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Kommt ein Schrauber geflogen

Montagetool
Kommt ein Schrauber geflogen

Montagetechnik | Mit einer Mischung aus handgeführtem Manipulator und intelligenter Roboterhand hat WHN Technologies den sechsten Robotics Award abgeräumt. Die ausgefeilte Lösung beschleunigt die Montage und beschert dem Werker einen beschwerdefreien Berufsalltag. ❧ Uwe Böttger

Nicole Gusterhuber weiß, wie die Schokolade um das Magnum Eis kommt. Und sie weiß auch, wie Herzmedikamente hergestellt und Flugzeuge gebaut werden. Als Geschäftsführerin der WHN Technologies GmbH mit Sitz in Grabenstätt am Chiemsee hat sie in ihrer beruflichen Laufbahn schon viel gesehen und mit gestaltet. Und egal, wie groß die Herausforderung war: Überfrachtete Technik, die man erst nach einer Woche Schulung bedienen kann, war für sie nie eine Option. „Wir bauen keine Monumente des Maschinenbaus, sondern Technik für Menschen“, lautet ihre Maxime, die sich wie ein roter Faden durch ihr ganzes Berufsleben zieht. Auch der X-Arm, ein Hybrid aus einem handgeführten Manipulator und einer lernfähigen Roboterhand, ist nach diesem Prinzip entwickelt und gebaut. Und deswegen hat die Jury diese Lösung ganz nach oben aufs Treppchen gehoben.

Mit dem X-Arm lassen sich verschiedene Montagearbeiten teilautomatisieren. Das Prinzip ist dabei immer das Gleiche. Der Werker führt mit dem Manipulator das Werkzeug an die Montagestelle, wo es automatisch ausgerichtet und danach positioniert wird. Die Roboterhand sitzt am Ende des handgeführten Manipulators und besteht aus einem Mehrachsmodul, das sich in allen drei Raumrichtungen frei einstellen und drehen lässt. Dadurch können angebrachte Werkzeuge wie Schraubspindeln oder Greifer in jeder beliebigen Raumlage positioniert werden. Ebenso kann der Anwender auch Niet- oder Stanzwerkzeuge einsetzen. Die Achsmodule der Greifhand können in beliebiger Reihenfolge und Auslenkung ausgerichtet werden. Ist dieser Vorgang abgeschlossen, wird das Werkzeug in einer so genannten Selbsthaltung positioniert.
Die Automobilindustrie ist derzeit eine bevorzugte Einsatzumgebung für den X-Arm. Bei BMW im Werk Dingolfing nutzen die Werker das Modell von WHN in der Achsmontage. An der Greifhand sitzt in diesem Fall ein Schraubwerkzeug. „Der Mitarbeiter hat eine führende Aufgabe“, beschreibt Gusterhuber den praktischen Einsatz. „Das System erkennt dabei, in welcher Position es sich zur Karosse befindet.“ Von einem übergeordneten System bekommt der X-Arm außerdem die Information, um welchen Fahrzeugtyp es sich handelt.“ Hat der Werker die endgültige Position erreicht, führt der Arm wenn nötig eine Eindrehbewegung durch und stellt den Schrauber in die richtige Neigung. Außerdem wird automatisch das richtige Schraubprogramm gewählt. Der Anwender muss nur noch den Schrauber aufsetzen. „Die Eindrehbewegung ist manchmal so komplex, dass man das mit rein handgeführten Werkzeugen kaum hinbekommt, ohne dabei das Fahrzeug zu beschädigen“, betont die WHN-Chefin. „Manche Schraubpositionen sind für den Werker kaum einzusehen.“ Unterm Strich wird die komplexe Bewegung hin zur Schraubposition für den Werker entzerrt. Über ein Mini-Display wird angezeigt, dass die Verschraubung korrekt durchgeführt wurde. Diese Information ist wichtig, denn es kann passieren, dass eine Schraube defekt ist oder dass das Drehmoment nicht erreicht wurde.
Die Grundprogrammierung des X-Arms übernehmen die Spezialisten von WHN im Werk. Es dauert etwa einen halben Tag, bis dieser erste Schritt abgeschlossen ist. Für die anschließende Inbetriebnahme, die maximal einen Tag in Anspruch nimmt, wird WHN eine Karosse zur Verfügung gestellt. Vor Ort beim Kunden wird nur noch die Parametrierung durchgeführt, sprich die übrigen Fahrzeuge werden im so genannten Tippbetrieb eingelernt. Dazu kommt der Instandhalter zum Gerät und geht mit dem Arm in den so genannten Teachmodus. Jetzt kann der Werker den Manipulator schrittweise von einem strategischen Punkt zum nächsten führen. Die einzelnen Stationen werden jeweils über eine Tastatur am Gerät quittiert und gespeichert. Auf diese Weise werden die Bahnen hin zu den einzelnen Verschraubungen festgelegt. Diese Parametrierung kann der Kunde jederzeit optimieren. „Wenn der Mitarbeiter in der Praxis zum Beispiel merkt, dass er an eine bestimmte Schraube besser hinkommt, wenn er vorher noch einen Tick mehr eindreht, dann holt er eben nochmal den Instandhalter zu sich und die Bewegung wird im Tippbetrieb korrigiert“, so Gusterhuber.
Den Aufwand für dieses abschließende Einlernen schätzt die WHN-Chefin auf zwei bis vier Stunden. Entscheidend ist dabei, dass vor Ort beim Kunden nicht mehr programmiert werden muss. Die Arbeit erledigen geschulte Instandhalter, keine speziell ausgebildeten Programmierer. Dadurch werden die Kosten für die Inbetriebnahme deutlich reduziert. Gerade in der Automobilindustrie, wo die Variantenvielfalt stetig zunimmt, spielt das eine entscheidende Rolle. „Die Anpassungen kann der Kunde selber machen, dazu braucht er uns nicht mehr“, versichert Gusterhuber.
Nach Ansicht der WHN-Chefin bedient der X-Arm einen Trend, der durch den aufstrebenden Leichtbau bestimmt wird, der die Montagetechnik zunehmend komplexer macht. „Leichtbaumaterialien erfordern neue Verbindungskonzepte und mehr Verschraubungen“, weiß Gusterhuber. „Im Automobilbereich hat die Zahl der Verschraubungen durch den Leichtbau um rund zwanzig Prozent zugenommen.“ Gerade im Motorraum und am Unterboden brauche man immer mehr Verstrebungen, damit die Karosse die gleiche Steifigkeit hat wie früher die geschweißte Variante. Die Lösung von WHN sei auch deswegen so gefragt, weil damit Verschraubungen durchgeführt werden können, die wegen der engen Bauräume früher gar nicht zu bewältigen waren.
Der Werker wird durch den X-Arm nicht nur von einer schweren, körperlichen Arbeit entlastet, er kommt auch schneller voran. Im Grunde schaut er nur auf die nächste Schraube und beim Hinführen dreht sich der Schrauber bereits in die richtige Position. Dadurch schafft er deutlich mehr Verschraubungen pro Takt. Und der Kunde kann mit der Lösung von WHN unterschiedliche Verschraubungen durchführen, deren Vielfalt durch den Leichtbau stark zugenommen hat.
Die Herausforderung bei der Entwicklung des X-Arms war das hohe Drehmoment, das vom System aufgenommen werden muss. Im Fahrzeugbereich liegt das bei beachtlichen 270 Nm und beim Rolls Royce sind es gar 300 Nm. Nicht nur der Arm muss diesen mechanischen Schlag beim Verschrauben wegstecken, sondern auch das Getriebe am Ende des handgeführten Manipulators. Die Achsen dürfen sich nicht verstellen, sonst wäre das Drehmoment sofort verfälscht und die Verschraubung nicht in Ordnung. „Das darf auf keinen Fall passieren“, so die Geschäftsführerin. „Schließlich handelt es sich um sicherheitsrelevante Verschraubungen der Kategorie vier, davon hängt Leib und Leben ab.“

