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Sound wird als Qualitätsmerkmal von Fahrzeugen immer wichtiger

Sound Design für Autos
Gestalter der Geräusche

Vom Blinker bis zum Reifen – wie ein Bauteil im Auto klingt, ist kein Zufall. Akustiker gestalten heute alle möglichen Geräusche. Und selbst Elektroautos sind alles andere als leise. ❧

Sabine Koll

„In der Automobilindustrie wird die Bedeutung von Sound Quality immer wichtiger – und zwar schon beim Produktdesign. Ein auf das Fahrzeug abgestimmter Klang verbessert schließlich die Qualitätswahrnehmung des Gesamtfahrzeugs beim Kunden“, sagt Dr. Klaus Genuit, Gründer und Geschäftsführer von Head Acoustics. „Denken Sie nur einmal an das Geräusch, das eine Autotür beim Schließen erzeugt. Dies ist in der Regel das erste Geräusch, das ein potenzieller Käufer bei einem Besuch im Autohaus von einem Auto wahrnimmt. Wenn das schon billig klingt, weil es klackt oder klickt, also zu hochfrequent ist, dann assoziiert er damit sofort eine nicht ausgereifte Produktqualität. Die Werthaltigkeit eines Produkts wird mit dem Sound verknüpft.“

Als Head Acoustics in den 1980er Jahren startete, war Sound Quality nach Aussagen von Genuit vor allem Troubleshooting. „Die Hauptaufgabe eines Akustikingenieurs war es, unangenehme Geräusche zu vermeiden oder zu reduzieren. Seit gut zehn Jahren wird eine aktive Geräuschgestaltung immer wichtiger. Man will heute auch neue Geräusche designen und entwickeln.“ Die Automobilhersteller beschäftigen selbst Heerschaaren von Experten für Sound Design und Sound Qualität. Ihre Aufgabe ist es auch, mit Lautsprechern oder Schwingungsanregern gezielt einzelne Frequenzen hinzuzufügen, damit das Auto zum Beispiel kraftvoller oder sportlicher klingt. Inzwischen kann der Autofahrer bei vielen Fahrzeugen selbst den Sound verändern, indem er vom Sport- in den Komfortmodus wechselt. „Dabei werden also nicht nur das Fahrverhalten und die Dynamik verändert, sondern auch die akustischen Einspielungen“, so Genuit.

Das Aufgabengebiet der Akustiker ist schier unendlich, angefangen bei Reifen-Fahrbahn-Geräuschen und Windgeräuschen über Geräusche von Zusatzaggregaten für Lüftung, Klimatisierung, Servopumpen, Bremskraftverstärker und Geräuschen von Schaltern wie Türheber, Sitzverstellung oder Schiebedach – bis hin zum Tank-Schwapp-Geräusch, das der Tank beim Bremsen im Innenraum verursacht, wenn er nicht voll ist.

Head Acoustics befasst sich seit den 1980er Jahren mit der sogenannten Psychoakustik, also den Zusammenhängen zwischen Hören und Akustik beziehungsweise der Frage, wie der Mensch Schall wahrnimmt. Dafür hat das Unternehmen aus Herzogenaurach Messsysteme, Hardware und Software entwickelt. Darüber hinaus verfügt das Unternehmen über Messräume, um im Auftrag der Automobilindustrie Fahrzeuge hinsichtlich Sound Qualität zu untersuchen.

Den „guten“ Produkt-Sound an sich
gibt es nicht

Bei der Frage, was sich bei Geräuschen im Kopf eines Kunden abspielt, kooperiert das Unternehmen mit Psychologen und Soziologen, um die Empfindungs- und Beurteilungsmentalitäten zu erforschen. „Denn man kann nicht generell sagen, das ist ein guter Produkt-Sound und das nicht“, so Genuit. Das hänge zum einen vom Produkt ab, denn der Sound muss zum Produkt passen. So erwarte der Käufer von einem Oberklasse-Fahrzeug zum Beispiel heute, dass sich die Tür geräuschlos selbst ins Schloss zieht. „Bei der Mercedes G-Klasse, die vor über 30 Jahren für Militäreinsätze entwickelt worden ist, hat man sich aber für ein richtiges Klack entschieden, eigentlich ein völliges No-Go für alle Autos“, betont Genuit. „Dieses Geräusch hat mittlerweile Kultstatus und wird bei jeder neuen Generation beibehalten.“

Ein Geräusch wird außerdem nicht nur dann als unangenehm empfunden, wenn es laut, also der Pegel hoch ist. Auch seine Frequenzzusammensetzung spielt eine Rolle. Außerdem geht es um Muster: Ist das Geräusch mehr oder weniger konstant oder unregelmäßig? Harmonisch oder disharmonisch? Sind die Ursachen bekannt oder unbekannt?

