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Thixoguss statt Schmiedeteil

Thixotropie: Stahl wird dünnflüssig wie Fahrradöl – und lässt sich gießen
Thixoguss statt Schmiedeteil

Zu den schnellen Produktionsverfahren gehören das Spritzgießen und Druckgießen. Wie wär’s mit Stahl? Doch welches Werkzeug hält Schmelztemperaturen aus, die 800 °C höher sind als beim Verarbeiten von Aluminium? Neuere Entwicklungen verwenden daher teilverflüssigten Stahl und beschichtete Formen – Thixoguss.

Noch hat sich das Thixogießen von Stahl nicht etabliert. Kommerzielle Anwendungen stehen noch aus, doch die Erwartungshaltung ist groß. „Jeder, der ein thixotrop hergestelltes Bauteil aus Stahl in Händen hält, ist begeistert“, sagt Dipl.-Ing. Klaus Fickert, Technischer Prokurist beim Werkzeughersteller Hazet-Werk KG, Remscheid. „In den Hinterköpfen reift der Gedanke an ein Massenherstellungsverfahren ähnlich wie dem Druckgießen von niedrig schmelzenden Materialien.“

Der Thixoguss eröffnet eine neue Runde im Wettkampf Gießen contra Schmieden, der den Fortschritt bei den Fertigungsverfahren schon lange beflügelt. Das Schmieden liefert meist überragende Produkteigenschaften, aber der hohe Formänderungswiderstand von Metall erfordert viele Zwischenstufen. Die Geometrien wirken klobig gegenüber dem Gießen. Das Gießen ermöglicht komplexere Geometrien, bietet dafür aber keine optimalen mechanischen Eigenschaften.
Das Gießerei-Institut von Prof. Andreas Bührig-Polaczek an der RWTH Aachen versucht, eine Alternative zu finden – Thixocasting. Das gibt es schon als modifiziertes Druckgießen von Aluminiumlegierungen, aber nicht von hochfestem Stahl. Herausforderungen und Chancen des Verfahrens als Alternative zum Schmieden erläutert Dipl.-Ing. Matthias Bünck, Leiter der Dauerformgussgruppe. „In der Industrie werden wegen der hohen Flüssig-Temperaturen und dem damit verbundenen Formverschleiß keine Stähle im Druckguss verarbeitet“, sagt Bünck, verweist aber auf den Ausweg. Bei Feststoffanteilen zwischen 30 % und 60 % und somit niedrigeren Verarbeitungstemperaturen – etwa von 1450 statt 1650 °C im Flüssigzustand – gebe es ein hohes Werkstoff- und Bauteilpotenzial. So könnten die Bauteile im Thixodruckgießverfahren in nur einem einzigen Schritt gefertigt werden gegenüber dem vielstufigen Schmiedevorgang, „was mit einer enormen Kostenersparnis verbunden sein kann“, so Bünck. Aus diesem Grund haben sich das Gießerei-Institut und der Lehrstuhl für Werkstoffchemie der RWTH mit dem Hersteller von Handwerkzeugen Hazet und dem Hersteller von Beschichtungsanlagen PlaTeG zu einem gemeinsamen Projekt zusammengeschlossen.
Das mittelständische Unternehmen Hazet, in fünfter Familiengeneration Lieferant von Handwerkzeugen für Industrie und Handwerk mit eigenem Schmiedebetrieb, Werkzeug- und Gesenkbau, sieht’s strategisch: „Das Thixogießen könnte unser Anforderungsprofil an eine Prozessalternative zum Schmieden erfüllen“, blickt Klaus Fickert in die Zukunft. „Losgrößen von einigen hundert bis tausend Stück könnten wir dann in einem Thixowerkzeugsatz auf einer üblichen Druckgießmaschine herstellen.“ Reicht das Schussgewicht aus, ließen sich außerdem Bauteile in Mehrfachkavitäten gleichzeitig herstellen.
Was die Gießer immer wieder als Vorteil gegenüber dem Schmieden anführen, gilt auch hier: Thixogießen erlaubt es dem Konstrukteur, zu filigraneren und komplexeren Geometrien überzugehen, die sich nicht länger an den Verformungsgrenzen des auf Schmiedetemperatur erhitzen Stahls orientieren. „Durch diese freie Gestaltung könnten wir kompliziertere Spezialwerkzeuge herstellen, zum Beispiel für die Automobilindustrie“, so Fickert. Generell würde ein Verfahrenswechsel hin zum Gießen im teilflüssigen Zustand die technischen Möglichkeiten erweitern. Denn
  • die Bauteile sind endformnah (net-shape) und erfordern nur geringere Nacharbeit der Funktionsflächen.
  • Werkstücke dürfen lange Fließwege mit dick- und dünnwandigen Bereichen haben sowie einen umflossenen Kern (Werkzeugknarre, Ring-Maulschlüssel, Stecknuss und Zangenhälften).
  • Aufgrund laminarer Formfülldynamik haben thixotrope Bauteile eine besonders geringe Erstarrungsschrumpfung und eine niedrige Gas- und Erstarrungsporosität.
„Grundsätzlich ist es so“, betont Fickert, „dass das innovative Verfahren die Gesamtfertigungskosten reduzieren kann, weil nahezu alle gegossenen Bauteile aus Vormaterialien mit denselben Abmessungen hergestellt werden.“ Unterschiedliche Stäbe, Bänder und Platten je nach Gesenk würden nicht mehr benötigt. Die angestrebte Schusszeit von 2 min sieht Fickert zwar als hoch an, „doch dafür entfallen mehrere Schmiedestufen“. Aktueller Demonstrator für das Thixogießen ist ein Kombi-Ringmaulschlüssel der Nennweite 17.
