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Vor 50 Jahren machten smarte Programmcodes den Trip zum Mond erst möglich

Raumfahrt
Smarte Programmcodes machten den Trip zum Mond erst möglich

Während des Flugs zum Mond gab es neben den testosterongesteuerten Astronauten noch einen weiteren Helden an Bord: den Computer. Eine junge Mathematikerin schrieb damals die elegante Software, ohne die es die Mondlandung nicht gegeben hätte.

❧ Uwe Böttger

Die Mondlandung war eine beispiellose Technik-Show. Die Entwickler von damals waren ihrer Zeit um Jahrzehnte voraus. Und sie haben viel riskiert. Die Trägerrakete Saturn 5, mit denen die Astronauten zuerst in die Umlaufbahn und dann zum Mond geschossen wurden, bestand aus 10 Mio. Einzelteilen, die alle zusammen als Einheit funktionieren mussten. Dank einer überragenden Qualitätssicherung konnten die Ingenieure die Funktionstüchtigkeit des Raumfahrzeugs zu 99,9999 % garantieren. Die vier Neunen hinter dem Komma bedeuten im Klartext, dass während der Reise zum Mond und zurück theoretisch maximal zehn Komponenten ausfallen konnten. Das sind aber immer noch zehn mögliche Desaster.

Doch abseits von Triebwerken und Schleudersitzen spielte die Software eine zentrale Rolle während der Mond-Mission. Im Juli 2016 wurde der komplette Sourcecode der Apollo-Software auf Github veröffentlicht, einem Forum für Programmierer im Internet. Die ohnehin schon spannende Story rund um die Mondlandung wurde damit um ein faszinierendes Kapitel erweitert. Im Silicon Valley ist der Held von damals nicht der abgebrühte Neil Armstrong, der als erster Mensch seinen Fuß auf den Mond setzte, sondern eine zierliche Frau. Margaret Hamilton war damals als junge Mathematikerin am Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Boston die treibende Kraft hinter dem Mondlande-Code. Im November 2016 verlieh ihr Barack Obama dafür, mit reichlich Verspätung, die Freiheitsmedaille des Präsidenten. Sie ist neben der gleichrangigen goldenen Ehrenmedaille des Kongresses eine der beiden höchsten, zivilen Auszeichnungen, die Amerika zu bieten hat.

Die Mondlandung hat viele Aspekte. Die Geschichte ist deshalb in Kapitel unterteilt. Wir steigen ein mit einer Zeitreise in die späten 60er Jahre. Was war da eigentlich los im Juli 1969 auf Amerikas Raketenbahnhof, dem Kennedy Space Center? Wir schauen uns den Start der Saturn einmal genauer an und bekommen ein Gefühl dafür, welche infernalischen Kräfte dabei gewirkt haben. Denn so smooth wie Commander McLane mit seinem schnellen Raumkreuzer Orion in der Kultserie „Raumpatrouille“ kommt man in Wirklichkeit nicht von der Erde weg. Und wir würdigen die Leistung von Margaret Hamilton, die mit ihren Programmen die Mondlandung erst möglich machte.

Die Stimmung

In der Morgendämmerung des 16. Juli 1969 pflügte der Flugzeugträger „Hornet“ durch die Wellen der Südsee. Der Veteran der amerikanischen Seestreitmacht war die Auffangstation für den Fall, dass die Mission Apollo 11 aus technischen Gründen vorzeitig abgebrochen werden müsste. Zur gleichen Zeit wurden am Kennedy Space Center 500 Wachmänner abgelöst. Sie hatten in der Nacht die bläulich schimmernde Saturn-Rakete auf dem Startkomplex 39-A gegen Unbefugte abgeschirmt. Über der Sumpflandschaft rings um die Startrampe kreisten Helikopter und verscheuchten mit ihrem Lärm die Reiher und Pelikane aus der Gefahrenzone.

