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Folienbasierter Miniaturaktor: „Krokodil“ mit Formgedächtnis

Folienbasierter Miniaturaktor
„Krokodil“ mit Formgedächtnis

Um beim jüngsten Modell des „Krokodils“ die Kupplungen zu verschlanken, hat Märklin eingefahrene Gleise verlassen: Bei der Kultlok übernimmt kein elektromagnetischer Antrieb mehr das Kuppeln, sondern ein Aktor aus einer Formgedächtnislegierung in 2D-Geometrie. Die Strukturierung der Folie nach Vorgaben wie Kraft und Stellweg hat Memetis übernommen.

Rochus Rademacher, Fachjournalist in Tübingen

Märklin-Loks sind komplexe mechatronische Produkte – eine Lok kann leicht aus über 300 Einzelteilen/Komponenten bestehen und bis zu zwei Jahre Entwicklungs- und Konstruktionszeit sowie einen hohen sechsstelligen Betrag an Entwicklungskosten verschlingen. Durch Digital-Decoder mit über 30 schaltbaren Funktionen gestaltet sich der Fahrbetrieb mit den Märklin-Loks realitätsnah – mit dem Abgreifen von Motordaten werden sogar Verbrauchswerte einer Originallok errechnet, sodass es dem unachtsamen Hobby-Lokführer passieren kann, dass seine Dampflok stehen bleibt, weil ihm die virtuelle Kohle ausgegangen ist. Natürlich werden an einer Lok auch die Wagen digital an- und abgekuppelt.

Schlanke Kupplung für Schweizer E-Lok

Die Kupplung der Modelle hat sich lange Zeit der Miniaturisierung entzogen. Für die exklusive Vorzeigelok 2018 des Märklin Insider-Kundenclubs begab sich die Entwicklung der Göppinger auf Technologiesuche, die in die Machbarkeitsprüfung eines Aktors aus einer Formgedächtnislegierung (FGL) mündete. Dieser schaltet durch den Wechsel der FGL-Kristallstruktur – das geht lautlos und auf kleinem Raum. Vor allem folienbasierte Miniatur-Aktoren aus Formgedächtnislegierungen, wie sie das aus dem Karlsruher Institut für Technologie (KIT) hervorgegangene Start-up Memetis zu strukturieren versteht, benötigen geringen Bauraum. Das wissen Unternehmen der Bioanalytik und Fluidtechnik bereits zu schätzen. Und nun auch Märklin: Die gemeinsam mit Memetis in einem iterativen Prozess erarbeitete Kupplung für die Schweizer E-Lok ist deutlich schlanker geworden, weil der FGL-Aktor den bisherigen elektromagnetischen Antrieb ersetzt hat.

FGL-Folien ideal bei großen Kräften und kleinem Bauraum

„Auf Basis des Formgedächtniseffekts lassen sich thermisch aktivierbare Aktoren mit unübertroffener Leistungsdichte fertigen“, erklärt Dr. Marcel Gültig, Mitgründer und Cheftechniker von Memetis. „Wo es auf große Kräfte auf kleinem Bauraum ankommt, sind FGL-Folien ideal. Wir wählen das Material – meist eine Nickel-Titan-Legierung – sowie die Folienstärke aus und tunen dann präzise Stellweg und Kraft, durch die Dimensionen von Radien und Stegbreiten sowie der Länge des Aktors.“

Zu dem sehr breiten Parameterraum kommt bei der FGL eine ungeheure Kraftdichte hinzu. So hebt ein 1 m langer Formgedächtnisdraht mit einem Durchmesser von 2 mm ein Gewicht von 100 kg um 5 cm. Der Draht wiegt 30 g, müsste ein Hubmagnet diese Leistung bringen, würde er 4 kg auf die Waage bringen.

„Das Material ist die Maschine“

Im Falle der Märklin-Kupplung ist der Aktor als eine dünne mäanderförmige FGL-Folie aufgefaltet. „Das Material ist die Maschine“, beschreibt Memetis-Manager Gültig das Plus der FGL. „Befindet sich die mäanderförmige Folie im kühlen Zustand, so ist die Kupplung geschlossen – eine Feder zieht an dem Aktor und drückt so die Entkupplungsarme nach unten.“ Erhitzt ein kleiner elektrischer Impuls den Aktor, so erinnert er sich an seine Ursprungsform. Sein unsymmetrisches Kristallgitter wandelt sich in ein symmetrisches Gitter, der Mäander verkürzt sich und bewegt den Bügel.

Memetis arbeitet generell am Produktdesign mit und bringt das Know-how ein, wie die FGL-Aktorik zu verwenden und was dafür erforderlich ist. Die FGL funktioniert nach dem thermischen Prinzip. Übersteigt die Temperatur eine vom Material definierte Schwelle, wandelt sich die kristallografische Ebene zu symmetrischen Gitterzellen – das verformte Material erlangt selbstständig wieder seinen „Formgedächtnis“-Zustand. Bei sehr schnellen und drehenden Bewegungen ist ein elektromagnetischer Schalter die richtige Wahl.

