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Dreißig Minuten statt mehrere Monate

Kommissionierung: Pick-by-Light-System verkürzt Anlern-Phase bei MAN drastisch
Dreißig Minuten statt mehrere Monate

Die Kommissionierung gehört zu den anspruchsvollen Disziplinen in der Lagerlogistik. Fünf Verfahren haben sich im Markt durchgesetzt. Im Bereich der Fahrerhaus-Montage entschied sich der Lkw-Hersteller MAN für eine spezielle Pick-by-Light- Lösung mit Wischbetätiger.

Logistikleiter stellen sich eine Frage immer wieder: Mit welcher Kommissioniertechnik lassen sich Produktivität, Lieferqualität und die Gesamtkosten im Lager- und Versandbereich optimieren? Im Wesentlichen gibt es fünf Kommissionier-Methoden, die ich am Markt etabliert haben (siehe Tabelle).

Am einfachsten ist das Kommissionieren anhand eines Pickzettels, auch Pick- oder Kommissionierliste genannt. Das Dokument enthält Lagerplatz, Artikelnummer und Menge. Die zweite und ebenfalls verbreitete Technik funktioniert mit einem mobilen Terminal. Die Kommissionierliste wird hier auf einem mobilen Daten-Terminal (MDE) oder einem Staplerterminal angezeigt. Eine dritte Variante heißt „Pick-by-Voice“. Hier findet die Kommunikation zwischen Kommissioniersystem und Kommissionierer über Sprache statt. Anstatt ausgedruckter Kommissionierlisten oder Datenfunkterminals arbeitet der Kommissionierer mit einem kabelgebundenen oder kabellosen Bluetooth-Headset.
Die vierte und damit eng verwandte fünfte Methode heißen Pick-by-Light beziehungsweise Pick-to-Light. Die Technik setzt nicht auf akustische, sondern auf optische Signale. Das hat vor allem in lauten und vielsprachigen Betriebsumgebungen Vorteile. Menschen reagieren stark auf Licht, was zu eindeutigen Anweisungen und kurzen Reaktionszeiten führt. Diese Merkmale hatten den Lkw-Hersteller MAN überzeugt, als er sich in diesem Jahr für eine neue Kommissioniertechnik im Münchner Stammwerk entschieden hat.
Antennen, Drucklufthörner, Kabelsätze, Verkleidungen, Tachografen und selbst das Dach im Fahrerhaus eines MAN TGX kann ab Werk durch viele Optionen individuell gestaltet werden. In der Vorkommissionierung der Produktionshalle zeigt sich diese Auswahl durch lange Regalreihen mit rund 250 verschiedenen Teilen, die für jede Fahrzeugbestellung einzeln auf Kommissionierwagen zusammengestellt werden. Aufgrund der Artikelanordnung bekam dieser Lagerbereich bei MAN den Namen „Supermarkt“.
Bis letztes Jahr wurde die Arbeit im Supermarkt mit Papierlisten durchgeführt. „Die damit betrauten Mitarbeiter mussten über gute Kenntnisse der einzelnen Positionen im gesamten Lager verfügen“, erzählt Franz Blaschke, der bei der MAN Nutzfahrzeuge AG in der Fahrerhaus-Montage für schwere Lkw die Prozessplanung und Instandhaltung verantwortet. Entsprechend aufwendig war das Anlernen neuer Mitarbeiter, was zum Teil mehrere Monate in Anspruch nahm. So ließen sich Fehler, die erst zu einem späteren Zeitpunkt in der Montage auffielen, nicht zu hundert Prozent vermeiden. Vor diesem Hintergrund suchten Blaschke und sein Team eine neue Kommissionierlösung, die das Personal durch eine eindeutige Orientierungshilfe unterstützt.
Nach Sichtung der angebotenen Pick-Systeme entschied sich MAN für eine lichtgesteuerte Pick-by-Light-Anwendung, kurz PbL. „Bei PbL haben die Mitarbeiter ihre Hände frei und können sich ganz auf ihre Arbeit konzentrieren“, berichtet Blaschke. „Die an den Regalfächern angebrachten Lichtsignale sind eindeutig und führen zu einer minimalen Fehlerquote.“
Im Vergleich zu anderen PbL-Anbietern konnte sich das Produkt „PickTerm QuickReply“ der KBS Industrieelektronik GmbH aus Freiburg durchsetzen. Denn zusätzlich zu den Vorzügen von PbL verfügt die KBS-Lösung über leicht austausch- und umsetzbare Fachanzeigen mit einem besonderen Schalter zum schnellen Quittieren der Aufträge. Dieser so genannte „Wischbetätiger“ erspart das Bedienen der weiterhin vorhandenen Bestätigungstaste an der Fachanzeige und erhöht dadurch die Pickleistung. Der federnd gelagerte Hebel wird während der Entnahme des Artikels vom Kommissionierer sozusagen gestreift und damit ohne einen weiteren Handgriff betätigt.