Drinnen, im Flugkontrollzentrum Cape Kennedy, überwachten rund 470 Ingenieure den Countdown. Unter ihnen auch Theo Kamecke, der damals die Filmaufnahmen über den Start leitete. Er kannte die Redewendung vom Geruch der Angst seit Kindertagen, begriff sie aber hier zum ersten Mal. „Es war kein Körpergeruch, es war die Angst“, so der 2017 verstorbene Regisseur. „Jeder einzelne hatte eine Heidenangst, dass ausgerechnet sein Regler, sein Ventil versagen könnte.“

Trotzdem musste Startdirektor Rocco A. Petrone in dieser angespannten Phase nur einmal alarmiert werden. Er ließ sein Rührei-Frühstück in der Kantine stehen und sah gerade noch die letzten Handgriffe der Techniker, die ein Leck in der Treibstoffzuleitung für die dritte Raketenstufe bereits geflickt hatten. Alle Mitarbeiter standen unter Strom. Jeder wusste, dass dies der große Flug ist, auf den alle jahrelang hingearbeitet hatten, dass jeder Handgriff sitzen musste.

Draußen auf dem Cape war die Hölle los, eine Mischung aus Volksfest, Camping und Rock am Ring. Am Vorabend des Starts gab es im Umkreis von 80 km rund um Cape Canaveral kein einziges freies Hotelzimmer mehr. Also noch schlimmer als in Hannover zu den besten Cebit-Zeiten. Eine Million Menschen waren angereist, ein zusammengewürfelter Haufen von Diplomaten, Politikern, Filmstars, Freaks und privaten Touristen, davon 375 aus Europa. Im Pressezentrum hatten sich 3000 Journalisten akkreditiert. Und in den Bars von Cocoa Beach wurden Lift-off-Martinis, Apollo-Cocktails und Mondlande-Drinks serviert.

Der Stau rund um das Start-Areal war 15 km lang und verteilte sich auf vier Spuren. Insgesamt zählte die Polizei 300.000 Autos. Es war das größte Verkehrschaos in der Geschichte des Bundesstaates Florida. Und nicht zu vergessen die 1200 Propellermaschinen und 200 Düsenjets der VIPs und der High Society. Auf dem Banana-River drängelten sich 5000 Schiffe mit Schaulustigen. Die Palette reichte vom Vergnügungsdampfer über Fünf-Millionen-Dollar-Jachten bis zum Faltboot. Ein Zuschauer kam zu Fuß von weit her. Der australische Marathonläufer Bill Emmerton war vier Wochen zuvor in Houston gestartet, um rechtzeitig zum Start von Apollo 11 einzutreffen. Während der 1670 km verlor er 6 kg. Sein Fazit: Nie wieder!

Der Start

Der Start der Trägerrakete war ein Medienereignis, wie es die Welt bis dahin nicht erlebt hatte. 528 Mio. Menschen haben das Spektakel live im Fernsehen verfolgt. Aus heutiger Sicht nichts Besonderes, aber in der damaligen Zeit zu Beginn der Massenkommunikation eine irrwitzige Zahl. Für die Zuschauer vor Ort am Rande der Lagunenlandschaft in Florida war es eher ein Naturereignis, so etwas wie ein Vulkanausbruch. Der Sicherheitsabstand zur Startrampe betrug 5500 m. Falls das Geschoss beim Start explodieren sollte, konnten sie hier nicht mehr von Trümmerteilen getroffen werden.

