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Vom Lieferant zum Partner

Maschinen- und Anlagenhersteller bauen ihr Servicegeschäft mit Betreibermodellen aus
Vom Lieferant zum Partner

Der große Hype um Betreibermodelle ist in den vergangenen Jahren verflogen. Dennoch haben sie ihre Nische gefunden. Vor allem dort, wenn es sich nicht um Kernkompetenzen handelt. Beispiele aus der Lackiertechnik belegen dies.

Es klingt einfach: Ein Produzent kauft eine Maschine oder Anlage nicht, sondern lässt sie vom Hersteller betreiben und warten. Statt des Kaufpreises zahlt er ihm eine nutzungsabhängige Gebühr. Betreiben statt Verkaufen lautet die Devise für den Hersteller. Der Vorteil für den Kunden: Er kann sich, wie es gerne heißt, auf seine Kernkompetenzen konzentrieren und muss keine hohen Investitionen tätigen. Der Anbieter wiederum kann seine Umsätze mit produktbegleitenden Dienstleistungen steigern.

Doch ganz so simpel sind die so genannten Betreibermodelle in der Praxis nicht umzusetzen. Denn die Finanzierung der Anlagen über die Banken ist auch für Investitionsgüterhersteller kein Zuckerschlecken, heißt es etwa beim Lackieranlagenhersteller Dürr in Bietigheim. Außerdem lege man es nicht darauf an, die eigenen Bilanzen mit dem Investitionsgut zu belasten. Und schließlich sei es schwierig, die Risiken des Betreibermodells gerecht auf beide Partner zu verteilen. Daher ist bei Dürr vor Jahren der Entschluss gefallen, keine Betreibermodelle anzubieten.
Auch der Augsburger Automatisierungsspezialist Kuka kann ein Lied von den Risiken des Geschäfts mit Betreibermodellen singen: Auf dem Werksgelände von Chrysler im US-amerikanischen Toledo verantwortet er die Fertigung der Karosserien des Jeep Wrangler mit seinen eigenen Robotern und Anlagen. In dem Werk in Ohio verrichten rund 245 Kuka Roboter in zwei Schichten ihren Dienst. Bezahlt wird Kuka bei diesem Modell nach dem Prinzip „Pay on Production“. Das heißt, nach der Zahl der produzierten Einheiten
Als der Autohersteller im Frühjahr vergangenen Jahres in die Insolvenz rutschte, zeigten sich bei den Augsburgern die ersten Sorgenfalten. Anfang Mai stoppte die Produktion wegen der Unsicherheit über die Umstrukturierung, Kuka erhielt kein Geld mehr. Erst zwei Monate später liefen die Bänder wieder an. Doch wie lange, blieb zunächst unklar. Denn in der Zwischenzeit war Fiat als Großaktionär bei Chrysler eingestiegen. Und die Zukunft des Allradfahrzeugs stand wie fast bei Chrysler alles zur Diskussion – und damit natürlich auch das Betreibermodell.
Unterm Strich ist Kuka mit einem blauen Auge davongekommen: Im Gegensatz zum Gesamtmarkt, der um 21 % einbrach, verzeichnete dieses Chrysler-Modell 2009 nur Absatzeinbußen von 3 %. Außerdem will Fiat das Fahrzeug auch in den kommenden Jahren weiter bauen. „Die Marke Jeep Wrangler weist im Vergleich zur übrigen amerikanischen Automobilindustrie überdurchschnittliche Entwicklungsmöglichkeiten auf, an denen wir im Jahr 2009 partizipiert hat“, heißt es dazu im Risiko- und Chancenbericht der Augsburger. Doch die Gefahren werden gleichfalls klar benannt: „Sie bestehen in stärkeren Abhängigkeiten von Pkw-Absatz- und -Produktionsmengen.“
„Wir lösen uns mit Betreibermodellen von den Risiken des stark zyklischen Anlagenbaus und sichern uns kontinuierliche Einnahmen, die sich auch auf den Aftersales-Bereich auswirken“, bestätigt Friedrich von Itzenplitz, Leiter des Bereichs BOT & Full Service beim Böblinger Anlagenbauer Eisenmann. „Doch gleichzeitig gehen wir dadurch neue Abhängigkeiten ein, beispielsweise vom Fahrzeugabsatz. Wir als Betreiber der Anlage haben gar keine Möglichkeit, die Stückzahlen zu beeinflussen.“