Ein- und Ausschaltzeit im Sekundenbereich

In einem iterativen Prozess haben die Märklin-Entwicklung und Memetis die Kupplung zur Marktreife gebracht. Eine Herausforderung, wie Memetis Managing Director Marcel Gültig erklärt: „In der Telex-Kupplung gibt es beispielsweise Schnittstellen zwischen Feder und Bügel – und alles muss sich bewegen können.“ Beim FGL-Aktor hängt die Geschwindigkeit vom bereitgestellten Strom, der Temperatur-Abfließgeschwindigkeit durch die Geometrie, der Umgebungstemperatur und den Federkräften ab. „Durch Geometrie und die richtige elektrische Ansteuerung des Aktors erreichen wir bei der Märklin-Telex-Kupplung die für die Modellbahn erforderliche Ein- und Ausschaltzeit im Sekundenbereich“, sagt Gültig. Nun spielt der FGL-Aktor seine unbestrittenen Vorteile aus: Er arbeitet geräuschlos, er minimiert Komplexität durch den Wegfall von Elektronik, Lagern und Gelenken und er spart Bauraum.

Training verhilft Aktor zur definierten Charakteristik

Auf Basis von Titan-Nickel erreicht laut Memetis ein Aktor bis zu 100.000 Schaltzyklen, mit teuren ermüdungsfreien Materialien sind über 10 Mio. Zyklen möglich. Memetis strukturiert die Folie aus der passenden FGL durch Laserschneiden und macht sie elektrisch kontaktierbar. „Das Material unterliegt einer funktionellen Ermüdung, in deren Folge die Charakteristik abnimmt“, berichtet Marcel Gültig. „Durch ein Training über einige Zyklen reduziert sich die Degradation, sodass der einbaufähige Aktor die definierte Charakteristik aufweist.“

Dass Märklin mit dem Einsatz eines FGL-Aktors in der Mechatronik Neuland betritt, ist für Wolfrad Bächle, Mitgeschäftsführer der Gebr. Märklin & Cie. GmbH, nicht entscheidend. „Innovation um ihrer selbst willen ist inakzeptabel. Wir bauen die besten Großserien-Modelllokomotiven und vermitteln das Prestige der Marke durch Wertigkeit – das bedeutet auch, dass wir im Rahmen der fortschreitenden technischen Möglichkeiten und Bezahlbarkeit der Produkte die Grenzen der Miniaturisierung verschieben, um einen höheren Grad an Miniaturisierung zu erreichen. Beispiele sind etwa die Detaillierung der Zinkdruckguss-Gehäuse, wo wir Passungen im Bereich von Hundertstelmillimetern gießen, oder das Drucken von Zierlinien von 0,03 Millimeter Stärke. In diese Kategorie gehört auch die Verschlankung der Telex-Kupplung durch einen Miniaturaktor.“

Von der Stange kaufen, geht nicht

Der Modellbahnmarktführer produziert in einem deutsch-ungarischen Werksverbund an den Standorten Göppingen und Györ. „Für den Innovationsprozess ist unsere Tochtergesellschaft Märklin Engineering GmbH zuständig, die in enger Abstimmung mit der Entwicklung Technologiebeobachtung und Materialforschung betreibt“, erklärt Wolfrad Bächle. Ein typisches Beispiel ist die Farbgebung, wo inzwischen der Digitaldruck bei den Modellen ergänzend zum Tampondruck eingesetzt wird. „Beim Umstieg auf lasergravierte Druckplatten mussten wir den Industrieprozess vom Sieb- und Flexodruckbereich auf unsere engeren Toleranzen und Strichstärken anpassen.“ Von der Stange kaufen, geht nicht. Dafür baut Märklin so Prozessexzellenz auf.

Innovationen dienen der Produktqualität oder der Produktionseffizienz

In dieses Bild passt auch der 3D-Druck, bei dem Märklin Drucktechnologien und Materialien theoretisch und in Versuchsreihen bewertet hat. Als erstes ersetzten teilweise 3D-Druck-Werkstücke in der Produktion gefräste Aufnahmen, dann bediente sich das Prototyping und inzwischen wird ein Kunststoff-Lokgehäuse aus dem 3D-Drucker eingesetzt, um eine Lok als Kleinserie im Feingussverfahren der verlorenen Form herzustellen, das in der Schmuckindustrie und Zahntechnik etabliert ist. „Märklin geht mit Innovationen pragmatisch um, sie dienen entweder der Produktqualität oder der Produktionseffizienz“, so Märklin-Geschäftsführer Wolfrad Bächle. „Oder, wie im Falle des additiven Verfahrens, beidem.“


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Weitere Informationen zu Memesis und Merklin unter www.memetis.com sowie www.maerklin.de/de/

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