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Von der Plattform aus erfolgreich

Automobilproduktion: Standardisierte Fertigungslösungen schaffen Investitionssicherheit
Von der Plattform aus erfolgreich

Sich wandelnde Fahrzeugkonzepte erfordern flexible Produktionslinien. Um die Kundenforderungen schnell und mit vertretbarem Aufwand zu realisieren, setzen auch Maschinenbauer immer konsequenter auf Plattform- und Gleichteilekonzepte. Sie bieten eine Reihe von Vorteilen.

Die Innovationszyklen der Autohersteller werden immer kürzer. Die Modellvielfalt wächst, der Kostendruck erst recht. Um den Wunsch nach individueller Mobilität auch künftig zu erfüllen, muss sich die Automobilindustrie neu ausrichten. Stichworte wie Energie- und Ressourceneffizienz, Downsizing oder Elektromobilität sind in aller Munde. Doch wie die Fahrzeug- und Antriebskonzepte der Zukunft aussehen werden, darüber scheinen sich nicht einmal Experten einig.

Für Fertigungstechniker ist dieser Umbruch eine große Herausforderung. Wie sollen sie es schaffen, mit heute zu planenden Produktionssystemen auch noch die in acht oder zehn Jahren benötigten Teile herzustellen?
„Das ideale Fertigungssystem vereint hohe Flexibilität mit Produktivität, und das zu möglichst geringen Kosten“, sagt Manfred Maier. Er ist als Geschäftsführer der Gebr. Heller Maschinenfabrik GmbH in Nürtingen für den Geschäftsbereich Automotive verantwortlich. Diese Anforderungen lassen sich jedoch nur mit weitestgehend standardisierten Systemen vereinen. Wie ihre Kunden aus der Automobilindustrie setzen deshalb auch die Maschinenbauer immer konsequenter auf Plattform- und Gleichteilekonzepte.
„Die klassischen Transferstraßen gibt´s zwar noch, aber sie sind sehr selten geworden“, sagt Dr. Sebastian Schöning. „Seit einiger Zeit geht der Trend zu so genannten Agilen Systemen, in denen eine Reihe von Bearbeitungszentren zu einem System verkettet wird“, fährt der promovierte Ingenieur fort. Er ist Geschäftsführer der Göppinger MAG IAS GmbH und als Global President für den Geschäftsbereich Automotive bei MAG verantwortlich. „Die Maschinen werden dabei aus einem Baukasten mit standardisierten Komponenten zusammengesetzt. Ein Beispiel dafür ist unsere Specht-Baureihe.“
Unterschiedlichste Bearbeitungstechnologien lassen sich mit Hilfe solcher Plattformkonzepte schnell und effizient bis zur Serienreife entwickeln. Die Maschinen sind aus erprobten und in vergleichsweise großen Stückzahlen hergestellten Komponenten aufgebaut, was sich auch positiv auf die Zuverlässigkeit auswirkt.
Zur letzten EMO, 2009 in Mailand, präsentierte der Salacher Vertikaldreh-Spezialist Emag einen komplett neuen Baukasten für einen Futterdurchmesser von 250 mm. Zur Plattform 250 gehören drei Grundmaschinen:
  • die Standardvariante VL 5i, konzipiert vornehmlich für Lohnfertiger,
  • die frontbediente Produktionsmaschine VSC 250, die sich individuell an Bearbeitungsaufgaben anpassen lässt, und
  • das querbediente vertikale Fertigungssystem VLC 250 für den universellen Einsatz und Multitechnologieanwendungen.
In der höchsten Ausbaustufe werden verschiedene Technologiemodule meist auf VLC-Basis – etwa zum Weich- und Hartdrehen, Schleifen, Verzahnen sowie zum Schweißen, Härten oder Beschriften mittels Laser – zum vollautomatischen Fertigungssystem ILS verkettet. Ein wesentlicher Vorteil des hochproduktiven Systems ist der kompakte Aufbau. Kleine Teilepuffer und die Automation mittels Pick-up-Prinzip über die Arbeitsspindeln reduziert den Platzbedarf um rund 15 %. Allerdings schränkt dieses Konzept die Flexibilität der Linie ein, so dass ihre Domäne eng begrenzte Teilefamilien sind, beispielsweise Zahnräder für Pkw-Getriebe.