„Bis auf drei Ausnahmen muss aus den Fächern grundsätzlich nur ein Artikel entnommen werden, so dass der Kontakt keinesfalls zu früh ausgelöst werden kann“, erklärt Blaschke. Deshalb genügten MAN auch Fachanzeigen mit Displays ohne Mengenangabe. Lediglich die drei Fächer, aus denen meist mehrere Teile entnommen werden müssen, verfügen über ein entsprechendes Anzeigefeld. „Die Wischbetätiger sind für uns die ideale Lösung“, so Blaschke, der im Laufe des Projekts auch Wärmesensoren in Betracht gezogen hatte. „Die Sensoren wären durch den Einsatz von Handschuhen zu unzuverlässig gewesen.“
Bis zu zwei Mitarbeiter gleichzeitig arbeiten im Teile-Supermarkt. Dadurch wurde auch eine farbliche Unterscheidung der Lichtsignale erforderlich. Unter den sieben bei KBS möglichen Farben wählte MAN die Töne rot und grün. Eine Sonderregel gilt für Fächer, die während der Kommissionierung von beiden Kollegen aufgesucht werden müssen. Diese Fächer blinken in der Farbe des zuerst ausgelösten Kommissionierauftrags.
Beim zweiten Besuch dieser Fächer tritt eine weitere Ausnahme in Kraft, denn dann muss der Auftrag mit dem herkömmlichen Schalter quittiert werden. Der sensible Wischbetätiger darf nur einmal aktiviert sein, um ein versehentliches Quittieren durch den Vorgänger zu verhindern. Durch einen der beiden kleinen Leuchtpfeile an der Fachanzeige wird der Mitarbeiter auf diesen Sonderfall hingewiesen. Jede Fachanzeige verfügt für diesen Zweck über zwei Leuchtpfeile, die auf den Schalter hinweisen.
Mit Hilfe dieser Vorkehrungen arbeitet die KBS-Lösung bei MAN praktisch fehlerfrei. Die Investition hat sich bereits amortisiert. „Wir arbeiten jetzt schneller und mit höherer Qualität“, so Blaschke. Zudem ließen sich neue Mitarbeiter innerhalb einer halben Stunde anlernen. Zum wirtschaftlichen Erfolg hat noch ein zweiter Vorteil der Fachanzeigen beigetragen. Durch die so genannte Snap-In-Adaptierung lassen sie sich an beliebiger Stelle auf die fest an den Regalen installierten Trägerprofile aufschnappen und werden über eine Kontaktleiste mit Energie und Signalen versorgt. Die einzelnen Fachanzeigen sind in der Datenbank fest mit der Artikelnummer und nicht mit der Regalposition verknüpft. Vorteil dieser Konstruktion ist, dass die Anzeigeelemente bei Bedarf schnell und ohne Werkzeug an anderer Stelle platziert werden können. „Das kann unser Lagermeister selbständig und kostensparend ohne externe Hilfe durchführen“, berichtet Blaschke. Mit dem neuen System konnte MAN die Produktivität der Anlage um rund zehn Prozent steigern.
Doch Automatisierung ist nicht alles. Es gibt auch Anwendungen, wo technisch weniger anspruchsvolle Lösungen gefragt sind. So setzt zum Beispiel der Elektro-Großhändler ElectronicPartner (EP) in seinem Logistikzentrum in Augsburg auf Pick-by-Paper. Statt mit Lichtführung oder Sprachsteuerung kommissionieren die Mitarbeiter mit Listen und Klebeetiketten.
Nur rund die Hälfte der Beschäftigten gehört zum Stammpersonal, rund 25 kommen von Zeitarbeitsfirmen und weitere 30 arbeiten auf 400-Euro-Basis. „Bei Auftragsschwankungen von dreihundert Prozent müssen wir unsere Personal-Kapazitäten flexibel halten“, erklärt Betriebsleiter Michael Zink. Die saisonalen Unterschiede in der Nachfrage nach Elektrogeräten ist einer der Hauptgründe für den weitgehenden Verzicht auf Automatisierung. „Automatisierte Systeme sind in der Regel starr, müssten aber unseren Spitzenbelastungen standhalten“, meint Zink. Eine automatisierte Lösung wäre für den größten Teil des Jahres völlig überdimensioniert und damit zu teuer.
Marcus Walter Fachjournalist in Neufahrn
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