Herr Dr. Kammüller, welche Bedeutung hat künstliche Intelligenz für den künftigen Erfolg produzierender Unternehmen, gerade auch mittelständischer Betriebe?
Sowohl im direkten Fertigungsprozess an der Maschine, als auch bei den Unternehmensprozessen finden wir zunehmend Anwendungen, die künstliche Intelligenz nutzen. Sie sorgen für Transparenz, verbessern die Produktivität, steigern die Effizienz und sichern die Qualität der Abläufe und Produkte. Es geht darum, Daten automatisiert zu sammeln, zu analysieren und sie zu wertvollen Informationen zu veredeln. So können Maschinen lernen und sich selbst optimieren. Meine Überzeugung ist: Gerade kleinere und mittlere Unternehmen brauchen Komplettlösungen, um von KI zu profitieren. Diese zu entwickeln erfordert enorme Fachkompetenz. Wir bei Trumpf beschäftigen ein gutes Dutzend Spezialisten, die sich nur um dieses Thema kümmern. Diesen Entwicklungsaufwand kann ein kleiner Mittelständler nicht leisten. Die kleineren Unternehmen werden aber stark von den KI-Lösungen der großen profitieren.
Es gibt ganz unterschiedliche Bereiche, in denen KI eine Rolle spielen kann – von der eigentlichen Fertigung über die Unternehmensprozesse bis zu neuen Geschäftsmodellen. Wo sehen Sie das größte Potenzial?
Zurzeit in den Produktionsprozessen. Dort setzen wir im Moment einen Schwerpunkt. Es gibt inzwischen aber auch diverse Ansätze, Geschäftsprozesse entlang der gesamten Wertschöpfungskette zu optimieren. Es geht darum, die Abläufe von der Bestellung bis zum Zahlungseingang zu managen – also Aufträge effizient abzuwickeln, Rückfragen beim Kunden klug zu handhaben, oder das Qualitäts- und das Fehlermanagement zu verbessern und zuverlässiger zu gestalten. Aber bei all dem hilft schon die digitale Vernetzung ein großes Stück weiter. Dazu braucht es nicht unbedingt KI.
In den letzten Monaten wurde viel über das Optimieren und Digitalisieren der Geschäftsabläufe geredet. Was muss im Bereich der Produktionsprozesse noch passieren, um echte Fortschritte zu erzielen? Wo liegen hier die Herausforderungen?
Die Herausforderung besteht darin, die unterschiedlichsten Maschinen und Technologien beim Kunden in einen Ablauf zu integrieren. Das ist extrem komplex. Wir realisieren das gerade für unsere eigenen Prozesse. Im Kern geht es dabei um eine Datenplattform, von der wir alle Informationen über Standardschnittstellen abrufen können. Ein Anwendungsbeispiel dafür ist unser 360-Grad-Kunden-Cockpit, über das alle Service- und CRM-Daten eines Kunden sowie ihn betreffende Informationen auf Knopfdruck online zur Verfügung stehen. Diese Business-IT zu erstellen war eine Herkules-Aufgabe. Wir mussten modularisierte Software-Bausteine entwickeln und dafür sorgen, dass die Daten leicht abrufbar sind. Aber jetzt sind die Lösungen verfügbar. Einige Kunden und wir selbst nutzen sie bereits und profitieren massiv davon.
Können Sie Beispiele nennen, wo Kunden in der Produktion von KI profitieren?
Bei unserem Laser-Vollautomaten sorgen Sensoren und clevere Algorithmen bereits seit einiger Zeit dafür, dass er permanent lernt und sich selbst optimiert – sowohl was die Adaption der Schneidparameter an unterschiedliche Materialeigenschaften angeht als auch hinsichtlich der Teileentnahme. Für unsere einfacheren Maschinen bieten wir ein Assistenzsystem an, das dem Bediener zeigt, welche Teile er entnehmen und wo er sie ablegen soll. Damit vermeiden wir Fehler. Mit Hilfe von KI lernt das System, Teile auch dann zu erkennen, wenn zum Beispiel Lichtreflexe oder korrodierte Stellen auf dem Blech stören.
