentwicklungen nicht nur den Energieverbrauch signifikant senken, sondern auch das Reinigungsergebnis verbessern konnten.“
Bedenkt man, dass die wenigen Reinigungsanlagen in der Fertigung von Motoren- und Getriebeteilen fast genauso viel Energie verbrauchen wie alle Werkzeugmaschinen zusammen, dann wird das Einsparpotenzial deutlich. Kein Wunder also, dass die Automobilindustrie, die Milliarden in verbrauchsärmere und umweltfreundlichere Fahrzeuge investiert, zunehmend auch auf die Ressourceneffizienz sowie die Lebenszykluskosten ihrer Fertigungsprozesse achtet.
Dass die Reinigungsprozesse in dieser Branche dennoch oft besonders energieintensiv sind, hat laut Manfred Hermanns einen einfachen Grund: „Im Zuge des Downsizings der Antriebseinheiten moderner Autos sind die Reinigungsanforderungen deutlich gestiegen. Um die sichere Funktion der Bauteile zu gewährleisten, müssen nach der spanenden Bearbeitung häufig Grate an Stellen entfernt werden, die schwer zugänglich sind. Das ist mittels Hochdruckentgraten effizient möglich. Die Drücke liegen dabei je nach Werkstück zwischen 300 und 1500 bar.“ Der Stromverbrauch der Reinigungsanlagen sei daher entsprechend hoch. Dass diese Entgratprozesse mit konventionellen Mitteln vielfach kaum oder gar nicht möglich sind, rechtfertigt den zusätzlichen Energieeinsatz.
Die intelligente Steuerung von Reinigungsprozessen bietet aber noch andere Ansatzpunkte, den Stromverbrauch zu senken. So macht es laut Hermanns wenig Sinn, eine Reinigungsanlage für einzelne Teile aus dem Stand-by-Betrieb hochzufahren. „Stattdessen sammeln wir die Teile bis eine vernünftige Anzahl zusammengekommen ist und reinigen dann die ganze Charge.“ Hermanns vergleicht diese Maßnahmen mit dem Downsizing von Pkw-Motoren, wo die Entwickler mit vielen kleinen Maßnahmen eine höhere Leistung aus immer kleineren und sparsameren Motoren holen.
Schulungsleiterin Katja Mannschreck weiß aus ihrer täglichen Erfahrung: „Vielen Anwendern fehlt das Bewusstsein, dass Reinigen einfach teuer ist.“ Grundsätzlich steigen die Kosten umso stärker, je höher die Sauberkeitsanforderungen sind. Es lohnt sich daher zu hinterfragen, ob die geforderten Restschmutzvorgaben wirklich nötig sind. Andererseits sieht es Markus Rochowicz vom IPA durchaus als kritisch, die Sauberkeitsanforderungen zu weit zurückzuschrauben: „Wir arbeiten in einem Umfeld, in dem Ausfälle bestenfalls im ppm-Bereich geduldet werden. Das heißt, dass unter einer Million Teilen nur einzelne fehlerhaft sein dürfen. Ich befürchte, dass das Engagement mancher Anlagenbetreiber nachlässt, wenn die Vorgaben zu locker sind.“
Der Forscher findet es manchmal fast schon erstaunlich, dass die Prozesse unter den in der Praxis gegebenen Bedingungen die Reinheitsanforderungen in der Regel gut erfüllen. Immer wieder komme es vor, dass Anwender von Anlagenherstellern eine möglichst kostengünstige und flexible Lösung fordern, die sprichwörtliche „eierlegende Wollmilchsau“. Doch die liefere nur in den seltensten Fällen ein optimales Ergebnis. Auch Katja Mannschreck erkennt noch große Unterschiede in der Reinigungskompetenz: „Einige Anwender haben ihre Prozesse sehr gut im Griff, bei anderen läuft das Thema eher nebenher.“
Aus Sicht des Anlagenherstellers sieht Mannschreck jedoch keine Gefahr, dass die Reinigungsqualität durch das Streben nach effizienteren Prozessen leiden könnte. „Das würde niemand akzeptieren! Das vorgeschriebene Sauberkeitsniveau muss sichergestellt sein. Von dieser Basis aus können wir dann beginnen, die Prozesse zu optimieren.“ Dabei gehe es vor allem darum, die Verluste, die während und zwischen den einzelnen Schritten auftreten, zu minimieren.
Ein weiterer Aspekt, der in die Effizienzbetrachtung von Reinigungsprozessen einfließen sollte, ist die Frage nach der Verringerung der eingebrachten Schmutzmenge – alles, was nicht abgereinigt werden muss, verursacht auch keine Kosten. „Deshalb ist es wichtig, schon in den Entwicklungsabteilungen anzusetzen und den Konstrukteuren das nötige Wissen für die reinigungsgerechte Gestaltung der Bauteile zu vermitteln“, sagt die Schulungsleiterin. „Das kann den Reinigungsaufwand enorm reduzieren und damit sowohl die direkten Kosten als auch den Energieverbrauch senken.“
Die größten Einsparpotenziale sieht Markus Rochowicz in individuell an den jeweiligen Bedarf angepassten Prozessen. Er bestätigt die Aussagen von Katja Mannschreck: „Das fängt bereits mit der reinigungsgerechten Konstruktion der Werkstücke an und setzt sich mit dem Auslegen der Vorprozesse fort.“ So sei beispielsweise das Reinigen direkt im Anschluss an die spanende Bearbeitung oft günstiger, weil sich die noch flüssigen Kühlschmierstoffe leichter entfernen lassen als getrocknete Rückstände.“ Deshalb sei es wichtig, die Abläufe Disziplinen-übergreifend entlang der gesamten Prozesskette zu optimieren. In diesem Zusammenhang sieht der Forscher eine enge Zusammenarbeit aller Beteiligten als sehr wünschenswert. „Dazu ist aber ein Spezialist nötig, der die Abläufe koordiniert. Er muss sowohl die Reinigungsprozesse und die Anlagentechnik verinnerlicht haben, in der Lage sein, Laborergebnisse richtig zu interpretieren und in die Fertigung rück zu spiegeln, und auch die vor- und nachgelagerten Abläufe kennen.“ Aber auch die Kunden müssten einbezogen werden. „Denn es darf nicht sein, dass die Reinigungstechnik ein sauberes, gut verpacktes Teil liefert, das der Weiterverarbeiter dann nicht sachgerecht behandelt und zwischenlagert.“
Falsch sei es aber auch, wenn der Anwender die passende Reinigungstechnologie aus Prinzip ablehne. „Wenn er beispielsweise Lösemittelanlagen grundsätzlich ablehnt, verbaut er sich möglicherweise den Weg, der sowohl zu einem geringeren Energieverbrauch als auch zum besseren Reinigungsergebnis führt“, sagt Rochowicz. Auf der Suche nach der besten Lösung sei Offenheit die Grundvoraussetzung.
Ganz neue Ansätze für den breiten Einsatz in der industriellen Reinigung sieht Rochowicz derzeit nicht. „In Nischenanwendungen wird sich sicher einiges bewegen, in der Breite werden aber weiterhin die mit wässrigen und lösemittelhaltigen Medien arbeitenden Anlagen weiter dominieren.“
Und Katja Mannschreck gibt zu bedenken, dass es sich nicht generell beantworten lasse, welche Maßnahmen das größte Effizienzpotenzial versprechen. „Das hängt sehr stark vom jeweiligen Kunden und seinen Anwendungen ab und muss individuell untersucht werden.“ Für kleine Lohnfertiger, die sehr flexibel arbeiten müssen, mag die größte Herausforderung darin liegen, das geforderte Sauberkeitsniveau und den nötigen Durchsatz überhaupt zu erreichen.
„Das Erarbeiten energieeffizienter Prozesse ist zudem mit einem gewissen Aufwand verbunden“, sagt die Reinigungsexpertin. „Vor dem Hintergrund steigender Energiekosten und umweltpolitischer Auflagen lohnt es sich aber auf jeden Fall, alle Möglichkeiten für potenzielle Einsparpotenziale zu prüfen und gegebenenfalls auch auszuschöpfen.“
Teile des Textes basieren auf verschiedenen Fachbeiträgen von Doris Schulz, freie Journalistin in Korntal

