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„Das war ein harter Brocken“

Vision-Anwender erzählen in der Robotation Academy von ihren einschlägigen Erfahrungen
„Das war ein harter Brocken“

Einsteiger, alte Hasen, Hersteller und teilweise hart geprüfte Anwender trafen sich am 6. Oktober in Pavillon 36 auf dem Hannover Messegelände. Sie alle suchten die Antwort auf zwei Fragen: Was kann ich mit industrieller Bildverarbeitung machen? Und was nicht?

Am Vorabend des ersten Bildverarbeitungs-Kongresses in der Robotation-Academy traf ich einen Geschäftsmann im Aufzug des Hotels. Ich frage ihn auf Verdacht, ob er morgen auch auf der Veranstaltung der Robotation Academy sei. „Kongress?“, knurrte er zurück. „Ich muss Geld verdienen.“ Nun, Geld verdient man auf so einem Kongress sicher nicht. Im Gegenteil, es kostet. Aber der Teilnehmer kann sich viel Ärger und auch Geld sparen, wenn er genau zuhört.

Die Robotation Academy führt das ganze Jahr über Schulungen und Kongresse durch. Ort des Geschehens ist der Pavillon 36 auf dem Hannover Messegelände, gleich hinter der Halle 16. Thomas Rilke leitet den Bereich Industrieautomation auf der Hannover Messe und ist Geschäftsführer der Robotation Academy. Er stimmt die 34 Teilnehmer an diesem Morgen ein. „Für uns ist die Bildverarbeitung ein ganz zentrales Thema in der Automatisierung“, stellt Rilke klar. Dann wird es etwas philosophischer: „Wenn man etwas automatisieren will, dann fängt man meist mit dem Erkennen von etwas an.“ Es geht los, der erste Vortrag beginnt.
Dirk Ladach klemmt sich das Mikro vor den Mund. Er ist Leiter Produktbereich Magnete bei der BT Magnet-Technologie GmbH. Es wird ein langer Vortrag, länger als alle anderen. Aber nicht langweilig, im Gegenteil. Vor allem deshalb, weil Ladach kein Loblied auf die industrielle Bildverarbeitung vorträgt, sondern auch die Schattenseiten dieser Technik zur Sprache bringt. Ladach hat 1997 den ersten Versuch gestartet, die Prüfung von so genannten ferritkeramischen Permanentmagneten zu automatisieren und musste nach drei Jahren feststellen, dass er in eine Sackgasse geraten war. Erst im zweiten Anlauf, nachdem er viel Geld in den Sand gesetzt hatte, bekam er das Problem in den Griff. Zusammen mit dem Vision-Experten Asentics gelang es, landläufig gesprochen, die Karre aus dem Dreck zu ziehen.
BT Magnet-Technologie, kurz BTMT, hat seinen Sitz in Herne im Herzen des Ruhrgebiets. Das Unternehmen ist 1971 als Blaupunktwerk entstanden und seit 1990 eine eigenständige GmbH. In Spitzenzeiten arbeiteten dort 2500 Menschen, heute sind in Herne 350 Mitarbeiter beschäftigt. BTMT stellt ferritkeramische Permanentmagnete in großen Stückzahlen her und beliefert damit die Automobil- und Elektrowerkzeug-Industrie. „Unsere Produkte werden praktisch jeden Tag benutzt“, berichtet Ladach. „Aber sie führen ein Schattendasein, weil sie kaum jemand kennt.“ Die Teile werden maßgeblich im Elektromotorenbau eingesetzt. Zu den typischen Anwendungen zählen zum Beispiel elektrische Fensterheber, ABS oder die elektrische Servolenkung.
In Europa gehen 90 Prozent der Magnete in die Automobilindustrie. Entsprechend hoch ist der Qualitätsanspruch. Fehlerhafte Teile bedeuten einen Produktionsausfall beim Autobauer und können im schlimmsten Fall zu Rückrufaktionen führen. Es kann auch passieren, dass fehlerhafte Teile verbaut werden und erst später in der Praxis ausfallen. „Wenn Ihnen bei Tempo 200 auf der Autobahn bei Regen der Scheibenwischer ausfällt, weil der Magnet im Elektromotor gebrochen ist, dann ist das nicht lustig“, stellt Ladach fest.
