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Strompreisentwicklung: Strom mit Gewinn abzugeben

Strompreisentwicklung
Strom mit Gewinn abzugeben

Trifft eine hohe Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien auf einen niedrigen Verbrauch, entstehen an der Strombörse niedrige oder negative Preise. Die Nachteile treffen Kraftwerksbetreiber, Endkunden und östliche Nachbarländer.

Stefan Schroeter
freier Energiejournalist in Leipzig

Am 29. Oktober 2017 fegte das Sturmtief Herwart durch Europa und trieb die Windstrom-Produktion an. In deutschen Fabriken ging es dagegen deutlich ruhiger zu: Am Sonntag vor einem Brückentag zu den beiden regional abweichenden Feiertagen am 31. Oktober und 1. November wurde nicht viel gearbeitet. Am frühen Morgen zwischen zwei und drei Uhr ging es vor allem darum, die Sommer- auf die Winterzeit umzustellen.

Dabei gab es in dieser Zeit auch eine Gelegenheit für Strom-Großkunden, viel Geld mit Stromverbrauch zu verdienen. Denn in dieser Stunde lag der Großhandelspreis an der Strombörse Epex Spot in Leipzig und Paris auf dem Jahrestief: minus 83 Euro je Megawattstunde. Wer sich diesen Preis sichern konnte, bekam also ziemlich viel Geld dafür, dass er Strom verbrauchte. Die Betreiber der konventionellen Kraftwerke, die ihre Anlagen nicht abschalten konnten, machten dagegen Verluste.

Das war an jenem Sonntag bis zum Nachmittag der Fall. Erst dann drehte der Strombörsenpreis ins Plus, erreichte am Abend einen immer noch niedrigen Wert von knapp 30 Euro pro MWh, bevor er kurz vor Mitternacht wieder in den Negativbereich abstürzte. Diese Entwicklung spiegelte sich auch im Grundlastpreis-Index Phelix Day Base, den die Strombörse für jenen Tag mit seinem tiefsten Jahreswert von -52,11 Euro je MWh ermittelte.

Negative Preise an Strombörse sollen Überlastung der Leitungen vorbeugen

Diese scheinbar verkehrte Welt gibt es seit dem Jahr 2008, als die Strombörse negative Preise eingeführt hatte. Damit wollte sie eine marktgerechte Lösung für Situationen schaffen, in denen Kraftwerke mehr Strom produzieren, als normalerweise verbraucht werden kann. Das traf nun auch auf jene frühe Stunde des Spätoktobertags zu. Zu diesem Zeitpunkt wurde besonders viel Windstrom produziert und in die Netze eingespeist. Gleichzeitig war der Stromverbrauch sehr niedrig und wurde schon zu einem großen Teil von den durchlaufenden Biomasse-, Kohle- und Kernkraftwerken gedeckt. In einer solchen Situation gibt ein Negativpreis einen Marktimpuls für große Stromverbraucher im In- und Ausland, ihre Anlagen einzuschalten, damit der Überschuss-Strom die deutschen Leitungen nicht überlastet.

Wo Verluste entstehen, gibt es meistens auch Gewinner. Die Vorteile durch Niedrig- und Negativpreise kommen überwiegend Großverbrauchern in Deutschland zugute, zu einem kleineren Teil aber auch solchen im Ausland. Die Suche nach Zahlen dazu erweist sich allerdings als schwierig.

Wieviel Strom im gesamten Jahr 2017 zu Niedrig- und Negativpreisen exportiert wurde, konnte auf Anfrage bei der europäischen Strombörse Epex Spot sowie der deutschen Bundesnetzagentur nicht in Erfahrung gebracht werden. Die Strombörse teilt immerhin mit, dass auf ihrem Day-Ahead-Markt (also dem Tag-Voraus-Markt) für die Gebotszone Deutschland/Österreich/Luxemburg und auf ihrem Tagesverlaufs-Markt (Intraday-Markt) Deutschland/Österreich insgesamt 99.500 GWh zu Preisen unter 30 Euro je MWh gehandelt wurden. 6.700 GWh davon wechselten sogar zu Negativpreisen die Besitzer. Damit hatten Negativ- und Niedrigpreise auf diesen beiden Kurzfristmärkten einen Anteil von 36 % an der gesamten dort gehandelten Menge, die bei 280.087 GWh lag.

Allerdings gibt es neben der europäischen Strombörse Epex Spot auch noch andere Plattformen für den kurzfristigen Stromhandel, auf denen weitere Mengen gehandelt werden. Hinzu kommt, dass die europäische Strombörse nur Zahlen für die gesamte Gebotszone Deutschland/Österreich/Luxemburg nennen kann – und keine Zahlen, die nur den deutschen Strommarkt betreffen.

Gewinner im Inland

Solche nationalen Daten gibt es bei der Bundesnetzagentur – wenn auch nicht für das ganze Jahr, sondern nur für kürzere Zeiträume. So wurde am 29. Oktober 2017 eine Strommenge von 232 GWh zu Niedrig- und Negativpreisen aus der Bundesrepublik ins Ausland exportiert. Das entspricht knapp 16 % des erzeugten Stroms. 84 % davon blieben also im Inland und erfreuten hier die Käufer auf dem Großhandelsmarkt.

Unter den Ländern, in die an jenem Tag deutscher Strom exportiert wurde, steht Österreich ganz vorn. Dorthin wurden 105 GWh geliefert. Da Deutschland gleichzeitig auch knapp 30 GWh aus dem Alpenland importierte, ergab sich ein Nettoexport von 75 GWh. Große Nettoexporte erfolgten mit 57 und 49 GWh auch nach Frankreich und Dänemark.