Entscheidend für die Verarbeitung von Stählen in Dauerformen sind temperaturfeste Werkzeuge. Als vielversprechend haben sich mit a-Al2O3 beschichteter Stahl und die gleichermaßen behandelte Molybdänbasislegierung TZM (Titan-Zirkonium-Molybdän) gezeigt. Es gilt, die Form mit einer Schicht zu versehen, die die Verschleißfestigkeit erhöht und zugleich verhindert, dass sich das heiße Gussmaterial mit ihm verbindet. Der Werkzeugwerkstoff X37CrMoV-5 (1.2343), immerhin ein Warmarbeitsstahl, ist zwar besonders temperaturresistent, aber das reicht nicht für das Thixogießen von Stahl in Serie.
Dipl.-Phys. Hans-Joachim Günther, Technischer Leiter der PlaTeG GmbH, Siegen, erläutert, wie man das Formwerkzeug noch standfester macht. „Wir haben die Formen zuerst einmal mit „PulsPlasma“-CVD nitriert. Die höhere Randschichthärte durch den eindiffundierenden Stickstoff verbessert die Stützwirkung für die danach abgeschiedene Hartstoffschicht mit einer Härte von HV 2000“, berichtet Günther. „Auf die untere Diffusionsschicht haben wir im gleichen Arbeitsgang die eigentliche Verschleißschutzschicht aufgetragen – und zwar ohne dass das Werkzeug abkühlt und an die Atmosphäre gelangt, nur durch Umschalten der Prozessparameter und Gase.“
Die neuentwickelte, hochtemperaturfeste Schicht auf Aluminiumoxid-Basis erhöht auch die Standzeit von Umformwerkzeugen und Motorteilen. Doch den Thixoguss-Projektpartnern geht es jetzt darum, noch komplexere Gießformen herzustellen. Das Anwendungsspektrum soll sich erweitern.
Hier kommt nun auch noch die Werkstoff-Frage ins Spiel. Denn Handwerkzeuge des Premiumsegments werden heute ausschließlich durch Schmieden nur weniger Stahlsorten hergestellt, zum Beispiel aus 31CrV2, Werkstoff-Nr. 1.2208: Der Stahl muss zäh sein, damit beim Versagen, etwa durch unsachgemäße Benutzung, keine Verletzungsgefahr durch Sprödbruch entstehen kann. Das Werkzeug soll sich also oberhalb der genormten Belastungsgrenze plastisch verbiegen statt zu brechen.
Schmiedestähle können für das Thixogießen jedoch nicht einfach übernommen werden, da diese wegen geringer Legierungszusätze – und vor allem durch den geringen Kohlenstoffgehalt – oft unzureichende Prozessfenster für die Erwärmung aufweisen und zudem sehr hohe Schmelzpunkte haben.
Bereits im relativ frühen Projektstadium wurde erkannt, dass der für Handwerkzeug gebräuchliche Chrom-Vanadium-Stahl schlechte Fließeigenschaften aufweisen könnte. Die Wahl fiel daher auf den Edelstahl X39CrMo17 für die weitere Entwicklung – auch, um neben der Gestaltungsfreiheit noch weitere Vorteile durch das Thixogießen zu generieren, beispielsweise dass auf eine passivierende Verchromung verzichtet werden kann. X39CrMo17 wird im Armaturen-, Pumpen- und Verdichterbau sowie bei der Herstellung chirurgischer Instrumente verwendet.
Wie geht’s weiter? Zurzeit laufen Versuche mit zwei Federstahlsorten (1.7108 und 1.5023) und einem weiteren Edelstahl (1.4034). Ein neues Fertigungsverfahren marktfähig zu machen, dauert eben seine Zeit.
Entsprungen ist das Projekt aus dem Sonderforschungsbereich SFB 289 „Formgebung metallischer Werkstoffe im teilerstarrten Zustand und deren Eigenschaften“. Die Schlussergebnisse zwölfjähriger Arbeit an neun Instituten sind auf 450 Seiten im Buch „Thixoforming – Semi-Solid Metal Processing“ dokumentiert. Nun steht der Abschlussbericht des dreijährigen Transferprojekts über Thixocasting an.
Siegfried Kämpfer Journalist in Solingen

Semi-Solid

Im Bereich zwischen Solidus- und Liquidustemperatur werden Werkstoffe zuerst teilweise flüssig. Besonders bei globulitischem Gefüge und wenn die feste Phase feinverteilt suspendiert vorliegt, tritt dann der Thixotropie-Effekt auf: Unter Einwirkung von Scherkräften (griechisch Thixis = Berührung) verringert sich die Viskosität. Das knetmasseartige Metall lässt sich so mit geringen Drücken sehr präzise in Form bringen. Aus den USA stammt die Bezeichnung Semi-Solid Metal Molding. Es gibt viele Varianten, zum Beispiel Thixomolding: Aufschmelzen von Legierungsgranulat in den halbflüssigen oder flüssigen Zustand, wobei das Material beim Aufschmelzen wie auch beim Spritzgießen einer ständigen Scherung unterworfen ist. Konkurrenz zum Warmkammerdruckgießen und Polymerspritzguss. Rheocasting: Abkühlung einer Legierungsschmelze (evtuell auch mit nichtmetallischen Partikeln) in den teilflüssigen Zustand.
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