Am 16. Juli 1969 um 9:32 Uhr Ortszeit schossen zwei gigantische Hörner aus orangegelbem Feuer aus den Triebwerken der Saturn. Rakete und Startturm waren augenblicklich in eine grauweiße Wolke gehüllt, in deren Zentrum eine Höllenglut strahlte. Auf der Spitze dieses Infernos lagen die drei Astronauten Neil Armstrong, Buzz Aldrin und Michael Collins im kegelförmigen Kommandomodul auf dem Rücken. Die fünf Triebwerke der ersten Stufe bauten den nötigen Schub auf, um das 111 m hohe und 2900 t schwere Monster vom Boden zu heben. Fast 90 % von diesem immensen Startgewicht, nämlich 2550 t, waren nichts als Treibstoff. Das Gemisch aus Kerosin und flüssigem Sauerstoff hatte beim Betanken eine Eisschicht auf der Außenhaut der Saturn gebildet, die jetzt nach der Zündung durch die starken Vibrationen abgeschüttelt wurde. Turbopumpen mit einer Leistung von 60.000 PS jagten in jeder Sekunde 15 t Treibstoff durch die Triebwerke. Es entstand eine Druckwelle, der sich die Zuschauer entgegenstemmen mussten, um nicht umzufallen. Die Erschütterungen des Bodens ließen selbst im fernen New York noch die Erdbebenwarten erzittern.

Als der Schub größer wurde als das Gewicht der Rakete, fesselten vier gigantische, stählerne Haltearme das Geschoss noch für ein paar Sekunden an die Rampe. In zahllosen Versuchen waren die Ingenieure zum Schluss gekommen, die Saturn so lange am Boden zu halten, bis die Antriebskraft rund 500 t größer war als ihr Gewicht. Das war ein reiner Erfahrungswert, der nichts mit physikalischen Gesetzen zu tun hatte. Bei einem Schub von ungefähr 3400 t gaben die vier Arme ihren Tausend-Tonnen-Würgegriff in einem winzigen Zeitfenster von 0,05 s frei. Und zwar exakt gleichzeitig, damit das Geschoss nicht seitlich ausbricht. Ohne die Haltearme hätte sich die Rakete langsam vom Boden gelöst und wäre beim geringsten Schubverlust auf die Rampe zurückgesackt und zusammengebrochen. Dieses Risiko war zu groß.

Jetzt klettere die Rakete an den Stockwerken des Startturms hoch und stieg auf ihrem Flammenfuß vorbei an zurückfliegenden Brücken und Kabeln. Um vom Startturm sicher loszukommen, wurde in der ersten Sekunde des Flugs ein zuvor programmiertes Schwenkmanöver eingeleitet. Die Saturn neigte ihre Spitze ein paar Grad zur Seite, weg vom Turm. Für die Zuschauer sah das aus wie ein unschlüssiges Taumeln. Nach 12 s, das Heck der Saturn passierte gerade die Turmspitze, wurden die Triebwerke minimal geschwenkt und eine seitliche Neigung der Flugbahn eingeleitet.

Die jetzt einsetzende Beschleunigung war mörderisch. Nach 63 s durchbrach die Rakete in 12 km Höhe die Schallmauer. Weitere 12 s später erreichte der Luftwiderstand seinen maximalen Wert. Danach hatte die Saturn auch schon die schwersten strukturellen Belastungen hinter sich und stieg jetzt nicht mehr senkrecht nach oben, sondern entfernte sich in einem Winkel von 25 Grad zur Horizontalen von der Erdoberfläche. In dieser Phase wurden die Astronauten mit fast dem vierfachen Körpergewicht in die Sitze gepresst. Ein hässlicher Druck schmerzte in ihren Augen. Mit der Bodenstation wurde nur das nötigste gesprochen, weil ihnen die Beschleunigung wie ein Bleigewicht auf der Zunge lag. Aber derlei Belastungen kannten sie von den Tests in der Humanzentrifuge. Der Lärm der Raketentriebwerke, für die Zuschauer wie der Auftakt zur Apokalypse, war während der ganzen Zeit im abgeschlossenen Raum der Kommandokapsel nicht lauter als ein fernes Donnerrollen.

