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Was lässt sich eigentlich nicht kleben?

Kleben: Die schonendste Fügetechnik seit 6000 Jahren
Was lässt sich eigentlich nicht kleben?

Klebstoffe werden in der industriellen Fertigung immer noch zurückhaltend eingesetzt. Zu Unrecht, wie Günter Zwerger von der Schwanheimer Industriekleber GmbH belegt: Denn kaum ein Material lässt sich nicht kleben.

Nicolas Wulgaris ist Journalist in Stuttgart

Günter Zwergers verschlissener und zerkratzter Aktenkoffer hat augenscheinlich schon viel durchgemacht. Auf fast jeder deutschen Industriemesse dient ihm das schwarze Behältnis als Arbeitsutensil, das alle wichtigen Ausstellungsstücke beherbergt. Seine Präsentation der Exponate erweist sich als ebenso abwechslungsreich und schillernd wie die Verpackung: Staunend erfährt der Besucher, dass es für nahezu jedes praktische Alltagsproblem eine Lösung zu geben scheint, die mit der Anwendung eines schnellhärtenden Klebstoffs zusammenhängt.
Zwerger ist Verkaufsrepräsentant der Schwanheimer Industriekleber GmbH aus dem gleichnamigen Ort im Odenwald, und es gibt fast kein Messemalheur, das ihm fremd ist.
Mehr als einmal wurde die kleine Plastikflasche aus seinem Präsentationskoffer zum Retter in höchster Not, etwa für jenen verzweifelten Messebesucher, der sich entnervt mit einer lose gewordenen Zahnkrone an seinem Messestand eingefunden hatte. „Die Krone haben wir dann einfach wieder festgeklebt“, erinnert sich Zwerger, nicht ohne den Hinweis, dass Dentallabors ohnehin zu seinem Kundenkreis zählten.
Angesichts solcher Schilderungen aus Zwergers anekdotenreichem Berufsleben könnte es dem Zuhörer fahrlässig vorkommen, jemals ohne eine Flasche des rettenden Klebers aus dem Haus gegangen zu sein. So übertrieben diese Vorstellung auch sein mag, zumindest ein Faktum belegen die Geschichten allemal: Das Kleben ist das am universellsten einsetzbare Fügeverfahren überhaupt. Heute können nahezu alle Materialien mit speziell geeigneten Klebstoffen schonend, dauerhaft und hochfest miteinander verbunden werden. Dabei werden, anders als beim Schrauben, Nieten oder Schweissen, die Fügeteile weder mechanisch noch thermisch beansprucht oder gar verletzt.
Computer hilft bei der Auswahl des richtigen Klebstoffes
Diese gewichtigen Vorteile sollten die Klebtechnik längst in Konstruktion und Fertigung etabliert haben. Trotzdem gibt es noch immer Vorbehalte gegen das Kleben. Dabei erweisen sich gerade die breit gefächerten Anwendungsmöglichkeiten als Achillesferse des Verfahrens. Um die Anforderungen sicherheitsbewusster Ingenieure an Festigkeit, Langzeitstabilität und Widerstandsfähigkeit gegen äußere Einflüsse zu gewährleisten, ist ein fundiertes klebtechnisches Know-how erforderlich, das in der Ingenieurausbildung selten vermittelt wird. Die Qualität einer Verbindung hängt außer von der Wahl des geeigneten Klebstoffs von einer Vielzahl anderer Einflussfaktoren ab. Deshalb muss der Einsatz der Klebtechnik in der industriellen Fertigung bereits bei der Planung des Produktdesigns bedacht werden. Die Berücksichtigung aller Parameter kann eine derart komplexe Aufgabe sein, dass selbst erfahrene Anwender nicht ohne computergestütztes Expertenwissen auskommen. Große Klebstoffhersteller bieten ihren Kunden diesen Service an. Für Personal aus der mittelständischen Industrie bieten verschiedene Träger darüber hinaus klebtechnische Seminare und zertifizierte Zusatzqualifikationen bis hin zum Klebfachingenieur an, wegweisend das IFAM in Bremen. Zielsetzung dieser Dienstleistungen ist nicht zuletzt, die vielfältigen Möglichkeiten des Klebstoffeinsatzes für Industrie und Handwerk aufzuzeigen und die älteste aller Fügetechnologien ins Blickfeld künftiger fertigungstechnischer Innovationen zu stellen.
Kleben nennt man die Verbindung von Fügeteilen durch die Oberflächenhaftung (Adhäsion) des Klebstoffes an der Oberfläche des Fügeteils und der inneren Festigkeit (Kohäsion) des Klebstoffs. Von bis zu 6000 Jahre alten Versuchen, feste Materialien durch Kleben miteinander zu verbinden, zeugen archäologische Funde aus Mesopotamien, dem Zweistromland zwischen Euphrat und Tigris. Damals wurden ausschließlich Klebstoffe natürlichen Ursprungs wie Blut, Eiweiß oder Baumharze verwendet. Die Entwicklung synthetischer Klebstoffe begann erst Anfang des 20. Jahrhunderts und ist eng verknüpft mit der Erfindung der Kunststoffe durch die chemische Industrie. Angefangen von der Patentierung des Polyvinylacetats im Jahr 1914, das nach 1920 als Malerleim (Weißleim) auf den Markt kam und auch heute noch als wichtigster Rohstofflieferant dient, haben synthetische Klebstoffe heute einen Marktanteil von rund 60 %.
Der Durchbruch für den Einsatz in der industriellen Fertigung gelang erst nach 1960 durch die Produktion von anaeroben Methacrylat- und Cyanacrylat-Klebstoffen. Mit diesen Einkomponenten-Klebern war es erstmals möglich, Metalle und Kunststoffe untereinander zu verkleben, eine unabdingbare Forderung für die industrielle Nutzung.
