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Vorhang auf für neue Anlagenkonzepte

Trans-App-Verfahren mit sehr geringen Overspray-Mengen
Vorhang auf für neue Anlagenkonzepte

Pulverbeschichtung | Pistolenlos, sehr flexibel und energieeffizient ist das vom Fraunhofer IPA entwickelte TransApp-Pulverbeschichtungssystem. Der österreichische Anlagenbauer Längle setzt die Technologie nun in die Praxis um.

Markus Cudazzo, Dr.-Ing. Karlheinz Pulli, Inga Landwehr Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA, Stuttgart

Sowohl bei flachen Blechplatinen und Coils als auch bei dreidimensionalen Bauteilen liefert die TransApp-Technik sehr gute Beschichtungsergebnisse. Dies belegen die zahlreichen kundenspezifischen Versuche, die das Fraunhofer IPA in seinem Technikum mit der Längle GmbH mit Sitz im Klaus/ Österreich durchgeführt hat. Je nach Kundenanforderung sind extrem kompakte Anlagen mit geringerem Durchsatz, aber auch Hochgeschwindigkeitsanlagen mit weit über 1 m/s Prozessgeschwindigkeit realisierbar. Weitere Vorteile sind die hohe Flexibilität des Systems aufgrund des modularen Aufbaus sowie die geringen Betriebskosten: Der Energieverbrauch beträgt weniger als ein Drittel im Vergleich zu einer entsprechenden konventionellen Pulverbeschichtungsanlage. Durch die Partnerschaft übernimmt Längle die Systementwicklung und den Bau der TransApp Applikationssysteme sowie der kompletten Beschichtungsanlage. Erste Anlagen werden zurzeit konzipiert und auftragsbezogene Prototypen konstruiert.
Die Technik von TransApp basiert auf dem Prinzip des elektrostatischen Fluidisierbettverfahrens und kommt daher ohne Pulverpistolen aus. Das zu applizierende Pulver wird in einem Fluidisierbett in einen flüssigkeitsähnlichen Zustand gebracht und über Hochspannungselektroden elektrostatisch aufgeladen.
Sobald sich geerdete Werkstücke über dem Fluidisierbett befinden, bewegt sich das Pulver durch die elektrische Feldkraft auf direktem Weg zur Oberfläche des Werkstücks. Im Gegensatz zu herkömmlichen Pulverbeschichtungsanlagen mit Sprühpistolen entstehen bei TransApp-Anlagen nur sehr geringe Overspraymengen. Entsprechend platzsparend und kostengünstig fallen die Absaug- und Rückgewinnungsanlagen aus.
Integrierbar in Industrie 4.0 Lösungen
Die Kombination dieser TransApp-Applikationstechnik mit hocheffizienter Infrarot-Strahlertechnik eröffnet neue Möglichkeiten zur Gestaltung von Beschichtungsmodulen nach dem Baukastenprinzip, die schnell an unterschiedliche Produktionsanforderungen adaptierbar sind. So können beispielsweise austauschbare Fluidisierbett- beziehungsweise Infrarotstrahler-Einheiten in das Modul eingesetzt und entsprechend dem jeweiligen Produktionsprogramm angefahren werden. Der Werkstücktransport erfolgt zum Beispiel durch einen Mehrachsenroboter.
Um die pistolenlose Pulverapplikationstechnik Industriekunden für Praxisversuche zur Verfügung stellen zu können, wurde vom Fraunhofer IPA in Zusammenarbeit mit dem Institut für Industrielle Fertigung und Fabrikbetrieb (IFF) der Universität Stuttgart ein variables Pulverbeschichtungsmodul aufgebaut und in das wandlungsfähige Produktionssystem des „Applikationszentrums“ am IFF integriert. Das Beschichtungsmodul lässt sich mit den weiteren Modulen des Anwendungszentrums – wie Montagezellen, einem automatisierten Lager und Transportstrecken – nach Bedarf kombinieren. Damit lassen sich Aufgaben im Zusammenhang mit der schnellen Anpassung der Produktion an veränderte Produktionsanforderungen praxisnah darstellen.
Anhand eines Szenarios, das vom IPA/IFF für ein Unternehmen der Büromöbelbranche entwickelt wurde, konnte dies belegt werden. Am Beispiel einer variantenreichen Produktfamilie wurde gezeigt, wie sich die Durchlaufzeit durch die Produktion gegenüber der bisherigen Fertigung in Verbindung mit einer konventionellen zentralen Pulverbeschichtungsanlage um 20 % verringert.
Begleitende Versuche am Fraunhofer IPA haben gezeigt, dass sich der gesamte Oberflächenbehandlungsprozess (Vorbehandlung, Pulverapplikation, Einbrennen, Abkühlen) von 3,5 Stunden auf wenige Minuten verkürzt und sich damit direkt mit der Montagelinie koppeln lässt. Ein weiterer Vorteil neben der schnelleren Fertigung beziehungsweise kürzeren Lieferzeit ist die erhebliche Kosteneinsparung: Die geringen Anlagen-Investkosten, der Wegfall von nicht wertschöpfenden Prozessschritten sowie die eingesparten Kosten in der Produktionsplanung und -steuerung führen zu einer Reduzierung der Stückkosten um 10 %. Die Rationalisierungs-Investition amortisiert sich im angeführten Beispiel bereits nach weniger als einem Jahr.
Neues Verfahren zur Elektrodenbeschichtung
Bei der Herstellung von Elektroden für elektrochemische Energiespeicher ist die Beschichtung der Stromkollektoren ein zentraler Prozess. Bisher verwendete Materialien erfordern eine energieintensive Trocknung und setzen gesundheits- und umweltgefährdende Lösemittel frei. Die auf dem TransApp-Verfahren basierende Pulverbeschichtungstechnologie eliminiert dieses Gefährdungspotenzial und bietet weitere Vorteile.
Vor diesem Hintergrund wurde am IPA im Rahmen des Forschungsprojekts Elibama (European Li-Ion Battery Advanced Manufacturing) eine pistolenlose Applikationstechnik zur elektrostatischen Abscheidung des Dry-Blend-Funktionsmaterials auf der Stromkollektorfolie entwickelt. Dieses neue Verfahren könnte zukünftig auch in der klassischen Pulverbeschichtung – zum Beispiel bei elektrisch leitfähigen Pulverlacken – zu neuen Verfahrensalternativen führen. Für besondere Typen von Stromkollektoren, wie etwa 3D-strukturierte Kollektoren, erprobt das Forscherteam Pulverapplikationstechnik der Abteilung Beschichtungssystem- und Lackiertechnik derzeit zudem Pulverbeschichtungsverfahren, die völlig ohne Elektrostatik arbeiten und daher unabhängig von der elektrischen Leitfähigkeit des Pulvermaterials sind.
Zur Erprobung der notwendigen Maßnahmen steht ein mit dem französischen Anlagenhersteller Ingecal entwickelter Prototyp für Roll-to-Roll-Pulverbeschichtungsprozesse unter realen Produktionsbedingungen zur Verfügung. In diesem Coater werden die unterschiedlichen Dry-Blend-Beschichtungsmaterialien verarbeitet, unter anderem auch mit Anteilen an Graphen.
Diese Materialien werden derzeit von der Abteilung Funktionale Materialien am Fraunhofer IPA entwickelt. Sie stellen einen neuen Ansatz zur Erzielung bisher nicht möglicher Eigenschaften der Elektrodenbeschichtungen dar. Als letzter Schritt in der Produktionsprozesskette erfolgt der Bau der mit dem Funktionsmaterial beschichteten Stromkollektoren zu kompletten Speicherzellen. Diese werden schließlich mittels eines Zyklustesters auf Langzeitstabilität, Schnellladefähigkeit sowie auf Energie- und Leistungsdichte geprüft. •