Daher ist es für Eisenmann oberstes Gebot, vor dem Abschluss eines Betreibermodells alle Risiken auszuloten und diese gegebenenfalls in die Preisfindung einzubeziehen. Dazu gehört die intensive Beschäftigung mit dem Kunden: dessen Finanzen, dessen langfristigen Planungen, der Absatzstruktur, Ausfallrisiko (existiert der Kunde in zehn Jahren noch am Markt?) oder auch Standortrisiko (ist der Standort für die Fabrik und Anlage sicher?) und Ausstiegsrisiken. Außerdem muss geklärt werden, ob das zu produzierende Produkt Chancen am Markt hat. „Wir gehen auf keinen Fall ein unbekanntes Risiko ein, schließlich wollen wir mit diesen Dienstleistungen nicht unser Hauptgeschäft, den Verkauf von Anlagen, gefährden, sondern lediglich ausbauen“, so von Itzenplitz.
Dass das Wachstum mit Betreibermodellen den Maschinen- und Anlagenbauern auf Dauer gelingt, davon ist Dirk Kohlen, Senior Consultant bei Roland Berger, überzeugt. Die Übernahme vollständiger Geschäftsprozesse des Kunden mit dem Betrieb der eigenen Maschinen bezeichnet er als höchste Stufe der Service-Evolution. Die mögliche Eigenkapitalrendite taxiert er auf rund 20 %. Doch weiß auch er: „Die Komplexität von Betreibermodellen ist hoch. Ihr Erfolg hängt vor allem davon ab, dass die jeweiligen Risiken von vornherein sorgfältig analysiert werden. Die Modalitäten werden schließlich nicht zuletzt aufgrund der Risikoanalyse ausgehandelt.“
Eine einseitige Risikoverlagerung ist laut Gunter Lay, Leiter des Geschäftsfelds Industrielle Dienstleistungen am Fraunhofer Institut für System- und Innovationsforschung ISI, Karlsruhe, auch der Grund dafür, warum der Anteil der Investitionsgüterhersteller, die Betreibermodelle anbieten, seit Jahren bei rund 15 % stagniert: „Viele Modelle, die vor ein paar Jahren initiiert wurden, basierten auf Nachfragen von Großkunden wie etwa der Automobilindustrie. Diese versuchten, die Risiken einseitig auf ihre Zulieferer abzuwälzen. Beispielweise, um Bilanzkosmetik zu betreiben oder ihre Haustarifverträge zu unterlaufen. Das geht auf Dauer nicht gut, die Anbieter können auf dieser Basis kein nachhaltiges Geschäftsmodell aufbauen.“
Wesentlich ist, die Total Cost of Ownership beim Betrieb einer Anlage von der Entwicklung bis zur Entsorgung zu betrachten. „Doch in der Regel haben die Hersteller keine Erfahrung mit der Total Cost of Ownership und können somit auch schlecht garantieren, einen bestimmten Wert nicht zu überschreiten“, argumentiert Lay. „Die Daten dazu besitzt eigentlich nur der Kunde, der solche Anlagen jahrelang selbst betrieben hat. Da entsteht ein ganz neues Spannungsfeld.“
Auch auf Kundenseite musste man in der Vergangenheit Lehrgeld zahlen – etwa dann, wenn die erhofften Benefits nicht realisiert werden konnten. Nach Ansicht des Fraunhofer-ISI-Experten liegt dies oft daran, dass die Kunden die Effizienzsteigerungspotenziale im Vorfeld nicht hinreichend definiert haben. Sie können entweder die Anlagenverfügbarkeit, die Anlagenverbesserung, die Gesamtproduktivität oder gar die Verbesserung des Endprodukts durch Innovationen in der Anlagentechnik betreffen. Außerdem hat so mancher Kunde in der Vergangenheit Prozesse mit Betreibermodellen ausgelagert, die er später reumütig wieder zurückholte – weil man feststellte, dass es sich um Kernprozesse handeltet, deren Know-how man außer Haus gegeben hat. „Bei Kernkompetenzen wird es regelmäßig schwierig, ein Betreibermodell aufzusetzen. Denn es gilt nach wie vor: Schuster, bleib bei deinem Leisten“, bestätigt Eisenmann-Manager von Itzenplitz.