Die Fertigungstiefe bei BTMT beträgt hundert Prozent. Die Herner steigen beim Rohstoff Eisenoxid ein. Dieser wird aufbereitet, verfeinert und zu einem Grünling gepresst. Im weiteren Fertigungsprozess wird das Teil gesintert und geschliffen. Beim fertigen Produkt liegen die Toleranzen bei 0,01 mm bezüglich der Radien. Breite und Dicke dürfen maximal um 0,1 mm vom Soll abweichen.
Die tägliche Fertigungsmenge liegt bei maximal 70 000 Magneten, was 140 Mio. Teile im Jahr entspricht. Die technischen Merkmale wie Geometrie und magnetische Eigenschaften werden über die SPS abgesichert. Risse, Abplatzungen, Verschliff und nicht ausreichende Fasenverläufe müssen allerdings bei jedem Teil gesondert geprüft werden. „Der weltweite Stand der Technik ist die manuelle, visuelle Prüfung“, erzählt Produktionsleiter Ladach seinen erstaunten Zuhöhern. „Jedes Teil wird von einer Person in die Hand genommen und per Augenschein geprüft.“ Und dann kommt es: „Wir sind die einzigen, die das automatisiert haben. Aber das war ein harter Brocken.“
1997 begann der Leidensweg, den Dirk Ladach den Kursteilnehmern gerne ersparen will: „Setzen Sie auf Standardsoftware, keine selbstgestrickten Programme“, ist sein eindringlicher Rat. Vor dreizehn Jahren formulierte BTMT zum ersten Mal seine Ziele, allem voran die vollständige, automatisierte Prüfung der Magnete. „Es macht keinen Sinn, wenn eine Fläche übrig bleibt und dann doch nochmal einer drüber schauen muss“, so Ladach. Auch der Durchsatz musste stimmen: Bis zu 60 Teile sollten die automatische Prüfung pro Minute durchlaufen. Und schließlich: Null Fehler. Alle Magnete sollen ohne eine weitere Prüfung direkt an den Kunden geliefert werden können.
Ladach vergab damals den Auftrag an ein Entwicklungsbüro. Das führte eine Machbarkeitsanalyse durch, baute eine Versuchsanlage für 100 000 Mark und gab sich zuversichtlich: Wir lösen das Problem! Allerdings gäbe es dafür keine Standard-Software, alles müsse neu programmiert werden.
Eigentlich sollte die Anlage Ende 2000 laufen. Stattdessen geriet das Projekt immer mehr in Terminverzug. Die Software funktionierte zwar an Einzelflächen, aber nicht in der Praxis. Zudem waren die Programme nicht zu bedienen. „Das war eine Software von Programmierern für Programmierer“, erinnert sich Ladach noch heute mit Schaudern. „Man stelle sich vor, wir mussten die Parameter innerhalb des Programmcodes eingeben.“ Technisch gesehen war die Benutzeroberfläche in der EDV-Steinzeit angesiedelt. An einen eigenständigen Umgang mit der Prüfanlage war nicht zu denken.
2002 zog Ladach die Notbremse und kündigte die Zusammenarbeit mit den Softwerkern auf. Und er machte sich auf die Suche nach einem Partner, der „nicht alles neu und am besten auch noch selbst erfindet“. Auf einer Fachmesse stieß der BTMT-Mann schließlich auf Asentics. Der Spezialist für industrielle Bildverarbeitung aus Siegen hat sich auf die Fahnen geschrieben, „Trends von heute in intelligente Lösungen von morgen zu verwandeln“. Und zwar mit „universell einsetzbaren, modularen und skalierbaren Systemen, die ein breites Spektrum von Applikationen und Integrationen ermöglichen“. So jedenfalls formuliert es Asentics auf seiner Homepage.
