„Am Anfang wussten wir nichts“, sagt Herbert Göweil, frei von jeglichem Pathos. Damit nennt der Familienunternehmer sein vielleicht wichtigstes Erfolgsgeheimnis. Der Plan muss sich entwickeln, immer wieder revidiert und überholt werden. Nur dann kann er zu einem Optimum führen – und nichts weniger soll das neue Werk in Rainbach erfüllen, wenige Kilometer vom Firmensitz Kirchschlag bei Linz entfernt.
Wobei „wussten wir nichts“ so nicht stimmt. Für ihn stand von Anfang an fest, dass das Lackieren direkt in die Montage münden sollte, ohne Puffer. Alles andere ließ er offen. Und natürlich sollte die neue Anlage alle Effizienz-Potenziale nutzen, die moderne Strahl- und Lackiertechnik bietet.
Herbert Göweil hat Erfahrungen mit Entwicklungen von Null auf. 1988 begann er mit dem Bauen von Landmaschinen „in einer Garage“. Heute machen seine 300 Mitarbeiter einen Umsatz von über 50 Mio. Euro, unter anderem ist Göweil Maschinenbau an einem tschechischen Zulieferer beteiligt. Die Landmaschinen sind für den Dauereinsatz konzipiert und bedienen das obere Segment. „Eine Landmaschine, die 24 Stunden steht, gibt’s bei uns nicht“, sagt Göweil.
Rundballenpressen gehen in alle Welt
Wo immer Rundballen aus Heu und Silage auf Wiesen gehäuft auftauchen, könnten Rundballenpressen aus Oberösterreich dahinterstecken. Zu rund 20 % gehen die Maschinen an Empfänger außerhalb der EU. Große Nachfrage gibt es beispielsweise aus Algerien und China. Vor allem Rundballenpressen für Mais haben sich als wichtiges Standbein entwickelt.
Da die Maschinen spätestens bis zum Erntestart in den verschiedenen Ländern ausgeliefert sein müssen, darf in der Produktion nichts dazwischenkommen, sie muss rattern. Von der Lackiererei verlangt dies, dass sie mit hoher Teilevielfalt klarkommt. „Wir lackieren Tausende unterschiedlicher Komponenten von der Haltekonsole bis zum Grundrahmen. Und davon viele individualisiert“, sagt Alfred Gschwandtner, Leiter der Lackiererei. Die Teile wiegen zwischen 100 g und 2 t. Vor dem Lackieren müssen etwa 95 % gestrahlt werden. Farbwechsel zwischen Blau, Gelb und Schwarz steigern die Komplexität noch.
Das Ziel: Aus der Lackierung in die Montage
Der Landmaschinenbauer wächst seit Jahren. Schon 1995 entstand die Idee, das Sandstrahlen und Lackieren in ein eigenes Werk auszulagern und damit die Intralogistik zu entflechten. Nach sechs Erweiterungen wurde es am Stammsitz in Kirchschlag definitiv zu eng. Die Vision von Herbert Göweil: Die Lackierung direkt in die Montage münden zu lassen, ohne Puffer. „Das gibt es bisher nicht in der Branche und konnte sich auch bei uns niemand vorstellen.“
Seine Vision führte dazu, dass das neue Werk „von hinten her“ geplant wurde: Zuerst die Transportwege und -technik, dann das Lackieren und Strahlen mit allen Vor- und Zwischenprozessen und zuletzt die Halle als umgebende „Hülle“. So erklärt sich, dass die Fördertechnik in der Planung zeitlich mehr Raum einnahm als die eigentlichen Prozesstechnologien, das Strahlen und Lackieren auf neuestem Stand. Dafür brauchte Göweil die richtigen Partner.
Obwohl die Strahlanlage beim „Rückwärtsplanen“ nicht an erster Stelle stand, hing doch Entscheidendes von ihr ab. „Wir waren fast von Anfang mit dabei“, sagt Andreas Sterthaus, Head of Sales bei Agtos, dem Spezialisten für Schleuderrad-Strahltechnik aus Emsdetten. „Für die Auslegung der Anlage maßgeblich sind die Werkstückabmessungen und die Anforderungen an die Oberfläche.“
Tonnenschwerer Rahmen ist größtes Bauteil
Bei Göweil war das größte zu behandelnde Bauteil anlagenbestimmend: Der Grundrahmen einer Maisballenpresse ist 7 m lang und 2 t schwer. Laut Pflichtenheft sollte die Durchlaufgeschwindigkeit standardmäßig bei 1 m/min liegen und sich bis auf 3 m/min steigern lassen – ein ambitionierter Wert. Agtos konzipierte dafür eine Durchlaufhängebahn-Strahlanlage mit 2,5 m Öffnung in Höhe und Breite (passend für die größten Bauteile) und 16 Hochleistungsturbinen. Sie sind so angeordnet, dass jede denkbare Göweil-Maschinenkomponente rundum gut gestrahlt werden kann. Zunächst wichtig für die Planung: Die Strahlkabine erfordert eine Länge von 19 m (2 x 7 m für den Durchlauf des längsten Teils plus 5 m) und etwa 3 m Breite.
