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Servoseal ist ein neuartiges Dichtungssystem, das für viele Anwendungen wie etwa in Prüfzylindern mit kurzen Verfahrwegen die Vorteile von Drosselspaltdichtungen und berührenden Dichtungen kombiniert und zugleich deren Nachteile eliminiert. Die Innovation des Ostfilderner Hydraulikspezialisten Hänchen ist fast völlig frei von Verschleiß und weist so gut wie keinen Energieverlust durch Funktionsöl auf. Wo konventionelle Dichtungen oft literweise Verlustleistung aufweisen, „kann man bei Servoseal die Tropfen höchstens noch einzeln zählen“, weiß Entwicklungsleiter Klaus G. Wagner. Selbst bei 15 Mio. gefahrenen Lastwechseln sei kein Öl ausgelaufen, schildert der Hänchen-Ingenieur das Ergebnis ausgiebiger Tests.
Entscheidend dafür ist ein Carbonkomponentenfaden, der in die Nut der Kolben- oder der Stangendichtung eingebracht wird. Das ringförmig gelegte Material ist derart steif, dass es sich trotz hohem Druck im Zylinder nicht ausdehnt. Dadurch verbleibt der Rückhaltering exakt an der ihm zugewiesenen Stelle und verschleißt nicht, was wiederum die hydraulische Anpressung auf die Dichtfläche reduziert.
Ausgiebige Feldtests seit einem Jahr
Ihre Innovation haben die Schwaben seit einem Jahr ausgiebig im Feld getestet. „Die Kunden sind begeistert“, sieht Geschäftsführerin Tanja Hänchen den Weg bestätigt, den die schwäbischen Maschinenbauer vor zwei Jahren mit der Produktion eines Verbundwerkstoffs, von Hänchen H-CFK getauft, eingeschlagen haben. Das hochleistungsfähige Material wird am Firmensitz in Ostfildern nahe Stuttgart auf selbstgebauten Wickelmaschinen hergestellt und bearbeitet, bislang vornehmlich für Filiament-Winding oder die Oberflächenbeschichtung von Kolben. Heute ist der Hydraulikspezialist so weit, „dass wir in diesem neuen Werkstoff ,denken‘ können“, definiert Tanja Hänchen den Status ihres Unternehmens in puncto Carbontechnologie.
Vorerst sollen Anwendungen im Prüfbereich profitieren
Der Kompetenzaufbau trägt Früchte. Doch das ist erst der Anfang. „Hier können völlig neue Lösungen auf den Markt kommen“, sieht Marketingleiterin Sarah Bässler Wettbewerbsvorteile durch die superharte Hightech-Faser. Schließlich werde die Servoseal-Dichtung „unseren Hydraulikzylindern einen echten Push verleihen“, ist Geschäftsführerin Tanja Hänchen vom Erfolg überzeugt. Anfang Februar startete offiziell der Verkauf der Dichtungsneuheit. Vorerst sollen Anwendungen im Prüfbereich profitieren. Eingesetzt sind dort häufig Hydraulikzylinder, die in extrem kurzhubigen, dynamischen Prüfungzyklen ihr Werk verrichten. Automobile Komponenenten wie Achsen oder Getriebe, aber auch Gummipuffer oder Fahrersitze werden durch einen oder mehrere Zylinder einer Dauerbelastung ausgesetzt – mit hoher Frequenz, kleinen Amplituden und enormen Beschleunigungen.
Je höher die Dynamik, desto gefährdeter sind klassische Dichtungstypen
Grundsätzlich gilt: Je langsamer und langhubiger die Zylinderstange verfährt, desto besser die Schmierung. Prinzipiell sorgt die Kolbendichtung dafür, dass hierbei kein Öl zwischen den beiden Druckräumen im Zylinder übertritt – also von der stangenseitigen Kammer in die kolbenseitige und umgekehrt. Problemtisch wird es erst, wenn der Verfahrweg sehr kurz ist. Vor allem, wenn Zylinder mit konventionell berührenden Dichtungssystemen ausgestattet sind, kann bei Dauerbelastung und hochfrequenten Bewegungen eine Mangelschmierung entstehen. Mögliche Folge: Die entstehende Reibung erwärmt das Material, wodurch die Dichtung verschleißen, sich in die Lauffläche eingraben und dabei metallische Bauteile beschädigen kann.