Auf der Erde verkündete derweil die Stimme des Informationsdienstes der Nasa über Lautsprecher die ersten Daten kurz nach dem Start: Nach 160 s Flugzeit hatte sich die Rakete 112 km von der Startrampe entfernt und eine Höhe von 69 km erreicht. Ihre Geschwindigkeit betrug 10.000 km/h. Die 2000 t Treibstoff der ersten Stufe waren verbraucht und sie wurde abgetrennt. Es folgte die Zündung der zweiten Stufe, die nach knapp 4 min ebenfalls leer war und durch Sprengbolzen abgestoßen wurde. Die drei Astronauten rasten jetzt mit 24.000 km/h über die kanarischen Inseln. Sie hatten mit einer Höhe von 185 km die sogenannte Parkumlaufbahn erreicht. Schließlich wurde die dritte und letzte Stufe gezündet und beschleunigte die Saturn 5 – beziehungsweise das, was davon noch übrig war – auf 28.000 km/h. Bei dieser Geschwindigkeit konnte das Raumschiff nicht mehr auf die Erde zurückstürzen. Das Triebwerk wurde abgeschaltet. Nach einer eineinhalbfachen Erdumrundung startete die dritte Stufe ein zweites Mal, um Apollo Richtung Mond zu schießen. Während der fünfminütigen Brenndauer erreichte die Rakete 39.000 km/h und war jetzt zwölfmal schneller als eine Gewehrkugel – genug, um sich von der Schwerkraft der Erde loszureißen.

Der Flug

Während der ersten zwölf Minuten nach dem Start gab es für die Astronauten nichts zu tun. Das Zünden und Abschalten der Triebwerke war ein vollautomatisierter Ablauf. Die Männer mussten nicht einen Schalter berühren, sondern lediglich die Instrumente beobachten und darauf achten, ob sich nicht irgendwo die ersten Anzeichen einer Störung in einem der Systeme oder Subsysteme ankündigte.

Die Flug zum Mond verlief ruhig. Es war die wortkargste Crew, die Amerika je entsandt hatte. Neil Armstrong war so schweigsam, dass Mission Control sich einmal erkundigte, ob er noch an Bord sei. Der Witz blieb ohne Reaktion.

Die gefürchtete Raumkrankheit und die damit verbundene Sauerei blieb den Männern erspart. Die Besatzung von Apollo 8, die an Heiligabend 1968 erstmals den Mond umkreiste, traf es hart. Kommandant Frank Borman wurde sein klassisches Astronauten-Frühstück (Steak und Eier) wieder los und er hatte zudem Durchfall. Kot und Erbrochenes schwebte den Raumfahrern in der Schwerelosigkeit um die Ohren. Um dem Gestank zu entgehen, legten sie sich Sauerstoffmasken an, die eigentlich nur für den Brandfall vorgesehen waren.

Unterwegs setzen die Astronauten fast nur Botschaften in Techniker-Chinesisch an die Bodenstationen ab, Kaskaden von Chiffren und Zahlen. Nach neun Stunden Flugzeit aktivierte Collins den sogenannten Grillmodus. Das Raumschiff drehte sich jetzt langsam um die eigene Achse wie ein Hähnchen am Spieß. Dadurch wurde verhindert, dass die Sonnenstrahlen eine Seite übermäßig erhitzen. Drei Umdrehungen pro Stunde ließen es in der Kabine in kurzen Abständen scheinbar Tag und Nacht werden. Daran mussten sich die Männer erst gewöhnen.

Wenn sie nicht schliefen, prüften die Astronauten die Bordsysteme, übten sich in Himmelsnavigation oder studierten noch einmal die 97 Mond-Karten, in denen noch Felsbrocken von einem Meter Durchmesser eingezeichnet waren. In den Unterlagen war auch der Landeanflug dokumentiert, vorbei am Mondkrater „Moltke“ und den scharfkantigen Rändern der Zwillingskrater „Sabine F“ und „Sabine D“. So jedenfalls der Plan.