MAG konfektioniert seine Bearbeitungszentren aus zwei Grundbaukästen – der bereits erwähnten Systemzentren-Baureihe Specht und der Universalmaschinen-Reihe NBH. Für beide Plattformen setzt der deutsch-amerikanische Konzern gleiche oder ähnliche Komponenten ein, die von Corcom in den Schwesterwerken in Rottenburg und Kecskemét/Ungern für alle Werke der Gruppe hergestellt werden. Der Grund für die unterschiedlichen Baukästen liegt in den verschiedenen Teilespektren der Zielbranchen. „Während das System für die Automobilindustrie durch die geringere Werkstückvarianz quasi um das Werkstück herum gebaut werden kann, bestehen im allgemeinen Maschinenbau, in der Energietechnik oder dem Werkzeug- und Formenbau unterschiedlichste Anforderungen hinsichtlich Material, Losgrößen und Werkstückgewicht“, erläutert Schöning.
Auch Frässpezialist Heller hat sein Portfolio ähnlich strukturiert. Bei den Nürtingern bildet die Baureihe MCH – kombiniert mit unterschiedlichen Automationslösungen – die Basis für Systemanlagen, während die Reihen H und F als 3- und 5-achsige Zentren für den Werkstattbetrieb sowie die automatisierte Einzel- oder Inselfertigung konzipiert sind.
Ein cleverer Modulbaukasten hilft nicht nur, die Lieferzeiten zu reduzieren, die Qualität zu verbessern und die Kosten zu senken, er bietet auch die Möglichkeit, Derivate schneller zu generieren und neue Technologiemodule mit wirtschaftlich vertretbarem Aufwand zu entwickeln und anzubieten. So war der Baukasten von MAG die Voraussetzung dafür, dass es den Göppingern gelungen ist, vollwertige Honmodule in ein Bearbeitungszentrum zu implementieren. „Unser Plattformkonzept hat die Entwicklung so vereinfacht und die Kosten reduziert, dass wir bereits mit einer um 80 Prozent geringeren Mindeststückzahl die Wirtschaftlichkeitsschwelle erreichen“, verrät Schöning.
Flexibilität und Präzision waren auch die Triebfedern von Heller, der Heidenheimer Voith-Gruppe und dem schwedischen Präzisionswerkzeughersteller Sandvik Coromant. Unter dem Namen uP-Gear entwickelten die drei Unternehmen gemeinsam eine Technologie, die sowohl das sehr produktive Vor- als auch das Verzahnungsfräsen auf einer Maschine erlaubt. „Statt mit Spezialmaschinen und -werkzeugen lassen sich damit Verzahnteile universell auf Bearbeitungszentren fertigen“, beschreibt Manfred Maier den Vorteil.
Ein ausgereifter Baukasten müsse zwar auf Standards beruhen, aber dennoch die Möglichkeit bieten, mit überschaubarem Aufwand auf möglichst viele Kundenforderungen einzugehen, sagt Sebastian Schöning. „Außerdem sollte er wichtige Zukunftstechnologien bereits berücksichtigen.“ Durch eine konsequente Gleichteilestrategie sollen die Komplexität reduziert und die Zuverlässigkeit verbessert werden. Jürgen Müller, Geschäftsführer der Emag Salach Maschinenfabrik GmbH ergänzt einen weiteren Aspekt, den es bei der Konzeption eines Baukastens zu berücksichtigen gilt: „Wichtig sind die Schnittstellen! Alle Module müssen sich leicht und flexibel kombinieren lassen, so dass eine Fertigungslinie schnell und kostengünstig zu konfigurieren ist.“
Doch nicht nur die Standardisierung der Komponenten und Maschinen ist äußerst hilfreich, wenn es gilt, bei minimalem Verbrauch von Ressourcen, Zeit und Geld die bestmöglichen technischen Lösungen in die Produktionshallen zu stellen. Auch standardisierte Abläufe in Entwicklung, Versuch, Fertigung und Service verbessern die Effizienz der Prozesse erheblich. Und das, da sind sich alle drei Experten einig, ist extrem wichtig. Denn: Nicht nur bei den Fertigungssystemen selbst erwarten die Kunden Schnelligkeit, Leistung und Zuverlässigkeit. Die gleichen Forderungen gelten ebenso hinsichtlich Lieferzeit und Service. Auch dabei helfen Plattformen und Gleichteilekonzepte. Weil sie ohnehin benötigt werden, können Komponenten vorproduziert werden, Lagerhaltung, Logistik und Service werden einfacher und kostengünstiger, die Zeiten für Entwicklung, Bau, Inbetriebnahme sowie für die Wartung der Anlagen schrumpfen. Und nicht zuletzt sind die Systeme skalierbar und lassen sich an sich ändernde Produktionsanforderungen anpassen.
