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TÜV-Siegel für additiv fertigenden Betrieb

3D-Druck: Additive Produktionsstätte zertifiziert
Mit TÜV-Siegel zur Kleinserienreife

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Wie lässt sich die Qualitätssicherung in der additiven Fertigung in den Griff bekommen? Blue Production entschied, sich dafür vom TÜV Süd zertifizieren zu lassen – unter anderem nach einem jetzt erscheinenden, neuen Leitfaden. Dieser Prozess brachte eine Vielzahl von Erkenntnissen.

Hans-Ulrich Büse
Geschäftsführer Blue Production
Gregor Reischle
Head of Additive Manufacturing,
TÜV Süd Product Service
Max Rehberger
Program Manager Additive Manufacturing,
TÜV Süd Product Service

Additiv gefertigte Bauteile sparen gegenüber herkömmlichen Verfahren nur dann Kosten, wenn sie definierte Qualitätskriterien erfüllen und sich im Betrieb bewähren. Doch auf dem Weg zur Serienproduktion sind oft noch zahlreiche Hürden zu nehmen: Viele Teile weisen keine einheitliche Festigkeit auf oder kommen mit Verzug und abweichenden Maßen aus den Maschinen. Und wo diese erste Hürde erfolgreich genommen ist, kommt es mitunter zu Problemen bei der Weiterverarbeitung mit Strahlmitteln wie Sand oder Glasperlen. Der Grund: Auch hier kann sich das Materialgefüge teils unterschiedlich verändern.

Diesen Herausforderungen begegnete die Blue Production mit einem ausgefeilten Qualitätsmanagement und einer zertifizierten Produktion. In Paderborn stehen acht Sintermaschinen und 3D-Drucker zur additiven Fertigung aus CAD-Daten. Kunden sind unter anderem Unternehmen aus dem Maschinen- und Gerätebau, aus Medizintechnik sowie Lebensmittel-, Automobil- und Möbelindustrie.

Im Rahmen des Aufbaus der eigenen Produktion hat Blue Production den TÜV Süd beauftragt, das Qualitätsmanagement rund um die additive Fertigung zu prüfen und zu zertifizieren. Die externen Auditoren halfen, die etablierten Prozesse aufrechtzuerhalten, kontinuierlich zu prüfen und noch weiter zu verbessern. TÜV Süd verfügt über tiefgehendes Fachwissen in der additiven Fertigung und unterstützt bei Bedarf mit branchenspezifischen Trainingsprogrammen.

Blue Production ließ sich zum „Additive Manufacturer“ zertifizieren

Für die Zertifizierung „Additive Manufacturer“ haben die TÜV-Süd-Experten die Mitarbeiter und Maschinen begutachtet, aber auch die Werkstoffe, Prozesse und Methoden. Das geschieht anhand technologieübergreifender und technologiespezifischer Standards und Normen – beispielsweise verschiedener VDI-Blätter zu Kunststoffbauteilen, dem Laser-Sintern und Konstruktionsempfehlungen. Dazu zählt bereits auch ein Dokument, das als Leitfaden für die Qualitätssicherung entwickelt wurde: Die DIN SPEC 17071 ist der Vorläufer zu einer Norm, die im November zur Messe Formnext erscheinen soll.

Das schrittweise Vorgehen anhand des Leitfadens minimierte die Risiken, die sich aufgrund der komplexen technischen und organisatorischen Anforderungen ergeben. Im Fokus standen die Materialprüfung, eine transparent und reproduzierbar dokumentierte Maschinenabnahme sowie die gesamte Führung des Fertigungsprozesses. Das Wissen der Bediener, Ingenieure, QM-Manager, des Vertriebs und der Projektleiter mit den neuesten Erkenntnissen abzugleichen, war genauso wichtig.

Bei Blue Production war die Erkenntnis zentral, dass die gleichbleibende Qualität der gefertigten Produkte vor allem von der gleichbleibenden Qualität der Rohstoffe abhing. Das angelieferte Pulver wurde dafür noch vor dessen Annahme Laboranalysen unterzogen sowie einem sogenannten Rieseltest. Mit dem aus der Kunststoffindustrie bekannten Verfahren lässt sich unter anderem der Feuchtigkeits- und der Feinstgehalt beziehungsweise die Schüttdichte eines Pulvers bestimmen. Das geschieht anhand des Schüttwinkels oder anhand von Durchflußzeiten in einem Trichter. So war bei einer Pulverlieferung der Feinstanteil im Pulver zu hoch. Die Folge: eine veränderte Energieaufnahme und damit ein anderes Schmelzverhalten bei der Verarbeitung.

Die Qualität der Rohstoffe hängt zudem vom richtigen Umgang mit ihnen ab. Mitunter werden die Pulver beim Transport oder der Lagerung verunreinigt oder kommen nicht mit den benötigen Parametern an. Die Gründe dafür sind vielfältig. Wo die Verarbeitung nicht durchgängig mit Handschuhen geschieht, können winzige Mengen Hautschuppen, Haare oder Talg Probleme verursachen. Ein anderes Beispiel ist, dass selbst PE-Säcke nicht zu hundert Prozent wasserdicht sind, weshalb das Kunststoffpulver bei bestimmten Umgebungsbedingungen Feuchtigkeit aufnehmen kann.