Die alternative Drosselspaltdichtung vermeidet zwar diesen Verschleiß, indem sie reibungsfrei über einen engen Spalt zwischen den bewegten Teilen abdichtet. Jedoch kann das für den Betrieb des Zylinders nötige Funktionsöl verlustig gehen. Diese hydraulische Verlustleistung steigt, je schneller und dynamischer die Prüfaufgabe gefahren wird. Dieses Funktionsöl muss bei der Auslegung der Ventilgröße beachtet werden. Braucht ein Zylinder beispielsweise
30 l/min bei einer Leckage von 12 l/min, benötigt er 42 l/min für den Betrieb. Dieser Volumenstrom geht vorher über das Ventil mit seiner Leckage. Berücksichtigt man Sicherheitsreserven, fällt die Wahl auf ein Ventil mit 50 l/min. Bereits ab 40 l/min sind aber diese hydraulischen Bauteile sehr teuer. Laut Sarah Bässler ist dann „die magische Grenze bei Ventilen überschritten“. Nicht nur die Peripherie werde dadurch sehr viel teurer, auch bestimmte Frequenzbereiche wären für Prüfungen dann tabu.
Den Hydraulikzylinder einer Wertanalyse unterzogen
Die Hänchen-Ingenieure gingen das Problem zielgerichtet an. Sie unterzogen den Hydraulikzylinder einer Wertanalyse. Dabei klopften sie seine Funktionen auf Stimmigkeit nach allen Seiten hin ab und spiegelten das Ergebnis an den Bedürfnissen des Kunden. Hieraus entsprangen „viele tolle Erkenntnisse, was wiederum in einzelne Investitionen mündete“, blickt Tanja Hänchen zurück. Die Kreativitätsmission hat Prozesse, Strukturen und Abläufe im Unternehmen ebenso verändert wie die Herangehensweise an Märkte.
Zugleich wurde erkannt, welches Potenzial im sogenannten Rightsizing steckt. „Ein Bauteil wird so weit optimiert, bis der Kunde genau das bekommt, was er benötigt“, betont die Firmenchefin mit Blick auf die vielfältigen, hochwertigen Hydraulikzylinder, die Hänchen in Serien- wie auch Sonderfertigung produziert.
Für Prüfaufgaben mit kleinen Amplituden
Mehr noch: Hat ein Kunde eine Prüfaufgabe zu meistern, designen die Hänchen-Konstrukteure die passende Maschine und bauen sie. Für Prüfaufgaben mit kleinen Amplituden kann jetzt das neue Dichtsystem Servoseal zum Zuge kommen. Es ist geradezu ein Paradebeispiel für Rightsizing zwischen konventionellen Dichtsystemen und Drosselspaltdichtungen. Denn Servoseal weist weder Reibung noch Verschleiß auf und benötigt keinen Funktionsölstrom. Der Kolbendichtung nach diesem Schema soll schon bald das Pendant auf Seiten der Kolbenstange folgen: die Stangendichtung, die den Zylinder nach außen abdichtet.
Der dabei verwendete H-CFK-Rückhaltring trotzt Temperaturen bis 80 °C, folglich lässt sich damit ein weiter Einsatzbereich abdecken. Dadurch kann die Servoseal-Dichtung in den Zylinderstandard-Baureihen 120 und 300 ebenso eingesetzt werden wie in der Prüfzylinder-Baureihe 320. Anwender können dadurch bei leichten Prüfaufgaben auch trotz kleiner Amplituden bei Frequenzen bis 25 Hz und hohen Beschleunigungen auf die kostengünstigere Baureihe 300 umsteigen. Selbst die typischen Prüfzylinder der Baureihe 320 für hochdynamische Bewegungen und hohe Seitenkräfte lassen sich jetzt mit dem Servoseal ausstatten und erzielen damit einen besseren hydraulischen Wirkungsgrad.
Kosten können sich um bis zu 40 % reduzieren
Oft kann zudem ein kleineres Regelventil verbaut werden, was ebenfalls Kosten reduziert. Je nach Größe lassen sich laut Sarah Bässler rund 40 % einsparen. Die Ersparnis bei einem 40er-Stangendurchmesser taxiert sie auf rund 2500 Euro. Für Kunden würden sich ganz neue Möglichkeiten eröffnen, sagt die Marketingleiterin. Ein Kannibalisieren des eigenen Marktes schreckt sie nicht. Kunden könnten wegen der besonderen technischen Eigenschaften schlankere und leichtere Zylinder einsetzen. Das, so Bässler, „gleicht den Verlust mehr als aus“.