Sie haben im Oktober in Ditzingen eine Smart Factory eröffnet. Was ist das Besondere daran?
Zum einen haben wir dort einen normalen Maschinen-Bereich, in dem wir zeigen, wie schnell unsere Anlagen produzieren können. Zum anderen gibt es dort digitale Lösungen, die bestimmte Abläufe vernetzen. Und schließlich steht dort unsere teilautonome Fertigung. Wir zeigen dort nicht nur unseren Kunden, wie man komplett vernetzt und weitestgehend automatisiert produzieren kann, sondern wir fertigen dort auch jene Blechteile, die wir für unsere Maschinen brauchen.
Läuft ihre komplette Blechfertigung über dieses System oder gibt´s noch eine konventionelle Fertigung?
Zurzeit gibt es parallel noch eine konventionelle Fertigung. Wir wollen aber spätestens in einem Jahr unsere komplette Blechfertigung dort abwickeln.
Wie unterscheidet sich diese Smart Factory von jenen, die Trumpf in den USA und China betreibt?
Der wesentliche Unterschied besteht darin, dass unsere Smart Factory in Chicago ein Green-Field-Projekt war, das von Grund auf für diese Anforderungen ausgelegt wurde. Die Anlage in Ditzingen haben wir ins bestehende Werk implementiert. In China ist es eine Zwischenlösung. Aber vom Grundsatz her unterscheiden sich die drei Smart Factories kaum.
Lassen sich die Effizienzgewinne durch eine Smart Factory beziffern?
Wir können in unseren Smart Factories zeigen, dass sich damit rund 30 Prozent produktiver arbeiten lässt. Man kann die Durchlaufzeiten aber durchaus auch auf ein Fünftel reduzieren, wenn das Potenzial durch vernetzte Prozesse noch nicht ausgeschöpft ist.
Kürzlich habe ich von einer Studie gelesen, nach der die Produktivität infolge der Digitalisierung eher sinke als steige. Wie stehen Sie zu dieser Aussage?
Dem kann ich nur widersprechen. Die digitale Vernetzung verbessert die Produktivität und Effizienz massiv. Klar ist allerdings auch, dass zunächst die Betriebsorganisation und die Abläufe in der Produktion optimiert werden müssen. Erst dann macht Digitalisieren Sinn. Wer glaubt, eine schlechte Organisation und ineffiziente Prozesse durch Digitalisieren kompensieren zu können, ist zum Scheitern verurteilt.
Wie reagieren Ihre Kunden auf das Smart Factory-Konzept?
Das ist sehr unterschiedlich. Es gibt Kunden, die ziemlich an ihren traditionellen Arbeitsweisen hängen. Dann gibt es Kunden, die offen sind, aber überzeugt werden wollen. Ihnen können wir zeigen, welchen Nutzen das Konzept bietet. Und dann gibt es jene, die immer nach Neuem suchen und Spaß daran haben. Sie lassen sich nur zu gerne für Smart Factory-Lösungen begeistern.
Ist das Konzept auch für KMU interessant?
Wir haben inzwischen weltweit fünf auf den jeweiligen Kunden zugeschnittene, sehr große Smart Factories verkauft, drei davon nach China. Diese Gesamtlösung richtet sich im Gegensatz zu unseren anderen Vernetzungslösungen eher an die großen Player, wie beispielsweise einen amerikanischen Automobilhersteller.
Ist ein Blechfertiger überhaupt in der Lage, Fehler in KI-Anwendungen zu erkennen und gegenzusteuern?
Er selbst ist dazu kaum in der Lage. Aber wir sind bei allen KI-Anwendungen involviert. Wir überprüfen die KI-Vorschläge auf Plausibilität, erkennen Fehler und informieren den Kunden. Außerdem lassen wir bei unseren Maschinen nur eindeutige Entscheidung zu. Wenn etwa das Vision-System erkennt, dass die Schneidqualität nicht optimal ist, dann gibt es der Steuerung den Befehl, die Schnittgeschwindigkeit zu reduzieren. Das macht es so lange, bis der Sensor meldet, dass die Schneidqualität wieder in Ordnung ist. Das sind Lernprozesse, die kein Risiko für den Kunden beinhalten.