5 % mehr Feuchtigkeit bedeuten beispielsweise 10 % weniger Festigkeit

5 % mehr Feuchtigkeit bedeuten mitunter 10 % weniger Festigkeit beim Endprodukt. Daher muss das angelieferte Pulver bei Bedarf nachträglich mittels Trockenluft fluidisiert werden. Auch die Temperatur ist ein Faktor, der die Qualität der Endprodukte beeinflusst. Wurde eine Lieferung bei unter 0 °C gelagert, soll aber bei 20 °C verarbeitet werden, musste sie sich mitunter eine volle Woche bis zum Produktionsstart akklimatisieren. Dafür lagert Blue Production die eingekauften Rohstoffe teils in eigens klimatisierten Bereichen.

Beim selektiven Laserstrahlschmelzen wird eine dünne Pulverschicht auf eine Bauplattform aufgebracht. Durch die punktgenaue Hitzeeinwirkung des Lasers schmilzt das Pulver an den über CAD-Daten vorgegebenen Stellen zu einem festen Kunststoff. Danach senkt die Maschine die Plattform ab, um den Vorgang nach einem weiteren Pulverauftrag zu wiederholen, bis das gewünschte Bauteil entstanden ist. Eine Vielzahl von Parametern müssen dafür, bezogen auf den Ausgangswerkstoff und das Design, eingestellt werden. Dazu gehören unter anderem die Laserenergie, die Belichtungsgeschwindigkeit und die Bautemperatur. Nur wenn das Pulver vollständig durchgeschmolzen ist, stimmen die Festigkeitswerte des finalen Bauteils.

Für größere Serien oder bei kurzen Lieferzeiten werden auf verschiedenen Maschinen die gleichen Bauteile produziert. Die Maschinen übergreifende Einstellung der Parameter ist bisweilen eine Herausforderung, da einige Anlagen selbst herstellerseitig mitunter nicht exakt gleich kalibriert werden können. Verbunden mit teils fluktuierender Pulverqualität oder bei unterschiedlichen Umgebungsbedingungen erfordert es bisweilen langjährige Erfahrung, um die zugehörigen Parametersätze aufeinander abzustimmen und auszubalancieren.

Universität Paderborn testet regelmäßig Rückstellproben

Um die vereinbarten Festigkeitswerte von Serienbauteilen zu garantieren, testet Blue Production diese immer wieder – auch in Kooperation mit externen Partnern wie der Universität Paderborn. Dafür nehmen die Mitarbeiter mitunter Rückstellproben aus der laufenden Fertigung, die vakuumiert eingeschweißt werden. Anhand eines normierten Zugversuchs werden typische Materialkennwerte wie Streckgrenze, Zugfestigkeit und Bruchdehnung bestimmt. Die Prüfmaschine misst den Weg und visualisiert den Zusammenhang zwischen Spannung und Dehnung der Probe in einem zugehörigen Diagramm. Auch hier sind die Umgebungsbedingungen und die Kalibrierung der Prüfmittel entscheidend, um zu einheitlichen Ergebnissen zu kommen.

Die zahlreichen möglichen Wechselwirkungen entlang der Prozesskette zeigen, wie wichtig eine vollständige Dokumentation ist. Sie sollte nicht nur den Umgang mit den Rohstoffen umfassen, sondern auch die Wartung oder die Kalibrierung von Prüfmitteln. Eine lückenlose Historie zu den Werkstoffen, Bauteilen und CAD-Prozessen sowie ein reproduzierbares Datenhandling sind selbstverständlich.

Blue Production nutzt Arbeitsanweisungen und Laufkarten, die auch die Qualitätskenngrenzen (Mindestanforderungen) enthalten. Neben dem Betrieb der Anlage qualifiziert das Unternehmen auch das Ausgangsmaterial und dessen Management sowie den Fertigungsprozess selbst und dokumentiert alles – vom Wareneingang der Rohstoffe über die Parametrierung der Maschinen bis zum ausgelieferten Bauteil. Das gilt auch für die Prozessschritte oder einzelne Chargen- oder Probennummern, um etwaige Abweichungen von Materialeigenschaften zuordnen zu können. Auch dienen die Daten als Basis für einen kontinuierlichen Verbesserungsprozess.

Die Norm ersetzt kein gelebtes Qualitätsmanagement

Der Aufbau einer additiven Fertigung gemäß dem Leitfaden verhilft auch kleineren Unternehmen zur Industriereife. Die DIN SPEC 17071 ersetzt aber kein gelebtes Qualitätsmanagement, das eine Führungsaufgabe ist. Blue Production wurde durch TÜV Süd in nur wenigen Monaten zertifiziert. Das gelang zum einen, weil das Unternehmen auf Basis jahrelanger Erfahrung seine Produktion, Prozesse und Dokumentation auf die Prüfung vorbereitet hat. Zum anderen ist die immer weiter verbesserte kontinuierliche Qualitätssicherung in Paderborn ein integrativer Bestandteil des Selbstverständnisses als additiver Fertiger.

Durch die Zertifizierung minimiert Blue Production die Risiken neuer Technologien und sichert seine Investitionen ab. Andererseits profitieren Einkäufer von mehr Sicherheit und Vertrauen in die Qualität der Produkte, was nicht zuletzt die Zahl der nötigen Lieferantenaudits senkt. Auch hebt sich das Unternehmen durch den Nachweis im Markt von Wettbewerbern ab.

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