Dirk Ladach wagte einen zweiten Anlauf. Im Jahr 2003 wurde eine zweite Machbarkeitsstudie erstellt. Die vorhandene Mechanik mit Beleuchtungs- und Kameratechnik konnten in das neue Projekt übernommen werden. Und es sah so aus, dass die Siegener halten konnten, was sie in ihrem Internet-Auftritt versprechen. „Es schien alles mit Standard-Software zu funktionieren“, so Ladach.
Die Zuhörer in der Robotation Academy lehnen sich erschöpft zurück. Der Leidensweg des Dirk Ladach ist zu Ende, die automatisierte Prüfung seiner Permanentmagnete scheint doch noch zu klappen. Jetzt tritt Hans Tschaki in Erscheinung. Der Leiter Applikation bei der Asentics GmbH & Co. KG stellt sich neben Dirk Ladach und untermauert dessen Ausführungen mit der Kernparole des Vision-Herstellers: „Der Kunde soll nicht programmieren, sondern parametrieren.“
Programmieren müssen Dirk Ladach und seine Mitarbeiter in der Tat nicht, auch mit dem Software-Code kommen sie nicht mehr in Berührung. Das wird den Zuhörern in der Robotation Academy schnell klar, als Tschaki das sogenannte Agentenkonzept vorstellt. Das hat nichts mit James Bond zu tun, sondern ist die Bezeichnung für ein modulares Programm-Konzept. Agenten sind Software-Bausteine, die der Anwender nach Bedarf in seine Applikation einbauen kann. Ändern sich zum Beispiel die Prüfkriterien, kann Ladach neue Bildverarbeitungs-Funktionalitäten aus der Bibliothek in das Agenten-Netzwerk einbinden. Das geschieht per Drag & Drop. Mit der gleichen Technik kann das System auch auf neue Prüftypen vorbereitet werden.
Das neue Projekt kam ins Rollen: 2004 wurde die vorhandene Beleuchtungs- und Kameratechnik komplettiert und Asentics begann mit dem Aufbau von Prüfprogrammen aus bestehender Standard-Software. Parallel wurden Mitarbeiter von BTMT mit Schulungen auf das neue System vorbereitet. Im ersten Quartal 2005 erfolgte die kundenseitige Freigabe des Prüfprozesses für den ersten Magneten. Ein Jahr später wurde in Herne eine zweite, verbesserte Anlage installiert. 2007 kamen nochmals zwei Anlagen dazu.
Dirk Ladach ist mit seinen Ausführung fast am Ende. Am Schluss stellt er sich selbst die entscheidende Frage: Wurde das Ziel erreicht? „Inzwischen haben wir die Freigabe für den Prüfprozess von allen maßgeblichen Kunden bekommen“, so Ladach. Die so genannte Risiko-Prioritätszahl, kurz RPZ, konnte unter 40 gedrückt werden. Das heißt, der Prozess funktioniert bedenkenlos und muss vorerst nicht verbessert werden. Zum Vergleich: In Zeiten der manuellen Sichtprüfung lag die RPZ noch über 150, was zwangsweise zu Prozessänderungen führen muss.
Von den 140 Mio. Teilen, die pro Jahr in Herne produziert werden, durchlaufen derzeit 55 Mio. eine automatische Prüfung auf vier Anlagen. Noch in diesem Jahr sollen es 80 Mio. werden. Der Rest wird nach wie vor manuell geprüft. Ladach: „Es gibt immer wieder Teile, deren Stückzahl so gering ist, dass sich das Rüsten der Anlage nicht sinnvoll durchführen lässt.“ Für die kommende Zeit hat Ladach vor allem eines im Auge: Er will den erreichten, technischen Vorsprung so lange wie möglich halten und so den Standort Herne sichern.
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„Die Anwender haben offen über ihre Probleme gesprochen“

