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Taktwagen stärken die Logistik

Helikopter-Hersteller Eurocopter hat seine Montagelinien völlig neu aufgebaut
Taktwagen stärken die Logistik

Die Eurocopter Group führt mit vorkommissionierten Taktwagen ein weltweit einheitliches Produktionssystem für die Montage von Helikoptern ein. Das konsequente Einbeziehen der Mitarbeiter ist dabei ein wesentlicher Erfolgsfaktor.

Der Startschuss fiel vor fünf Jahren. Damals begann in Donauwörth die Entwicklung eines weltweit einheitlichen Produktionssystems, das beim Hersteller Eurocopter seither Schritt für Schritt an sämtlichen Standorten eingeführt wird. „Damals mussten wir die Produktion eines gerade neu entwickelten Helikopterprogramms serialisieren“, erinnert sich Jörg Brill, der am deutschen Standort Donauwörth die Montage der militärisch genutzten Hubschrauber verantwortet. Der Sprung von der Prototypen- in die Serienproduktion veranlasste das französisch-deutsche Unternehmen Eurocopter dazu, die gesamte Struktur der Endmontage auf den Prüfstand zu stellen.

Die Herausforderung rief auch seinen Kollegen Roman Seidel auf den Plan, der sich bei Eurocopter in gleicher Funktion um die zivilen Helikopterprogramme kümmert. Wie Brill ist auch Seidel ein Verfechter von vereinfachten Prozessen. „Damals stellten wir gemeinsam mit unserem Berater Dr. Schönheit + Partner bei allen weltweit verteilten Produktionslinien ein großes Verbesserungspotenzial hinsichtlich Materialverfügbarkeit, Durchlaufzeiten und Standardisierung fest“, so Seidel. Zudem seien die Montagehallen teilweise unübersichtlich, nicht immer dem Produktionsfluss folgend und wenig ergonomisch gestaltet gewesen.
Entsprechend ambitioniert war das vereinbarte Ziel: Die Entwicklung und konzernweite Implementierung eines neuen „Eurocopter Produktionssystems“, kurz EPS genannt. Nach der erfolgreichen Einführung in Donauwörth und im französischen Marignane sollte das erarbeitete Konzept auch in anderen Ländern umgesetzt werden. Denn die von Eurocopter hergestellten Mehrzweck-Hubschrauber werden in verschiedenen Fabriken endmontiert. Für den Militärhubschrauber NH90 entsteht das Mittelteil, das so genannte Centerfuse, in Donauwörth. In den weltweit verteilten Montagewerken in Spanien, Frankreich, Australien und USA werden die Zellen dann mit dem Front- und Heckteil (Front- und Rearfuse) verbunden.
Von Anfang an war klar, dass die Einführung eines neuen Produktionssystems nur mit Hilfe eines externen Beratungsunternehmens zu bewältigen sein würde. In der Ausschreibung konnte sich die international tätige Unternehmensberatung für Produktionssystematik Dr. Schönheit + Partner aus Köln durchsetzen. „Anders als die Mitbewerber setzte Dr. Schönheit nicht nur auf Refa- oder Toyota-Methoden, sondern auf die systematische Verbesserung unter Einbeziehung aller Mitarbeiter“, betont Seidel.
Geschäftsführer Dr. Martin Schönheit ist überzeugt, dass sich kleine und große Änderungen in Unternehmen nur dann nachhaltig umsetzen lassen, wenn die Beteiligten von Anfang an in die Überlegungen und Entscheidungen einbezogen werden. „Die Veränderungsbereitschaft der Menschen in der mittleren Führungsebene ist ein entscheidender Erfolgsfaktor“, stellt Schönheit fest. Am besten sei es, wenn die Vorschläge und Ideen im Rahmen moderierter Workshops von den Mitarbeitern selbst erbracht würden. „Rund die Hälfte meiner Tätigkeit besteht aus Psychologie“, schätzt Schönheit.
In den Workshops müssten zudem die Zusammenhänge der einzelnen Funktionen und Abteilungen deutlich herausgearbeitet werden. „Nur wenn ich den Ablauf als Ganzes erkenne, kann ich die Wichtigkeit meiner Arbeit einordnen und an einem optimalen Workflow mitwirken“, so Schönheit. An der punktuellen Vorgehensweise sei das Lean Management nur allzu oft gescheitert. Ebenso daran, dass das Team zu wenig in den Prozess involviert war. Nachhaltigen Erfolg sichere nur ein ganzheitlicher Ansatz.
„Wir erleben in der Praxis einen erstaunlichen Motivationsschub, der von der eigenen Erarbeitung von Veränderungen ausgeht“, berichtet der Lean-Berater. So war es auch bei Eurocopter. Am Anfang der Planungen gab es keine Tabus. Die Abläufe in den betroffenen Montagehallen wurden radikal umgebaut – einschließlich neuer Aufgaben, Positionen und Funktionen. „Wir haben die beiden Hallen völlig ausgeräumt, um anschließend die Montagelinien ganz neu aufbauen zu können“, erklärt Brill.
