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Zu Land oder in der Luft

Fördertechnik: prozessbeschreibung per simulation
Zu Land oder in der Luft

Ob der Anwender bodengeführte oder flurfreie Fördertechnik wählen sollte, hängt in erster Linie von seinen spezifischen Anforderungen ab. Auch innerhalb einer Branche sind projektspezifische Lösungen zu erarbeiten, um die Logistik zukunftssicher zu machen.

Sie versorgt die Montage mit Material und überbrückt automatisch auch lange Strecken: gemeint ist die Fördertechnik. Der Wettbewerbsdruck rückt sie in den Mittelpunkt der Logistikplanung, vor allem dann, wenn der Anwender sein Lager reorganisiert oder neu plant. Denn die Fördertechnik muss so flexibel sein wie die Marktlage. Ohne großen Umbau muss sie auch modifizierte Produkte transportieren. Daneben stehen Ergonomie und Betriebssicherheit im Fokus.

Die Systemauswahl erfolgt auf der Basis einer Reihe von Kriterien, stets unter Berücksichtigung der daraus resultierenden Betriebskosten. Die wichtigsten Anforderungen an die Planer lauten:
  • bestmögliche Funktionalität
  • optimale Flexibilität bei Nutzungsänderungen
  • optimales Kosten-Nutzen-Verhältnis
  • ein Maximum an Effizienz in der Mensch-Maschine-Kombination
  • ergonomische Arbeitsplätze
  • robuste und ausgereifte Technik
Dies führt zu einem Materialflusskonzept, das im Idealfall mit Unterstützung von Simulationen entsteht und konkrete Prozessbeschreibungen zur Grundlage hat. Das Konzept bildet in der Regel die Basis für spätere Ausschreibungen.
Die Voraussetzungen für die Planer unterscheiden sich von Projekt zu Projekt. Das ergibt sich schon aus den Branchenspezifika, den baulichen Voraussetzungen und aus der Größe eines Lagers. So liegt es auf der Hand, dass ein Betreiber eines neu zu errichtenden Logistikzentrums auf der grünen Wiese (green field) andere Rahmenbedingungen formuliert als etwa ein mittelständisches Unternehmen an einem seit Jahrzehnten gewachsenen Standort in Stadtrandlage ohne bauliche Expansionsmöglichkeiten (brown field, bestehendes Gebäude). Allseits anwendbare Standardlösungen gibt es deswegen nicht. Ob flurfreie oder bodengeführte Systeme zum Einsatz kommen, kann erst nach genauer Prüfung der baulichen Voraussetzungen, der logistischen Gesamtkonzeption und der Anforderungen der Produktion entschieden werden. Nicht selten ist es daher eine Kombination aus beidem, die dem Kunden ein Optimum für sein Unternehmen ermöglicht.
Dennoch gibt es allgemeingültige Kriterien, wenn man sich dem Themenbereich flurfreie oder bodengeführte Systeme widmet. So gilt eine flurfreie Fördertechnik, etwa in Form einer Elektrohängebahn (EHB), als besonders geeignet, wenn große Entfernungen mit einer begrenzten Anzahl von Transportzielen zu überwinden sind. Dagegen kommt – als Beispiel für ein bodengeführtes System – ein Fahrerloses Transport-System (FTS) primär dann zum Einsatz, wenn hohe Transportvolumina zu definierten Zielen über einen langen Zeitraum unverändert zu erwarten sind. Neben Flexibilität, Ergonomie, Betriebssicherheit und -kosten sowie der Transportleistung sind Planungskriterien auch Skalierbarkeit, Flurgebundenheit, Flächenbedarf, Steuerungsaufwand, Verfügbarkeit, Prozesssicherheit sowie die definierte Anbindung von Arbeitsbereichen. Hinzu kommen Pufferfunktionen im System, die Anzahl der Transportziele und die Entfernung zwischen den Quellen und Senken des Transportgutes.
Den Betriebskosten wird bei Entscheidungen oft ein zu geringer Stellenwert eingeräumt. Sie sind aber mit Blick auf die spätere Wettbewerbsfähigkeit der Logistiksysteme mit ausschlaggebend. So kann etwa die Entscheidung für oder gegen eine EHB von den täglichen Betriebsstunden abhängen. Im Vergleich von Flurförderzeugen und der EHB kann sich etwa bei acht Betriebsstunden pro Tag die EHB noch als das System mit den höheren Kosten pro Transporteinheit darstellen; bei einer 16-stündigen Betriebszeit kann das durchaus umgekehrt sein.