Welche Rolle spielt in Ihrem Unternehmen die Bildverarbeitung?
Nun, wir machen nichts anderes. Die Vision Academy ist eine Weiterbildungseinrichtung für industrielle Bildverarbeitung, die erste ihrer Art seit 2001. Zu uns kommen Einsteiger, Anwender von Vision-Systemen und Entwickler, die ganz spezielles Know-how brauchen.
Wie wurden Sie auf den Kongress der Robotation Academy aufmerksam?
Ich habe von diesem Kongress Anfang des Jahres gehört. Als Anbieter von Weiterbildung kennen wir die Bildverarbeitungslandschaft und wollten wissen, wie die Hannover Messe das macht.
Was haben Sie sich im Vorfeld von dem Kongress versprochen?
Auf solchen Veranstaltungen hat man die Gelegenheit, mit anderen Teilnehmern ins Gespräch zu kommen und sich über den Weiterbildungsbedarf zu unterhalten.
Wie ist Ihr Eindruck von der Veranstaltung?
Die Qualität der Veranstaltung ist durchaus beachtenswert. Die Anwender haben offen über ihre Probleme gesprochen. Und die oft technikverliebten Anbieter haben es geschafft, Bildverarbeitung allgemeinverständlich darzustellen.

„Hier nehme ich mehr mit als auf teuren Lehrgängen“

Welche Rolle spielt in Ihrem Unternehmen die Bildverarbeitung?
Vision-Techniken werden bei uns zunehmend wichtig. Wir machen damit Lageerkennung von Bauteilen, die unkoordiniert auf Bändern angeliefert und koordiniert aufgenommen werden. Hinzu kommt das Prüfen von Schweißnähten. Im nächsten Jahr wollen wir den Griff in die Kiste realisieren.
Wie wurden Sie auf den Kongress der Robotation Academy aufmerksam?
Das ist interessant, ich bin über einen Newsletter von Sick zufällig drauf gestoßen.
Was haben Sie sich im Vorfeld von dem Kongress versprochen?
Für mich stand der Griff in die Kiste im Vordergrund. Das Thema ist noch nicht weit verbreitet, ich wollte mich über die Vor- und Nachteile informieren, welche Komplikationen dabei auftreten können.
Wie ist Ihr Eindruck von der Veranstaltung?
Sehr gut. Der Kongress ist informativ und anwendungsorientiert. Hier nimmt man mehr mit als auf manchem Lehrgang, der viel kostet. Mitarbeiter, die an solchen Veranstaltungen teilnehmen, können meines Erachtens danach mehr zur Wertschöpfung in ihrem Unternehmen beitragen.

„Ich erfahre, was möglich ist, fernab der Herstellerangaben“

Welche Rolle spielt in Ihrem Unternehmen die Bildverarbeitung?
Das Fraunhofer Institut für Materialfluss und Logistik entwickelt zum Beispiel Prototypen für die Intralogistik, bei denen auch die Bildverarbeitung gebraucht wird. Etwa für die Aufnahme von Werkstücken, die über ein Förderband von einer Prozess-Station zur nächsten transportiert werden. Die Palettenkontrolle oder die Ortung von fahrerlosen Transportsystemen sind weitere Anwendungen, mit denen wir zu tun haben.
Wie wurden Sie auf den Kongress der Robotation Academy aufmerksam?
Ein Kollege ist über eine Mail auf den Kongress gestoßen und meinte zu mir: Das klingt interessant.
Was haben Sie sich im Vorfeld von dem Kongress versprochen?
Im Moment laufen bei uns einige Projekte, in denen die Bildverarbeitung eine konkrete Rolle spielt. Da ist es immer gut zu wissen, wie der Stand der Technik ist. Ich kann erfahren, was wirklich umgesetzt wird, fernab von den Herstellerangaben.
Wie ist Ihr Eindruck von der Veranstaltung?
Ich finde den Kongress gut, hatte allerdings erwartet, dass mehr Leute kommen. Und mir ist aufgefallen, dass wenig Fragen gestellt werden. Aber das muss kein Nachteil sein, eher ein Kompliment an den Vortragenden.
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