„Eine Win-Win-Situation, aus der beide Partner als Gewinner hervorgehen, ist die einzige Lösung für ein langfristig stabiles Betreibermodell“, stellt Lay klar. Doch wie sieht das Modell aus, bei dem kein Partner als Verlierer vom Platz geht? Zwei langjährige Projekte von Eisenmann aus dem Bereich Lackiertechnik zeigen, wie es funktioniert: Randon Group und MAN Latin America, beide mit Sitz in Brasilien.
Seit 1996 schon verantwortet die Eisenmann-Tochtergesellschaft Carese im Volkswagen-Werk in Resende, welches zwischenzeitlich von MAN Latin America übernommen wurde, die Lackierung der Lkw-Fahrerhäuser einschließlich Vorbehandlung, kataphoretischer Tauchlackierung und Decklackierung. Das für die damalige Zeit innovative Konzept der Fabrik basiert darauf, dass sämtliche Produktionsprozesse im Betreibermodell von Zulieferern abgedeckt werden. Volkswagen entschied sich damals dafür, die Lackieranlagen zu kaufen. Auch Gas, Wasser, Strom und Gebäude stellt der jetzige Lkw-hersteller. Derzeit produziert er von Montag bis Freitag im Dreischichtbetrieb.
Zwischen 1996 und 2010 ist die Kapazität der Lackieranlage um 44 % auf 230 Fahrzeuge pro Tag gestiegen – und das, obwohl die Anlage bereits 14 Jahre alt ist und immer noch eine Verfügbarkeit von über 98 % aufweist. „Die hohe Verfügbarkeit ist ein entscheidender Punkt für uns. Ich weiß nicht, ob wir dies beim Eigenbetrieb erreichen würden. Denn je höher das Produktionsvolumen ist, desto besser muss die Anlage gewartet werden“, sagt Adilson Dezoto, Industrial Director bei MAN Latin America. Bezahlt wird Carese nach einem dreistufigen Modell, bestehend aus einem Fixanteil, bedingt fixen Kosten für die bereitgestellten Personalkapazitäten sowie einem variablen, fahrzeugbezogenen Anteil. Die Bezahlung erfolgt erst, wenn der Lkw von der zentralen Qualitätskontrolle abgenommen wurde.
Selbst als in der Wirtschaftskrise die Produktion gedrosselt wurde, kam es nicht zu Überraschungen für Carese: Die Pläne wurden laufend aktualisiert und die Bezahlung angepasst. „Es handelt sich um eine faire, partnerschaftliche Beziehung. Dadurch haben wir ein ganz anderes Standing beim Kunden. Außerdem haben wir nun alle Daten über die Anlage während des gesamten Lebenszyklus. Dies hilft auch unseren Entwicklern als Rückkoppelung weiter“, sagt von Itzenplitz.
Ähnliche Erfahrungen haben Eisenmann und Group Randon gemacht. Zwei Lackierstraßen für ein mehr als 4000 verschiedene Lkw-Anbauteile sowie für komplette Lkw-Sattelauflieger betreibt die Eisenmann-Tochter Endosul für den Automobilzulieferer seit 2003 beziehungsweise 2009. Sie laufen meist im Dreischichtbetrieb, die Anlagenverfügbarkeit liegt hier bei 99 %. Die Bezahlung erfolgt ähnlich wie bei MAN dreigestuft, der variable Anteil orientiert sich hier am lackierten m2. Endosul garantiert dem Kunden eine jährliche Kostenreduktion um 3 %. „Das heißt, die Ingenieure von Eisenmann sind ständig dabei zu optimieren – und dies erfolgreich “, sagt Marcos Afonso Lovatto, Manufacturing Manager bei der zur Randon Group gehörenden Master. Das Ergebnis: Zwischen 2003 und 2007 ist die Auslastung der Kleinteile-Anlage um 157 % gestiegen – etwa durch die bessere Anordnung von Teilen auf Behängen.
Sabine Koll Journalistin in Böblingen