Apollo 11 war durch die letzte Zündung auf die sogenannte Fluchtgeschwindigkeit von rund 11 km/s beschleunigt worden. Diese Bewegungsenergie braucht jeder Körper, um dem Schwerefeld der Erde zu entkommen. Auf dem Weg zum Mond wurde das Raumschiff immer langsamer, weil die Erdanziehung weiterhin an ihm zog – auch wenn die Kraft immer schwächer wurde. Als die Kapsel in das Schwerefeld des Mondes eintauchte, war von dem ursprünglichen Tempo nicht mehr viel übrig, aber immerhin noch 800 m/s. Die Computer rechneten fleißig und machten diesen Übergang mit. Von nun an zog die Schwerkraft des Mondes Apollo 11 immer näher an sich heran. Draußen vor der Luke zeigte der Erdtrabant sein raues Fell, eine Haut aus Kratern über Kratern. Die Oberfläche sah aus wie ein blasenschlagender Pfannkuchen in der heißen Pfanne. Armstrong und Aldrin stiegen um in die Landefähre Eagle und koppelten sich vom Mutterschiff Columbia ab, mit der Collins weiter den Mond in einer Warteschleife umkreiste. Der Abstieg begann.

Die Landung

Die Landefähre Eagle war eine Rumpelkammer. Sie bot pro Person etwa so viel Platz wie eine Telefonzelle. Armstrong schaute durch das Dreieckfenster hinunter und suchte nach Landemarken, die er sich bei unzähligen Tests im Simulator eingeprägt hatte. Aldrin saß am Computer und las seinem Kollegen die Messdaten vor. Die Triebwerke fauchten, während die Landefähre einige Minuten lang abgebremst wurde. Im Hintergrund rödelte der Bordcomputer, synchronisierte die Daten der vorab geplanten mit der tatsächlichen Flugbahn und verarbeitete pausenlos Höhe, Geschwindigkeit und Flugrichtung – und das mit der Rechenleistung einer modernen Waschmaschine. Rund 200 km vor der geplanten Landestelle drehte Armstrong die Eagle, sodass die Antenne des sogenannten Rendezvous-Radars jetzt zur Mondoberfläche hin ausgerichtet war. Plötzlich flackerte ein rotes Warnlicht auf und der Rechner signalisierte einen Fehlercode mit der Nummer 1202.

Keiner wusste, was los war. Auch nicht die Techniker auf der Erde. Erst später stellte sich heraus, dass die Astronauten vergessen hatten, im Landemodul das Radar auszuschalten, das zuvor das Abdocken vom Mutterschiff überwacht hatte. Jetzt gab der zerklüftete Mondboden dem Radar und damit dem Bordcomputer einfach zu viel zum Rechnen. Die Techniker in Houston hatten 15 s Zeit zu entscheiden, ob die Landung fortgesetzt oder abgebrochen werden sollte. Steve Bales, ein junger Raumfahrt-Ingenieur, schätzte die Lage richtig ein. Er gab noch vor Ablauf der Frist, die eigentlich keine war, das Go für die Landung und wurde so zum Hidden Champion der Apollo-Mission schlechthin.

Aber nach dem Problem ist vor dem Problem. Kleinere Kursabweichungen führten dazu, dass die Mondfähre auf einen 30 m breiten und 4 m tiefen Einschlagskrater zuflog, der übersäht war mit Felsbrocken, so groß wie ein Auto. Hier zu landen war ausgeschlossen. Kurzerhand übernahm Armstrong teilweise die Steuerung und dirigierte das Vehikel weiter auf eine flache Ebene zu, während der Computer im Hintergrund weiterrechnete und ihn bei seinen Kurskorrekturen unterstützte. Mit dem letzten Tropfen Sprit, der für die Landung vorgesehen war, setzte Armstrong die Eagle sanft in den pudrigen Mondstaub. Sein Puls erreichte in dieser Phase 156 Schläge in der Minute, der höchste Wert während der ganzen Reise. Nicht gerade viel dafür, dass er um sein Leben gekämpft hatte.