Auch Zwergers schnell härtender Industriekleber beruht auf einer Cyanacrylat-Grundrezeptur. „Schließlich ist auch Wein nicht gleich Wein, obwohl alles aus Trauben gemacht wird“, vergleicht er. In der Tat können neuartige Klebstoffe mit spezifischen anwendungstechnischen Profilen durch leichte Modifikation der Basisstoffe und durch den Zusatz immer neuer Additive regelrecht „designed“ werden. Über 250 000 gibt es heute. Sie beruhen auf seit lange bekannten Rohstoffen.
Cyanacrylate gehören zur Gruppe der einkomponentigen Reaktivklebstoffe. Vor der Ausbildung der Klebeschicht bestehen diese aus reaktionsfähigen, nieder molekularen und daher flüssigen Verbindungen. Spuren von Luftfeuchtigkeit und Druck initiieren den Abbindeprozess, in dem sich die anfangs kurzen Moleküle durch chemische Reaktion miteinander vernetzen und lange Ketten, ein Polymer, bilden. Das Ergebnis ist eine hochfeste Verklebung der Fügeteile durch Adhäsion mit einer hauchdünnen, festen Polymerschicht. Die Aushärtung setzt innerhalb von Sekunden ein. Ebenso schnell lassen sich bereits hohe Anfangsfestigkeiten erzielen, weshalb die ungiftigen Cyanacrylate oft als Schnell- oder Sekundenkleber eingesetzt werden.
Für die Bandmontage bietet ein möglichst schnell abgeschlossener Aushärtungsprozess ohne unterstützenden Wärmeeinsatz naturgemäß Vorteile. Je dünner zudem die Klebschicht ausfällt, umso fester ist die Verbindung. Das Optimum der Schichtdicke liegt für den Schwanheimer Industriekleber bei ungefähr 0,1 mm. Zum Füllen und Verkleben großflächigerer Risse, Fugen und Spalten kann der Klebstoff im Gemisch mit einem mineralischen Füllstoff angewandt werden, der als Granulat angeboten wird. Auf diese Weise lassen sich zum Beispiel Teile mit extrem dünnen Kanten verbinden. In der Industrie werden Dichtungen, Profile und Puffer aus Gummi oder Kunststoff mit Cyanacrylat-Klebstoff auf Metallleisten geklebt. Die Referenzliste der Schwanheimer Industriekleber GmbH umfasst außerdem Kunden aus den Branchen Automobilindustrie, Elektrotechnik bis hin zur Verpackungsindustrie für Lebensmittel, Medizintechnik und Dentallabors.
„Ich sage lieber, was man nicht kleben kann, das dauert nicht so lang“, setzt Zwerger seine Vorführung fort. Einige Kunststoffe, etwa polyfluorierte Produkte wie PTFE (Teflon) sind nicht ohne spezielle Aktivierung der Oberfläche zu verkleben, andernfalls kann der Klebstoff die Oberfläche nicht benetzen. Aus dem gleichen Grund sollten Metalle vor dem Aufbringen des Klebers mechanisch aufgerauht und Gummiflächen mit organischen Lösungsmitteln gereinigt und entfettet werden.
Cyanacrylate enthalten keine organischen Lösungsmittel
Cyanacrylate wie auch andere Einkomponentenklebstoffe enthalten keine organischen Lösungsmittel. Neben der höheren Umweltverträglichkeit bietet das einen weiteren Vorteil: Die Aushärtung erfolgt ohne Schrumpfen und Substanzverlust. Ein zu großflächiger Klebstoffauftrag kann hingegen durch unterschiedlich schnell aushärtende Bereiche zu inneren Spannungen mit der Gefahr von Sprödbrüchen führen. Für Prozesstemperaturen von über 100 °C sind Cyanacrylate nicht geeignet. Je nach Anwendungszweck müssen andere Klebstoffe eingesetzt werden, die weit höhere Temperaturen vertragen.
Schon heute können durch das Kleben Bauweisen mit völlig neuen Eigenschaften realisiert werden. Geklebte Autos etwa zeichnen sich beim Crashtest durch besonders gute Ergebnisse aus. Auch für den Leichtbau bietet die alternative Fügetechnologie Vorteile. In der Automobilindustrie ist das Kleben bereits zu einer Schlüsseltechnologie geworden. Außer Karosserieteilen werden dort auch Motorteile mit speziellen wärmehärtenden Klebstoffen verbunden. Nach Angaben des Düsseldorfer Industrieverbands Klebstoffe e.V. (IVK) enthält ein neues Auto bis zu 18 kg Klebstoffe. Ein komplett geklebtes Auto erwarten Experten in den nächsten Jahren.
Dem großen Durchbruch im Maschinen- und Anlagenbau steht nach Auffassung des IVK ein immer noch nicht befriedigend gelöstes Problem entgegen: Geklebte Verbindungen sind im allgemeinen nicht reversibel. Trotz aller Forschungsbemühungen fehlt es noch an allgemein anwendbaren und einfach zu handhabenden Verfahren zum Entkleben.
Für kleinere Probleme dieser Art und für den Hausgebrauch hat Günter Zwerger eine Lösung parat. Seit wenigen Wochen bietet die Schwanheimer Industriekleber GmbH einen nahezu geruchlosen Universal-Löser an, der den hauseigenen Sekundenkleber fast ebenso schnell wieder löst und auch als Fleckenentferner zu verwenden ist. Für die Präsentation dieses neuen Produkts wird Zwergers Koffer wohl noch viele Messen durchstehen müssen – bis selbst das Kleben dessen irdisches Schicksal nicht mehr aufhalten kann.
Industrieanzeiger
Titelbild Industrieanzeiger 6
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