Auch der Kontext eines Geräuschs ist laut Genuit wichtig. Er nennt als Beispiel das Klicken des Blinkers: Würde zum Beispiel der Scheibenwischer genau so klicken wie der Blinker, würde der Kunde dies sofort reklamieren. „Eigentlich müsste ein Blinker heute ja gar nicht mehr klacken“, sagt Genuit. „Früher war das ein Relais, heute wird der Sound elektronisch erzeugt. Aber man weiß, der Kunde erwartet ein gewisses akustisches Feedback, dass der Blinker funktioniert beziehungsweise sich auch wieder ausgeschaltet hat.“

Die Elektromobilität stellt die Akustiker vor neue Herausforderungen. Dabei geht es nicht nur um die neue EU-Verordnung, nach der ab Juli 2018 in Hybridelektro- und reinen Elektrofahrzeugen ein akustisches Warnsignal zum Schutz von Fußgängern installiert sein muss. Genuit outet sich als großer Gegner dieser Verordnung: „Die Autos werden prinzipiell leiser, doch nun müssen zusätzliche Geräusche her – und diese Geräusche sind meist Mischungen aus Tönen aus verschiedenen Frequenzbereichen. Das heißt, es klingt alles fürchterlich. Und noch grässlicher wird es, wenn mehrere Auto zusammenkommen. Dann klingt das wie bei einem Orchester mit nicht gestimmten Instrumenten.“

Squeak und Rattle werden in Elektronautos
wesentlich stärker wahrgenommen

Daneben werden Störgeräusche im Innenraum, Experten sprechen hier von Squeak und Rattle, aber auch Windgeräusche und Reifen-Abrollgeräusche in den Stromern viel deutlicher wahrgenommen. Diese Probleme hatten die Hersteller nach Aussagen von Genuit nicht von Beginn an auf dem Radar; man habe sich bei der Entwicklung bislang auf anderen Bereichen wie etwa Konstruktion, Reichweite der Batterie, Sicherheit und so weiter konzentriert. „Gemeinhin wird gerne gesagt, dass Elektroautos leise sind. Aber das ist falsch, auch die machen Geräusche – und das, was man hört, ist häufig sehr unangenehm und vor allem ganz anders“, erklärt der Sound-Experte. „Elektroautos haben mehr hohe Frequenzen, sie haben Modulationen, pfeifen, zischen und zirpen. Ganz hochfrequente Töne entstehen zum Beispiel bei der Rekuperation durch den Stromwandler. Dieses Geräusch ist zwar sehr leise, wird aber deutlich vom Gehör wahrgenommen und häufig als unangenehm beurteilt.“

Diese Probleme könne man prinzipiell mit Masse und Dämmmaterial in den Griff bekommen. Doch wirke sich dies ungünstig auf den Verbrauch beziehungsweise auf die Reichweite beim batteriebetriebenen Fahrzeug aus. „Man versucht somit, mit möglichst wenig Dämmmaterial ein gutes Auto hinzubekommen. Das heißt, nicht die gesamte Karosserie wird vollgepflastert, sondern man schaut gezielt, welche Karosserieteile welche Frequenzen abstrahlen. Und nur die werden mit Absorberplatten zum Beispiel behandelt“, sagt Genuit.

Doch es gibt noch weitere Maßnahmen, die man ergreifen kann. Acoustics hat sich sehr stark mit der sogenannten Transferpfadanalyse beschäftigt. Dabei wird analysiert, wie ein Geräusch überhaupt im Fahrzeuginnenraum ans Ohr des Fahrers gelangt. „Das ist einmal direkt der Luftstrahl, der durch die ganze Karosserie schallt, aber ganz wichtig ist auch der Körperschall. Der Motor ist ja irgendwie befestigt. Er überträgt Schwingungen in die Karosserie, die Karosserie schwingt und die einzelnen Blechteile oder auch Glasteile strahlen das dann wie ein Lautsprecher wieder ab“, erläutert Genuit. „Wenn man genau versteht, wie die Schwingungen in das Auto kommen, kann man ganz gezielt an diesen Ankoppelungspunkten ansetzen und diese so definieren, dass der Kunde mit der gegebenen Impedanz der Karosserie keine unangenehmen Töne mehr wahrnimmt.“ Er bezeichnet die Transferpfadanalyse als den „anspruchsvollsten und intelligentesten Weg, ohne Masse-Erhöhung oder Dämmmaterial zu versuchen, dass die Geräusche gar nicht erst in das Auto eindringen können“.


Neue Messe Acoustex

Mit der Acoustex geht am 10. und 11. Oktober 2018 in Dortmund die erste Fachmesse für Noise-Control und Sound-Design an den Start. Hinter dem Messekonzept steht ein Trend: Heute werden mehr denn je akustisch wirksame Gebäude und Räume, vibrationsarme sowie angenehm klingende Produkte, aber auch geräuscharme Verkehrsmittel und -wege verlangt. Auf der Messe werden genau diese Themen im Mittelpunkt stehen. Mehr als 60 Stunden Fachprogramm mit Vorträgen und Podiumsdiskussionen sorgen für ein hochwertiges Angebot. Die Themenwelten der Acoustex sind Architecture, Industry und Traffic. Head Acoustics ist einer der Aussteller.

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