„Eine einseitige Risikoverlagerung zum Hersteller geht auf Dauer nicht gut“

Nachgefragt

Vor zehn Jahren gab es eine Welle der Euphorie für Betreibermodelle. Seitdem ist es ruhig geworden. Haben sich die Modelle nicht so recht am Markt durchgesetzt?
Das kann man so nicht sagen. Wir haben nie angenommen, dass Maschinenbauer einmal die Hälfte ihres Umsatzes oder mehr mit dem Betreiben ihrer Maschinen und Anlagen verdienen werden. Das wäre eine unrealistische Erwartung an dieses Geschäftsmodell. Betreibermodelle sind für die meisten Maschinen- und Anlagenbauer ein Nischengeschäft. Das Geschäftsmodell kann in solchen Nischen jedoch durchaus tragfähig sein.
Doch warum haben sich Betreibermodelle nicht stärker verbreitet in den vergangenen Jahren?
Viele Modelle, die vor ein paar Jahren initiiert wurden, basierten auf Nachfragen von Großkunden wie etwa der Automobilindustrie. Diese versuchten, die Risiken einseitig auf ihre Zulieferer, also Anlagen- und Maschinenbauer abzuwälzen. Beispielsweise, um Bilanzkosmetik zu betreiben oder ihre Haustarifverträge zu umgehen. Hier findet man häufig eine asymmetrische Verhandlungsposition vor, bei der der kleine Lieferant von einem großen Kunden die Leistungen diktiert bekommt. Das geht auf Dauer nicht gut, die Anbieter können auf dieser Basis kein nachhaltiges Geschäftsmodell aufbauen. Deshalb haben die meisten Hersteller kein Interesse daran, dieses Modell zu pushen.
Waren Betreibermodelle in der zurückliegenden Krise eine Möglichkeit für kleinere und mittelständische Kunden, schneller und günstiger an Maschinen zu kommen?
Damit würde man Betreibermodelle rein in die Ecke eines Finanzierungsinstruments rücken. Sobald dies geschieht, entzieht man ihnen jedoch die Grundlage.
Warum?
Wir sagen bei unseren Firmenprojekten immer: Gelingt es Hersteller und Kunde nicht, durch Betreibermodelle gegenüber dem bisherigen Konzept Effizienzsteigerungspotenziale herauszuarbeiten und aufbauend darauf einen Verteilungsspielraum zu erwirtschaften, der für beide Seiten eine Win-Win-Situation bringt, dann ist ein Betreibermodell aus wirtschaftlicher Sicht zum Scheitern verurteilt. Man muss sich immer die Total Cost of Ownership anschauen. Es geht darum herauszufinden, ob durch das neue Geschäftsmodell die Zusammenarbeit zwischen Hersteller und Kunde verbessert werden kann.
Was konkret lässt sich mit einem Betreibermodell verbessern?
Es geht um Produktivität, Verfügbarkeit, kürzere Anlaufzeiten, Verminderung von Ausschuss, Verminderung von Stillstandszeiten bis hin zur Verbesserung des Endprodukts durch Innovationen in der Anlagentechnik. Aus diesen Quellen speisen sich die Mehrwerte, aus denen beide Partner Vorteile ziehen können.
Worauf sollten die Kunden achten?
Der Kunde muss sich gemeinsam mit dem potenziellen Betreiber zunächst darüber klar werden, wo realistische Effizienzsteigerungspotenziale liegen. Wenn der Kunde etwa eine Anlage bereits mit einer Verfügbarkeit von 98,8 % betreibt, ist es schwierig Effizienzsteigerungen im Bereich der Anlagenverfügbarkeit zu realisieren. Liegt die Verfügbarkeit hingegen bei 60 oder 70 %, liegt dort ein Potenzial, das gehoben werden kann.
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