Herr Zecha, mit welchen Erwartungen blicken Sie auf die kommende AMB?
Ich rechne mit einem großen Erfolg der AMB 2022. Sie gibt uns erstmals seit drei Jahren wieder die Chance, unsere Innovationen vor einem großen Publikum zu präsentieren. Unsere Mitglieder haben die letzten Jahre genutzt und intensiv entwickelt. Die Früchte dieser Arbeit wollen wir jetzt zeigen. Eine große Messe ist überfällig. Das Publikum ist hungrig, endlich wieder Face-to-Face kommunizieren und über aktuelle Fertigungsthemen diskutieren zu können. Die letzten Jahre haben gezeigt: Virtuelle Meetings sind gut, aber kein Ersatz für den direkten Dialog – insbesondere, wenn es um kniffelige technische Details geht. Welche Trends die Branche aktuell bewegen, können die Besucher an den ersten vier Messetagen auf dem VDMA-Technologieforum in Halle 1, Stand B50 erleben.
Der Maschinen- und Anlagenbau hat seine Prognosen für 2022 nach unten korrigiert. Spürt die Präzisionswerkzeug-Branche auch eine Abkühlung?
Unsere Prognose mit einem Produktionsplus von acht Prozent war zu Jahresbeginn vollkommen richtig, denn Corona-bedingt haben wir einen Investitionsstau. Keiner hat jedoch mit dem Krieg in der Ukraine gerechnet. Verunsicherung führt zu einer Zurückhaltung bei Kauf- und Investitionsentscheidungen. Wir merken diese Situation auch, aber nicht so stark wie der restliche Maschinen- und Anlagenbau. Dort sind die Summen viel größer und Investitionen werden eher verschoben. Trotzdem, der Bedarf ist da, und ich rechne damit, dass er früher oder später zum Tragen kommt – gerade auch vor dem Hintergrund der Transformation hin zu nachhaltigeren Prozessen. Auf der anderen Seite sehen wir einen großen Überhang an Aufträgen, die teilweise aufgrund von Materialknappheit, gestörten Lieferketten und fehlenden Fachkräften nicht abgearbeitet werden können. Dennoch: Ich bleibe zuversichtlich.
Welche technischen Themen werden die AMB in diesem Jahr prägen?
Was alle beschäftigt, ist der Wandel hin zu „grünen“ Prozessen. Wie schaffen wir es, dass die Werkzeugindustrie „grün“ wird? Wie führen wir künftig den Nachweis, dass bei der Gewinnung kritischer Rohstoffe wie Kobalt alles korrekt läuft? Wie gelingt es, unsere Energiewirtschaft umweltfreundlicher aufzustellen? Das sind Fragen, auf die wir Antworten finden müssen. Die Hersteller werden sich dabei unterschiedlich positionieren, auch abhängig davon, in welchen Kundenbranchen sie aktiv sind. Nichts ist beständiger als der Wandel. Und das ist gut so, denn Veränderung bringt auch neue Chancen.
Viele Aussteller haben eine hohe Zahl an Innovationen angekündigt. Worauf sollten die Besucher besonders achten?
Im VDMA-Präzisionswerkzeuge läuft derzeit wieder eine Umfrage unter den Mitgliedern, welche Innovationen sie auf der AMB vorstellen werden. Ich würde jedem Besucher empfehlen, eher zwei Tage auf die AMB zu kommen als nur einen, und sich die neuen Lösungen genau erläutern zu lassen. Vielfach steckt die Innovation im Detail und ist nicht auf den ersten Blick ersichtlich. Es wird nicht einzelne Themen geben, die hervorstechen, sondern einen bunten Strauß aus den unterschiedlichsten Bereichen.
Wo sehen Sie aktuell die größten technischen Herausforderungen?
Alles geht Richtung umweltschonenderer Produkte und Prozesse. CO2-Neutralität ist ein großes Thema. Zu den Fragen, die es zu klären gilt, gehört: Wie schaffen wir es, dass unsere Werkzeuge nachhaltiger werden? Wie können wir den Ressourcenverbrauch reduzieren? Wie erreichen wir noch höhere Recycling-Quoten? Und dann müssen wir Wege finden, unsere Kunden dabei zu unterstützen, nachhaltiger zu produzieren. Etwa mit schnittigeren Werkzeugen, durch die sich die Antriebsleistung der Maschinen und damit der Energieverbrauch senken lässt. Oder durch längere Standzeiten, die den Verbrauch an Werkzeugen und Rohstoffen reduzieren würden. Ich bin überzeugt, dass sich hinsichtlich des Carbon-Foot-Prints in der Fertigung noch viele Potenziale heben lassen. Wir müssen Verschwendung auf ein Minimum reduzieren. Nicht, weil die Regierung das will, sondern weil wir nur eine Erde haben, auf der auch unsere Kinder und Enkel noch vernünftig leben sollen.