Die Software

Was sich da vor 50 Jahren an Bord der Landefähre abspielte, ist in unseren Tagen aktueller denn je. Denn wer heute ein Smartphone in der Tasche hat, sich in ein selbstfahrendes Auto setzt oder generell mit Automatisierungstechnik zu tun hat, ringt mit ähnlichen Fragen wie damals die Astronauten: Was macht der Mensch und was macht die Maschine? Bei welchen Aufgaben kann der Mensch seine intuitiven Fähigkeiten einbringen und was kann er getrost dem Roboter überlassen? Armstrong war klar, dass er auf keiner Geröllhalde aufsetzen konnte und steuerte deswegen die Landefähre mit Hilfe der Software ein paar hundert Meter weiter. Mit dem Computer allein wäre es eine Bruchlandung geworden, ohne Computer aber auch. Die Mondlandung ist die Mutter aller Beispiele für die Zusammenarbeit von Mensch und Maschine.

Vor diesem Hintergrund wird die Steuersoftware der Mondlandefähre derzeit neu entdeckt. Das liegt auch daran, dass ein ehemaliger Nasa-Praktikant den kompletten Code im Internet veröffentlichte, 40.000 Programmzeilen, die nie so richtig wahrgenommen wurden. Auf den Seiten des Programmierer-Forums Github steht die Software, die bisher nur Eingeweihten bekannt war, nun im Rampenlicht der Netzöffentlichkeit. Programmierfreaks aus aller Welt studieren die Prozeduren, lesen zwischen den Zeilen und überbieten sich mit tiefsinnigen Interpretationen. Für sie ist der wahre Held der Apollo-Mission eine Frau: Margaret Hamilton.

Hamilton schrieb ihre Programme in einer Zeit, in der Männer gelinde gesagt dominant waren und Software als Abtipp-Job für Sekretärinnen einstuften. Ein paar ganz harte Space Cowboys hielten den Computerkram sowieso für überflüssig und klopften Sprüche, die vor Macho-Gehabe nur so triften: Wenn wir erst mal da oben sind, knipsen wir die Kiste sowieso aus!

Nachdem Hamilton 1958 am Earlham College in Richmond, Indiana, einen BA in Mathematik erlangte, zog sie mit ihrem Mann nach Boston. Der besuchte dort die Harvard Law School, während sie am Massachusetts Institute of Technology (MIT) eine Stelle als Programmiererin bekam. Damals waren Computer so groß, dass sie ganze Räume füllten und die Programmierung steckte noch in den Kinderschuhen. „Als ich anfing, wusste niemand, was wir machen“, sagt Hamilton. „Es gab keine Kurse, niemand unterrichtete dieses Fach, es war wie der Wilde Westen.“

Als die Nasa den Auftrag für das Design der Lenk- und Navigationssysteme von Weltraumfahrzeugen an das MIT vergab, leitete Hamilton bereits die Gruppe für Flugsoftware. Zu ihren Aufgaben gehörte auch die Entwicklung eines Alarmsystems, das Flugteams warnen sollte, falls der Rechner bei der Priorisierung von Aufgaben überfordert war. Genau diese Funktion schlug Alarm, als Armstrong nach einem Landeplatz suchte.

Hamilton entwickelte damals ein Konzept für sogenannte asynchrone Software und legte damit die Basis für ein extrem zuverlässiges Software-Design. Während herkömmliche Programme meist nur stur Rechenaufgaben abarbeiteten, konnte das Mondlandeprogramm unterscheiden, welche Prozesse gerade wichtig waren und welche warten konnten. Der Apollo-Code beobachtete sich sozusagen selbst und das schmeckte vielen Technikern überhaupt nicht. Denn wurde damit dem Computer nicht die Fähigkeit zugeschrieben, unvorhersehbare Situationen sozusagen mit gesundem Menschenverstand einzuschätzen und flexibel darauf zu reagieren? Genau so war es. Übrigens: Heute würde man Hamiltons Programmzeilen sofort unter der Rubrik „Künstliche Intelligenz“ einsortieren. Ist doch klar.