Wie steht‘s um die Datensicherheit?
Wir arbeiten mit den neuesten Lösungen auf dem Markt und sorgen auch für Datenschutz. Wir treffen dazu klare Datennutzungsvereinbarung mit unseren Kunden. Diese Vereinbarungen waren anfangs noch ziemlich umfangreich. Inzwischen sind das nur noch wenige verständliche Seiten. Zu den Hauptgrundsätzen gehört: Keine personenbezogenen Daten und keine Daten, die auch nur im Ansatz für den Kunden wettbewerbsrelevant sind. Damit geben wir ihm die Sicherheit, dass die Daten, die wir abrufen, nur für den Prozess wichtig sind und für ihn mit keinerlei Nachteil verbunden sind. Das garantieren wir.
Welche Potenziale bietet KI in Sachen neuer Geschäftsmodelle?
Je mehr Informationen zur Verfügung stehen, desto mehr Möglichkeiten werden sich hier ergeben. Aus heutiger Sicht finde ich es aber noch schwierig zu entscheiden: Spielt hier wirklich KI eine zentrale Rolle oder geht es einfach nur um Datenanalyse.
Sie bieten künftig in Kooperation mit Munich Re ein Pay-per-Part-Modell an. Wie funktioniert das?
Bei unseren Maschinen beeinflusst vor allem die Anfangsinvestition die Kaufentscheidung. Da nützt es in vielen Fällen auch nicht, wenn wir nachweisen können, dass die Maschine die genannte Produktivität zuverlässig erreicht. Deshalb haben wir gemeinsam mit unserem neuen Partner ein Modell entwickelt, bei dem der Kunde nur das gefertigte Teil bezahlt und wir ihm garantieren, dass dieses Teil günstiger ist, als wenn er es auf einer anderen Maschine produziert. Damit das Modell funktioniert, muss der Kunde natürlich gut ausgelastet sein. Die Zuverlässigkeit der Maschine stellen wir über eine Servicevereinbarung sicher. Das alles sichert die Kooperation mit Munich Re ab. Wir starten dieses Modell jetzt mit vier Kunden für eine Lernphase. So wollen wir noch konkreter herausarbeiten, wer welche Rolle in dieser Zusammenarbeit übernimmt. Aber sowohl Munich Re als auch wir sind überzeugt, dass das Modell funktioniert.
Ähnliche Modelle gab´s ja in der Vergangenheit auch schon. Warum glauben Sie, dass es jetzt besser funktioniert?
Durch die digitale Vernetzung der Maschine wissen wir genau, wie es ihr geht, können gezielt und vorausschauend warten und so die Produktivität gewährleisten. Das andere ist die Kooperation mit Munich Re. Dieser Partner hat viel Erfahrung mit Risikomanagement und nimmt uns einen Teil der Unwägbarkeiten ab.
Welche Kunden können dieses Modell in Anspruch nehmen?
Sie müssen lediglich eine Mehrschicht-Auslastung gewährleisten. Der Kunde muss weder eine bestimmte Größe haben noch ein spezielles Teilespektrum fertigen. Die Maschine kann ja sehr schnell zwischen verschiedenen Teilen wechseln.
Grundsätzlich scheint mir das Modell gerade für kleinere und mittlere Betriebe interessant zu sein. Aber sind die bereit, die nötigen Informationen preiszugeben?
Da habe ich keine Sorge. Der Kunde muss uns lediglich garantieren, dass er die Maschine mindestens 3000 Stunden pro Jahr auslastet. Mehr brauchen wir von ihm zunächst nicht. Wir kalkulieren das Teil und bieten es ihm zu den entsprechenden Konditionen an. Wir sind überzeugt, dass die Teile in jedem Fall günstiger sind als bei einer konventionellen Fertigung.