Ist es tatsächlich möglich, eine klimaneutrale Produktion zu etablieren?
Unser erstes Ziel muss sein, nicht mehr Ressourcen zu verbrauchen als nachwachsen. Dazu müssen wir den Bedarf so weit als möglich reduzieren. Der nächste Schritt wäre dann, andere Energieformen zu finden. Ich bin ein großer Fan von Wasserstoff. Ob wir auf diesem Weg Klimaneutralität erreichen können, vermag ich im Moment nicht zu sagen. Aber das Potenzial ist da und die Forschung geht voran. Es wird an vielen neuen Lösungen gearbeitet. Ich bin sehr zuversichtlich, dass uns diese Anstrengungen deutlich voranbringen werden und dass Deutschland sich auch hier wieder eine gute Position erarbeiten wird.
Wie verändert das Thema Nachhaltigkeit das Angebot und die Nachfrage?
Unsere Kunden haben das Thema auf dem Schirm. Wir werden beispielsweise oft gefragt, ob unsere Rohstoffe aus sauberen Quellen kommen. Das Gewissen ist geschärft. Gerade beim Kobalt sollte man aber auch bedenken, dass die Werkzeugindustrie nur etwa zehn Prozent der Fördermenge verbraucht und gleichzeitig die höchste Recyclingquote hat. Den größten Bedarf – annähernd 50 Prozent – hat die Batterieindustrie. Der VDMA arbeitet derzeit an einem Standard für die Berechnung des Product-Carbon-Foot-Prints, mit dem der Fußabdruck verschiedener Produkte in der Fertigungskette vergleichbar würde. Keine einfache Aufgabe, aber das Interesse ist groß. Dann weiß jeder, wo er mit seinen Produkten steht.
Soll dieser Standard nur für die Werkzeuge gelten oder auch für Maschinen?
Der Standard soll für alle Produkte des Maschinenbaus gelten. Aus diesem Grund sind auch Unternehmen auf allen Stufen der Wertschöpfungskette daran beteiligt.
Wie groß sind die Aussichten, dass kritische Werkstoffe wie Kobalt oder Lithium ersetzt werden können?
Für mich ist Cermet ein gutes Beispiel. Mit diesem keramischen Schneidstoff versuchte man vor einiger Zeit, das Hartmetall zu ersetzen. Cermet hat seine Berechtigung, hat sich aber aus verschiedenen Gründen nicht als Massenschneidstoff durchgesetzt. Beim Hartmetall sind sowohl die Herstellungsverfahren als auch die Anwendungstechnologien etabliert. Die Hartmetallhersteller versuchen stetig, ihre Produkte so weiterzuentwickeln, dass weniger der kritischen Grundstoffe gebraucht werden. Moderne Hartmetallwerkzeuge haben aufgrund neuer Schneidstoffe, neuer Beschichtungen und moderner Fertigungsprozesse einen viel geringeren Verschleiß als ihre Vorgänger. Im Moment sehe ich für viele Anwendungen keine Alternative, die mit der Leistungsfähigkeit von Hartmetall vergleichbar wäre. Deshalb tendiere ich eher dazu, das Recycling auszubauen. Namhafte Hartmetallhersteller werben ja bereits damit, dass ihre Schneidstoffe zu 80, 90 oder gar 100 Prozent aus recyceltem Material bestehen. Allerdings müssen verbrauchte Werkzeuge dann auch wieder diesem Kreislauf zugeführt werden.
Angesichts des aktuellen Weltgeschehens: Welche Herausforderungen beschäftigen die Branche am meisten?