In der Analysephase wurden besonders die langen Suchzeiten der Monteure nach benötigten Teilen sowie die Materialverfügbarkeit als Hauptprobleme identifiziert. Ursprünglich war jeder Montageplatz mit hohen Regalen und Schränken umringt. Dort lagerte ein Großteil der Schrauben, Bleche und sonstigen Zulieferteile, die für den jeweils anstehenden Montageschritt benötigt wurden. Die Monteure mussten sich dabei sämtliche Teile selbst heraussuchen. „Die Kollegen haben zu wenig montiert und zu viel gesucht“, bringt es Seidel auf den Punkt. Verschärft wurde die Situation durch die in der Branche übliche permanente Weiterentwicklung der Helikopter während der Bauphase. „70 bis 80 Prozent aller Teile unterliegen einer ständigen Veränderung“, schätzt Brill. Dahinter stehen rund 1800 Lieferanten mit sehr unterschiedlichen Lieferfristen. Verzögerungen in der Produktion waren damit vorprogrammiert, denn in der Vergangenheit haben die Monteure erst im akuten Bedarfsfall festgestellt, dass bestimmte Einzelteile nachbestellt werden mussten.
Die strikte Trennung der Montage von den logistischen Funktionen war vor diesem Hintergrund die beste Lösung. Das Motto lautete: „Der Monteur hält die Hand am Helikopter“. Bei Eurocopter wurde deshalb für die Materialbereitstellung die Logistikfunktion gestärkt, indem Mitarbeiter nun eigens entwickelte Taktwagen zusammenstellen. Hierbei handelt es sich um fahrbare Handwagen mit offenen Regalfächern. Je nach Umfang werden für jeden Arbeitstakt ein oder mehrere Taktwagen kommissioniert. Dabei werden alle Teile und Dokumente in der richtigen Reihenfolge und übersichtlich in einzelne Regalfächer mit so genannten Shadowboards gelegt, in denen jedes Teil seinen dafür vorgesehenen Platz hat. So ist es sofort sichtbar, wenn Materialien noch fehlen. Lediglich die schüttbaren Standardteile wie Schrauben oder Litzen lagern noch direkt am Montageplatz. „Da die Taktwagen mehrere Wochen vor ihrem Einsatz mit Material bestückt werden, hat die Materialbeschaffung in der Regel genügend Zeit zur Nachversorgung, wenn etwas fehlt“, erklärt Brill. Die Planung der Taktwagen wird durch das „Taktwagen-Steuerboard“ unterstützt. Dabei handelt es sich um eine große Magnettafel, die auf einfache Weise mit farbigen Merker ergänzt werden kann.
Zahl und Art der benötigten und bereitgestellten Taktwagen hängen direkt von den Bestellungen ab, die für die nächsten zwölf bis achtzehn Monate vorliegen. Somit sorgt das Steuerboard ganz nebenbei für eine nachfragegesteuerte Produktion „Plant on demand“, die sich flexibel an die aktuelle Auftrags- und Konjunkturlage anpasst. Die Methode steigerte aber nicht nur Produktivität und Materialverfügbarkeit, sondern hat auch die Qualitätskontrolle wesentlich vereinfacht. Denn dank der offenen Regalfächer der Taktwagen ist jetzt auf einen Blick erkennbar, ob auch wirklich alle Teile verbaut wurden. „Wenn etwas übrig bleibt, stimmt was nicht“, bemerkt Seidel.
Ist ein Takt abgeschlossen, startet der nächste Abschnitt. Je nach Baureihe funktioniert dieser Wechsel nun nach dem Prinzip der Fließ- oder der Dockmontage. „Entweder die Monteure bewegen sich von einem Dock zum nächsten, oder die Helikopter bewegen sich von Team zu Team“, so Brill. In beiden Fällen können sich die Techniker jetzt auf ihre eigentliche Arbeit konzentrieren. Zu Beginn des neuen Takts stehen die nächsten Wagen schon bereit. „Das Credo lautet: Jeder Handschlag schafft Werte“, so Schönheit
Das bei Eurocopter umgesetzte Konzept basiert auf der von Dr. Schönheit + Partner entwickelten Managementmethode „Lead to Lean“. Es richtet sich an die mittlere Führungsebene und bedeutet „Führe zum Einfachen“. Die Vorgehensweise erfasst das Unternehmen als Ganzes und richtet alle Prozesse nach einem einheitlichen Wertesystem aus. Dabei werden Führungskräfte befähigt, die Mitarbeiter zu einfachen Arbeiten (Lean) in ihren Prozessen zu führen (Lead). Dieser Ansatz rückt die Optimierung von Wertströmen und Arbeitsprozessen an die Stelle der reinen Kostenorientierung. Denn Lean ist dabei nicht mit Kostenreduzierung gleichzusetzen, sondern mit der Vereinfachung von Prozessen. „Die Vereinfachung des täglichen Arbeitsablaufs bei gleichzeitiger Erhöhung der Produktivität und kürzeren Lieferzeiten führen von allein zu Einsparungen“, so Schönheit.
Überzeugt werden konnten inzwischen auch die Kollegen von Brill und Seidel an weiteren Eurocopter-Standorten. Nach Frankreich und Australien wird EPS nun auch in Brasilien, USA und Spanien eingeführt. Als Türöffner eignen sich dabei auch die messbaren Verbesserungen der wichtigsten Kennzahlen für Liefertreue (OTD – On Time Delivery), Produktivität (OTC – On Target Costs) und Qualität (OTQ – On Target Quality). So konnte durch die Einführung von EPS die Liefertreue je nach Modellreihe zwischen 17 und 32 % verkürzt werden. Die Produktivität kletterte sogar um 25 bis 55 % nach oben. Komplett abgeschlossen ist das Projekt aber auch in Donauwörth noch nicht. „Der Veränderungsprozess läuft kontinuierlich weiter“, führt Schönheit aus. Jetzt gehe es darum, auch noch die angrenzenden Funktionen wie die Entwicklung oder den Service in den Prozess zu integrieren.
Marcus Walter Fachjournalist in Neufahrn