Checkliste des Verbands FiT hilft beim Optimieren

Energieeffizienz in der Teilereinigung

Das zunehmende Betrachten der Lebenszykluskosten, steigende Energiepreise und der Zwang, die CO2-Bilanz zu verbessern, führen auch in der industriellen Teilereinigung zum Umdenken. Zwar wird das Reinigungsergebnis auch künftig ganz oben auf der Prioritätenliste stehen, das Thema Energieeffizienz rückt bei Investitionsentscheidungen jedoch auf und hat sich in Einzelfällen bereits vor die Anschaffungskosten geschoben. Um die Anwender zu unterstützen, hat der Fachverband industrielle Teilereinigung (FiT), Hilden, eine Checkliste erstellt. Sie ist auf die Reinigungsanlage fokussiert und informiert sowohl über wesentliche Aspekte bei Neubeschaffungen als auch über Möglichkeiten, den Einsatz bestehender Anlagen zu optimieren. Der Verband betont jedoch, dass der Kosten-Nutzen-Effekt jeweils individuell untersucht werden müsse.
Der größte Effekt ist durch die korrekte Auswahl des geeigneten Reinigungsverfahrens und der passenden Anlage zu erzielen. Die richtige Größe und Ausstattung – etwa Stand-by-Konzepte – der Anlagen und geringe Leerlaufzeiten sind wesentliche Voraussetzungen für einen wirtschaftlichen und energieeffizienten Betrieb. Die FiT-Checkliste umfasst die Punkte „Allgemein“, „Pumpen und Hilfsantriebe“, „Rohrinstallationen“, „Reinigungsprogramme“, „Isolation“, „Energiezuführung und -rückgewinnung“, „Fertigungskette“ sowie „Trocknung“ und steht zum kostenlosen Download bereit unter: www.fit-online.org hw
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