Nächster Schritt: Mit dem Lackieranlagen-Spezialisten Rippert einigte sich Göweil auf das Fördern der Teile durch Reibräder statt mit Kettenantrieb. Die Vorteile: Reibrad-Fördertechnik braucht weniger Wartung und macht viel flexibler. Teile lassen sich vor- und zurücktransportieren, auf Abstellplätzen parken und auf demselben Warenträger bis in die Montage hinein fördern.
Zuvor viele Strahl- und Lackieranlagen gesichtet
Von dieser Gestaltungsfreiheit ließen sich Herbert Göweil und sein Team inspirieren: „Wir haben uns viel angeschaut und bei jeder Anlage etwas Neues entdeckt.“ Schritt für Schritt entstand ein Fabriklayout, das immer wieder überarbeitet und optimiert wurde. Heute pilgern Besucher nach Rainbach, um sich von dort Anregungen zu holen. So hat Göweil bereits Möglichkeiten mit angedacht, um die Anlage später erweitern zu können. Zu diesen Optionen gehört ein zweites Transportsystem auf halber Höhe und eine zusätzliche Roboter-Lackierkabine, für die Platz freigehalten wird.
Als der Familienbetrieb das neue Werk am Tag der offenen Tür im Oktober 2022 vorstellte, konnte sich das Ergebnis sehen lassen: Die Warenträger der Durchlaufhängebahn werden manuell mit vordefinierten Paketen von Teilen bestückt. „Von jetzt ab läuft alles automatisch bis in den Zielbahnhof hinein“, erklärt Lackiererei-Meister Gschwandtner. „Jeder Warenträger hat einen Datensatz mit dem Rezept für den gesamten Prozess bei sich.“
Im Vergleich zu früher ein riesiger Fortschritt:
- Alle Teile durchlaufen den Gesamtprozess vollautomatisch inline.
- Umhängen ist nicht mehr nötig.
- Selbst große Teile wie Rahmen müssen nicht mehr manuell gestrahlt werden. Die Strahlzeit sinkt auf einen Bruchteil.
- Montage-Mitarbeiter nehmen fertiglackierte Teile vorkonfektioniert in Empfang – ohne Zeitverzug, Zwischenlagerung und mit weniger Fehlerquellen.
Ein Optimum? Norbert Schmeller von Lackieranlagenhersteller Rippert hat den initialen Entwurf des Fabriklayouts noch im Kopf, Jahre alt. „Mit der heutigen Version hat er nicht mehr viel zu tun“, sagt der Projektingenieur. „Aber das ist wichtig im Anlagenbau: Wir haben ein formbares Produkt, kennen die Möglichkeiten und fordern die Kreativität des Kunden heraus. So drehen wir Projektrunden bis zum Optimum – und meist macht das beiden Seiten viel Spaß.“
Strahlmittel muss stetig erneuert werden
Schmeller spricht für Anlagenbauer Rippert, hier aber auch für Agtos. Dass am Ende doch die Prozesstechnik entscheidend ist, enthüllt ein Detail. Alfred Gschwandtner und Andreas Sterthaus beobachten konzentriert die „Windsichtung“, oben auf dem Dach der Strahlkabine: Strahlmittel rieselt herunter – die Anordnung sieht aus wie ein Wasservorhang im Wellnessbad. Von hinten saugt Vakuum die verschlissenen leichten Körner ab, ein Sieb filtert die zu großen aus – für den Ungeschulten nicht wahrnehmbar. Gibt es hier Unregelmäßigkeiten? Die Zusammensetzung muss genau stimmen, alles andere wäre fatal. „Wir inspizieren die Anlage regelmäßig, aber auch der Betreiber selbst ist gefordert“, sagt Andreas Sterthaus von Agtos.