Einsparpotenzial für den Mittelstand

Die Fabrik als Netzwerk von Wertströmen

Hochlohnländer wie Deutschland können sich im internationalen Wettbewerb nur durch eine ständig steigende Produktivität behaupten. Ein Schlüssel dafür liegt im so genannten „Operations System“. Dabei handelt es sich um die Einführung erweiterter Produktionssysteme. Das bedeutet, dass künftig bei der Suche nach weiteren Produktivitätsfortschritten nicht nur die Montagelinien im Produktionsbereich betrachtet werden. Beim Ansatz „Lead to Lean“ wird vielmehr ein Operations System geschaffen, bei dem alle Unternehmensbereiche zusammenspielen. Dazu gehören Produktion, Entwicklung, Auftragsabwicklung, Einkauf, Produktion, Logistik und Service. Wie bei einem Organismus wird dabei die Fabrik als Netzwerk von Wertströmen als Operations-Excellence verstanden.
Das Konzept basiert auf einer Managementmethode „Lead to Lean“, die von der Beratungsfirma Dr. Schönheit + Partner in Köln entwickelt wurde. Es richtet sich an die mittlere Führungsebene und bedeutet „Führe zum Einfachen“. Die Vorgehensweise erfasst das gesamte Unternehmen und richtet alle Prozesse nach einem einheitlichen Wertesystem aus. Bei dieser Methode sollen Wertströme und Arbeitsprozesse optimiert werden. Es geht um die Vereinfachung von Prozessen, nicht um die reine Kostenorientierung. „Die Vereinfachung des täglichen Arbeitsablaufs bei gleichzeitiger Erhöhung der Produktivität und kürzeren Lieferzeiten führen von allein zu Einsparungen“, so Dr. Martin Schönheit.
Der Chef der Beratungsfirma Dr. Schönheit und Partner ist zudem davon überzeugt, dass sich Änderungen in Unternehmen nur dann nachhaltig umsetzen lassen, wenn die Beteiligten von Anfang an in die Überlegungen und Entscheidungen einbezogen werden. „Die Veränderungsbereitschaft der Menschen in der mittleren Führungsebene ist ein entscheidender Erfolgsfaktor“, stellt Schönheit fest. Am besten sei es, wenn die Vorschläge und Ideen in moderierten Workshops von den Mitarbeitern selbst kommen. „Rund die Hälfte meiner Tätigkeit besteht aus Psychologie“, schätzt Schönheit.
Was in der Großserienproduktion der Automobilindustrie zum Teil bereits umgesetzt wurde, bietet dem Mittelstand noch ein großes Einsparpotenzial. Beispielsweise sollte die Entwicklung ganz nah an die Produktion herangeführt werden, um die Montagekosten schon während der Planungsphase zu minimieren. Mit diesem Themenkomplex befasst sich seit zwei Jahren der von Dr. Schönheit + Partner initiierte Arbeitsausschuss „Innovationstransfer Operations System“ – kurz ITOS. Zu den Mitgliedern zählen neben Eurocopter namhafte Firmen wie Vaillant, Heidelberg, Kärcher, Saacke oder Dräger. Als Plattform für Erfahrungsaustausch werden bei den Treffen erfolgreiche Anwender von ganzheitlichen Produktionssystemen besucht. Das Ergebnis ist ein dynamischer Leitfaden zur Einführung und Ausweitung des Operating Systems, bei dem alle Unternehmensbereiche zu einem ganzheitlichen Managementsystem verschweißt sind.
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