Damals gab es allerdings noch nicht mal einen Namen für das, was Hamilton und ihr Team taten. Der Begriff Software tauchte in keinem Budget auf. Sie nannte ihre Arbeit „Software Engineering“ und wurde dafür verlacht. „Als ich anfing, diesen Begriff zu verwenden, wurde das als amüsant abgetan“, erzählt die heute 82-Jährige. Aber ihr Begriff setzte sich durch. Software Engineering ist heute eine wissenschaftliche Disziplin, die sich mit der Entwicklung, dem Einsatz und der Wartung von Software befasst. Rückblickend wirkt die Mondlandung wie der Urknall der Softwareindustrie.

Virtual Reality

Wer sich heute auf der Hannover Messe eine Virtual-Reality-Brille aufsetzt, um durch eine digitale Fertigung zu tapsen, der steht in den Schuhen von Neil Armstrong. Den Begriff gab es damals noch nicht, aber die Wurzeln der virtuellen Realität sind in den 60er-Jahren bei der Nasa zu finden. Die Mondlandung war einfach zu komplex, um sie sich vorstellen zu können. Also half man sich mit aufwendigen Attrappen, mit einer Art hybridem Technik-Theater.

Das Landemodul wurde nachgebaut mit allen Schaltern, Knöpfen und Anzeigen, inklusive dem Dröhnen der Triebwerke und einem abgesenkten Luftdruck. Vor den Fenstern wurden Videos der Mondoberfläche eingeblendet, die Apollo 8 mitgebracht hatte Und sogar der Funkverkehr mit dem Kontrollzentrum in Houston war künstlich verzögert, um die Distanz zwischen Erde und Mond zu simulieren. Mit einer Mischung aus Computern, Kameras, Beleuchtungstechnik, Pappmaché und Holzkulissen holten die Ingenieure den Mond auf die Erde. Während des Trainings für Apollo 11 verbrachte Neil Armstrong 581 Stunden in verschiedenen Simulatoren. Eine elende Schinderei, aber notwendig, um sich überlebenswichtige Reflexe anzueignen.

Zwei Stunden auf dem Mond

Buzz Aldrin wäre gern die Nummer eins gewesen. In den Monaten vor dem Start hatte er deswegen regelmäßig Kollegen bearbeitet und damit nicht gerade neue Freunde gewonnen. Aber die Entscheidung stand längst fest. Armstrong war der Kommandant und sollte als erster den Mond betreten. Abgesehen davon schwenkte die Luke der Landefähre so nach innen, dass Aldrins Weg nach draußen blockiert war. Er konnte erst raus, nachdem Armstrong Platz gemacht hatte.

Und der ließ sich Zeit. Für die neun Stufen der Leiter brauchte er eine Viertelstunde. Beim Abstieg zog er an einem Griff und öffnete dadurch an der Seite der Landefähre eine Klappe, hinter der eine Fernsehkamera montiert war. Die lieferte die ersten, schemenhaften Bilder. Unten angekommen hielt er sich noch eine Weile an der Leiter fest und betrat dann mit dem linken Fuß als erster Mensch einen fremden Himmelskörper. Es folgte der Satz für die Geschichtsbücher, der mit dem kleinen Schritt und dem großen Sprung. „Es ist fremdartig, aber sehr schön hier draußen“, fügte er hinzu. Wenig später verließ Aldrin die Landefähre.

Mit zwei Stunden war die Zeit auf dem Mond knapp bemessen und deswegen straff durchgeplant. Auf der Manschette seines linken Handschuhs hatte Armstrong die Checkliste. Als erstes nahm er eine Probe vom Mond, um nicht mit leeren Händen zurückfliegen zu müssen, falls der Außeneinsatz vorzeitig abgebrochen werden sollte. Er füllte 1 kg feines Material und kleinere Gesteinsbrocken in eine Teflontüte und verstaute sie in eine Tasche am Oberschenkel.