Kompakt, flexibel, schnell und energiesparend
Die Vorteile der TransApp-Technologie auf einen Blick:
  • Sekundenschnelle Beschichtungszeiten: von über 1 m/s auf kleinstem Raum. Damit sind alle Optionen von extrem kompakten Anlagen mit geringem Durchsatz, bis hin zu Hochgeschwindigkeitsanlagen umsetzbar.
  • Modularer Aufbau flexibler Anlagen: Das System verzichtet auf voluminöse Pulverkabinen und Absaugeinrichtungen und spart somit viel Platz ein. Eine zentrale Rolle spielt das Fluidisierbett, das sich durch eine entsprechende Segmentierung oder durch leicht austauschbare Fluidisierbett-Einheiten an das Werkstückspektrum sowie den Durchsatz anpassen lässt und schnelle Farbwechsel ermöglicht.
  • Geringer Energieverbrauch: Das Fluidisierbett kommt bei gleichem Werkstückdurchsatz mit weniger als einem Drittel des Druckluftbedarfs von Sprühpistolen aus. Zum anderen führt die geringe Overspraymenge dazu, dass eine geringere Absaugleistung und damit ein erheblich kleinerer und kostengünstigerer Filter beziehungsweise Zyklon erforderlich ist.
  • Minimaler Overspray: Weniger als ein Drittel der Absaugleistung einer vergleichbaren EPS-Pulverkabine ist erforderlich, um die maximal zulässige Pulverkonzentration in der Abluft einzuhalten (DIN EN 12981). Entsprechend kompakt und energiesparend lässt sich der Filter- beziehungsweise Zyklonabscheider auslegen.
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