Filigraner Greifer
Mit dem X-Arm lassen sich nicht nur sicherheitsrelevante Verschraubungen im Automobilbau durchführen. Möglich ist ein ganzer Strauß an Anwendungen in verschiedenen Branchen. Dazu muss im Prinzip nur das Werkzeug am Ende des Manipulators gewechselt werden.
Bei einem führenden Hersteller von mechatronischen Messgeräten für Längen und Winkel mit Sitz in Oberbayern, dessen Name wir an dieser Stelle leider nicht nennen dürfen, ist das eingewechselte Werkzeug ein filigraner Greifer. Damit werden speziell behandelte Glasplatten in einem Prüflabor in einem bestimmten Winkel auf Messvorrichtungen aufgesetzt. Der Winkel hängt ab von der Größe der Glasplatte und der Vorrichtung. Mit dem X-Arm wird diese Aufgabe nicht nur millimetergenau, sondern auch verspannungsfrei durchgeführt, denn es darf weder auf die Glasplatte, noch auf das Mess-System Kraft ausgeübt werden. Bei der Entwicklung des Greifers haben die Spezialisten vom Chiemsee darauf geachtet, dass dieser keinen Druck auf das Messobjekt ausüben kann.
Die Mitarbeiterinnen müssen die Glasplatten, die in großen Edelstahlkörben stehen, lediglich anfahren. Der Greifer stellt sich während der Fahrt automatisch in die richtige Lage. Wenn das Substrat an den zwei Bohrungen aufgenommen wird, hat der Greifer bereits den richtigen Winkel eingenommen. Der Prozess kann und darf von außen nicht beeinflusst werden. Und das ist gut so, denn mit jeder beschädigten Glasplatte sind 6000 Euro unwiederbringlich verloren.
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