Das ist allerdings nur die kommerzielle Seite des deutschen Stromexports. Die tatsächlichen Stromflüsse in den Netzen, also die sogenannten physischen Stromflüsse, verlaufen teilweise ganz anders. Denn physisch hat Deutschland am 29. Oktober nur rund 52 GWh nach Österreich exportiert und keinen Strom von dort importiert.

Dass ein solcher Unterschied zwischen kommerzieller und physischer Stromlieferung überhaupt möglich ist, liegt an der bisherigen Konstruktion des Strom-Großhandelsmarktes, der sich über Deutschland, Österreich und Luxemburg erstreckt. Für diese drei Länder werden an der Strombörse gleiche Preise ermittelt, obwohl es schon innerhalb Deutschlands große Engpässe beim Stromtransport gibt. Damit entstehen eigentlich auch große regionale Unterschiede bei Stromangebot und -nachfrage. Doch diese Unterschiede werden mit kostspieligen Instrumenten wie dem Redispatch künstlich überbrückt.

Beim Redispatch drosseln kostengünstige Kraftwerke, die in einem Stromüberschuss-Gebiet vor einem Leitungsengpass liegen, ihre Produktion. Gleichzeitig fahren teure Kraftwerke, die in einem Strommangel-Gebiet liegen, ihre Stromerzeugung hoch. Die beteiligten Kraftwerksbetreiber erhalten dafür Vergütungen, die über die Netzentgelte von den Endkunden bezahlt werden. Auf diese Weise entsteht ein virtueller Stromtransport über die Engpässe hinweg.

Stromflüsse durch Nachbarländer

Während Österreich von dieser Praxis profitiert, gilt für das östliche Nachbarland Polen das Gegenteil. So konnte Polen von dem preiswerten deutschen Strom am 29. Oktober nur 2,5 GWh kommerziell erwerben, musste aber physisch fast die zehnfache Menge importieren. Der Grund liegt darin, dass die wenigen deutsch-polnischen Grenz-Kuppelleitungen durch ungeplante Stromflüsse aus ostdeutschen Solar- und Windparks stark überlastet sind. Für kommerzielle Stromlieferungen, die einen Tag im Voraus geplant werden müssen, sind sie deshalb kaum verfügbar.

So entstehen grenzüberschreitende Ringflüsse durch mehrere benachbarte Länder. Sie verlaufen aus Ostdeutschland über die Stromnetze von Polen und Tschechien nach Süddeutschland und Österreich. Die polnischen und tschechischen Betreiber der Übertragungsnetze müssen zwar die Belastungen dieser Ringflüsse tragen, können aber den so transportierten Strom kaum kaufen. Derzeit arbeiten sie gemeinsam mit dem ostdeutschen Übertragungsnetz-Betreiber 50 Hertz daran, die Grenz-Kuppelleitungen mit sogenannten Phasenschiebern etwas besser steuerbar zu machen.

Ringflüsse aus Norddeutschland verlaufen auch über die Niederlande, Belgien und Frankreich nach Süddeutschland. Diese Länder haben den Vorteil, dass sie deutlich besser mit der Stromgebotszone Deutschland/Österreich/Luxemburg vernetzt sind. Daher können ihre Großverbraucher sehr viel mehr vom negativ- und niedrigpreisigen deutschen Ringfluss-Strom kaufen als die polnischen und tschechischen Großverbraucher.

Ausweg: Netzausbau oder Gebotszonen

Als Ursache für die ungeplanten Ringflüsse und die allmählich steigenden Redispatch-Kosten gelten die Leitungsengpässe, die den Stromtransport aus den Stromüberschuss-Regionen in Nord- und Ostdeutschland in die Strommangel-Region Süddeutschland behindern.

Um die Engpässe zu beheben, haben die Übertragungsnetz-Betreiber mehrere große Netzausbau-Projekte aufgelegt, die bis zum Jahr 2030 umgesetzt werden sollen. Sie sind allerdings auch mit hohen Kosten verbunden, die letztlich wieder von den Stromkunden bezahlt werden müssen. Hinzu kommt, dass die Leitungsprojekte bei Anwohnern und Naturschützern auf starke Widerstände stoßen.

Eine mögliche Alternative zum Netzausbau ist, unterschiedliche Gebotszonen im Strombörsenhandel einzuführen. Sie könnten entlang der Netzengpässe festgelegt werden und damit die tatsächlichen Möglichkeiten des Stromtransports berücksichtigen. Dann wäre der Großhandelspreis für Strom in einer Überschussregion niedriger und würde dort einen Marktimpuls für mehr Verbrauch geben. In einer Strommangel-Region wäre der Großhandelspreis höher, würde den Verbrauch eher dämpfen und den Kraftwerksbau anregen.

Solche unterschiedlichen Gebotszonen werden in Skandinavien seit Jahrzehnten praktiziert und haben sich dort bewährt. Auch die Europäische Kommission befürwortet diese marktorientierte Lösung. Dagegen will die deutsche Bundesregierung die einheitliche Stromgebotszone in Deutschland unbedingt erhalten.

Dennoch haben die wachsenden Diskussionen um dieses Thema schon eine erste Wirkung gezeigt. Die Bundesnetzagentur hat entschieden, dass ab Oktober 2018 die deutsche Stromgebotszone von der österreichischen Gebotszone abgetrennt wird. Wie sich das auf den deutschen Strommarkt sowie auf kommerzielle und physische Stromexporte auswirken wird, bleibt nun abzuwarten.

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