Dass auch innerhalb einer Branche die Anforderungen stark voneinander abweichen, zeigt der Vergleich zweier Beispiele von VW und Rolls-Royce. Beim Logistikzentrum für den in Großserie gebauten Golf V von VW in Wolfsburg besteht die gesamte Fördertechnik aus einer etwa 1,8 km langen Strecke aus Rollenbahnen, Kettenförderern und Eckumsetzern. Mittels Systemvergleichen hinsichtlich der Investition und Kosten, bezogen auf den jeweiligen Flächenbedarf des Fördertechniksystems, wiesen die Planer früh die Vorteile eines überwiegenden Einsatzes von Tragrollenfördertechnik nach.
Im Lager- und Kommissionierbereich angekommen, werden die Paletten auf kombinierte Wareneingangs- und -ausgangsstellen ausgeschleust. Dort nehmen allerdings Flurförderzeuge die Behälter auf und transportieren sie an vorgegebene Lagerorte. Das System führt die frei werdenden Systempaletten einem Stapelmagazin zu. Auf dem Rückweg bringen die Flurförderzeuge die von der Fertigung bestellten Behälter zum Fördersystem und setzen sie auf bereitstehende Systempaletten, damit diese zum Verbauort gelangen.
Durch die Stapelmagazine wird eine zeitliche Entkopplung der Ein- und Auslagervorgänge im Hallengeschoss erreicht. An der Kopfzone des Logistikzentrums verlassen die Paletten die zentrale Materialflussachse und werden nun an eine aufgeständerte EHB übergeben. Diese verbindet auf einer Länge von rund 300 m die Lagerflächen mit den Fertigungsbereichen und diese wiederum mit der zentralen Leergutaufbereitung. Der Systemwechsel ist erforderlich, um die Bodenverkehrswege zwischen den Kommissionierzonen und Verbauorten freizuhalten.
Die EHB befördert die Behälter zu einer der Materialumschlagflächen. Dort stellen Verteilwagen die Behälter an zwölf Abnahmestellen vorsortiert bereit. Dies erleichtert die verbauortbezogene Abholung durch Linienbereitsteller. Gleichzeitig transportieren Flurförderzeuge leere Behälter aus der Produktion zur Fördertechnik. Vertikalförderer und EHB übernehmen das Leergut und bringen es in die zentrale Leergutaufbereitung.
Das bei VW realisierte Materialflusskonzept umfasst eine schnelle und kostenoptimierte Zuführung der Teile in die Endmontage und den Transport des Leergutes zur zentralen Aufbereitung – flurfreie und bodengeführte Fördertechnik arbeiten zusammen. Die Praxis im Wolfsburger Logistikzentrum beweist, dass die Ziele Flexibilität, Robustheit, Produktivität und Betriebssicherheit durch die eingesetzte Fördertechnik erreicht werden.
Ganz anders ist die Situation bei Rolls-Royce im südenglischen Goodwood, wo Luxuslimousinen gefertigt werden. Hier dominieren kleine Stückzahlen, hohe Individualität und maximale Qualität. Entsprechend hoch ist die Fertigungstiefe. Holz- und Ledershop, aber auch umfangreiche Vormontagen sind integrale Bestandteile und bilden das Herzstück der Manufaktur. Grundsätzlich steht bei einer Montagetaktzeit von fast anderthalb Stunden die Beherrschbarkeit der Arbeitsinhalte im Vordergrund. Es muss Zeit bleiben, um seltene Handgriffe vornehmen und komplizierte Vorgänge im Bedarfsfall auch einmal nachschlagen zu können. Die Ausrichtung der Manufaktur spiegelt sich in der gesamten Werkstruktur wider – vom Montagekonzept über die Montage- und Förderanlagen sowie Informations- und Logistikprozesse bis hin zur Arbeitsorganisation.
Die Taktzeiten und die Individualität des Produktes legten den Gedanken nahe, die Montage in Inseln oder Boxen durchzuführen. Da dies aber zusätzliche Investitionen und einen höheren logistischen Aufwand für die Materialbereitstellung erfordert hätte, entschieden sich die Planer für eine Linienmontage. Man beschränkte sich jedoch bei der Eintaktung der Karosserien auf wenige Überkopfarbeiten, um die Investitionen für die Fördertechnik zu reduzieren.
Walter Giernoth Senior Consultant der Agiplan GmbH, Mülheim an der Ruhr
EHB und Stapler arbeiten zusammen effektiver
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