Der Charme dieses Modells schien mir darin zu liegen, dass der Kunde nicht das Risiko trägt, wenn in einer Krise die Aufträge wegbrechen. Nun klingt das aber so, dass er eine hohe Auslastung garantieren muss!?
Das sind Themen für die Lernphase. Es kann sein, dass er sich künftig gegen wegbrechende Aufträge versichern muss. Da müssen wir das Modell vielleicht noch verfeinern und entsprechende Angebote entwickeln.
Glauben Sie, dass auch kleinere Maschinenbauer solche Modelle stemmen können?
Um für einen Partner wie Munich Re interessant zu sein, muss im Moment noch ein bestimmtes Volumen in Aussicht stehen. Wir wollen dadurch lernen, wie wir das Modell optimal umsetzen. Von diesen Erfahrungen profitieren später sicher auch andere, vielleicht auch kleine Anbieter.
Wo sehen Sie Deutschland beim Thema KI im internationalen Vergleich?
Ich sehe Deutschland recht gut aufgestellt. Der amerikanische Computerexperte Alan Kay sagte mal: ‚Wer es mit Software wirklich ernst meint, der sollte auch seine eigene Hardware bauen.‘ Wir haben diesen Satz ein wenig abgewandelt und sagen: ‚Wer es mit industrieller KI ernst mein, der sollte seine eigenen Maschinen bauen‘. Klar gibt es in Amerika viele, die mit Software sehr erfolgreich sind. Aber wir haben das Domänen-Wissen, und wenn wir das richtig einsetzen, dann können wir mit KI sehr viel mehr erreichen.
Wo müssen wir uns noch verbessern?
Die Unternehmen müssen sich noch stark verändern. Wir haben unsere Software-Entwicklung komplett umgestellt und großen Wert darauf gelegt, hervorragende Software-Entwickler einzustellen. Ich denke, viele unserer international tätigen Partner im Maschinenbau haben das auch erkannt und sind hier ebenfalls gut unterwegs. Wir können uns nicht mehr allein auf unsere guten Maschinen verlassen. Software spielt eine immer wichtigere Rolle.
Wie beeinflussen die Erfahrungen der letzten Monate diese Entwicklung?
Auf jeden Fall nicht negativ. Aber es gibt einen Punkt, der uns am Herzen liegt: Wenn man etwas wirklich Neues entwickeln will, muss man an einen Tisch sitzen und im direkten Dialog arbeiten. Einen solchen Prozess dauerhaft und erfolgreich im virtuellen Raum voranzutreiben, ist sehr schwierig.
Wie wird KI unser Leben künftig verändern?
Mit Sicherheit stark. Nur ein Beispiel: Tesla nutzt die Daten seiner Kunden, um das autonome Fahren weiterzuentwickeln. Weil relativ viele Fahrzeuge des Unternehmens auf der Straße sind, kann Tesla beispielsweise durch das autonome Parken dieser Fahrzeuge lernen, welche Probleme dabei auftreten können. Das Ganze funktioniert, weil der Fahrer im Auto jederzeit eingreifen kann. Dadurch lernt das System von ihm, welche Situationen und welche damit verbundenen Sensorsignale welche Reaktion erfordern.
Es gibt Prognosen, dass künstliche Gehirne spätestens 2045 leistungsfähiger sein sollen als menschliche. Wie lässt sich da verhindern, dass KI den Menschen eines Tages entmündigt und die Macht übernimmt?
Das ist eine schwierige Frage, mit der sich die Industrie ernsthaft beschäftigen sollte. Wenn man manche Filme anschaut, dann ist klar, dass solche Szenarien auf keinen Fall eintreten dürfen. Wir glauben aber trotzdem, dass der Mensch am Ende entscheidet, welche Informationen in einen Computer fließen und wir auch künftig die Möglichkeit haben werden, solche Systeme zu stoppen. Zudem werden wir dem Computer bei der emotionalen Intelligenz noch lange Zeit überlegen sein.