Der Krieg in der Ukraine ist aktuell mit die größte Sorge. Das Zweite sind die gestörten Lieferketten. Corona, der Ukraine-Krieg und die Lockdowns – vor allem in China – haben die ganze Welt durcheinandergewirbelt. Das muss sich neu finden. Viele denken darüber nach, ob es klug ist, alles weltweit einzukaufen. Aus strategischen Gründen und damit wir in Europa wieder auf zwei gesunden Füßen stehen, werden wir vernachlässigte Industrien – etwa die Chip-Produktion – wieder aufbauen müssen. Eine Abhängigkeit von einzelnen großen Lieferanten war noch nie gut. Auch Corona gehört richtig aufgearbeitet und analysiert. Um für die Zukunft gerüstet zu sein, müssen wir jetzt die Lehren aus den Fehlern der Vergangenheit ziehen. Trotz allem bin ich optimistisch. Deutschland ist bislang aus jeder Krise gestärkt hervorgekommen.
Sind die Rohstoffe für die Werkzeuge ausreichend vorhanden?
Wenn wir nur über Hartmetall reden, sehe ich die Situation, auch aufgrund der hohen Recyclingquote, als relativ sicher. Die größere Problematik sehe ich allerdings bei unseren Kunden, die ihre Produkte aus Aluminium, Stahl oder Titan nicht ausliefern können, weil entweder Bauteile fehlen oder deren Kunden die Lieferung nicht abnehmen, weil sich dort die gestörte Lieferkette auswirkt. Letztlich brauchen dadurch auch unsere Kunden weniger Werkzeuge. Insofern spüren wir das Thema Lieferkette eher indirekt.
Gibt´s schon Zahlen, wie das erste Halbjahr 2022 gelaufen ist?
Im ersten Halbjahr steht bei den Präzisionswerkzeugen insgesamt ein kleines reales Plus von zwei Prozent in den Auftragsbüchern. Leider schwächte sich der Auftragseingang nach einem guten ersten Quartal im zweiten Vierteljahr etwas ab.
Wie haben sich die wichtigsten Absatzmärkte in diesem Jahr bislang entwickelt?
Die deutlich eingetrübten Stimmungsindikatoren in wichtigen Kundenbranchen machen sich bemerkbar. Das Exportgeschäft konnte in den zurückliegenden Monaten von Januar bis Mai um immerhin 3,5 Prozent gesteigert werden. Stark entwickelten sich dabei die Lieferungen in die USA. Die Exporte über den Atlantik legten um ein sattes Viertel zu. Enttäuschend verlief dagegen das Chinageschäft, insbesondere die extremen Quarantäneauflagen behindern dort die Geschäftstätigkeit. Dadurch gingen die Lieferungen nach China von Januar bis Mai gegenüber dem Vorjahreszeitraum um gut sieben Prozent zurück. Mit Blick auf die bevorstehende AMB ist es erfreulich, dass wichtige europäische Nachbarländer eine positive Nachfrageentwicklung zeigten und diese sich im Messegeschäft hoffentlich fortsetzen wird. So konnten wir zum Beispiel unsere Ausfuhren in die Schweiz bis Mai um 7 Prozent steigern, nach Italien gar um 14 Prozent.
Was erwarten Sie sich vom zweiten Halbjahr 2022?
Unsere Prognose vom Jahresbeginn hat noch Bestand. Wie sich das Jahr weiterentwickeln wird, ist derzeit aber nicht abzuschätzen. Ich bin optimistisch und hoffe, dass der Ukraine-Krieg bald beendet sein wird. Die Lieferkettenproblematik wird sich nach einer Weile auflösen.
Wie steht´s um die Themen Fachkräftemangel und den Nachwuchs?
Fachkräfte sind nach wie vor schwierig zu bekommen. Was aber auffällt: Auch für unsere Ausbildungsplätze wird es immer schwieriger, geeignete Kandidaten zu finden. Wir müssen uns verstärkt um die Jugend kümmern, ihr zeigen, dass der Maschinenbau sexy ist und gute Zukunftsperspektiven bietet. Was mir besonders am Herzen liegt: Die wichtigsten Rohstoffe Deutschlands sind Wissen und Know-how. Das zu vermitteln beginnt in der Schule. Insofern habe ich absolut kein Verständnis dafür, dass Lehrer zu Beginn der Sommerferien entlassen und danach wieder eingestellt werden. Baden-Württemberg ist hier leider ein unrühmliches Beispiel. So etwas wäre in der Industrie undenkbar. Gut ausgebildete junge Menschen sind unsere Zukunft. Deshalb brauchen wir gute Schulen, kleinere Klassen und gut ausgebildete, motivierte Lehrer.
Kontakt:
Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau e.V.
Fachverband Präzisionswerkzeuge
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