In der Nähe der Eagle bauten die Männer ein Seismometer auf, das Signale von Mondbeben zur Erde übertragen sollte. Außerdem einen Laserreflektor, der wie die Leitpfosten am Straßenrand eingestrahltes Licht zurückwirft. Der Apparat wird bis heute von der Erde mit gepulsten Laserstrahlen ins Visier genommen und das reflektierte Signal wieder eingefangen. So lässt sich der Abstand des Mondes von der Erde auf den Millimeter genau messen. Und natürlich wurde die amerikanische Flagge gehisst. Den Mast rammte Aldrin mit einem Hammer in den harten Boden. Alles wurde von einer zweiten Kamera gefilmt, die Armstrong nachträglich aufgestellt hatte. Im Vordergrund hüpfende Gestalten, die zuweilen durchsichtig wirkten. Dahinter die Mondfähre, die aussah wie ein Betonmischer auf Stelzen.

Aldrin musste als erster wieder zurück an Bord. Mit einem lässigen „Adios Amigo“ schwang er sich auf die Leiter und wäre fast gestürzt, weil der Mondstaub an den Schuhen die Sprossen rutschig machte. Mit einer Art Flaschenzug wurden 22 kg Mondmaterial in die Landefähre gezogen. Als die beiden die Luke wieder geschlossen und Sauerstoff in die Kabine gelassen hatten, setzen sie ihre Helme ab und konnten das Mondgestein riechen. Wie feuchte Asche im Kamin, meinte Armstrong. Aldrin tendierte mehr zu Schießpulver.

Während der Vorbereitungen für den Rückflug stieß Aldrin auf ein ernstes Problem. Am Paneel 16 in der zweiten Reihe war der siebte Kippschalter von links abgebrochen – ausgerechnet der, mit dem die Aufstiegsstufe entsichert wurde, um den Mond wieder verlassen zu können. Vermutlich war einer der beiden Astronauten beim Verlassen der engen Landefähre mit dem Tornister dagegen gestoßen. Die beiden lösten ihre Rückfahrkarte mit einem Filzstift, mit dem sie ersatzweise den Schalter umlegten. Es funktionierte. Als sie abhoben, riss der Strahl des Triebwerks die Flagge um, die Aldrin so mühsam aufgestellt hatte.

Um Kapazitäten für das Mondgestein zu haben, hatten die Astronauten zuvor alles über Bord geworfen, was sie nicht mehr brauchten. Die Moonboots landeten ebenso im Mondstaub wie die Überschuhe und die Rucksäcke mit den Lebenserhaltungssystemen. Schaufeln, Hammer und Zangen zur Entnahme von Bodenproben blieben zurück. Nicht mal für die teuren Kameras inklusive der Objektive gab es Platz. Und schließlich liegen da noch zwei kleine und zwei große Urinbehälter auf dem Mond, gleich neben ein paar Säckchen fürs große Geschäft und vier Kotztüten. Ein kleiner aber feiner Müllhaufen für die Ewigkeit.

Falls das Mondmodul nicht wieder hätte starten können und die beiden auf dem Mond gestrandet wären, hatte Präsident Nixon eine Rede an die Nation in der Schublade – mehr noch, es gab schon ein fertiges Video für die Fernsehübertragung. „Die Helden wissen, dass es keine Chance auf ihre Rettung gibt, aber sie wissen auch, dass ihre Leistung der Menschheit Hoffnung macht.“ Das hätte Nixon gesagt. Beim Wettlauf zum Mond war Menschenleben mit einkalkuliert.

Aber der Motor sprang an, sie hoben ab und flogen nach Hause. Acht Tage nach dem Start in Florida landeten sie im Pazifik. An drei rotweiß gestreiften Fallschirmen hing ihre Kapsel.


Die Drei auf der Tankstelle

Während der Mondlandung war ich zwölf. Was ich damals nicht verstand: Warum kommt nur die winzige Spitze der riesigen Rakete zurück zur Erde? Berechtigte Frage. Die Antwort: Treibstoff. Der machte fast 90 % des Startgewichts der Saturn 5 aus. Die drei Astronauten saßen auf einer fliegenden Tankstelle. Man braucht eben jede Menge Sprit, um von der Erde wegzukommen. Und fast ebenso viel Glück, um wieder heil auf ihr zu landen…

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