Die Hochleistungsturbinen entfalten eine enorme Dynamik. Mit dem Durchsatz von bis zu 250 kg Strahlmittel pro Minute haben sie eine geradezu zerstörerische Gewalt, die effizient reinigt. Die greift auch die Turbinenteile selbst an. Wird die Anlage nicht akribisch gewartet, kann dies vom Verschleiß bis zum Totalausfall von Komponenten führen.
Wichtig: Verschleißentwicklung protokollieren
Zwar hat Agtos rundes Strahlmittel empfohlen, doch der höheren Wirkung wegen hat sich Göweil für kantige Körner entschieden. Lackiererei-Meister Gschwandtner kennt diese Zusammenhänge. Er setzt darum einen weiteren, bewährten Agtos-Tipp um: „Wir verfolgen die Verschleißentwicklung genau mit Fotos.“ Bei außergewöhnlichen Abweichungen muss dann schnell gegengesteuert werden.
An anderer Stelle sind es Schmeller und Sterthaus, die die Köpfe zusammenstecken. Sie verfallen schon mal ins Fachsimpeln, wie sich die Anlage ausbauen ließe, wenn der Kunde dies eines Tages wollte. Und wie das bei laufendem Betrieb möglich wäre. Bei Herbert Göweil kommt so etwas gut an. „Für mich spielt der Service eine große Rolle“, sagt der Firmenchef. „Eins vom Wichtigsten sind erreichbare Ansprechpartner. Stillstandszeiten können wir uns nicht leisten.“
Planung des neuen Werks als Fulltime-Job
Verlässliche Projektpartner sind ein Erfolgsfaktor. Ein anderer ist das eigene Team von Göweil. Um das neue Werk kümmerte sich eine Handvoll Mitarbeiter inklusive Chef und Meister. Die Gesamtabwicklung lag in den Händen von Mathias Kapfer. Nach seiner Lehre im Unternehmen hatte der Maschinenbautechniker verschiedenste Abteilungen durchlaufen und wurde von Herbert Göweil mit dem Gesamtprojekt betraut – inklusive Hallenbau und Absprachen mit der Kommune. „Ich habe mich in sämtliche Bereiche eingearbeitet“, so Kapfer.
Das neue Werk sieht Kapfer als vollen Erfolg: „Der Prozess läuft zu 90 Prozent automatisiert. Und wir bekommen jetzt auch unsere großen Bauteile durch die Strahlanlage – da bleibt nur noch sehr wenig manuelle Arbeit.“ Heute ist er übrigens Betriebsleiter in Rainbach – und „per Du“ mit dem Chef.
„Wir haben jetzt eine optimal integrierte Anlage“
Was war denn die Grundidee für die neue Durchlaufhängebahn-Strahlanlage in Rainbach?
Herbert Göweil: Unser Ziel für das neue Werk war, die Teile aufzuhängen, durch die ganze Anlage ohne Umhängen zu fahren und auch die großen Rahmen automatisch zu strahlen.
Wie war es davor?
Göweil: Wir haben die Teile öfter mal repariert zwischendurch und dann alle mit der Hängebahnanlage gestrahlt. Die größeren Rahmen haben wir händisch strahlen lassen. Das war natürlich sehr zeitaufwändig.
Und heute?
Mathias Kapfer: Wir bekommen in Rainbach unser größtes Bauteil durch die Anlage, was auch der größte Vorteil ist. Bei dieser Anlage können wir bis zu sieben Meter lange Bauteile mit einem Querschnitt von 2,5 mal 2,5 Meter durchschleusen – da ist nicht mehr viel manuell zu tun.
Gibt es Vorteile auch im Prozess?
Kapfer: Speziell die Durchlaufzeit ist bei der vollautomatisierten Anlage enorm. Bei den großen Grundrahmen lag früher die manuelle Strahlzeit bei einer Dreiviertelstunde. Hier in Rainbach brauchen wir zehn Minuten.
Was hat den Ausschlag für Agtos als Partner gegeben?
Göweil: Man schaut sich am Anfang immer verschiedene Anbieter an und muss irgendwann mit einer Firma in die Details gehen. Da hat Agtos ganz gute Arbeit geleistet und hat somit den Zuschlag erhalten.
Haben sich die Erwartungen an das neue Konzept denn erfüllt?
Kapfer: Die Herausforderungen für so eine Anlage waren natürlich groß. Doch das Ganze hat sich nach einem Jahr Betrieb als sehr gut dargestellt. Es war die richtige Entscheidung, dass wir mit Agtos zusammengearbeitet haben und würden es wieder tun. (os)