Selbst bei komplexen Anlagen erwarten die Automobilisten und ihre Zulieferer immer kürzere Lieferzeiten. „Der Liefertermin ist bei vielen Kunden zurzeit ein wichtiges Entscheidungskriterium“, sagt Müller. „Wer schneller ist, bekommt den Auftrag.“ Selbstverständlich vorausgesetzt, dass die Basisanforderungen erfüllt sind. Sebastian Schöning ergänzt: „Produktivität, Sicherheit und Zuverlässigkeit sind selbstverständliche Grundvoraussetzungen. Dazu kommen die technologischen Anforderungen. Über den Innovationsgrad und den Service grenzen wir uns vom Wettbewerb ab. Neue Technologien reduzieren die Produktionskosten beim Kunden und steigern seine Flexibilität.“
Zur Reduktion der Lebenszykluskosten in der Produktion trägt auch eine höhere Energieeffizienz der Anlagen bei. „Im Vergleich zu gängigen, noch lebenden Maschinen-Baureihen lässt sich der Energieverbrauch mit moderner Technik um 30 bis 35 Prozent senken“, gibt Jürgen Müller zu bedenken. „Vergleichsweise geringe Mehrkosten in der Beschaffung können sich also sehr schnell rechnen. Je komplexer die Anlage allerdings ist, desto schwieriger sind die Einspareffekte konkret zu beziffern. Zudem hängen sie nicht unerheblich vom Nutzungsverhalten ab.“
Als Grundvoraussetzung für Maschinen- oder Anlagenhersteller, die in der Automobilbranche erfolgreich sein wollen, sieht Sebastian Schöning die globale Präsenz. „Idealerweise mit einer Produktion vor Ort. Ein zuverlässiger und schneller Service in der Nähe der wichtigen Kunden ist jedoch das Mindeste. Dabei muss sichergestellt sein, dass Qualität und Standard weltweit identisch sind.“
Während europäische und besonders deutsche OEMs konsequent und hochgradig automatisieren, setzen lokale Automobilisten in China – sie fertigen große Stückzahlen mit geringer Varianz – auf manuell beladene oder teilautomatisierte Agile Systeme mit robusten Bearbeitungszentren. Indische OEMs produzieren hingegen eher mittlere Stückzahlen und nutzen dazu einfache Automatisierungen mit hoher Werkstückflexibilität – etwa Palettenwechsler. Dennoch steigt auch in diesen Ländern das Interesse an vollautomatisierten Lösungen. Der Grund: Neben reduzierten Lohnkosten und höherer Produktivität sind die höhere Prozesssicherheit und Teilequalität sowie die Unabhängigkeit von qualifiziertem Personal auch in Niedriglohnländern zunehmend wichtige Argumente.
Manfred Maier von Heller sagt: „Klare regionale Zuordnungen sind heute nicht mehr möglich. Es gibt überall alles. Die Anforderungen ans Produktionssystem richten sich primär nach der Philosophie des Kunden.“
Anders als die großen Zulieferer oder die Autobauer selbst, die hochgradig automatisieren, verfolgt auch in Deutschland mancher kleinere Teilefertiger ein anderes Produktionskonzept: kleinere Fertigungsinseln, bestehend aus zwei bis vier Einzelmaschinen, die aus einem manuell bestückten Teilespeicher automatisiert beladen werden. Der Bediener hat dadurch Zeit für zusätzliche Aufgaben, etwa in der Qualitätssicherung. „Dieses Konzept schafft den Betreibern die größtmögliche Flexibilität und erlaubt es ihnen auch, Feuerwehraufträge oder Wiederholjobs kurzfristig zwischenzuschieben“, begründet Jürgen Müller. „Die Produktion ist aber durch die Automationsbausteine taktzeitmäßig bestimmt und damit in der Gesamtausbringung präzise kalkulierbar.“
Bei Investitionsentscheidungen sollten produzierende Unternehmen unbedingt darauf achten, dass die Anlagen an die heute übliche hohe Marktdynamik angepasst sind, sich flexibel an sich ändernde Teilespektren anpassen lassen und dass sich neue, zukunftsträchtige Technologien zu gegebener Zeit einbinden lassen. Als ebenso wichtig sehen die Experten aus Sicht der Automobilisten einen starken Partner auf Ausrüsterseite, der auch hochkomplexe Fertigungslösungen zuverlässig liefern und betreuen kann.
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